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Schultergelenkluxation

Letzte Aktualisierung: 14.8.2024

Zusammenfassungtoggle arrow icon

Die Schultergelenkluxation ist die häufigste Luxation des Menschen und meist Folge einer indirekten Krafteinwirkung beim Sturz auf den ausgestreckten Arm. Ihre Häufigkeit ist auf den im Vergleich zur Gelenkpfanne überdimensionierten Humeruskopf zurückzuführen. Typische Symptome sind eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung und eine federnde Fixation des Armes sowie die als Delle tastbare leere Gelenkpfanne. Die häufigste Form ist die Luxation nach vorne. Bei jeder Form der Luxation sollte an die Möglichkeit von Gefäß- oder Nervenläsionen (z.B. N. axillaris) gedacht werden.

Zum Ausschluss einer knöchernen Begleitfraktur ist das Röntgen des Schultergelenks in zwei Ebenen diagnostisch unerlässlich. Unter Sedierung, Relaxation und Schmerztherapie wird der Humeruskopf in die Gelenkpfanne reponiert und der Arm anschließend (z.B. im Gilchrist- oder Desault-Verband) ruhiggestellt – neuere Studien geben jedoch Hinweise, dass bei Erstluxation eine Ruhigstellung in Außenrotation („Außenrotationsorthese“) bessere Ergebnisse erbringt. Bei rezidivierenden Luxationen oder Begleitverletzungen kann eine operative Stabilisation des Gelenks notwendig werden.

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Epidemiologietoggle arrow icon

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Ätiologietoggle arrow icon

  • Traumatisch [1]
    • Am häufigsten (ca. 95–97% der Fälle): Anteriore Luxation (= Luxatio anterior/subcoracoidea) bei Sturz auf den (dorsal) ausgestreckten Arm (Hebelwirkung durch Außenrotation/Abduktion)
    • Ca. 2–4%: Posteriore Luxation (= Luxatio posterior/infraspinata) bei epileptischem Anfall oder Elektrounfall
    • Ca. 0,5%: Inferiore Luxation (= Luxatio inferior/axillaris, oder auch Luxatio erecta) bei Sturz auf den gestreckten, hyperabduzierten (d.h. nach oben gestreckten) Arm
    • Seltene Varianten: Luxatio superior, Luxatio intrathoracica
  • Habituell bei angeborener Dysplasie oder Schwäche der Bandführung, ohne adäquates Trauma bei physiologischer Bewegung
  • Posttraumatische, rezidivierende Luxation nach Ersttrauma, Prädisposition durch

In ca. 95–97% der Fälle kommt es zur vorderen Schulterluxation, die folglich mit Abstand am häufigsten ist!

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Klassifikationtoggle arrow icon

Klassifikation nach Matsen

  • TUBS: Traumatic, Unidirectional, Bankart, Surgical treatment
  • AMBRI: Atraumatic, Multidirectional, Bilateral, Rehabilitation, Inferior capsular shift

Klassifikation nach Gerber

  • Typ I: Verhakte Luxation
  • Typ II: Unidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxizität
  • Typ III: Unidirektionale Instabilität mit Hyperlaxizität
  • Typ IV: Multidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxizität
  • Typ V: Multidirektionale Instabilität mit Hyperlaxizität
  • Typ VI: Willkürliche Luxation

Klassifikation nach Bayley

Diese dynamische Einteilung geht von drei Polen eines gleichseitigen Dreiecks aus. Entscheidende Variablen sind dabei die Ursachen: Unfallereignis, bestehende muskuläre Dysbalance oder angeborene strukturelle Anomalien.

Klassifikation nach Bayley
Polar Group Luxationsart Charakteristika
I Traumatisch strukturell
  • Signifikantes Trauma
  • Häufig traumatische Folgeschäden wie z.B. Bankart-Läsion
  • Keine muskuläre Dysbalance
  • I.d.R. einseitig

II

Atraumatisch strukturell
  • Kein Trauma
  • Struktureller Schaden/Anomalie der Gelenkfläche
  • Kapsuläre Dysfunktion
  • Keine muskuläre Dysbalance
  • Häufig bilaterale Schulterinstabilität
III Habituell nicht-strukturell
  • Kein Trauma
  • Kein struktureller Schaden der Gelenkfläche
  • Kapsuläre Dysfunktion
  • Muskuläre Dysbalance
  • Häufig bilaterale Schulterinstabilität

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Symptomatiktoggle arrow icon

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Präklinisches Managementtoggle arrow icon

Präklinisch sollte bei Verdacht auf eine Frakturkomponente kein Repositionsversuch unternommen werden! [2]

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Vorgehen in der Notaufnahmetoggle arrow icon

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Diagnostiktoggle arrow icon

Klinische Untersuchung

Röntgen bei Schulterluxation

Bei Primärvorstellung werden ca. 60% aller posterioren Schulterluxationen übersehen.

MRT bei Schulterluxation

  • Alternative: Arthro-MRT
  • Indikation
    • Zum Ausschluss einer Verletzung von Knorpel- oder Kapselgewebe
    • Unter anderem indiziert bei Nachweis einer Hill-Sachs-Delle
  • Befunde
    • Bankart-Läsion
    • Weitere mögliche Verletzungen des Kapsellabrum-Komplexes und der glenohumeralen Ligamente
      • SLAP-Läsion (Superior Labrum Anterior to Posterior)
      • ALPSA-Läsion (Anterior Labroligamentous Periosteal Sleeve Avulsion)
      • HAGL-Läsion (Humeral Avulsion of Glenohumeral Ligament)
      • GLAD-Läsion (Glenolabral Articular Disruption)
    • Weichteilverletzungen, wie Rotatorenmanschettenverletzungen
    • Knöcherne Begleitverletzungen

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Scrollbares MRTtoggle arrow icon

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Therapietoggle arrow icon

Konservativ: Schulterreposition

Grundprinzipien zur Durchführung

  • Schnellstmögliche Reposition anstreben
  • Vor der Reposition
  • Während der Reposition
    • Dem Patienten alle Arbeitsschritte erklären und Repositionsbewegungen langsam und kontrolliert ohne ruckartige Bewegungen durchführen
    • Bei Auftreten von Schmerzen: Gelenkmanipulation unterbrechen
  • Zeichen einer erfolgreichen Reposition
    • Für den Patienten: Kurz auftretender Schmerz, dann Schmerzbefreiung
    • Für den Arzt: Spür- bzw. hörbares Reiben oder Schnappen
  • Nach der Reposition
    • Kontrolle von Durchblutung, Motorik, Sensibilität (N. axillaris!) und radiologischem Status
    • Anschließend Ruhigstellung im Desault- oder Gilchrist-Verband mit funktioneller Behandlung

Varianten zur Reposition einer vorderen Schulterluxation

  • Bedeutung der einzelnen Varianten: In der Regel kommen zur Schulterreposition schonende Verfahren zum Einsatz (z.B. die Repositionstechniken nach Stimson oder Milch). Diese machen sich eine Kombination aus Traktions- und Hebelbewegungen sowie ggf. eine direkte Manipulation an der Scapula oder am Humerus zunutze. Außerdem zielen sie auf eine ideale Entspannung der Muskulatur des Schulterbereiches ab, z.B. durch 90°-Flexion im Ellenbogengelenk oder durch ein Über-Kopf-Heben des Armes . Egal welche Technik angewendet wird, wichtig ist, mit dieser gut vertraut zu sein und keine zu kraftvollen oder ruckartigen Repositionsversuche durchzuführen, um Komplikationen (wie z.B. Frakturen oder Gefäß- und Nervenläsionen) zu vermeiden .

Reposition nach Stimson

  • Vorbereitung
    • Patient in Bauchlage
    • Betroffene Schulter hängt über den Rand der Liege, leichte Erhöhung der Schulter durch Unterlage eines kleinen Kissens
  • Durchführung
    • Variante 1
      • Luxierter Arm hängt locker für 20–30 min von der Liege herab, dabei stetiger axialer Zug durch ein am Arm befestigtes Gewicht (ca. 4–7 kg) → Durch sukzessive Muskelentspannung meist automatische Reposition nach dieser Zeitspanne
    • Variante 2
      • Patientenarm hängt von der Liege herab
      • Untersucher kniet neben der Liege und legt den Unterarm des Patienten auf sein Knie
      • Untersucher übt stetig leichten axialen Zug am Oberarm des Patienten sowie leichte axiale Rotationsbewegungen des Armes aus
      • Evtl. zusätzlich Scapulamanipulation: Drücken des Angulus inferior der Scapula mit dem Daumen nach kraniomedial → Rotation der Scapula, wodurch das Glenoid wieder in Richtung Humeruskopf verschoben wird

Reposition nach Milch

  • Vorbereitung
    • Patient in Rückenlage
    • Arm des Patienten wird im Ellenbogen rechtwinklig gebeugt
  • Durchführung
    • Vorsichtige passive Abduktion, Außenrotation und Elevation des Armes, der in Über-Kopf-Lage auf der Liege abgelegt wird; häufig hierbei schon spontane Reposition
    • Bei fehlender spontaner Reposition: Ggf. vorsichtiger axialer Zug am Arm (nach kranial) sowie evtl. direkte Manipulation am Humeruskopf in der Axilla

Modifizierte Reposition nach Manes und Mertes (Helfer erforderlich!)

  • Vorbereitung und Durchführung
    • Patient in Rückenlage
    • Der Helfer positioniert ein Tuch (z.B. Betttuch) in der Achsel des Patienten und führt einen kontinuierlichen Zug nach kranial, leicht lateral aus. Währenddessen zieht der Arzt am im Ellenbogen rechtwinklig gebeugten Arm und führt dabei leichte Rotationsbewegungen aus, bis der Humeruskopf in das Gelenk springt.

Reposition nach Arlt

  • Vorbereitung
    • Patient sitzt seitlich auf einem Stuhl und legt betroffenen Arm über die Lehne; Untersucher sitzt auf der anderen Seite der Lehne
    • Die Achselhöhle der betroffenen Seite sollte auf der Stuhllehne aufliegen
  • Durchführung
    • Die Hand des Patienten wird auf dem Oberschenkel des Untersuchers gelagert
    • Anschließend übt der Untersucher leichten, stetigen axialen Zug auf den etwa 45° abgewinkelten Oberarm des Patienten aus → Meist Befreiung des unter dem Glenoid eingeklemmten Humeruskopfes und Reposition
    • Falls keine Reposition durch diese Technik erfolgt: Ausüben leichter axialer Rotationsbewegungen im Oberarm → Häufig schonende Reposition des Humeruskopfes in die Gelenkpfanne

Reposition nach Hippokrates

  • Vorbereitung und Durchführung
    • Patient in Rückenlage
    • Arzt stellt seine Ferse in die Axilla des Patienten (Hypomochlion)
    • Langsamer Zug am Unterarm mit vorsichtiger Ab-/Adduktion und Rotation bis der Humeruskopf in das Gelenk springt

Diese Methode wird heutzutage – trotz einer relativ hohen Erfolgsrate – aufgrund der Gefahr einer Nervenschädigung oder gar einer Humerusfraktur immer seltener angewendet.

Reposition nach Kocher

  • Vorbereitung: Das Repositionsmanöver kann im Sitzen oder Stehen durchgeführt werden
  • Durchführung
    • Der betroffene Oberarm des Patienten bleibt an den Rumpf adduziert, der Unterarm wird rechtwinklig gebeugt, ggf. wird durch den Arzt eine leichte Traktion am Oberarm ausgeübt
    • Anschließend wird der Oberarm nach außen rotiert (etwa 70–80°)
    • Danach wird der Arm des Patienten antevertiert, dabei Reposition des Humeruskopfes in die Gelenkpfanne
    • Abschließend wird der Arm innenrotiert (die Hand sollte dabei durch den Patienten leicht auf die gegenseitige Schulter gelegt werden können) → Bestätigung der erfolgten Reposition

Diese Methode wird heutzutage trotz einer relativ hohen Erfolgsrate unter mitunter völlig schmerzfreier, schonender Reposition kritisch betrachtet, da (v.a. bei älteren Patienten) immer wieder Humerusfrakturen als Komplikation beschrieben werden.

Operativ

  • Primäre bzw. notfallmäßige Indikationen: Erfolglose Reposition, Gefäß- oder Nervenverletzungen
  • Sekundäre Operation nach weiterer Diagnostik zur Reduzierung des Risikos einer Reluxation (siehe auch: Nachbehandlung nach geschlossener Schulterreposition)
    • Bei jungen und sportlich aktiven Patienten wird eine frühe OP-Indikation gestellt
    • Ziel ist die offene oder arthroskopische Wiederherstellung und Stabilisierung des Gelenks
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Nachbehandlung nach geschlossener Repositiontoggle arrow icon

Allgemeine Maßnahmen nach geschlossener Schulterreposition

  • Überwachung
    • Falls Reposition in Vollnarkose: Stationäre Überwachung für wenige Tage
    • Ansonsten ambulante Weiterbehandlung
  • Ruhigstellung für ca. 2 Wochen in Gilchrist-, Desaultverband oder Außenrotationsorthese
  • Begleittherapie: Lokale Kühlung und Schmerztherapie nach Bedarf, bspw. mit Ibuprofen alternativ Metamizol
  • Weitere Diagnostik: Siehe MRT bei Schulterluxation
  • Verhaltensempfehlungen
    • Autofahren frühestens nach ca. 4–5 Wochen
    • Sport frühestens nach ca. 2 Monaten
    • Kontaktsportarten oder Schultergelenk belastende Sportarten frühestens nach ca. 5–6 Monaten
  • Beratung und Aufklärung über operative und konservative Therapieoptionen

Konservative Therapie nach Schulterreposition

  • Indikation: Traumatische Erstluxation ohne Begleitverletzung in höherem Alter, habituelle Luxation
  • Ruhigstellung als definitive Therapie
  • Physiotherapie
  • Antiluxationsorthese bei habitueller Luxation, die operativ nicht korrigierbar ist, oder bei neurologischer Ursache

Sekundär-operative Therapie nach Schulterreposition

  • Patientenklientel und Indikation: Vor allem bei jüngeren, sportlich aktiven Patienten
  • Häufige Indikationen und Operationsverfahren
  • OP-Lagerung: Alle Verfahren erfolgen i.d.R. in Beach-Chair-Lagerung
  • Postoperative Nachbehandlung
    • Maßgaben des Operateurs und/oder klinikinterne Standards beachten!
    • Anpassung an individuellen Operations- und Heilungsverlauf
    • I.d.R. stationäre Überwachung für 1–2 Tage
    • Ruhigstellung und Physiotherapie in Abhängigkeit der individuellen Situation und erreichten Stabilität der Versorgung
      • Häufig Ruhigstellung für 4–6 Wochen in Innenrotation, Neutralstellung oder Abduktionsverband mit aktiv-assistierter Mobilisation
      • Bei stabiler Versorgung funktionelle Behandlung ohne Ruhigstellung möglich
    • Für die generelle operative Nachsorge siehe auch: Nachsorge in der Orthopädie und Unfallchirurgie

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Komplikationentoggle arrow icon

Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

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Prognosetoggle arrow icon

  • Hohe Rezidivneigung
    • Mehrzahl der Patienten ≤30 Jahren erleidet ein Rezidiv nach Erstluxation
    • Nach operativer Versorgung ist die Rezidivrate deutlich niedriger
  • Arbeitsunfähigkeit ca. 2–6 Wochen nach traumatischer Luxation, bei habitueller Luxation kürzer
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Präventiontoggle arrow icon

  • Prophylaxe eines vorderen Schulterluxationsrezidivs
  • Vermeiden Schulter-belastender beruflicher Tätigkeiten oder Sportarten bei jungen Patienten
  • Medikamentöse Einstellung einer Epilepsie
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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