Zusammenfassung
Das Schädel-Hirn-Trauma (SHT) ist eine Verletzung des Schädels mit konsekutiver Funktionsstörung und/oder struktureller Schädigung des Gehirns. Mittels der Glasgow Coma Scale (GCS) erfolgt die Ersteinschätzung der Patient:innen und die Einteilung in ein leichtes, mittelschweres oder schweres SHT. Je nach Schweregrad kann sich die Verletzung klinisch durch Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen sowie Vigilanzminderungen bis hin zum lebensbedrohlichen Koma zeigen. Neben Anamnese und klinisch-neurologischer Untersuchung stellt die notfallmäßige CT-Bildgebung den diagnostischen Goldstandard dar.
Zur frühzeitigen Abwendung von Komplikationen ist eine engmaschige klinische Überwachung notwendig. Therapeutisch kann bei intrakraniellen Blutungen oder Schädelfrakturen eine operative Therapie notwendig sein. Je nach Schwere der intrakraniellen Verletzung sind Verläufe mit kompletter Remission neurologischer Defizite bis hin zu Verläufen mit schweren bleibenden Behinderungen möglich.
Definition
- Schädel-Hirn-Trauma: Verletzung des Schädels mit konsekutiver Funktionsstörung und/oder struktureller Schädigung des Gehirns
- Ggf. verbunden mit einer Prellung bzw. Verletzung der Kopfschwarte, des Schädelknochens, der intra- und extrakraniellen Gefäße oder der Dura mater
- Einteilung nach Zustand der Dura mater
- Gedecktes SHT: Geschlossene Verletzung des Gehirns bei intakter Dura mater
- Offenes SHT
- Verletzung von Kopfhaut, Schädelknochen und Dura mater
- Verbindung des intrakraniellen Raums mit der Außenwelt
Schweregrad-Einteilung des SHT nach GCS
Anhand der Summe aus den 3 Teilscores (Augenöffnen, verbale und motorische Reaktion) der GCS werden 3 Schweregrade definiert: [1]
Klinische Kriterien des leichten SHT nach WHO [2][3]
- Kurzer Bewusstseinsverlust <30 min
- Posttraumatische Amnesie <24 h
- Qualitative Bewusstseinsstörungen
- Keine weiteren klinisch auffälligen Befunde
Veraltete Bezeichnungen
- Für leichtes SHT: Commotio cerebri, Gehirnerschütterung, SHT 1. Grades
- Für mittelschweres SHT: Contusio cerebri, SHT 2. Grades
- Für schweres SHT: Compressio cerebri, SHT 3. Grades
Epidemiologie
- Inzidenz: 332/100.000 Einwohner:innen pro Jahr [4]
- Davon ca. 90%: Leichtes SHT [4][5]
- Häufigkeitsgipfel [6]
- Frühe Kindheit
- Späte Jugend bis frühes Erwachsenenalter [4]
- Geriatrische Patient:innen ab ca. 75 Jahren
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Hochenergietrauma [6][7]
- Verkehrsunfälle (häufig im Rahmen eines Polytraumas), ca. 25%
- Sportunfälle, ca. 6%
- Stürze aus großer Höhe
- Stürze, ca. 50% (meist im häuslichen Umfeld)
- Selbstverletzendes Verhalten: Bspw. Schussverletzungen im Rahmen eines Suizidversuchs
- Körperverletzung: Bspw.
- Häusliche Gewalt
- Shaken-Baby-Syndrom
Pathophysiologie
Die Schädigung, die ein Schädel-Hirn-Trauma im Hirngewebe verursacht, lässt sich pathophysiologisch in eine primäre und eine sekundäre Hirnschädigung unterteilen, je nachdem ob sie direkt durch das Trauma oder als Folgeerscheinung auftritt.
Primärer Hirnschaden [6][8][9]
- Definition: Direkte Schädigung des Gehirns durch die Gewalteinwirkung
- Fokale Schädigungsformen
- Intrakranielle Blutungen durch rupturierte Gefäße
- Kontusionen
- Coup-Contrecoup-Verletzungen
- Lazeration: Insb. parenchymaler Strukturen
- Diffuse Schädigungsformen
Sekundärer Hirnschaden [6][8][9]
- Definition
- Indirekte Hirnschädigung, die infolge des initialen Traumas über zwischengeschaltete Mechanismen entsteht
- Prinzipiell durch rechtzeitige Therapie vermeid- oder reduzierbar
- Mechanismen der sekundären Hirnschädigung, z.B.
- Erscheinungsformen des sekundären Hirnschadens, z.B.
- Hirnödem mit intrakranieller Drucksteigerung
- Globale zerebrale Hypoxie oder fokale Ischämien
- Epileptische Anfälle
Die sekundäre Hirnschädigung ist prinzipiell vermeidbar. Neuroprotektive Maßnahmen sollten bei Patient:innen mit neurologischer Schädigung daher frühstmöglich begonnen werden!
Symptomatik
- Quantitative Bewusstseinsstörungen von Somnolenz über Sopor bis zum Koma
- Weitere ZNS-Funktionsstörungen, bspw.
- Amnesie
- Qualitative Bewusstseinsstörungen
- Fokal-neurologische Defizite
- Epileptische Anfälle
- Vegetative Störungen
- Äußere Verletzungszeichen, bspw.
- Riss- und Platzwunden
- Austritt von Blut, Liquor oder Hirngewebe durch Mund, Nase oder Ohr
- Subjektive Beschwerden, insb.
- Kopfschmerzen
- Übelkeit und Erbrechen
- Schwindel und Benommenheitsgefühl
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Sehstörungen, insb. Diplopie
- Schwerhörigkeit
- Licht- und Geräuschüberempfindlichkeit
- Bei erhöhtem ICP: Klinische Hirndruckzeichen
Begleitverletzungen
- Verletzungen der hirnversorgenden Gefäße
- Dissektionen, insb. Karotis- und Vertebralisdissektionen
- Traumatische Aneurysmen
- Arteriovenöse Fisteln (insb. bei Schädelbasisfrakturen)
- Beim Polytrauma: Insb. kritische Blutungen anderer lebenswichtiger Organe, Verletzungen des Respirationstrakts etc.
- Verletzung der Wirbelsäule oder des kraniozervikalen Übergangs inkl. HWS-Distorsion
- Kopfplatzwunde: Aufplatzen der Haut über der Schädelkalotte
- Klinik
- Hautdefekt mit unregelmäßig begrenzten Wundrändern, oft stark blutend
- Lokaler Schmerz
- Siehe auch: Chirurgische Wundversorgung
- Klinik
Präklinisches Management
Erstmaßnahmen [4]
- Überprüfung und ggf. Sicherung der Vitalfunktionen nach dem cABCDE-Schema – Störungen höherer Dringlichkeitsstufe zuerst versorgen, insb.
- Ausschluss kritischer Blutungen (siehe: Notfallmanagement - Critical Bleeding)
- Sicherung der Atemwege (siehe: Notfallmanagement - Airway)
- Bei GCS ≤8: Indikation zur endotrachealen Intubation als RSI (siehe: Rapid Sequence Induction - AMBOSS-SOP)
- Aufrechterhaltung der kardiopulmonalen Situation (siehe: Notfallmanagement - Breathing und Notfallmanagement - Circulation)
- Bei Polytrauma siehe: Klinische Primärversorgung beim Polytrauma
- HWS-Immobilisation
- Regelmäßige Evaluation der Wachheit mit GCS
- Venöser Zugang: Mind. 2 großlumige, periphere Zugänge
- Volumensubstitution zur Kreislaufstabilisierung mit isotoner Kristalloidlösung
- Monitoring: Herzfrequenz, EKG, Atmung, spO2, Blutdruck und BZ-Messung
- Zielbereiche
- Blutdruck: Systolischer Blutdruck ≥90 mmHg
- Atmung: Normoxie (saO2 >90%), Normokapnie und Normoventilation mit Atemfrequenz >10
- Zielbereiche
Bei unklarem Befund muss die HWS bis zum radiologischen Ausschluss einer Verletzung immobilisiert bleiben!
Die Vitalparameter bei SHT können sich schnell verschlechtern, sodass jederzeit ein Eingreifen nach dem cABCDE-Schema nötig werden kann!
Anamnese [4]
Als Notfall-Anamnese (bspw. mit dem SAMPLE-Schema) mit Fokus auf:
- Informationen zum Unfall
- Aktuelle Beschwerden inkl. Symptomverlauf und Schmerzanamnese
- Medizinische Vorgeschichte und Medikamentenanamnese
Körperliche Untersuchung [4]
Allgemeine und internistische Untersuchung
- Äußere Verletzungszeichen des Kopfes, z.B. Schwellung, Riss- oder Platzwunden, Prellmarken oder Schädeldeformitäten, Hämatome , Austritt von Blut, Liquor oder Hirngewebe aus Mund, Nase oder Ohren
- Hinweise auf weitere Verletzungen oder kardiopulmonale Instabilität
Neurologische Untersuchung
Als neurologische Notfalluntersuchung mit Fokus auf:
- Quantitative Bewusstseinsstörung
- Inkl. Schweregrad-Einteilung des SHT nach GCS
- Leichtes SHT: GCS 13–15 Punkte
- Mittleres SHT: GCS 9–12 Punkte
- Schweres SHT: GCS ≤8 Punkte
- Regelmäßige Reevaluation!
- Inkl. Schweregrad-Einteilung des SHT nach GCS
- Qualitative Bewusstseinsstörungen, z.B. Orientierungsstörungen, mnestische Defizite
- Akute fokal-neurologische Defizite: Fokale Symptome als Hinweis auf eine intrakranielle Läsion oder Zeichen eines erhöhten intrakraniellen Drucks?
- Bspw. seitenungleiche sensomotorische Defizite, einseitige Reflexabschwächung oder pathologische Reflexe, Hirnnervendefizite, Ausfall von Pupillenreflexen, Streck- und Beugesynergismen, Koordinationsstörungen
Alle Befunde der Anamnese und körperlichen Untersuchung sorgfältig erheben und nach Versorgung des:der Patient:in mit der jeweiligen Uhrzeit dokumentieren!
Notfallversorgung
- Bedarfsgerechte Versorgung: Beginn und bedarfsgerechte Eskalation einer Schmerztherapie
- Bei leichten bis moderaten Schmerzen: Nicht-Opioid-Analgetikum, z.B. Ibuprofen oder Metamizol
- Bei moderaten bis starken Schmerzen: Kombination zweier Nicht-Opioid-Analgetika plus Opioid, z.B. Oxycodon unretardiert oder Piritramid
- Analgosedierung: Individuelle Entscheidung nach notärztlichem Ermessen
- Wundversorgung: Blutstillung bei Belassen von penetrierenden Gegenständen
Entscheidung zur Krankenhausaufnahme bzw. CT-Bildgebung
- Grundregel: Jedes SHT sollte weiter abgeklärt werden, außer es handelt sich um ein leichtes SHT ohne jegliche Hinweise auf eine intrakranielle Verletzung
- Für eine Checkliste siehe: Gründe zum Verzicht auf eine Bildgebung nach leichtem SHT
- Patientenaufklärung bei ambulanter Therapie [3]
- Informationen zu möglichen Warnhinweisen einer Verschlechterung
- Entlassung in die Häuslichkeit unter Gewährleistung einer Beobachtung durch Angehörige für 24 h
- Körperliche Schonung für 24–72 h, ausreichend Schlaf
- Herantastende Wiederaufnahme von Alltagstätigkeiten unter Vermeidung einer Symptomexazerbation, inkl. leichter körperlicher Bewegung
- Vermeidung von Aktivitäten mit erhöhter Unfallgefahr (bspw. Kontaktsportarten) bis zur Symptomfreiheit
- Ambulante Kontrolle innerhalb von 14 Tagen
Bei einer ambulanten Therapie eines leichten Schädel-Hirn-Traumas sollte eine engmaschige Überwachung des:der Patient:in über mind. 24 h durch Angehörige oder Bekannte gewährleistet sein!
Rettung und Transport
- Rettung: Immobilisierung der Wirbelsäule
- Transport: Frühzeitige Kontaktaufnahme mit Zielklinik
- Bei Polytrauma, schwerem SHT, kritisch Kranken: Schockraumaktivierung!
Vorgehen in der Notaufnahme (AMBOSS-SOP)
Erstmaßnahmen [4]
- Ggf. Übergabe durch Rettungspersonal (inkl. der Dokumentation am Unfallort)
- Überprüfung und ggf. Sicherung der Vitalfunktionen nach dem cABCDE-Schema – Störungen höherer Dringlichkeitsstufe zuerst versorgen, insb.
- Ausschluss kritischer Blutungen (siehe: Notfallmanagement - Critical Bleeding)
- Sicherung der Atemwege (siehe: Notfallmanagement - Airway)
- Bei GCS ≤8: Indikation zur endotrachealen Intubation als RSI (siehe: Rapid Sequence Induction - AMBOSS-SOP)
- Aufrechterhaltung der kardiopulmonalen Situation (siehe: Notfallmanagement - Breathing und Notfallmanagement - Circulation)
- Bei Polytrauma siehe: Klinische Primärversorgung beim Polytrauma
- HWS-Immobilisation mit Stifneck® bis zum radiologischen Ausschluss einer Verletzung belassen!
- Bei wachen Patient:innen siehe: HWS-Beurteilung bei Traumapatienten
- GCS-Bestimmung
- Monitoring: Herzfrequenz, EKG, Atmung, spO2, Blutdruck und BZ-Messung
- Zielbereiche
- Blutdruck: Systolischer Blutdruck ≥90 mmHg
- Atmung: Normoxie (saO2>90%), Normokapnie und Normoventilation mit Atemfrequenz >10
- Zielbereiche
- Intravenöser Zugang: Mind. 2 großlumige, periphere Zugänge
- Volumensubstitution zur Kreislaufstabilisierung mit isotoner Kristalloidlösung
- Blutgasanalyse
- Venöse Blutentnahme
Bei unklarem Befund muss die HWS bis zum radiologischen Ausschluss einer Verletzung immobilisiert bleiben!
Die Vitalparameter bei SHT können sich schnell verschlechtern, sodass jederzeit ein Eingreifen nach dem cABCDE-Schema nötig werden kann!
Anamnese [4]
Als Notfallanamnese (bspw. mit dem SAMPLE-Schema) – ggf. als Vervollständigung der Angaben im Rettungsschein – mit Fokus auf:
- Informationen zum Unfall
- Aktuelle Beschwerden inkl. Symptomverlauf und Schmerzanamnese
- Medizinische Vorgeschichte und Medikamentenanamnese
Körperliche Untersuchung [4]
- Allgemeine und internistische Untersuchung: Kraniokaudaler Trauma-Check mit Fokus auf Kopf und HWS, unter Fortführung der Immobilisation bis zum sicheren Ausschluss einer Wirbelsäulenverletzung!
- Äußere Verletzungszeichen an Kopf und Hals?
- Hinweise auf weitere Verletzungen?
- Neurologische Untersuchung mit Fokus auf
- Quantitative Bewusstseinsstörung
- Inkl. Schweregrad-Einteilung des SHT nach GCS
- Leichtes SHT: GCS 13–15 Punkte
- Mittleres SHT: GCS 9–12 Punkte
- Schweres SHT: GCS ≤8 Punkte
- Regelmäßige Reevaluation!
- Inkl. Schweregrad-Einteilung des SHT nach GCS
- Qualitative Bewusstseinsstörungen, z.B. Orientierungsstörungen, mnestische Defizite
- Akute fokal-neurologische Defizite: Fokale Symptome als Hinweis auf eine intrakranielle Läsion oder Zeichen eines erhöhten intrakraniellen Drucks?
- Bspw. seitenungleiche sensomotorische Defizite, einseitige Reflexabschwächung oder pathologische Reflexe, Hirnnervendefizite, Ausfall von Pupillenreflexen, Streck- und Beugesynergismen, Koordinationsstörungen
- Quantitative Bewusstseinsstörung
Zeichen einer möglichen transtentoriellen Herniation: Dilatierte, nicht auf Licht reagierende Pupille, Beuge- oder Strecksynergismen und abnehmende Wachheit mit sinkendem GCS-Punktwert in der Verlaufstestung!
Notfallversorgung
- Bedarfsgerechte Versorgung: Beginn und bedarfsgerechte Eskalation einer Schmerztherapie unter Berücksichtigung bereits erhaltener Medikamente
- Bei leichten bis moderaten Schmerzen: Nicht-Opioid-Analgetikum, z.B. Ibuprofen oder Metamizol
- Bei moderaten bis starken Schmerzen: Kombination zweier Nicht-Opioid-Analgetika plus Opioid, z.B. Oxycodon unretardiert oder Piritramid
- Siehe für weitere Empfehlungen: Akutschmerztherapie in der Notaufnahme
- Bei äußeren Verletzungen: Chirurgische Wundversorgung
Steril verbundene Wunden abgedeckt lassen!
Bildgebung
- Indikation: Grundsätzlich immer, außer bei leichtem SHT ohne jegliche Hinweise auf eine intrakranielle Verletzung
- Goldstandard: Native Notfall-cCT mit Frage nach Blutung, Hirnödem, Frakturzeichen
- Plus HWS-CT z.B. bei
- Klinischen Zeichen einer HWS-Verletzung
- Alter >65 Jahre
- Hochrasanztrauma
- Plus CT-A z.B. bei
- Quantitativer Bewusstseinsstörung
- Verdacht auf Verletzungen der extrakraniellen hirnversorgenden Gefäße
- Fokalen neurologischen Defiziten
- Nachgewiesenen Blutungen in der vorangegangenen nativen cCT
- Plus Body-CT („Traumaspirale“ = Thorax- und Abdomen-CT) bei
- Verdacht auf Mehrfachverletzung (Polytrauma)
- Verdacht auf Blutverlust mit unklarer Blutungsquelle
- Mögliche Befunde siehe: CT-Befunde häufiger intrakranieller Komplikationen bei SHT
- Plus HWS-CT z.B. bei
- Andere Bildgebung nur in ausgewählten Fällen, siehe: Erweiterte Bildgebung beim SHT
Weitere Versorgung [3][12]
Leichtes SHT
- Engmaschige klinische Kontrollen
- Regelmäßige Reevaluation des GCS alle 0,5–2 h
- Entlassungsmanagement
- Entlassungskriterien
- CT-Befund unauffällig oder CT nicht indiziert (siehe: Gründe zum Verzicht auf eine Bildgebung nach leichtem SHT)
- Keine Auffälligkeiten während Überwachungsphase (mind. 24 h)
- Eindeutig geklärter Unfallhergang
- Patientenaufklärung [3]
- Informationen zu möglichen Warnhinweisen einer Verschlechterung
- Entlassung in die Häuslichkeit unter Gewährleistung einer Beobachtung durch Angehörige für 24 h
- Körperliche Schonung für 24–72 h, ausreichend Schlaf
- Herantastende Wiederaufnahme von Alltagstätigkeiten unter Vermeidung einer Symptomexazerbation, inkl. leichter körperlicher Bewegung
- Vermeidung von Aktivitäten mit erhöhter Unfallgefahr (bspw. Kontaktsportarten) bis zur Symptomfreiheit
- Ambulante Kontrolle innerhalb von 14 Tagen
- Entlassungskriterien
Eine Entlassung kann nur erwogen werden, wenn kein erhöhtes Risiko für einen gefährlichen Verlauf und damit gleichbedeutend auch keine Indikation zur Bildgebung besteht. Liegen Risikofaktoren vor, sollte aber auch bei unauffälligem CT-Befund eine mind. 24-stündige stationäre Überwachung erfolgen (die CT liefert nur eine Momentaufnahme!)!
Bei einer ambulanten Therapie eines SHT sollte eine engmaschige Überwachung des Patienten über min. 24 h durch Angehörige oder Bekannte gewährleistet sein!
Alle weiteren Fälle
Spezifische Therapie je nach klinischem und radiologischem Befund, z.B.:
- Bei intrakraniellen Blutungen siehe je nach Form, z.B.
- Bei Zeichen eines erhöhten intrakraniellen Drucks: Neurochirurgie hinzuziehen (Frage nach Notwendigkeit von Maßnahmen zur Hirndruckmessung und Hirndrucksenkung)
Diagnostik
Zum praktischen diagnostischen und therapeutischen Management je nach Setting siehe:
Anamnese und körperliche Untersuchung
- Anamnese: Als Notfallanamnese (bspw. mit dem SAMPLE-Schema)
- Informationen zum Unfall
- Aktuelle Beschwerden inkl. Symptomverlauf und Schmerzanamnese
- Medizinische Vorgeschichte und Medikamentenanamnese
- Körperliche Untersuchung: Kraniokaudaler Trauma-Check mit Fokus auf
- Äußere Verletzungszeichen von Kopf und Hals, z.B. Schwellungen,Riss- oder Platzwunden, Skalpierung, Prellmarken oder Deformität des Schädels, Hämatome , Austritt von Blut, Liquor oder Hirngewebe aus Mund, Nase oder Ohren
- Hinweise auf weitere Verletzungen von Thorax, Abdomen, Becken, Wirbelsäule und Extremitäten
- Regelmäßige GCS-Bestimmung
Bildgebende Diagnostik [4][13]
- Indikationen für eine cCT bei isoliertem SHT: Grundsätzlich großzügige Indikationsstellung (außer bei leichtem SHT ohne jegliche Hinweise auf eine intrakranielle Verletzung)
- Absolute Indikationen
- Bewusstseinsstörungen (Koma, Bewusstseinstrübung)
- Amnesie
- Weitere neurologische Auffälligkeiten, Erbrechen oder epileptischer Anfall im zeitlichen Zusammenhang mit dem Trauma
- Schädelfraktur
- Verdacht auf Liquorfistel und/oder penetrierende Verletzungen
- Gerinnungsstörung
- Relative Indikationen
- Unbekannter Unfallmechanismus
- Heftige Kopfschmerzen
- Intoxikation (Alkohol und/oder Drogen)
- Hochenergietrauma, bspw.
- Unfall als Fahrzeuginsasse
- Fahrzeuggeschwindigkeit >60 km/h
- Starke Fahrzeugdeformation
- Bergungsdauer aus dem Fahrzeug >20 min
- Unfall als Passant:in oder Zweiradfahrer:in
- Kollision mit einem Fahrzeug >30 km/h
- Ejektion vom Motorrad
- Überrolltrauma
- Sturz aus >6 m Höhe
- Absolute Indikationen
- Indikationen für eine cCT bei SHT im Rahmen eines Polytraumas siehe: Polytrauma-CT
- Gründe zum Verzicht auf eine Bildgebung nach leichtem SHT: Alle Kriterien müssen erfüllt sein! [12][14][15]
- GCS von 15
- Patient:in ≤60 Jahre
- Unfallhergang ohne starke Gewalteinwirkung
- Keine Kopfschmerzen
- Kein Erbrechen
- Kein posttraumatischer epileptischer Anfall
- Kein Hinweis auf eine Drogen- oder Alkoholintoxikation
- Keine anterograde Amnesie
- Keine Bewusstlosigkeit
- Keine äußeren Traumazeichen oberhalb der Claviculae
- Keine klinischen Hinweise auf eine intrakranielle Verletzung
- Keine zusätzlichen Risikofaktoren
- Wiederholung der cCT
- Bei neu auftretenden oder sich verschlechternden neurologischen Symptomen
- Bei bewusstlosen Patient:innen
- Bei Blutungszeichen im initialen cCT
Die Indikation zur CT-Bildgebung sollte großzügig gestellt werden! Zum Verzicht auf eine Bildgebung müssen alle oben genannten Kriterien erfüllt sein!
Notfall-CT: Goldstandard
- Durchführung: Native cCT, ggf. plus HWS-CT, CT-A oder CT-Traumaspirale
- Häufige Befunde
- Kontusionsblutungen und andere intrakranielle Blutungen
- Masseneffekte durch intrazerebrale Hämatome oder Ödeme, bspw.
- Mittellinienverlagerung
- Verstrichene Sulci
- Ventrikuläre und zisternale Kompression
- Verlagerung von Hirngewebe in andere Kompartimente (zerebrale Herniation)
- Schädelfrakturen: Sichtbare Frakturlinien, bspw. als Depressionsfraktur oder basilare Schädelfraktur
- Lufteinschlüsse als Hinweis auf ein offenes SHT
CT-Befunde häufiger intrakranieller Komplikationen bei SHT | |
---|---|
CT-Befund | |
Kontusionsblutung |
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Epidurales Hämatom |
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Subarachnoidalblutung (SAB) |
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Akutes subdurales Hämatom |
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Chronisches subdurales Hämatom |
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Hirnödem |
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Diffuser Axonschaden |
|
Erweiterte Bildgebung bei SHT
- MRT: Bei Kindern, unauffälligem CT-Befund, V.a. Kompression des zervikalen Rückenmarks, V.a. diffusen axonalen Schaden oder zur Abklärung neurologischer Störungen bei nicht-pathologischem CT-Befund
- FAST (Sonografie): Bei V.a. Mehrfachverletzung, Polytrauma, Hochrasanztrauma
Therapie
Das Ziel der Therapiemaßnahmen liegt in der Eingrenzung bzw. Vermeidung eines sekundären Hirnschadens sowie in der Herstellung der optimalen Voraussetzung zur neuronalen Regeneration.
Zum praktischen diagnostischen und therapeutischen Management je nach Setting siehe:
Erst- und Basismaßnahmen
- Stabilisierung der Vitalparameter: Vorgehen nach cABCDE-Schema – Störungen höherer Dringlichkeitsstufe zuerst versorgen, insb.
- Ausschluss kritischer Blutungen (siehe: Notfallmanagement - Critical Bleeding)
- Sicherung der Atemwege (siehe: Notfallmanagement - Airway)
- Bei GCS ≤8: Indikation zur endotrachealen Intubation!
- Aufrechterhaltung der kardiopulmonalen Situation (siehe: Notfallmanagement - Breathing und Notfallmanagement - Circulation)
- Bei Polytrauma siehe: Klinische Primärversorgung beim Polytrauma
- Mögliche HWS-Verletzung beachten: Im Zweifelsfall Immobilisierung der Wirbelsäule und des kraniozervikalen Übergangs bis zum definitiven radiologischen Ausschluss einer Verletzung
- Regelmäßige Evaluation des neurologischen Status inkl. Prüfung der Wachheit mittels GCS
Es erfolgt immer eine Therapie der aktuellen klinisch-neurologischen Situation! Der neurologische Status sollte regelmäßig kontrolliert werden, da beim SHT Verläufe mit hoher Dynamik möglich sind!
Konservative Therapie [4]
- Indikation
- Keine sichtbare Raumforderung
- In Einzelfällen: Nicht raumfordernde Blutung und stabiler neurologischer Befund
- Maßnahmen
- Engmaschige klinische und radiologische Kontrollen, ggf. intensivstationäre Überwachung
- Bei erhöhtem ICP: Hirndrucksenkung
- Ziel-CPP: 50–70 mmHg
- Reduktion von Stress und Stressoren
- Thromboseprophylaxe mittels physikalischer Maßnahmen
- Ggf. medikamentöse Prophylaxe epileptischer Anfälle: Für 1–2 Wochen
- Bei klinischer Verschlechterung oder Progress einer Raumforderung: Kontroll-CT und ggf. operative Entlastung
Operative Therapie [4]
- Indikation: Bspw.
- Intrakranielle Blutungen mit raumfordernder Wirkung
- Impressionsfrakturen
- Penetrierende Verletzungen
- Basale Frakturen mit Liquorrhö
- OP-Verfahren: Bspw.
- Entlastungskraniektomie mit Duraerweiterungsplastik
- Bohrlochtrepanation
- Verschluss von Schädelfrakturen mit Knochenwachs
- Koagulation/Umstechung meningealer, blutender Gefäße
Differenzialdiagnosen
- Schädelprellung: Verletzung des Kopfes ohne Funktionsstörung und/oder struktureller Schädigung des Gehirns
- Sekundäres SHT: SHT als Folge eines anderen Zustands (neurologisch oder nicht-neurologisch) , der zu einer quantitativen Bewusstseinsstörung und dadurch zu einem Sturz mit SHT führt
- Siehe hierzu: Vigilanzminderung - AMBOSS-SOP
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Komplikationen
Akutkomplikationen
- Karotis- und Vertebralisdissektionen
- Liquorfistel
- Erhöhter Hirndruck unterschiedlicher Genese
- Meningitis/Enzephalitis (bei offenem SHT oder postoperativ)
Langzeitkomplikationen
- Posttraumatische Kopf- und Nackenschmerzen: Sehr häufig nach SHT
- Auftreten: Innerhalb von 14 Tagen nach Trauma
- Verlauf
- Akut: ≤8 Wochen nach Trauma
- Chronisch: >8 Wochen nach Trauma
- Klinik: Meist okzipital betonte Kopfschmerzen
- Dumpf-drückend oder ziehender Charakter
- Oft Schmerzpeak am Abend
- Ggf. Übelkeit und Schwindel
- Postkommotionelles Syndrom
- Persistierende Klinik eines leichten SHT mit Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
- Ggf. variable Amnesie, Depression, Apathie und Dysfunktion verschiedener Sinnesorgane
- Meist Spontanremission nach einigen Wochen
- Hypophyseninsuffizienz: Häufig übersehen!
- Posttraumatische Epilepsie
- Dezerebration: Ausfall von Gehirnfunktionen bis hin zum Syndrom der reaktionslosen Wachheit
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Leichtes SHT: I.d.R. selbstlimitierender Verlauf ohne neurologische Langzeitschäden
- Mittelschweres SHT [16]
- Verbesserung der Defizite im Verlauf bei 90%
- Bleibende moderate Behinderung bei ca. 44%
- Verschlechterung bis hin zum schwerem SHT bei 10%
- Schweres SHT: Mortalität ca. 35% [17]
Studientelegramme zum Thema
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 106-2024-1/2: Liberal vs. restrictive transfusion strategy in traumatic brain injury
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Meditricks
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Glasgow Coma Scale (GCS)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- S06.-: Intrakranielle Verletzung
- S06.0: Gehirnerschütterung
- Commotio cerebri
- Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades
- S06.1: Traumatisches Hirnödem
- S06.2-: Diffuse Hirnverletzung
- S06.20: Diffuse Hirn- und Kleinhirnverletzung, nicht näher bezeichnet
- S06.21: Diffuse Hirnkontusionen
- S06.22: Diffuse Kleinhirnkontusionen
- S06.23: Multiple intrazerebrale und zerebellare Hämatome
- S06.28: Sonstige diffuse Hirn- und Kleinhirnverletzungen
- Multiple Rissverletzungen des Groß- und Kleinhirns
- S06.3-: Umschriebene Hirnverletzung
- S06.30: Umschriebene Hirn- und Kleinhirnverletzung, nicht näher bezeichnet
- S06.31: Umschriebene Hirnkontusion
- S06.32: Umschriebene Kleinhirnkontusion
- S06.33: Umschriebenes zerebrales Hämatom
- Intrazerebrale Blutung
- Intrazerebrales Hämatom
- S06.34: Umschriebenes zerebellares Hämatom
- Kleinhirnblutung
- Zerebellare Blutung
- S06.38: Sonstige umschriebene Hirn- und Kleinhirnverletzungen
- Rissverletzung des Groß- und Kleinhirns
- S06.4: Epidurale Blutung
- Epidurales [extradurales] Hämatom
- Extradurale Blutung (traumatisch)
- S06.5: Traumatische subdurale Blutung
- S06.6: Traumatische subarachnoidale Blutung
- S06.7-!: Bewusstlosigkeit bei Schädel-Hirn-Trauma
- S06.70!: Weniger als 30 Minuten
- S06.71!: 30 Minuten bis 24 Stunden
- S06.72!: Mehr als 24 Stunden, mit Rückkehr zum vorher bestehenden Bewusstseinsgrad
- S06.73!: Mehr als 24 Stunden, ohne Rückkehr zum vorher bestehenden Bewusstseinsgrad
- S06.79!: Dauer nicht näher bezeichnet
- S06.8: Sonstige intrakranielle Verletzungen
- S06.9: Intrakranielle Verletzung, nicht näher bezeichnet
- Hirnstammverletzung o.n.A.
- Hirnverletzung o.n.A.
- Intrakranielle Verletzung o.n.A.
- Exklusive: Verletzung des Kopfes o.n.A. (S09.9)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.