Zusammenfassung
Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS), auch Stein-Leventhal-Syndrom genannt, ist eine endokrine Störung der Frau, die mit Hyperandrogenismus/Hyperandrogenämie, Zyklusstörungen und ggf. polyzystischen Ovarien einhergeht. Der namensgebende sonografische Nachweis polyzystischer Ovarien spielt in der Diagnostik jedoch eine untergeordnete Rolle. Pathophysiologisch wird eine Insulinresistenz mit daraus resultierender Hyperinsulinämie und konsekutiv gesteigerter Androgenbiosynthese vermutet. Klinisch dominiert der Hyperandrogenismus, der sich u.a. durch Virilisierung und Zyklusstörungen präsentiert. Bei vielen PCOS-Patientinnen liegt ein metabolisches Syndrom mit Adipositas, Glucosetoleranzstörung, arterieller Hypertonie und Dyslipidämie vor. Zurzeit ist das PCOS eine Ausschlussdiagnose. Therapiert wird abhängig von BMI und Familienplanung mit Metformin, kombinierten oralen Kontrazeptiva oder mit follikelstimulierenden Medikamenten.
Definition
Rotterdam-Kriterien [1][2][3]
Definition der Konferenz der „European Society of Human Reproduction and Embryology“ (ESHRE) und der „American Society for Reproductive Medicine“ (ASRM) 2003 in Rotterdam. Bei Vorliegen von mind. zwei der drei Kriterien darf die Diagnose PCOS gestellt werden. Andere Ursachen irregulärer Blutungen und Androgenerhöhungen müssen vorher ausgeschlossen werden (siehe dazu: Differenzialdiagnosen des PCOS).
- Zyklusstörungen: Oligo-/Amenorrhö und/oder Oligo-/Anovulation
- Hyperandrogenismus/Hyperandrogenämie
- Polyzystische Ovarien im Ultraschall
Diagnosekriterien anhand der internationalen evidenzbasierten Leitlinie zur Beurteilung und Behandlung des polyzystischen Ovarialsyndroms von 2023 [3][4]
Bei Vorliegen von mind. zwei der drei Kriterien darf die Diagnose PCOS gestellt werden.
- Zyklusstörungen: Oligo-/Amenorrhö und/oder Oligo-/Anovulation
- Hyperandrogenismus/Hyperandrogenämie
- Polyzystische Ovarien im Ultraschall oder erhöhte AMH-Werte
- Gilt nicht als Kriterium in der Adoleszenz
Definition nach NIH (National Institutes of Health) [5]
- Hyperandrogenismus/Hyperandrogenämie und
- Zyklusstörungen: Oligo-/Amenorrhö und/oder Oligo-/Anovulation
Eine Diagnosestellung ist auch ohne polyzystische Ovarien möglich!
Epidemiologie
Pathophysiologie
Pathophysiologisch wird ein gestörter Insulinstoffwechsel als Ursache des Syndroms vermutet. [2][5][6][7]
- Periphere Insulinresistenz (herabgesetzte Empfindlichkeit gegen Insulin) → Hyperinsulinämie, führt zu
- Gesteigerter Androgenbiosynthese im Ovar
- Gesteigerter Androgenbiosynthese in der Nebennierenrinde [6]
- Verschiebung der LH/FSH-Freisetzung zugunsten von LH (LH-Dominanz) → Gestörte Follikelreifung und Oligo-/Anovulation [8][9]
- Freisetzung der vermehrten Androgenvorstufen (Hyperandrogenämie) → Klinisches Bild des Hyperandrogenismus (bspw. Virilisierung)
- Östrogen↑, durch
- Verminderter SHBG-Synthese in der Leber (→ Mehr freie Androgene → Relative Hyperandrogenämie)
- Adipositas
Symptomatik
Ovarielle Hyperandrogenämie [1][2]
- Zyklusstörungen (Leitsymptom)
- Amenorrhö, Oligomenorrhö
- Oligo- und/oder Anovulation → Sterilität/Infertilität: Unerfüllter Kinderwunsch [10]
- Virilisierungserscheinungen
- Hirsutismus: Männliches Behaarungsmuster
- Hyperseborrhö → Acne vulgaris
- Androgenetische Alopezie
- Stimmveränderung (maskuliner bzw. tiefer)
Metabolisches Syndrom [1][11]
- Adipositas [12]
- Glucosetoleranzstörung, Insulinresistenz, Diabetes mellitus Typ 2
- Arterielle Hypertonie
- Dyslipidämie (insb. Hypertriglyceridämie, erniedrigter HDL-Cholesterinwert)
Weitere Symptome/Komplikationen [13]
- Kardiovaskuläre Erkrankungen
- Erhöhtes Risiko für Komplikationen in der Schwangerschaft
- Depressionen [14]
Diagnostik
Blutuntersuchung [1][2][5]
Die Hormonkonzentrationen können beim PCOS sehr unterschiedlich ausfallen. In der Regel finden sich folgende Veränderungen:
- Zentrale Hormone
- Periphere Hormone
- AMH↑ [1][3]
- Östrogene↑
- Progesteron↓ oder normal
- Gesamttestosteron↑
- SHBG↓
- Zusätzlich Abklärung metabolisches Syndrom [1]
Oraler Glucosetoleranztest (oGTT) mit zeitgleicher Insulinbestimmung [1][2][5][8]
- Wiederholung alle 1–3 Jahre [1]
- Indikation
- BMI >25 kg/m2 (bei Asiatinnen: BMI >23 kg/m2 )
- Bekannte Glucosetoleranzstörung
- Z.n. Gestationsdiabetes
- Diabetes mellitus in der Familie
- Arterielle Hypertonie
- Dyslipidämie
- Asiatische Herkunft
- Durchführung
- Auswertung des oGTT
- Normal
- Nüchternblutzucker <100 mg/dL (<5,6 mmol/L)
- Blutzucker nach 2 h <140 mg/dL (<7,8 mmol/L)
- Gestörte Glucosetoleranz
- Blutzucker nach 2 h ≥140 mg/dL (≥7,8 mmol/L)
- Diabetes mellitus
- Nüchternblutzucker ≥126 mg/dL (≥7 mmol/L) und/oder
- Blutzucker nach 2 h >200 mg/dL (>11,1 mmol/L)
- Normal
- Auswertung der Insulinbestimmung
- Normal: Insulin nach 2 h auf Ausgangswert
- Hinweis auf Insulinresistenz (Glucose-Insulin-Quotient nüchtern): Nüchternblutzucker (mg/dL) / Insulin nüchtern (mIE/L): <4,5
- HOMA-Index
HOMA-Index: Nüchternblutzucker (mg/dL) × Insulin nüchtern (mIE/L) / 405 | |
---|---|
HOMA-Index | Auswertung |
<2 | Insulinresistenz unwahrscheinlich |
2–2,5 | Hinweis auf Insulinresistenz |
2,6–5 | Insulinresistenz wahrscheinlich |
>5 | Durchschnittswert bei Diabetes mellitus Typ 2 |
Apparative Diagnostik [1][5]
-
Sonografiebefund: Zahlreiche echoleere Follikel → polyzystische Ovarien
- Mind. 20 Follikel in einem Ovar
- Maximaler Querschnitt der Follikel: 9 mm
- Relative Vermehrung des Ovarialvolumens (≥10 cm3)
- Ggf. kein dominanter Follikel/Corpus luteum vorhanden
Pathologie
Nachfolgend zu sehen sind ein Präparat des Ovars mit subkapsulären polyzystischen Veränderungen und ein Anschnitt einer Follikelzyste in H.E.-Färbung.
Differenzialdiagnosen
Alle Störungen, die mit Zyklusveränderungen und Virilisierungserscheinungen einhergehen, sind mögliche Differenzialdiagnosen und müssen vor Diagnosestellung ausgeschlossen werden.
- Störungen der Cortisolsynthese
- Tumoren
- Hypophysenadenom
- Androgenproduzierende Tumoren
- Exogene Androgenzufuhr: Z.B. Anabolika, Steroide (Glucocorticoide, Testosteron, etc.)
- Idiopathischer Hirsutismus [15]
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Der Schwerpunkt der Therapie richtet sich nach den Symptomen und den Plänen in Bezug auf eine Schwangerschaft. Eine Therapie sollte gemäß aktueller Empfehlung der ESHRE schon bei V.a. ein PCOS erfolgen. [1]
- Adipositas (unabhängig von Zyklusstörungen/Kinderwunsch) [2]
- Metformingabe (siehe auch: Medikamentöse Therapie des PCOS mit Metformin)
- Lebensstil: Gewichtsreduktion (Ernährungsberatung, regelmäßige körperliche Aktivität) [1]
- Bei Zyklusstörungen und BMI <30 kg/m2 [1][2]
- First-Line: Kombinierte orale Kontrazeptiva [1]
- Bevorzugt mit einer niedrigen Ethinylestradiol-Dosis
- Veraltet: Antiandrogenes Gestagen [1]
- Wirkung [9]
- Schutz vor Endometriumhyperplasie
- Verbesserung des Hyperandrogenismus
- Suppression der ovariellen Hormonsynthese
- SHBG-Bildung↑ in der Leber
- Second-Line
- Ethinylestradiol 25 μg mit Cyproteronacetat 5–10 mg
- Siehe auch: Rote-Hand-Brief zu Cyproteronacetat
- Kombinierte orale Kontrazeptiva mit antiandrogenem Gestagen
- Ethinylestradiol 25 μg mit Cyproteronacetat 5–10 mg
- First-Line: Kombinierte orale Kontrazeptiva [1]
- Bei Kinderwunsch und BMI <30 kg/m2[16]
- Follikelstimulation (z.B. mit Letrozol oder Clomifen)
- Bei Wunsch nach spontaner Konzeption: Metformingabe für 6 Monate, siehe auch: Medikamentöse Therapie des PCOS mit Metformin
Medikamentöse Therapie des PCOS mit Metformin [2][5][9]
- Off-Label Use
- Indikation: Insulinresistenz [1]
- Wirkung
-
Senkt den Blutzuckerspiegel und somit die Insulinfreisetzung durch
- Hemmung der hepatischen Gluconeogenese
- Förderung der muskulären Glucoseaufnahme
- Verzögerte Resorption der Glucose aus dem Darm
- Dadurch Senkung der Androgenkonzentration im Ovar und in der Nebennierenrinde
- Erhöhung des SHBG-Spiegels
- Erhöhung von FSH
- Appetitsenkend
-
Senkt den Blutzuckerspiegel und somit die Insulinfreisetzung durch
- Dosierung siehe: Metformin (klinische Anwendung) in Standarddosierung
Eine Metformingabe vor der Schwangerschaft hat keinen negativen Einfluss auf das Kind.
Medikamentöse Therapie des PCOS mit Glucocorticoiden [2][9]
Die Anwendung von Glucocorticoiden zählt nicht zur Standardtherapie des PCOS. Sie ist nur sinnvoll bei gleichzeitig vorhandener adrenaler Hyperandrogenämie.
- Wirkung: Suppression der gesteigerten Androgenproduktion in der Nebennierenrinde
- Jedoch keine Ovulationsauslösung bei PCOS-Patientinnen
- Starke Nebenwirkungen: Negative Effekte auf metabolisches Syndrom
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Polyzystisches Ovarialsyndrom
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.