Zusammenfassung
Bei der Darminvagination stülpt sich ein Darmabschnitt in einen darauffolgenden distalen Darmabschnitt, wodurch es zum mechanischen Verschluss mit Ileus und durch die Abschnürung der Gefäße zur Darmischämie kommt. Es sind vor allem Kinder im Alter zwischen 3 und 12 Monaten betroffen. Sie haben akut einsetzende heftige Bauchschmerzen oft mit Anziehen der Beine, Übelkeit und Erbrechen und sind meist sehr blass. Typisch sind symptomarme sog. „freie Intervalle“, bei denen die Kinder zwischen den Schmerzattacken auffällig ruhig sind. Als Spätsymptom kommt es durch die Ischämie zum rektalen Abgang von geleeartigem Blut. Oft ist ein walzenförmiger Tumor im Bauch tastbar, sonografisch ist eine Kokarde darstellbar. Eine Invagination ist ein Notfall, schnelles Eingreifen ist indiziert. Eine konservative Therapie mittels hydrostatischem Einlauf sollte versucht werden, bei Therapieversagen muss operativ eingegriffen werden, da unbehandelt eine Darmnekrose und Perforation droht.
Epidemiologie
- ♂ > ♀ (3:2)
- Invaginationen treten i.d.R. zwischen dem 3. Lebensmonat und dem 6. Lebensjahr auf
- In etwa 80% der Fälle sind Kinder im Alter zwischen 3 und 12 Monaten betroffen
- Gehört zu den häufigsten Ileusursachen im Kindesalter
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Meist idiopathisch
- Gelegentlich im Rahmen gastrointestinaler Infekte, z.B. durch Adeno- oder Rotaviren
- Geringfügig erhöhtes Risiko für Darminvaginationen nach Gabe einer Rotavirus-Schluckimpfung [2]
- Zystische Fibrose
- Möglicher Prädispositionsfaktor: Übergewicht
- Seltener anatomische Ursache mit Führungsstruktur (nehmen mit steigendem Alter zu)
- Darmwandschwellung durch submuköse Blutung bei IgA-Vaskulitis
- Meckel-Divertikel
- Darmpolypen
- Darmduplikaturen
- Appendix
- Hämatome, Hämangiome
- Vergrößerte Lymphknoten
- Lymphome
- Adhäsionen
- Tumoren
Bei untypischem Alter oder rezidivierender Invagination sollten seltene anatomische Ursachen wie ein Lymphom ausgeschlossen werden!
Klassifikation
Formen der Invagination
- Ileoileale Invagination
- Ileozökale Invagination im Bereich der Bauhin-Klappe/Ileozökalklappe (mit 85–90% die häufigste Invagination)
- Ileokolische Invagination
- Kolosigmoidale Invagination
- Appendikozökale Invagination (sehr selten)
Pathophysiologie
- Darmabschnitt stülpt sich in den weiter distal liegenden Darmabschnitt → Die Mesenterialgefäße werden abgeschnürt → Ödem, Stauungsblutung, Ischämie → Nekrose, Perforation
- Die gestörte Passage führt zum mechanischen Ileus → Erbrechen
Symptomatik
- Leitsymptom: Akut einsetzende kolikartige Schmerzen (plötzliches Schreien), oft mit Anziehen der Beine
- Erbrechen (im Verlauf gallig) mit konsekutiver Dehydratation
- Druckschmerzhaftes Abdomen
- Oft „freie Intervalle“ ohne Schmerzen
- Starke Beeinträchtigung, Blässe bis hin zur Schocksymptomatik
- Spätsymptom: „Himbeergeleeartiger“, blutiger Stuhl bzw. rektale Blutentleerung bei digitaler Untersuchung
Diagnostik
Anamnese und klinische Untersuchung
- Palpation des Abdomens: Palpables Invaginat als Resistenz oder tastbarer walzenförmiger Tumor im Mittel-/Unterbauch
- Auskultation: Hochgestellte Darmgeräusche
- Digital rektale Untersuchung: Blut am Fingerling nach längerem Bestehen der Invagination durch Darmwandischämie
Apparative Diagnostik
- Sonografie: Methode der Wahl und fast immer ausreichend
- Kokarden-Phänomen (Schießscheiben-Phänomen) im Querschnitt
- Pseudokidney-Zeichen im Längsschnitt
- Ggf. Pendelperistaltik
- Röntgen-Abdomenleeraufnahme und Kolonkontrasteinlauf sind obsolet
- Abdomenleeraufnahme: Inhomogene Luftverteilung mit luftfreier Zone im Bereich der Invagination
- Kolonkontrasteinlauf zeigt Kontrastmittelabbruch
Differenzialdiagnosen
- Ileus anderer Genese
- Gastroenteritis
- Appendizitis
- Volvulus
Neben inkarzerierten Hernien ist die Invagination die häufigste Ursache einer Darmobstruktion im Kindesalter!
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Konservativ
- Indikation: Symptome bestehen <24 h
- Kontraindikationen
- Anatomische Ursache mit Führungsstruktur
- V.a. Perforation
- V.a. Peritonitis
- Massiver analer Blutabgang
- Anästhesie: Ggf. Sedierung, in Operationsbereitschaft
- Methoden der Desinvagination
- Hydrostatische Desinvagination :
- Einlauf mit NaCl 0,9% 37–40°C
- Mit Foley-Katheter
- Kontinuierlicher Druck: 100 cmH2O
- Kontinuierlicher Ultraschallkontrolle
- Erfolgskontrolle: Sonografische Darstellung eines freien Flüssigkeitsübertritts an der Bauhin-Klappe ins terminale Ileum
- Wiederholungen bei Rezidiven möglich
- Stationäre Überwachung für mind. 24 h, Sonografiekontrolle vor Entlassung
- Pneumatische Desinvagination
- Luftinsufflation
- Mit Foley-Katheter
- Kontinuierlicher Druck: 80–100 mmHg
- Röntgenkontrolle
- Nachteil: Strahlenbelastung
- Hydrostatische Desinvagination :
- Keine periinterventionelle Antibiotikatherapie
Die Invagination ist ein Notfall! Eine sofortige Therapie ist indiziert!
Operativ
- Indikationen
- Bestehende Symptomatik >24 h
- Versagen der konservativen Therapie
- Zeichen der Perforation
- Kritisch kranke Patient:innen (z.B. mit Peritonitis oder im Schockzustand)
- V.a. ursächliche Raumforderung oder Fehlbildung
- Durchführung
- Offen oder laparoskopisch
- Bei nekrotischen Abschnitten: Resektion und End-zu-End-Anastomose
- Ggf. Fixation des Darmabschnitts (Ileoascendopexie über 3–4 cm)
- Manuelles Herausdrücken des proximalen aus dem distalen Darmabschnitt (sog. Hutchinson-Handgriff)
- Postoperatives Management
- Analgesie nach WHO-Stufenschema
- Rascher Kostaufbau nach klinischem Verlauf
Komplikationen
- Darmperforation
- Peritonitis
- Verlust von nekrotisch gewordenen Darmabschnitten
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
Die Prognose ist abhängig vom Zeitpunkt der Behandlung. Meist können Invaginationen konservativ-hydrostatisch gelöst werden. Bestehen zu diesem Zeitpunkt weder eine Ischämie noch eine Nekrose des Darms, so ist die Prognose gut. Rezidive treten i.d.R. nach 4 d auf und sind nach konservativer Behandlung häufiger (3,7–15%) als nach einer Operation (0–4%). [1]
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- K56.1: Invagination
- K38.8: Sonstige näher bezeichnete Krankheiten der Appendix
- Invagination der Appendix
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.