Zusammenfassung
Während der Pubertät reifen beim Menschen die Gonaden und Genitalien aus, außerdem entwickeln sich die sekundären Geschlechtsmerkmale (Sekundärbehaarung, Brustwachstum bei Mädchen, Stimmbruch bei Jungen). Weiterhin kommt es zu einem Wachstumsschub. Die Einteilung der physischen Entwicklungsstufen während der Pubertät erfolgt anhand der Tanner-Stadien. Typischerweise beginnt die Pubertät bei Mädchen mit 11 Jahren, bei Jungen mit 13 Jahren – die individuelle Streubreite ist jedoch sehr hoch.
Ein pathologisch frühes Auftreten der Pubertät wird als Pubertas praecox bezeichnet. Dieses Krankheitsbild lässt sich weiter in die zentrale Pubertas praecox (vorzeitige Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse mit Gonadotropin- und GnRH-Ausschüttung) und die Pseudopubertas praecox (periphere Überproduktion von Geschlechtshormonen ohne GnRH-Erhöhung) unterteilen. Demgegenüber wird eine fehlende oder inkomplette Pubertätsentwicklung als Pubertas tarda bezeichnet.
Allgemeines
- Definitionen
- Pubertät
- Entwicklungsphase mit vollständiger Ausreifung der Gonaden und Genitalien
- Sekundäre Geschlechtsmerkmale: Sekundärbehaarung, Brustwachstum (♀), Stimmbruch (♂)
- Pubarche: Wachstumsbeginn der Intimbehaarung (♀ und ♂)
- Thelarche: Beginn des Brustwachstums (♀)
- Menarche: Erste Regelblutung (nachfolgend anovulatorische Zyklen möglich!) (♀) [1]
- Pubertät
- Zeitpunkt
- Unterschiedlicher Eintritt mit großer Streubreite (♀ und ♂), u.a. abhängig von [2]
- Genetik
- Körpergewicht und Ernährung
- Stress, starker körperlicher Aktivität und chronischen Erkrankungen
- Pubertätsbeginn ♀: Im Mittel mit 11 Jahren (Spannbreite 8–13 Jahre), meist mit Thelarche [1][2]
- Pubertätsbeginn ♂: Im Mittel mit 13 Jahren (Spannbreite 9–14 Jahre), meist mit Hodenwachstum (>3 mL) [3]
- Wachstumsschub mit etwa 14 Jahren
- Stimmbruch mit etwa 15 Jahren
- Unterschiedlicher Eintritt mit großer Streubreite (♀ und ♂), u.a. abhängig von [2]
Tanner-Stadien
Entwicklung der Intimbehaarung bei Mädchen und Jungen
Entwicklung der Intimbehaarung bei Mädchen und Jungen [4][5][6] | |
---|---|
Ph1 | Kindliche Verhältnisse, keine Intimbehaarung |
Ph2 | Wenige, leicht pigmentierte Haare an Labien/Peniswurzel |
Ph3 | Dunklere, kräftige, gekräuselte Haare über Symphyse hinaus |
Ph4 | Ähnlich wie Erwachsene ohne Übergang auf Oberschenkel |
Ph5 | Wie bei Erwachsenen auf Oberschenkel übergehend, nach kranial horizontal begrenzt |
Ph6 | Weiterreichende Behaarung in Richtung Nabel auf Linea alba (in 80% bei Männern, 10% bei Frauen) |
Brustentwicklung bei Mädchen
Brustentwicklung bei Mädchen | |
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B1 | Kindliche Verhältnisse, lediglich Erhebung der Brustwarze |
B2 | Brustdrüse vergrößert, Vorwölbung des Warzenvorhofs, Durchmesser Areola etwas größer |
B3 | Weitere Brustdrüsenvergrößerung, Volumen Drüsenkörper größer als Areola |
B4 | Zweite Vorwölbung über Drüsenkörper durch Brustwarze und Areola |
B5 | Voll entwickelte Brust mit kontinuierlichem Übergang von Drüsenkörper zu Areola und prominenter Mamille |
Genitalstadien bei Jungen
Genitalstadien bei Jungen | |
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G1 | Hoden, Skrotum und Penis wie in Kindheit |
G2 | Hodenvolumen 1,5–6 mL, Skrotum größer, Penis unverändert |
G3 | Hodenvolumen 6–12 mL und Skrotum größer, Penis länger |
G4 | Hodenvolumen 12–20 mL, Skrotum dunkler pigmentiert, Penis länger und dicker |
G5 | Hodenvolumen >20 mL, Skrotum und Penis in Größe und Aussehen wie beim Erwachsenen |
Pubertas praecox
Kurzbeschreibung
- Definition: Frühzeitige Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale
- Klinik
- Vorzeitige Brustdrüsen- und Hodenvergrößerung
- Weitere Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale
- Akzeleration des Längenwachstums und der Skelettreife
- Einteilung
Zentrale Pubertas praecox [1][3][7]
- Definition
- Vorzeitige Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse mit pulsatiler Sekretion von GnRH
- Veraltete Bezeichnung: Pubertas praecox vera
- Ätiologie
- Idiopathisch (Mehrzahl der Fälle)
- Organische Läsionen im Hypothalamusbereich oder Tumoren (z.B. Hamartome oder Gliome)
- Schädel-Hirn-Trauma
- Fehlbildungen
- Z.n. Radiatio des Schädels
- Entzündliche Genese
- Genetische Faktoren (bspw. Mutationen im Gen KISS1)
- Diagnostik bei zentraler Pubertas praecox
- Anamnese mit Fokus auf
- Alter bei Thelarche, Pubarche, Menarche (♀) und Wachstumsschüben
- Geschwindigkeit der körperlichen Veränderungen
- Wachstumskurven (bspw. aus den U-Untersuchungen)
- Medikamentenanamnese
- Z.n. Bestrahlung
- ZNS-Erkrankungen
- Familienanamnese, u.a.
- Körperliche Untersuchung, u.a.
- Körpergröße↑ und -gewicht↑
- Höhergradige Tanner-Stadien
- Östrogenisierung des Introitus vaginae , Mamillensekretion (♀)
- Hodenvolumen↑, Penislänge↑ (♂)
- Café-au-lait-Flecken (bei McCune-Albright-Syndrom)
- Orientierende neurologische Untersuchung
- Labor [3][7][8]
- GnRH-Test (Goldstandard): Anstieg der Gonadotropine (LH und FSH) nach intravenöser Gabe von GnRH
- TSH, fT4, LH, FSH, Östradiol/Testosteron (keine sichere Diagnosestellung möglich )
- β-HCG (bei V.a. β-HCG-produzierenden Tumor)
- Inhibin A (bei V.a. Thekazelltumor)
- Zusätzlich ggf. IGF1, Cortisol, DHEA-S, 17-Hydroxyprogesteron, 11-Desoxycortisol, α1-Fetoprotein
- Bildgebung
- Röntgen der standardmäßig linken Hand: Bestimmung des (biologischen) Knochenalters
- MRT-Schädel (inkl. Sella-Region in Dünnschicht): Ausschluss von Tumoren
- Abdomensonografie: Ausschluss von Tumoren (bspw. Nebenniere) und Abklärung der Geschlechtsorgane
- Anamnese mit Fokus auf
- Therapie: Abhängig von Beeinträchtigung und Berechnung des Längenwachstums
- Ziele
- Normalisierung des Wachstums
- Psychische (und soziale) Last des Kindes vermindern
- Vorgehen: Gabe von Depot-GnRH-Analoga im Rahmen eines engmaschigen Therapiemonitorings
- Ziele
Pseudopubertas praecox [1][3]
- Definition
- Vorzeitige Pubertätsentwicklung ohne Erhöhung von GnRH mit
- Peripherer Überproduktion von Sexualhormonen (Androgene und Östrogene)
- Ätiologie
- Androgenproduktion↑, z.B. durch
- Adrenogenitales Syndrom
- Virilisierenden Nebennierenrinden- oder Ovarialtumor
- Leydig-Zell-Tumor
- Exogene Zufuhr
-
Östrogenproduktion↑, z.B. durch
- Hormonproduzierende Keimstrang-Stroma-Tumoren (z.B. Granulosazelltumoren)
- Östrogenproduzierende Tumoren der Nebennieren (selten)
- Adipositas
- Exogene Zufuhr
- Primäre (schwere) Hypothyreose
- McCune-Albright-Syndrom
- Androgenproduktion↑, z.B. durch
- Diagnostik: Analog zur Diagnostik bei zentraler Pubertas praecox
- GnRH-Test: LH/FSH supprimiert, Sexualhormone↑
- Therapie: Abhängig von der Grunderkrankung
- Operative Tumorentfernung
- Hypothyreose: L-Thyroxin-Substitution
- Exogene Zufuhr stoppen
- Hemmung der Sexualhormonproduktion (bspw. bei McCune-Albright-Syndrom)
Eine zentrale Pubertas praecox hat einen zentralen Ursprung (z.B. Hypothalamus), eine Pseudopubertas praecox einen peripheren (z.B. Keimzelltumoren)!
Pubertas tarda
- Definition: Fehlende oder nicht-fortschreitende Pubertätsentwicklung im Alter von [1][2][3][9]
- Ursachen [1]
- Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung (häufigster Grund)
-
Hypogonadismus
- Hypergonadotroper Hypogonadismus
- Primäre Gonadeninsuffizienz: Ullrich-Turner-Syndrom (♀), Klinefelter-Syndrom (♂), Anorchie
- Sekundäre Gonadeninsuffizienz: Nach Chemo- und/oder Radiotherapie (v.a. im kleinen Becken)
- Hypogonadotroper Hypogonadismus (insuffiziente, hypophysäre Gonadotropinsekretion): Tumoren, posttraumatisch, postentzündlich, genetische Defekte (bspw. Kallmann-Syndrom), Unterernährung, Essstörungen, Leistungssport
- Hypergonadotroper Hypogonadismus
- Diagnostik [3][9]
- Unterscheidung zwischen hyper- und hypogonadotropem Hypogonadismus: Bestimmung von LH/FSH, Testosteron und Östrogen
- Bei hypogonadotropem Hypogonadismus
- GnRH-Agonist-Test [3]
- LH-Anstieg : Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung
- Kein LH-Anstieg: Isolierter hypogonadotroper Hypogonadismus, Tumorerkrankung, Kallmann-Syndrom
- GnRH-Agonist-Test [3]
- MRT-Schädel (Ausschluss ZNS-Tumor)
- Ggf. Chromosomenanalyse
- Weitere Laborabnahmen: TSH, fT4
- Sonografische Untersuchung der Harnblase und der Geschlechtsorgane
- Therapie [3][9]
- Ziel: Physiologische Entwicklung mit normalen (altersphysiologischen) Sexualhormonkonzentrationen
- Vorgehen: Je nach Grunderkrankung, i.d.R. Substitution von Sexualhormonen mit engmaschigem Therapiemonitoring
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- E22.-: Überfunktion der Hypophyse
- E22.8: Sonstige Überfunktion der Hypophyse
- Zentral ausgelöste Pubertas praecox
- E22.8: Sonstige Überfunktion der Hypophyse
- E30.-: Pubertätsstörungen, anderenorts nicht klassifiziert
- E30.0: Verzögerte Pubertät [Pubertas tarda]
- Konstitutionelle Verzögerung der Pubertät
- Verzögerte sexuelle Entwicklung
- E30.1: Vorzeitige Pubertät [Pubertas praecox]
- Vorzeitige Menarche
- Exklusive: Angeborene Nebennierenrindenhyperplasie (E25.0‑), Heterosexuelle Pseudopubertas praecox feminina (E25.‑), Isosexuelle Pseudopubertas praecox masculina (E25.‑), McCune-Albright-Syndrom (Q78.1), Zentral ausgelöste Pubertas praecox (E22.8)
- E30.8: Sonstige Pubertätsstörungen
- E30.9: Pubertätsstörung, nicht näher bezeichnet
- E30.0: Verzögerte Pubertät [Pubertas tarda]
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.