Zusammenfassung
Akute Psychosen können infolge einer Vielzahl somatischer und psychiatrischer Krankheitsbilder auftreten oder medikamenteninduziert sein. Daher ist ein sicherer Umgang mit dieser komplexen Symptomatik für alle Fachrichtungen sehr wichtig. Dem Erstkontakt kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu, da bereits im Zuge dessen eine therapeutische Beziehung aufgebaut werden kann. Im Rahmen des Kontaktaufbaus ist jedoch auch die Einschätzung einer etwaigen Gefährdungslage unabdingbar, insb. aufgrund des realitätsfernen Erlebens der Betroffenen, was oft verbunden ist mit einem ausgeprägten Misstrauen. Von großer Wichtigkeit ist zudem eine weitere multiprofessionelle diagnostische Abklärung der psychotischen Symptomatik inkl. einer Ausschlussdiagnostik organischer Ursachen. Medikamentös kommen im Akutfall v.a. Antipsychotika und Benzodiazepine zum Einsatz, wobei sich die Behandlung nach der zugrunde liegenden Ursache richten sollte.
Vorbereitung
Akute Psychosen gehen häufig mit einer krankheitsbedingten akuten Eigen- und/oder Fremdgefährdung einher. Sofern möglich, sollten daher bereits vor Erstkontakt präventive Maßnahmen getroffen werden (siehe auch: Fremdaggressives Verhalten - AMBOSS-SOP).
- Einholen von Informationen: So viele Informationen wie möglich einholen (über Patient:in und aktuelle Situation)
- Schutz aller beteiligten Personen beachten: Bspw. potenziell gefährliche Gegenstände aus dem Raum entfernen
- Bereitstellen von Interventionsmaßnahmen
- Ggf. Fixierbett vorbereiten
- Beruhigende Medikation vorbereiten (Rapid Tranquilisation), bspw.
Akut psychotische Patient:innen sind häufig angespannt und/oder agitiert, sodass immer mit unvorhersehbaren Handlungen gerechnet werden muss! [1]
Ablauf/Durchführung
Kontaktaufbau [1][2]
Häufig führen akute Psychosen zu einer misstrauischen Einstellung gegenüber Fremden, was begründet ist durch eine fehlende Krankheitseinsicht sowie dem realen Erleben realitätsferner Wahrnehmungen. Aufgrund dessen sollte beim Erstkontakt Folgendes beachtet werden:
- Ruhiges und authentisches Auftreten
- Empathische und positiv wertschätzende Grundhaltung
- Klare und strukturierte Kommunikation
- Erklären der aktuellen Situation
- Aktives, behutsames Eingehen auf paranoid-halluzinatorische Symptome
- Interesse signalisieren und aktiv nachfragen
Psychotische Patient:innen erleben ihre Wahrnehmungen i.d.R. als real und stehen häufig unter einem erheblichen Leidensdruck!
Exploration
Anamnese [1][3]
- Eigenanamnese
- Exploration der aktuellen Problematik
- Psychiatrische Vorerkrankungen, inkl. vorheriger medikamentöser Behandlungsversuche
- Somatische Vorerkrankungen
- Familienanamnese
- Soziale Anamnese
- Aktuelle Medikation
- Drogenanamnese, inkl. klinischen Intoxikationszeichen
- Fremdanamnese, falls möglich
- Für tiefergehende Informationen zu o.g. Bestandteilen siehe: Psychiatrische Anamnese
Erhebung des psychopathologischen Befundes
- Formale Denkstörungen
- Gedankenabreißen
- Inkohärentes Denken
- Vorbeireden
- Inhaltliche Denkstörungen: Wahn
- Sinnestäuschungen
- Ich-Störungen
- Störungen der Affektivität: Parathymer Affekt
Bei akuten Psychosen kommt der Verhaltensbeobachtung eine besondere Bedeutung zu, da Patient:innen häufig nicht von sich aus ihre Symptome schildern!
Einschätzen der Gefährdungslage
- Hinweise auf eine Fremdgefährdung bei akuter Psychose [3][4]
- Junge Männer
- Direkte Gewaltandrohung
- Komorbide antisoziale Persönlichkeitsstörung
- Komorbider Substanzmissbrauch
- Gewalttätigkeit in der Vergangenheit
- Beschaffen und Tragen von Waffen
- Externe Faktoren (Mangel an Privatsphäre, lange Wartezeiten auf Therapie)
- Häufige stationäre Aufenthalte
- Psychopathologische Aspekte
- Verfolgungswahn
- Feindselige Wahninhalte
- Die eigene Existenz bedrohende Wahninhalte
- Ausgeprägtes Bedrohungserleben
- Impulskontrollstörungen
- Fremdbeeinflussungserleben, bspw. Gedankenentzug
- Gefühl des Ausgeliefertsein
- Fehlende Krankheitseinsicht [5]
- Hinweise auf eine Eigengefährdung bei akuter Psychose [3][6]
- Junge Männer
- Frühes Krankheitsstadium
- Hohes prämorbides Funktionsniveau
- Großes Verständnis über die eigene Erkrankung und deren Verlauf
- Fehlendes soziales Netz
- Komorbider Substanzmissbrauch
- Häufige und kurze stationäre Aufenthalte
- Lange Krankheitsgeschichte
- Aktuelle psychosoziale Belastungsfaktoren
- Mangelnde Adhärenz
- Gefühl der gesellschaftlichen Stigmatisierung
- Suizidversuche in der Vorgeschichte
- Psychopathologische Aspekte
- Ausgeprägtes Grübeln
- Freud- und Hoffnungslosigkeit
- Minderwertigkeits- und Schuldgefühle
- Vorhandene Krankheitseinsicht
- Hypochondrische Ängste
- Wahneinfälle
- Imperative Stimmen mit Suizidaufforderung
- Beeinflussungsideen
- Ausgeprägte depressive Stimmungslage
- Kognitive Einengung
Diagnostik [3]
- Indikation
- Differenzialdiagnostik, u.a. zum Ausschluss einer organisch bedingten Psychose
- Erfassung somatischer Komorbiditäten
- Obligate Bestandteile
- Internistische Untersuchung und neurologische Untersuchung, inkl.
- Gewicht, Körpergröße
- Blutdruck, Puls
- Temperatur
- EKG
- Routinelabor, siehe auch: Labordiagnostik in der Psychiatrie
- Urin-Drogenscreening
- cMRT
- Internistische Untersuchung und neurologische Untersuchung, inkl.
- Fakultative Bestandteile: Bei Hinweisen auf eine somatische Genese der psychotischen Symptomatik
- Liquorpunktion
- Weitere Labordiagnostik
- CK
- Laborscreening auf entzündlich-rheumatische Erkrankungen
- Eisen- und Kupferstoffwechsel
- Vitamin B1, Vitamin B6 und Vitamin B12
- Infektionserkrankungen (u.a. Lues, HIV, Hepatitis)
- Bei V.a. epileptisches Geschehen oder Autoimmunenzephalitis: EEG
Eine psychotische Symptomatik ist nicht primär „psychiatrisch“. Auch eine somatische Erkrankung kann als Ursache vorliegen und sollte unbedingt durch eine differenzierte Diagnostik abgeklärt werden (siehe auch: Differenzialdiagnosen von Psychosen)!
Therapie
Pharmakotherapie
Grundprinzipien [7]
- Wirkstoff und Dosierung richten sich nach zugrunde liegender Ursache der psychotischen Symptomatik
- Zur Abklärung der Ursache siehe: Differenzialdiagnosen von Psychosen
- Freiwillige, orale Medikation bevorzugen gegenüber i.m. oder i.v. Applikation gegen Patientenwillen
- Antipsychotika
- Effektivität von Antipsychotika gesichert bei zahlreichen psychiatrischen Krankheitsbildern [7]
- Bevorzugt Antipsychotika der 2. Generation (günstigeres Nebenwirkungsprofil)
- Falls möglich, Ausschlussdiagnostik organisch bedingter und substanzinduzierter Störungen vor Beginn einer Antipsychotikatherapie durchführen [7]
- Sofortige antipsychotische Behandlung je nach zugrunde liegender Ursache nicht zwingend erforderlich [3][7]
- Clozapin eher ungeeignet zur Akuttherapie (langsamer Wirkeintritt, Risiko einer Agranulozytose) [7]
- Benzodiazepine
- Effektiv bei ausgeprägter Unruhe/Anspannung oder Fremdaggressivität sowie Alkoholentzugsdelir
- Bevorzugung von Benzodiazepinen mit schnellem Wirkeintritt (Lorazepam oder Midazolam) alleine oder in Kombination mit Antipsychotika
- Kontraindiziert bei unklaren Intoxikationen
- Siehe auch: Rapid Tranquilisation
Bei unklaren Intoxikationen sollten keine Benzodiazepine gegeben werden!
Auswahl des Antipsychotikums je nach Indikation
- Akute Episode einer Schizophrenie [3]
- Erstmanifestation: (Atypische) Antipsychotika mit möglichst niedrig dosierter Anfangs- und Zieldosis (bspw. Amisulprid, Olanzapin, Risperidon, Ziprasidon, Aripiprazol und Quetiapin; Haloperidol eher 2. Wahl), frühen Therapiebeginn anstreben [7]
- Rezidiv: Antipsychotika individuell auswählen (bspw. Amisulprid, Olanzapin und Risperidon, alternativ niedrigpotente Antipsychotika), früher Therapiebeginn [7]
- Generell: Nebenwirkungen und Verträglichkeit entscheidend zur Auswahl des passenden Präparats
- Schizotype Störungen: Atypische Antipsychotika mit möglichst niedriger Dosis [7]
- Persistierende wahnhafte Störungen: Atypische Antipsychotika mit niedriger Dosis (bspw. Risperidon oder Olanzapin) [7]
- Akute vorübergehende psychotische Störungen: Atypische Antipsychotika je nach Bedarf mit niedriger oder höherer Dosierung (bspw. Aripiprazol, Ziprasidon) [7]
- Induzierte wahnhafte Störung: Zunächst keine medikamentöse Therapie, bei persistierender Symptomatik nach 2 Wochen niedrig dosierte Antipsychotika erwägen (bspw. Risperidon) [7]
- Schizoaffektive Störung: Akuttherapie: Atypische Antipsychotika je nach dominierender Symptomatik (bspw. Olanzapin, Risperidon, Ziprasidon, Aripiprazol, Quetiapin) [7]
- Substanzinduzierte Psychose [7]
- Alkoholhalluzinose: Konventionelle oder atypische Antipsychotika (gelten als gleichwertig), nur vorübergehende Gabe
- Drogeninduzierte Psychose: Antipsychotika (bevorzugt Olanzapin 2,5–10 mg, alternativ Haloperidol), nur vorübergehende Gabe
- Depression mit psychotischen Symptomen: Kombination aus Antipsychotikum mit Antidepressivum [7]
Antipsychotika [3][7][8]
-
Aripiprazol p.o. oder i.m. [7]
- Beachte Rote-Hand-Brief zu Aripiprazol [9]
- Olanzapin p.o. oder i.m. [7]
- Ziprasidon p.o. oder i.m. [7]
- Risperidon p.o. [7]
- Amisulprid p.o. [7]
-
Loxapin inhalativ [7][10][11]
- Beachte Gefahr eines Bronchospasmus : Kurzwirksames β2-Sympathomimetikum bereithalten, bspw. Salbutamol [12]
- Haloperidol p.o. oder i.m. [7][13]
Benzodiazepine [1][8]
Bei intravenöser Anwendung von Benzodiazepinen ist auf eine langsame Injektion zu achten aufgrund der potenziell atemdepressiven Wirkung!
Planung der weiteren Behandlung
- Bei somatischer Ursache: Stationäre Aufnahme in entsprechende somatische Fachabteilung
- Bei psychiatrischer Ursache und
- Vorhandener Absprachefähigkeit: Stationäre Aufnahme in offener allgemeinpsychiatrischer Station
- Fehlender Absprachefähigkeit bzw. Eigen- und/oder Fremdgefährdung: Stationäre Aufnahme in einer geschützten Station sowie Einleitung einer
Möglichst wenig Maßnahmen sollten gegen den Patientenwillen durchgeführt werden. Stattdessen sollte man stets versuchen, Betroffene zu einer weiteren Behandlung auf freiwilliger Basis zu überzeugen!