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Vorgehen bei fremdaggressivem Verhalten - AMBOSS-SOP

Letzte Aktualisierung: 2.5.2023

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Fremdaggressives Verhalten kann Ausdruck einer Vielzahl unterschiedlicher psychiatrischer und somatischer Erkrankungen sein, sodass medizinisches Personal jeglicher Fachrichtung sicher im Umgang mit fremdaggressiven Menschen sein sollte. An oberster Stelle steht immer der Eigenschutz, sodass einer potenziell gefährlichen Situation niemals alleine begegnet werden sollte. Neben medikamentösen Behandlungsansätzen, welche hauptsächlich das Ziel einer schnellen Sedierung verfolgen (u.a. Antipsychotika und Benzodiazepine) ist es wichtig, dass das verantwortliche ärztliche Personal in solchen Situationen deeskalativ und beruhigend auftritt. Eine besondere Herausforderung stellt die diagnostische Einordnung des fremdaggressiven Verhaltens dar, auch um eine Rechtssicherheit für das weitere Handeln zu schaffen. Liegt keine komorbide Erkrankung vor, sollte die Person den Strafvollzugsbehörden übertragen werden. Im Falle einer psychiatrischen Erkrankung ist eine Unterbringung nach den öffentlich-rechtlichen Landesgesetzen einzuleiten. Bei somatischen Krankheitsfaktoren legitimiert der rechtfertigende Notstand das weitere Handeln.

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Vorbereitungtoggle arrow icon

Fremdaggressives Verhalten kann sich im Vorfeld ankündigen, aber auch plötzlich und unvermittelt auftreten. Sofern möglich, sollten folgende vorbereitende Maßnahmen getroffen werden:

  • Einholen von Informationen: So viele Informationen wie möglich einholen (über Pat. und aktuelle Situation)
  • Schutz der beteiligten Personen beachten
    • Eigenschutz
      • Pat. mit fremdaggressivem Verhalten niemals alleine gegenübertreten
      • Ausreichend Personal bereits im Vorfeld einer potenziell eskalierenden Situation hinzuziehen
      • Ggf. zusätzlich die Polizei im Vorfeld informieren und um Unterstützung bitten
      • Möglichkeit wahren, jederzeit die Situation verlassen zu können („Position zur Tür“)
      • Falls möglich, Situation vorab auf mögliche Gefahrenquellen prüfen (spitze Gegenstände, Wurfgegenstände etc.)
    • Fremdschutz
      • Schutz Dritter (unbeteiligte Personen möglichst aus der Situation holen!)
      • Patientenschutz
  • Bereitstellen von Interventionsmaßnahmen
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Ablauf/Durchführungtoggle arrow icon

Einschätzen der Fremdgefährdung [1]

  • Vorgeschichte
  • Aktuelle Situation
    • Hinweise auf eine Drogenintoxikation?
    • Hinweise auf eine psychosoziale, ausweglose Krise?
    • Psychopathologische Auffälligkeiten? Insb.
    • Steigerung der Anspannung?
      • Zunehmend lauteres Sprechen oder Schreien?
      • Steigerung der motorischen Aktivität?
    • Ist Pat. verbal zu erreichen?
    • Respektiert Pat. Grenzen?
    • Droht Pat. (verbal oder nonverbal)?

Aggressives und gewaltbereites Verhalten kann jedoch auch bspw. in Form eines Raptus aus einem Zustand völliger Ruhe heraus plötzlich und unerwartet auftreten!

Deeskalatives Auftreten [2][3]

  • Sicherheit für alle Beteiligten schaffen
    • Pat. nicht alleine gegenübertreten
    • Ausreichend Abstand zu Pat. einhalten
    • Pat. nicht umzingeln und bedrängen
    • Stets Möglichkeit zum Verlassen der Situation wahren
  • Deeskalative Körperhaltung einnehmen (gesenkte Arme, offene Handflächen)
  • Wertschätzendes Gegenübertreten
    • Verständnisvolle und empathische Kommunikation
    • Aktives Zuhören
    • Zum Weitersprechen ermutigen
    • Gefühle des Gegenübers klar benennen und validieren
    • Eigene Sorgen und Befürchtungen offen kommunizieren
  • Ruhiges und selbstsicheres Auftreten
    • Keine hektischen Bewegungen
    • Ruhig und nicht zu laut sprechen, klare Ansprache
    • Wichtige Gesprächsinhalte wiederholen und langsam reden
    • Hohe Anforderungen vermeiden
    • Bewusst auf eigene Gefühle achten und versuchen, diese zu kontrollieren
  • Angst von Pat. reduzieren
    • Keine Drohungen aussprechen
    • Gründe für das aktuelle Verhalten aktiv erfragen
    • Wünsche und Ängste aktiv erfragen
    • Verständnis zeigen
    • Hilfe anbieten
    • Hoffnung vermitteln
    • Ärztliche Maßnahmen verständlich erklären
  • Problemlösungsstrategien erarbeiten
    • Gemeinsamkeit erzeugen
    • Ich-Botschaften verwenden
    • Kooperatives Verhalten fördern
    • Interventionen zur Entspannung und Ablenkung anbieten
    • Verschiedene Handlungsalternativen anbieten
    • Möglichst keine Versprechen machen
    • Unterschiedliche Sichtweisen akzeptieren
    • Flexibilität und Kompromisse akzeptieren

Diagnostik [4]

Rechtssituation prüfen [2]

  • Einordnen des aggressiven Verhaltens in einen Krankheitskontext

Besondere Sicherungsmaßnahmen

Besondere Sicherungsmaßnahmen sollten nur dann durchgeführt werden, wenn zuvor alle anderen Deeskalationsversuche nicht erfolgreich waren. Für Informationen zu den rechtlichen Grundlagen siehe: Besondere Sicherungsmaßnahmen nach öffentlich-rechtlichen Landesgesetzen.

Pharmakotherapie [2][4]

  • Ziel: Medikamentöse Krisenintervention zur Beruhigung, um Transport, Diagnostik und Therapie zu ermöglichen („Rapid Tranquilisation“)
  • Indikationen: Mangelnde Kooperationsbereitschaft bzw. nicht ausreichender Effekt von nicht-medikamentösen (bspw. gesprächstherapeutischen) Maßnahmen bei vorliegender
    • Hyperaktivität, Agitation oder Erregung
    • Anspannung, Aggressivität oder Angst
  • Grundsätze
    • Vorzugsweise Medikamente mit schnellem Wirkeintritt und kurzer Wirkdauer
    • Ggf. wiederholte Gabe bei Bedarf
    • Freiwillige orale oder inhalative Einnahme ist einer i.v. Applikation immer vorzuziehen
    • Nur im Ausnahmefall : Kombination von Benzodiazepinen und Antipsychotika
    • Nach intravenöser/intramuskulärer Sedierung muss eine kontinuierliche Überwachung sichergestellt werden
    • Genaue schriftliche Dokumentation, insb. nach einer Zwangsmedikation
  • Vor einer Pharmakotherapie gegen den Patientenwillen zu prüfende Punkte

Eine i.m. Injektion darf bei gleichzeitiger Antikoagulation nicht erfolgen!

Eine Pharmakotherapie gegen den Patientenwillen sollte immer das letzte therapeutische Mittel sein!

Antipsychotika [2]

Benzodiazepine [2]

Bei Menschen mit hirnorganischen Vorschädigungen haben Benzodiazepine häufig eine paradoxe Wirkung und führen zu einer Steigerung der Agitation/Aggression!

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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Fremdaggressives Verhalten kann Ausdruck einer Vielzahl psychiatrischer und auch somatischer Krankheitsbilder sein. [15]

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Komplikationentoggle arrow icon

Komplikationen bei besonderen Sicherungsmaßnahmen

Komplikationen der medikamentösen Behandlung [2]

Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

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Nachsorgetoggle arrow icon

Dokumentation

  • Dokumentation von Zwangsmaßnahmen
  • Dokumentation fremdaggressiven Verhaltens
    • Zeitpunkt: Möglichst zeitnah, nach erfolgter Deeskalation der Situation
    • Inhalt
      • Jegliches aggressives Verhalten dokumentieren
      • Am Vorfall beteiligte Personen nennen
    • Durchführung
      • Verantwortung: Medizinisches Personal, welches das aggressive Verhalten beobachtet bzw. erlebt hat
      • In schweren Fällen : Dokumentation wird an Vorgesetzte weitergeleitet und von diesen unterschrieben
      • Mithilfe standardisierter Dokumentationsbögen oder Scores wie SOAS-R
      • Oft sind klinikinterne Standarddokumente vorhanden

Zwangsmaßnahmen sind erhebliche Eingriffe in die Grundrechte eines Menschen! Eine genaue Dokumentation ist zur eigenen juristischen Absicherung unerlässlich!

Nachbesprechung nach Auftreten fremdaggressiven Verhaltens [2][18]

  • Mit Pat. [19]
    • Darlegung der Geschehnisse aus Patientensicht
    • Erläuterung der Geschehnisse aus therapeutischer Sicht
    • Erarbeitung alternativer Handlungsmöglichkeiten und präventiver Maßnahmen für den Fall einer erneuten Eskalation
    • Erstellen einer Behandlungsvereinbarung, in der Patientenwünsche aufgenommen werden
  • Mit therapeutischem Team
    • Kritische Evaluation des Vorfalls
      • Wann und warum ist die Situation eskaliert?
      • Welche Verhaltensweisen der Person haben zum Vorfall geführt? [20]
      • Haben eigene Verhaltensweisen die Eskalation begünstigt?
      • Warum haben präventive Maßnahmen nicht gegriffen?
      • Warum haben deeskalierende Maßnahmen nicht gegriffen?
      • Wären weniger invasive Zwangsmaßnahmen anwendbar gewesen?
      • Wurden Zwangsmaßnahmen korrekt umgesetzt?
      • Wurde auf die Sicherheit des eigenen Personals geachtet?
      • Wurde auf die Sicherheit anderer Pat. geachtet?
      • Wurde darauf geachtet, das Verletzungsrisiko für die betroffene Person selbst möglichst gering zu halten?
    • Planung für zukünftiges Vorgehen
      • Gibt es Möglichkeiten, in Zukunft ähnliche Situationen anders zu lösen?
    • Weiterführende Nachbesprechung
  • Ggf. mit anderen Pat.
    • Erfassen, wie andere Pat. die Situation wahrgenommen haben
    • Erläuterung der getroffenen Maßnahme
    • Einbetten des zur Maßnahme geführten Verhaltens in einen Krankheitskontext

Die Nachbesprechung sollte immer mit den Pat. sowie dem therapeutischen Team erfolgen!

Checkliste: Nachsorge nach tätlichem Übergriff auf das medizinische Personal [21]

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