Zusammenfassung
Die Schizophrenie ist eine psychische, i.d.R. episodisch verlaufende Erkrankung, die durch eine vielfältige und komplexe Symptomatik gekennzeichnet ist. Dabei können Teile der Wahrnehmung, des Denkens, der Ich-Umwelt-Grenzen, des Affektes und der Psychomotorik betroffen sein. Je nach vordergründiger Klinik unterscheidet man verschiedene Unterformen. Am häufigsten findet sich dabei die paranoide Schizophrenie, bei der insb. akustische Halluzinationen, Wahn sowie Ich-Störungen auftreten. Neben dieser überwiegend in akuten Krankheitsphasen auftretenden Positivsymptomatik kann die Schizophrenie auch mit sog. Negativsymptomatik wie Affektverflachung und sozialem Rückzug einhergehen. Eine eher seltene Schizophrenieform ist die katatone Schizophrenie, bei der insb. psychomotorische Symptome imponieren (bspw. Stupor, Negativismus und Katalepsie).
Die Ursache der Schizophrenie ist bis heute nicht abschließend geklärt. Sie ist am ehesten multifaktoriell bedingt und durch genetische, umweltassoziierte, biochemische sowie strukturelle Einflüsse zu erklären. Differenzialdiagnostisch kommen eine Vielzahl somatischer, psychiatrischer und medikamenteninduzierter Krankheitsbilder in Betracht, sodass eine ausführliche Diagnostik unvermeidbar ist.
Therapeutisch kommen neben der pharmakologischen Behandlung mit Antipsychotika auch psychotherapeutische und psychosoziale Verfahren zum Tragen. Wichtig ist dabei das multiprofessionelle und empathisch-wertschätzende Vorgehen mit Rücksicht auf die Wünsche der Betroffenen und unter Einbeziehen wichtiger Vertrauenspersonen. Somatische Komorbiditäten sind häufig und sollten ebenso wie mögliche medikamentöse Nebenwirkungen stets im Blick behalten werden.
Du möchtest diesen Artikel lieber hören als lesen? Wir haben ihn für dich im Rahmen unserer studentischen AMBOSS-Audio-Reihe vertont. Den Link findest du am Kapitelende in der Sektion „Tipps & Links“.
Epidemiologie
- Lebenszeitprävalenz [1][2][3]
- Weltweit ca. 1%
-
Erhöhung bei familiärer Belastung
- Kinder von Eltern, die an Schizophrenie erkrankt sind : 12%
- Eineiige Zwillinge: Ca. 46%
- Zweieiige Zwillinge: Ca. 14%
- Geschwister: Ca. 10%
- Jahresinzidenz [1]
- Weltweit 15/100.000 Personen
- Leicht erhöhte Inzidenz in städtischen Regionen im Vergleich zu ländlichen Regionen
- Alters- und Geschlechterverteilung [1]
- Erkrankungsbeginn: Meist zwischen 15. und 35. Lebensjahr
- Erkrankungsbeginn bei Männern durchschnittlich 3–4 Jahre früher als bei Frauen
- Zweiter Erkrankungsgipfel postmenopausal bei Frauen
- Lebenszeitrisiko: ♂ ≈ ♀
- Erkrankungsbeginn: Meist zwischen 15. und 35. Lebensjahr
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Die Ursache der Schizophrenie ist bis heute nicht abschließend geklärt. Sie ist am ehesten multifaktoriell bedingt.
Genetische Faktoren
- Insg. große Rolle der Erblichkeit bei Entstehung einer Schizophrenie , jedoch keinesfalls als alleiniger Einflussfaktor zu sehen
- Vermutlich polygener Erbgang mit mittlerweile über 100 identifizierten Risikogenen
- Risikofaktor für genetische Veränderungen: Hohes paternales Alter
Umweltassoziierte Faktoren [3]
- Prä-, peri- und postnatale Hirnschädigungen, bspw.
- Infektionen der Mutter im 2. und 3. Trimenon
- Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen
- Saisonale Faktoren: Gehäuftes Auftreten bei Wintergeburten
- Noxen im Kinder-, Jugend- und frühen Erwachsenenalter
- Amphetamin-und Cannabiskonsum
- Psychosoziale Stressoren, bspw.
- Trennung der Eltern, Urbanisation, Migration
- High expressed Emotions
- Missbrauch/Misshandlung sexuell/körperlich, emotionale Vernachlässigung
- Sozialstatus: Gehäuftes Auftreten in sozial benachteiligten Schichten mit geringerem Bildungsstand
- Weitere Faktoren
- Familienstand: Alleinstehende > Verheiratete
- Hormonelle Einflüsse
Neurobiologische Faktoren
Neurochemische Befunde und Hypothesen [3]
Im Folgenden werden Fehlregulationen verschiedener Neurotransmitter und damit einhergehende Hypothesen beschrieben. Man geht dabei von einer Dysbalance zwischen erregenden und hemmenden Neurotransmittersystemen aus (insb. Glutamat, GABA, Dopamin), die nicht einzeln, sondern eher als miteinander agierende neuronale Regelkreise zu betrachten sind.
- Dopaminhypothese: Dysregulation des Dopaminstoffwechsels (insb. präsynaptisch) mit Hyperaktivität im limbischen System und Hypoaktivität im Frontalhirn [4]
- Herleitung der Hypothese
- Reduktion der psychotischen Positivsymptomatik durch Dopaminantagonisten (insb. D2-Rezeptoren)
- Verstärkung/Auslösung psychotischer Symptome durch Dopamin-agonistische Psychostimulanzien (Amphetamine, Kokain)
- Herleitung der Hypothese
- Glutamathypothese: Unterfunktion von NMDA-Rezeptoren, insb. in frontalen Hirnregionen
- Herleitung der Hypothese: Verstärkung/Auslösung psychotischer Symptome (sowohl Positiv- als auch Negativsymptome) durch NMDA-Antagonisten wie Phencyclidin [5] und seinem Derivat Ketamin
- Serotonin : Herleitung [6]
- Verstärkung/Auslösung psychotischer Symptome durch Serotonin-agonistische Halluzinogene (Psilocybin und LSD)
- Einige Antipsychotika blockieren auch serotonerge 5HT2-Rezeptoren und zeigen eine bessere Wirkung auf die Negativsymptomatik
Strukturelle und funktionelle Veränderungen [2][3]
- Verminderung der grauen Substanz in kortikalen und subkortikalen Regionen [4][7]
- Vergrößerung der Seitenventrikel und des 3.Ventrikels
- Minderaktivität frontaler Hirnregionen: „Hypofrontalität“
- Fronto-temporo-limbische Netzwerkstörung (Diskonnektivitätshypothese)
Pathophysiologische Modellvorstellungen
Bei den folgenden Modellen handelt es sich um Modelle zur Erklärung des Zusammenspiels verschiedener krankheitsbegünstigender Faktoren:
- Vulnerabilitäts-Stress-Modell nach Zubin und Spring (syn. Diathese-Stress-Modell)
- Vulnerabilität: Weit vor den ersten klinischen Symptomen erhöhte neuropsychologische Anfälligkeit für eine Schizophrenie (Krankheitsdisposition)
- Stress: Endogene und exogene Faktoren biologischer und psychosozialer Natur, die zur Manifestation der Schizophrenie führen
- Erweiterung des Modells um protektive Faktoren : Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell nach Nuechterlein
- Nicht ausreichendes Coping führt in Stresssituationen zu psychotischer Symptomatik
- „Multiple-Hit“-Modell [8]
- „First Hit“: Genetische Prädisposition
- Weitere „Hits“: Durch das Hinzukommen mehrerer pathogener Umweltfaktoren kommt es zum Ausbruch der Erkrankung
Symptomatik
Die Symptomatik ist vielfältig und interindividuell unterschiedlich. Je nach vordergründiger Klinik unterscheidet man verschiedene diagnostische Unterformen der Schizophrenie.
Allgemeine Symptomatik [2]
- Denk- und Sprachstörungen
- Formale Denkstörungen
- Beschleunigter Denkablauf (Ideenflucht, Gedankendrängen, Denkzerfahrenheit )
- Verlangsamter Denkablauf (Denkhemmung, Denkverlangsamung)
- Gesperrtes Denken bzw. Gedankenabreißen, Neologismen, Vorbeireden
- Inhaltliche Denkstörungen: Wahn
- Formale Wahnmerkmale: Insb. Wahnstimmung, Wahnwahrnehmung und Wahneinfälle
- Inhaltliche Wahnmerkmale: Insb. Verfolgungswahn, Beeinträchtigungswahn und Beziehungswahn [4]
- Formale Denkstörungen
- Neuropsychologische Defizite: Aufmerksamkeitsstörungen, Gedächtnisstörungen sowie Beeinträchtigungen exekutiver Funktionen
- Sinnestäuschungen
- Störungen der Affektivität
- Inadäquater Affekt (Parathymie, Paramimie )
- Affektverflachung, Affektarmut mit Anhedonie
- Depressives oder maniformes Syndrom
- Ich-Störungen: Gedankenausbreitung, Gedankenentzug, Gedankeneingebung, Willensbeeinflussung
- Störungen der Psychomotorik: Katatone Symptome wie bspw. Stereotypien, Negativismus, Manierismen, Stupor, Mutismus, Echopraxie, Grimassieren, Katalepsie oder katatone Erregung
- Störung neurologischer und vegetativer Funktionen, u.a.
- Neurological soft Signs (NSS)
- Gastrointestinale Beschwerden (Obstipation, Diarrhö)
- Urologische Beschwerden (Libido-, Potenzstörungen; Polyurie, Oligurie)
- Kardiale Beschwerden (Tachykardie, Bradykardie)
- Gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus
Einteilung nach Positiv- und Negativsymptomatik [4][9]
Positivsymptomatik
- Auftreten: Insb. in akuten Phasen der Erkrankung
- Definition: Produktive Symptome (im Vergleich zum „Normalzustand“ kommt etwas dazu)
- Wahnhaftes Erleben
- Halluzinationen (insb. akustische)
- Ich-Störungen
- (Positive) formale Denkstörungen, insb. Denkzerfahrenheit
- Desorganisiertes, bizarres Verhalten
Negativsymptomatik
- Auftreten: Insb. in chronischen Phasen der Erkrankung
- Definition: Nicht-produktive Symptome (im Vergleich zum „Normalzustand“ wird etwas abgezogen)
- Anhedonie
- Apathie, Antriebslosigkeit
- Affektverflachung
- Aufmerksamkeitsstörungen
- „Asozialität“ : Emotionaler und sozialer Rückzug
- Alogie: Sprachverarmung
Die Negativsymptomatik lässt sich gut mit den 6 „A“ merken: Anhedonie, Apathie, Affektverflachung, Aufmerksamkeitsstörungen, Asozialität und Alogie!
Einteilung nach K. Schneider
Symptome 1. Ranges
- Ich-Störungen mit Fremdbeeinflussungserleben: Gedankeneingebung, Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, Gedankenlautwerden, andere Fremdbeeinflussungserlebnisse (Gefühl des Gemachten)
- Wahnwahrnehmungen
- Akustische Halluzinationen: Kommentierende Stimmen, dialogisierende Stimmen
Symptome 2. Ranges
- Andere Formen der akustischen Halluzinationen: Insb. Akoasmen
- Halluzinationen anderer Sinnesmodalitäten: Optisch, olfaktorisch, gustatorisch
- Wahneinfälle
- Affektstörungen: Verstimmung, Affektverflachung, Gefühlsverarmung, Ratlosigkeit
Frühwarnzeichen eines psychotischen Rezidivs [3]
- Definition: Unspezifische und individuell unterschiedliche Prodromi („Vorboten“) eines möglichen Rezidivs
- Bedeutung: Wichtig, um frühzeitige Maßnahmen zur Abwendung bzw. Abmilderung eines Rezidivs einleiten zu können
- Sowohl die Betroffenen als auch enge Bezugspersonen sollten die individuellen Frühwarnzeichen kennen
- Symptome: Bspw.
- Unruhe, Nervosität, Anspannung
- Schlafstörungen
- Reizbarkeit
- Geräuschempfindlichkeit
- Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
- Überforderungsgefühl
- Sozialer Rückzug
- Depressive Verstimmung, Grübeln, Stimmungsschwankungen
- Misstrauen
Diagnostik
Situatives diagnostisches Vorgehen
Diagnostik bei Erstmanifestation psychotischer Symptome [1]
- Indikation
- Differenzialdiagnostik, u.a. Diagnostik zum Ausschluss einer organisch bedingten Psychose
- Erfassung somatischer Komorbiditäten
- Obligate Bestandteile
- Psychiatrische Anamnese und Erhebung des psychopathologischen Befundes
- Siehe auch: Exploration bei akuter Psychose
- Internistische Untersuchung und neurologische Untersuchung, inkl.
- Gewicht, Körpergröße
- Blutdruck, Puls
- Temperatur
- EKG
- Routinelabordiagnostik, siehe auch: Labordiagnostik in der Psychiatrie
- Urin-Drogenscreening
- cMRT
- Psychiatrische Anamnese und Erhebung des psychopathologischen Befundes
- Fakultative Bestandteile
- Bei Hinweisen auf eine somatische Genese der psychotischen Symptomatik
- Liquorpunktion
- Weitere Labordiagnostik
- CK
- Laborscreening auf entzündlich-rheumatische Erkrankungen
- Eisen- und Kupferstoffwechsel
- Vitamin B1, Vitamin B6 und Vitamin B12
- Infektionserkrankungen (u.a. Lues, HIV, Hepatitis)
- Bei V.a. auf epileptisches Geschehen oder Autoimmunenzephalitis: EEG
- Bei V.a. kognitive Defizite: Testpsychologische Verfahren mit Fokus auf
- Aufmerksamkeit und Konzentration
- Lernen und Gedächtnis
- Exekutivfunktionen
- Soziale Kognition
- Für weitere Informationen siehe auch: Psychologische Leistungsdiagnostik
- Bei Hinweisen auf eine somatische Genese der psychotischen Symptomatik
Diagnostik bei Remanifestation einer Schizophrenie
- Indikation: Bei Remanifestation einer Schizophrenie
- Bestandteile
- Psychiatrische Anamnese
- Internistische Untersuchung und neurologische Untersuchung, inkl.
- Gewicht, Körpergröße
- Blutdruck, Puls
- Temperatur
- EKG
- Routinelabordiagnostik, siehe auch: Labordiagnostik in der Psychiatrie
- Ggf. weitere Untersuchungen
- Bei entsprechendem Verdacht
- Zur Verlaufskontrolle zuvor festgestellter pathologischer Werte
- Zur Vervollständigung fehlender Befunde bei der Erstdiagnostik
Eine psychotische Symptomatik ist nicht primär „psychiatrisch“. Auch eine somatische Erkrankung kann als Ursache vorliegen und sollte unbedingt durch eine differenzierte Diagnostik abgeklärt werden!
Sofern keine vollständige Befunderhebung in der Erstdiagnostik stattgefunden hat, sollte dies möglichst nachgeholt werden! [1]
Hinweise auf eine somatische Genese der psychotischen Symptomatik [1]
- Akuter Beginn der Symptomatik
- Fieber, Exsikkose
- Selektive neurologische Ausfälle, Bewusstseinsstörungen, epileptische Anfälle
- Ausgeprägte kognitive Störungen
- Subakute Merkfähigkeitsstörungen als vorherrschendes Symptom
- Optische Halluzinationen
- Verwirrtheit
- Psychomotorische Störungen (inkl. Katatonie)
- Fluktuierende Symptomatik und Psychopathologie
- Frühe Therapieresistenz
Allgemeine Kriterien der Schizophrenie nach ICD-10
Diagnostische Kriterien einer Schizophrenie nach ICD-10 [10] | ||
---|---|---|
A | Dauer |
|
B | ≥1 Symptom |
|
Oder | ||
≥2 Symptome |
| |
C | Ausschlusskriterien |
|
Diagnostische Unterformen nach ICD-10
Paranoide Schizophrenie (F20.0)
- Häufigkeit: 65% der Fälle
- Diagnostische Kriterien [10]
- Allgemeine Kriterien der Schizophrenie nach ICD-10 treffen zu
- Vordergründige Klinik
- Wahnvorstellungen
- Akustische Halluzinationen , seltener Halluzinationen anderer Sinnesmodalitäten
- Erkrankungsbeginn: 25.–35. Lebensjahr [11]
- Prognose: Eher günstiger
Hebephrene Schizophrenie (F20.1)
- Häufigkeit: 15% der Fälle [11]
- Diagnostische Kriterien [10]
- Allgemeine Kriterien der Schizophrenie nach ICD-10 treffen zu
- Vordergründige Klinik (Hebephrenie) : Jeweils eines der folgenden Symptome muss zutreffen
- Affektverflachung oder inadäquater Affekt
- Desorganisiertes Verhalten, Denkzerfahrenheit oder umständliches Denken
- Erkrankungsbeginn: 15.–25. Lebensjahr
- Prognose: Ungünstigere Prognose mit häufigerer Chronifizierung
Katatone Schizophrenie (F20.2)
- Häufigkeit [11]
- 2–8% der Fälle
- Insg. rückläufige Tendenz
- Diagnostische Kriterien [10]
- Allgemeine Kriterien der Schizophrenie nach ICD-10 treffen zu
- Vordergründige Klinik
- Psychomotorische Störungen im Sinne katatoner Symptome: Bspw. Stupor oder Mutismus, katatone Erregung, Katalepsie, Flexibilitas cerea, Haltungsstereotypien, Befehlsautomatie oder Negativismus
- Dauer: Mind. 2 Wochen lang ≥1 Symptom
- Prognose: Eher günstiger
Weitere Schizophrenieformen [1][3][10]
- Undifferenzierte Schizophrenie (F20.3)
- Diagnostische Kriterien: Allgemeine Kriterien einer Schizophrenie nach ICD-10 treffen zu und
- Kriterien anderer Unterformen (paranoide Schizophrenie, hebephrene Schizophrenie, katatone Schizophrenie) werden nicht erfüllt oder
- Kriterien mehrerer dieser Unterformen werden erfüllt, ohne dass die Kriterien einer Unterform stark überwiegen
- Diagnostische Kriterien: Allgemeine Kriterien einer Schizophrenie nach ICD-10 treffen zu und
- Postschizophrene Depression (F20.4)
- Diagnostische Kriterien
- Allgemeine Kriterien der Schizophrenie nach ICD-10 wurden innerhalb der letzten 12 Monate erfüllt, zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht mehr
- Mind. 1 schizophrenes Symptom muss noch vorhanden sein
- Diagnosekriterien einer unipolaren depressiven Episode werden erfüllt und dominieren das Krankheitsbild
- Schwierigkeiten: Abgrenzung depressiver Symptome von Negativsymptomen und medikamentösen Nebenwirkungen der antipsychotischen Therapie
- Komplikation: Erhöhtes Suizidrisiko
- Diagnostische Kriterien
- Schizophrenes Residuum (F20.5)
- Diagnostische Kriterien
- Allgemeine Kriterien der Schizophrenie nach ICD-10 wurden innerhalb der letzten 12 Monate erfüllt, zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht mehr
- Vordergründig mind. 4 Negativsymptome innerhalb der letzten 12 Monate
- Verlauf
- Beim Übergang von akut-psychotischen Episoden zur vollständigen Remission oder
- Chronisch über Jahre hinweg
- Diagnostische Kriterien
- Schizophrenia simplex (F20.6)
- Diagnostische Kriterien: Progrediente Negativsymptomatik über mind. 12 Monate ohne vorherige Positivsymptomatik
- Persönlichkeitsveränderungen mit Antriebs- und Interessenverlust, nutzlosem Verhalten und sozialem Rückzug
- Negativsymptomatik: Affektverflachung, Sprachverarmung, Apathie, passives Verhalten, verminderte nonverbale Kommunikation etc.
- Positivsymptomatik (Halluzinationen, Wahn, Ich-Störungen) im Verlauf möglich, fehlt jedoch i.d.R.
- Diagnostische Kriterien: Progrediente Negativsymptomatik über mind. 12 Monate ohne vorherige Positivsymptomatik
- Sonstige Schizophrenie (F20.8)
- Zönästhetische Schizophrenie: Im Vordergrund stehen Zönästhesien
ICD-11
In der ICD-11 wird die Schizophrenie im Kapitel „Schizophrenie oder andere primäre psychotische Störungen“ kodiert.
- Wesentliche Änderungen [12]
- Klinische Subtypen entfallen
- Katatonie wird eigenständig gelistet
- Einteilung nach Verlauf
- Erste Episode / mehrfache Episoden / kontinuierlich
- Gegenwärtig symptomatisch / in Teilremission / in Vollremission
- Zusätzliche Kodierung von Symptomspezifikatoren möglich
- Klinische Subtypen entfallen
- Mehr Informationen zur ICD-11 (deutsche Entwurfsfassung) unter: Tipps & Links
Exkurs: Katatonie
Bei der Katatonie handelt es sich um ein komplexes neuropsychiatrisches Syndrom bestehend aus psychomotorischen und affektiven Störungen sowie Verhaltensstörungen.
Epidemiologie [13][14]
- Prävalenz im stationären psychiatrischen Setting: 5–18%
- 59% der Fälle bleiben unterdiagnostiziert, davon wiederum werden 37% nicht adäquat therapiert
Ätiologie [15]
- Mögliches Symptom vieler verschiedener Erkrankungen
- Siehe auch: Vorkommen katatoner Symptome
- Vermutete Störung des zentralen Neurotransmittersystems und Dysfunktion des basalgangliothalamisch-kortikalen Netzwerkes [13]
- Unterfunktion des dopaminergen Systems
- Verminderte GABA-A-Aktivität
- Unterfunktion des glutamatergen Systems (NMDA-Rezeptor-Unterfunktion)
Klinik [15]
- Insg. vielfältige Symptomatik mit häufig fluktuierendem Verlauf
Motorische Störungen [16]
Hypophänomene
- Reduzierte Lidschlagfrequenz (Starren)
- Motorische Hemmung
- Stupor, Akinese
- Sperrung: Plötzlicher Abbruch des Bewegungsablaufes ohne nachvollziehbaren Grund
- Negativismus: Verweigerung von Handlungen, zu denen aufgefordert wurde
- Katalepsie ≈ Haltungserstarren
- Passiv vorgegebene, selbst unangenehme Körperhaltungen werden über einen abnorm langen Zeitraum nicht verändert
- Häufig in Kombination mit Flexibilitas cerea (lat. für „wächserne Biegsamkeit“): Bei passiver Bewegung durch die untersuchende Person fällt eine wächserne, zähe Beweglichkeit der Gliedmaßen auf
-
Haltungsstereotypie
- Spontanes Einnehmen von und Verharren in bestimmten Haltungen über einen abnorm langen Zeitraum
- Im Gegensatz zur Katalepsie keine Veränderung der Haltung durch äußere Versuche möglich [17]
- Beispiel: Oreiller psychique (franz. für „psychisches Kopfkissen“): Nach Wegziehen des Kopfkissens bleibt der Kopf der betroffenen Person unverändert in seiner Position und schwebt förmlich in der Luft [18]
Hyperphänomene
- Erhöhte Lidschlagfrequenz (Blinzeln)
- Psychomotorische Erregung
- Nesteln
- Bewegungsstereotypien: Repetitive Bewegungen, die keinerlei Funktion erfüllen und teilweise mit rhythmischem Charakter auftreten (Iterationen)
- Manierismen
- Grimassieren
- Automatismen: Verhaltensweisen, die ohne erkennbare willentliche Kontrolle durchgeführt werden
- Befehlsautomatie
- Anstoßautomatie
- Nachahmungsautomatie (Echopraxie, Echolalie)
- Katatone Erregung: Nicht-zielgerichtete Unruhe mit unkontrollierten Bewegungen und sprachlichen Äußerungen
- Raptus: Abrupter Wechsel von psychomotorischen Hypophänomenen zu einem Zustand ausgeprägter psychomotorischer Erregung, mitunter mit impulsiver und unkontrollierbarer Aggression (Erregungssturm)
Katatone Sprachstörungen
- Mutismus
- Murmeln
- Verbigeration
- Echolalie
- Parakinetische Sprache
- Manierierte Sprache
Katatone Affektstörungen
- Ausgeprägtes Angsterleben
- Affektverflachung
- Affektinkontinenz
- Aggressivität bis hin zum Erregungssturm
Bei einer Katatonie kann es zu einem Raptus kommen, d.h. einem abrupten Wechsel von psychomotorischen Hypophänomenen zu einem Zustand ausgeprägter psychomotorischer Erregung, der mit impulsiver und unkontrollierbarer Aggression einhergehen kann!
Diagnostik der Katatonie [13][15][16]
Um den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu stärken, sollte das diagnostische Vorgehen behutsam und wiederholt mit den Betroffenen thematisiert werden.
- Somatische Anamnese/psychiatrische Anamnese und Erhebung des psychopathologischen Befundes
- Insb. Fremdanamnese mit Medikamentenanamnese zur Abgrenzung eines malignen neuroleptischen Syndroms
- Beurteilung der Eigengefährdung, insb. Suizidalität (siehe auch: Suizidanamnese, Hauptrisikofaktoren für Suizidalität) und Einschätzen der Fremdgefährdung
- Internistische Untersuchung und neurologische Untersuchung, inkl.
- Temperatur
- Labordiagnostik
- Routinelabordiagnostik (siehe auch: Labordiagnostik in der Psychiatrie)
- HIV-, Hepatitis- und Syphilis-Diagnostik
- Befunde: CK↑, Serumeisen↓, Leukozytose
- Weitere apparative Diagnostik: EKG, EEG, cCT
- Je nach Befundlage oder Verdacht weitere Diagnostik, bspw.
- Blut-, Harn- oder Sputumkulturen
- Röntgen-Thorax
- Liquordiagnostik
- Unterstützend: Standardisierte Fragebögen zur Erfassung katatoner Symptome [19]
Stuporöse Patient:innen sind kaum in der Lage zu kommunizieren, sie verstehen jedoch alles und können sich nach Abklingen der Symptomatik meistens an alles erinnern! Obwohl man es ihnen nicht ansieht, können sie stark erregt oder ängstlich sein. Ein behutsamer Umgang ist hier gefordert! [15]
Diagnostische Kriterien [10]
- Nach ICD-10
- Diagnostische Kriterien der katatonen Schizophrenie, siehe: Katatone Schizophrenie
- Diagnostische Kriterien der organischen katatonen Störung (F06.1), siehe: Allgemeine Diagnosekriterien (F06) und Organische katatone Störung
- Nach ICD-11
Differenzialdiagnostik [13]
- Malignes neuroleptisches Syndrom (MNS)
- Delir
- Serotonerges Syndrom
- Autoimmunenzephalopathie (bspw. Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis)
- Syndrom der reaktionslosen Wachheit (Wachkoma)
- Neurodegenerative Erkrankungen: Demenz, Morbus Parkinson
Vorkommen katatoner Symptome [15]
- Mögliches Symptom verschiedener psychiatrischer, neurologischer und internistischer Grunderkrankungen, bspw.
- Schizophrenien
- Affektive Störungen
- Autismus-Spektrum-Störungen
- Intoxikationen (Drogen, Kohlenstoffmonoxid, Strychnin, Medikamente)
- Enzephalopathien
- Endokrinologische Erkrankungen (Hyperparathyreoidismus, Morbus Addison)
- Elektrolytstörungen
Das erstmalige Auftreten katatoner Symptome, insb. bei einem sonst unauffälligen psychopathologischen Befund erfordert immer ein multidisziplinäres differenzialdiagnostisches Vorgehen!
Therapie
Allgemeine Therapiemaßnahmen bei Katatonie [15]
- Reizarme Umgebung, empathische Kommunikation und Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung
- Reduzierung von Ängsten und Anspannung
- Vermeidung von Zwangsmaßnahmen
- Überwachung von Puls, Blutdruck, Temperatur, Sauerstoffsättigung und Bewusstsein
- Ggf. Pneumonie-, Thromboembolie- und/oder Dekubitusprophylaxe
- Ggf. parenteraler Flüssigkeits- und Elektrolytausgleich sowie künstliche Ernährung
- Im Falle eines Raptus (Erregungssturm) siehe: Vorgehen bei fremdaggressivem Verhalten - AMBOSS-SOP
Therapeutisch steht bei der Katatonie die Reduzierung von Ängsten und Anspannung im Vordergrund!
Pharmakotherapie der Katatonie [20]
Pharmakotherapie von Stupor und Katatonie bei unbekannter Ursache
- Voraussetzung: Ausschluss somatischer Ursachen inkl. Intoxikationen
- Therapie der 1. Wahl: Benzodiazepine
- Mittel der Wahl: Therapieversuch mit Lorazepam p.o. oder Lorazepam i.v. [21]
- Alternativ bei Non-Response auf Lorazepam (Off-Label Use): Diazepam i.v. [22]
- Therapie der 2. Wahl: Bei Non-Response auf Benzodiazepine
- EKT (nach Ausschluss einer Enzephalitis) oder
- Haloperidol (nach Ausschluss eines MNS und einer Enzephalitis) p.o. oder i.m. [23]
Pharmakotherapie der Katatonie bei Schizophrenie [20]
- Voraussetzung: Ausschluss somatischer Ursachen inkl. Intoxikationen
- Therapie der 1. Wahl: Therapieversuch mit Lorazepam p.o. oder Lorazepam i.v. [20][21]
- Nach erfolgreicher Auflösung der Katatonie, auftretender florider psychotischer Symptomatik und nach Ausschluss eines MNS: Antipsychotika, bevorzugt atypische Antipsychotika, bspw. Olanzapin p.o. [24]
- Therapie der 2. Wahl: Bei Non-Response auf Benzodiazepine
- Antipsychotika (nach Ausschluss eines MNS), bevorzugt Haloperidol p.o. oder Haloperidol i.m. [23]
- EKT, ggf. in Kombination mit Benzodiazepin-Gabe
Pharmakotherapie bei organisch katatoner Störung [20]
- Therapie der Grunderkrankung
- Bei psychotischen Symptomen (nach Ausschluss eines MNS): Ggf. Antipsychotika p.o. oder i.m.
- Bevorzugt Haloperidol, alternativ atypische Antipsychotika
- Ggf. Lorazepam (wegen des Risikos für Delir, Sedierung und Atemdepression erst nach Ausschluss von Enzephalitis, Intoxikation, Hirndruck etc.)
- Antidot Flumazenil bereithalten!
- Bei medikamentöser Non-Response: EKT
Die Gabe von Antipsychotika sollte nur erfolgen, wenn ein malignes neuroleptisches Syndrom sicher ausgeschlossen ist!
Komplikation: Perniziöse Katatonie
Bei der sehr seltenen perniziösen Katatonie handelt es sich um einen lebensbedrohlichen Zustand.
- Symptome
- Symptome der Katatonie mit ausgeprägtem Stupor
- Zusätzlich Fieber und autonome Dysregulation
- Diagnostik
- Diagnostik der Katatonie mit Fokus auf einen möglichen ursächlichen Infekt
- Laborbefunde: CK↑, Leberenzyme↑, LDH↑, Leukozytose, Thrombozytose, Myoglobinurie, Elektrolytstörungen , Serumeisen↓
- Wichtige Differenzialdiagnosen: Malignes neuroleptisches Syndrom
- Therapie: I.d.R. intensivmedizinisches Setting [15] [2]
- Voraussetzung: Ausschluss somatischer Ursachen inkl. Intoxikationen
- Therapie der 1. Wahl
-
Lorazepam p.o. oder Lorazepam i.v. [20][21]
- Alternativ bei Non-Response auf Lorazepam (Off-Label Use): Diazepam i.v. [20][22]
- Oder Haloperidol (nach Ausschluss eines MNS und einer Enzephalitis) p.o. oder i.m. [23]
- Nach kurzfristiger, nicht erfolgreicher Gabe von Benzodiazepinen und Antipsychotika: EKT (nach Ausschluss einer Enzephalitis)
- Zusätzlich
- Kühlung
- Großzügige Flüssigkeitszufuhr
- Forcierte alkalische Diurese mittels Furosemid, Mannitol und Bicarbonat
-
Lorazepam p.o. oder Lorazepam i.v. [20][21]
- Für allgemeine Maßnahmen siehe: Allgemeine Therapiemaßnahmen bei Katatonie
- Komplikationen: Rhabdomyolyse, akute Nierenschädigung, Aspirationspneumonie, Thromboembolien, Dekubitus, delirante Verläufe, Koma
Katatones Dilemma: Differenzialdiagnostisch sind ein MNS und eine perniziöse Katatonie nur schwer voneinander abzugrenzen. Bei der perniziösen Katatonie kommt die therapeutische Gabe eines Antipsychotikums in Frage, während beim MNS das sofortige Absetzen dieser Medikamente erforderlich ist!
Ist nicht klar, ob ein MNS oder eine perniziöse Katatonie vorliegt, sollte neben einer intensivmedizinischen Überwachung pharmakologisch die alleinige Gabe von Benzodiazepinen erfolgen!
Komorbiditäten
- Psychische Störungen [1][2]
- Substanzmissbrauch/-abhängigkeit (insb. Cannabis, Alkohol und Tabak) [1]
- Angststörungen
- Schlafstörungen
- Posttraumatische Belastungsstörung
- Zwangsstörungen
- Depression
- Somatische Störungen , bspw. [1][3]
- Metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen : Arterielle Hypertonie, Myokardinfarkt, Schlaganfall, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus Typ 2, Adipositas etc.
- Pulmonale Erkrankungen
- Infektionskrankheiten
- Gastrointestinale Erkrankungen
- Schlechter Zahnstatus
- Krebserkrankungen (bspw. Bronchial-, Mamma-, Kolon- und Leberkarzinom)
Das Risiko somatischer Komorbiditäten ist bei der Schizophrenie signifikant erhöht!
Differenzialdiagnosen
Einer psychotischen Symptomatik können neben einer Schizophrenie eine Vielzahl weiterer somatischer, psychiatrischer und pharmakologischer Ursachen zugrunde liegen. Im Folgenden aufgeführt sind beispielhafte, wichtige Ursachen ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Psychiatrische Differenzialdiagnosen [25]
Nicht-organische Störungen [1]
Schizotype Störung (schizotype Persönlichkeit, schizotype Persönlichkeitsstörung, F21) [10]
- Definition: Psychische Störung mit exzentrischem Verhalten, paranoid bizarren Ideen und Anomalien des Denkens, die auf Dritte schizophren wirken
- Diagnostische Kriterien
- Allgemeine Kriterien der Schizophrenie nach ICD-10 treffen nicht zu
- Mind. 4 der folgenden Symptome wurden innerhalb der letzten 24 Monate beobachtet: Inadäquater Affekt (kühl, unnahbar), exzentrisches und bizarres Verhalten und Aussehen, soziale Rückzugstendenzen, sonderbare Glaubensinhalte und magisches Denken, Misstrauen und paranoide Ideen, Grübeln, ungewöhnliche Wahrnehmungen (bspw. Körpergefühlsstörungen), umständliches Denken und seltsame Sprache, psychose-ähnliche Episoden mit Wahnideen und Sinnestäuschungen (selbstlimitierend)
Wahnhafte Störung (F22.0) [10]
- Definition: Psychische Störung mit langandauerndem Wahn als einziges oder deutlich im Vordergrund stehendes Symptom
- Diagnostische Kriterien
- Allgemeine Kriterien der Schizophrenie nach ICD-10 treffen nicht zu
- Wahn als Hauptkriterium seit mind. 3 Monaten: Der Wahn ist selten durch paranoide und bizarre Eigenschaften charakterisiert, typischer sind Wahnsysteme (systematisierter Wahn), bei denen zahlreiche aktuelle Lebensereignisse miteinander verknüpft sind
- Keine anhaltenden Sinnestäuschungen
- Ausschlusskriterien: Nachweis einer organisch (F0X) oder durch psychotrope Substanzen bedingten psychischen Störung (F1x.5)
Akute vorübergehende psychotische Störung (F23) [10]
- Definition: Akute Entwicklung einer psychotischen Störung (≤2 Wochen) mit ebenso rascher Rückbildung ohne Nachweis einer organischen Ursache
- Allgemeine Kriterien für eine akute vorübergehende psychotische Störung
- Akuter Beginn von Wahnphänomenen und Wahrnehmungsstörungen (z.B. Halluzinationen) sowie unverständlicher/zerfahrener Sprache ≤2 Wochen
- Bewusstseinsstörungen können vorkommen, jedoch nicht so ausgeprägt wie bei einem Delir
- Ausschlusskriterien
- Kriterien einer manischen (F30), depressiven (F32) oder rezidivierenden depressiven (F33) Störung werden erfüllt
- Nachweis von Intoxikation (F1x.0), schädlicher Gebrauch (F1x.1), Abhängigkeits- (F1x.2) oder Entzugssyndrom (F1x.3 und F1x.4) psychotroper Substanzen
- Nachweis einer organisch bedingten psychischen (F0) oder schweren metabolischen Störung, die das ZNS betrifft (ausgenommen Geburt und Wochenbett)
- Therapie: Therapie mit Antipsychotika führt i.d.R. zu einem raschen Sistieren der Symptomatik [20]
- Unterformen mit ihren diagnostischen Kriterien
- Akute polymorphe psychotische Störung
- Ohne Symptome einer Schizophrenie (F23.0)
- Allgemeine Kriterien für eine akute vorübergehende psychotische Störung treffen zu
- Symptomatik wechselt rasch in Art und Schwere sowie innerhalb weniger Stunden und Tage
- Halluzinationen und Wahnideen bestehen mind. einige Stunden lang
- Mind. 2 der folgenden zusätzlichen Symptome: Emotionale Aufgewühltheit mit Glücksgefühlen oder ausgeprägte Angst/Reizbarkeit, Ratlosigkeit oder Verkennung von Personen/Orten, Steigerung oder Minderung der Motilität
- Schizophrene Symptome wenn überhaupt nur sehr kurz und zu Beginn
- Dauer <3 Monate
- Mit Symptomen einer Schizophrenie (F23.1)
- Kriterien 1–4 der akut polymorph psychotischen Störung ohne Symptome einer Schizophrenie (F23.0) treffen zu
- Mind. 1 schizophrenes Symptom muss während der größten Zeitspanne vorhanden sein und darf nicht länger als 1 Monat anhalten
- Ohne Symptome einer Schizophrenie (F23.0)
- Akute schizophreniforme psychotische Störung (F23.2)
- Allgemeine Kriterien für eine akute vorübergehende psychotische Störung treffen zu
- Allgemeine Kriterien der Schizophrenie nach ICD-10 treffen zu (außer Zeitkriterium)
- Kriterium 2, 3, und 4 der akut polymorph psychotischen Störung trifft nicht zu
- Dauer <1 Monat
- Akute polymorphe psychotische Störung
Induzierte wahnhafte Störung (Folie à deux, F24) [10]
- Definition: Wahnhafte Störung, die zwei Personen betrifft, die in einem engen emotionalen Verhältnis zueinander stehen
- Diagnostische Kriterien
- Eine der beiden Personen leidet unter einer psychotischen Störung (F20–23), meist mit Wahnvorstellungen
- Symbiontischer Wahn: Die andere Person entwickelt Wahnvorstellungen, die sie vor Kontakt mit der erkrankten Person nicht hatte
- Die andere Person litt in der Vergangenheit nicht an einer psychotischen Störung (F20–23)
- Beide Personen haben eine sehr enge Beziehung zueinander und leben isoliert von anderen Menschen
Schizoaffektive Störung (F25) [10]
- Definition: Episodisch auftretende Störung mit schizophrener und affektiver Symptomatik
- Diagnostische Kriterien
- Kriterien einer affektiven Störung (F30, F31, F32) werden erfüllt (mittelgradig oder schwer)
- Mind. 1 schizophrenes Symptom über mind. 2 Wochen: Ich-Störungen, Wahn, Halluzinationen jeder Sinnesmodalität (insb. akustisch), formale Denkstörungen, katatone Symptome
- Affektive Störung und schizophrene Symptome treten gleichzeitig oder nur wenige Tage getrennt voneinander auf
- Ausschlusskriterien: Kriterien einer organischen psychischen (F0) und/oder psychischen Störung und Verhaltensstörung durch psychotrope Substanzen (F1) werden erfüllt
- Problematik: Klare Abgrenzung zur wahnhaften Manie/Depression, bei der die affektive Störung im Vordergrund steht und Wahnsymptome begleitend sind, ist oft schwierig
- Hilfreich kann die Betrachtung des Wahns sein: Ein synthymer Wahn spricht eher für eine schwere Depression/Manie, ein parathymer Wahn hingegen für eine schizoaffektive Psychose!
- Therapie [12]
- Akuttherapie: Symptomorientiert
- 1. Wahl: Antipsychotika und/oder
- Ggf. Stimmungsstabilisierer, Antidepressiva
- Ggf. Benzodiazepine
- Langzeittherapie: Rezidivprophylaxe
- 1. Wahl: Antipsychotika
- Ggf. Stimmungsstabilisierer
- Akuttherapie: Symptomorientiert
Die Datenlage zur Therapie schizoaffektiver Störungen ist insgesamt eher unzureichend!
In Deutschland sind nur Paliperidon (oral) und Lithium zur Behandlung der schizoaffektiven Störung zugelassen!
Weitere
- Substanzinduzierte Psychosen, bspw. durch Konsum von [1][25]
- Alkohol (Alkoholdelir)
- Cannabinoide
- Amphetamine
- Halluzinogene (u.a. Psilocybin, LSD, Meskalin)
- Kokain
- Neue psychoaktive Stoffe (NPS)
- Barbiturate
- Organische Lösungsmittel
- Opioide
- Schwangerschaftspsychose, Postpartale Psychose
- Depression mit psychotischen Symptomen
- Manie mit psychotischen Symptomen
- Persönlichkeitsstörungen (insb. paranoide und schizoide)
Organische psychische Störungen
- Demenz
- Delir inkl. Entzugsdelir (Alkoholentzugsdelir, Benzodiazepinentzugsdelir)
Nicht-psychiatrische Differenzialdiagnosen
Überblick
- Medikamenteninduzierte Psychosen, bspw. durch Antiparkinsonmittel, Antidepressiva
- Somatische Ursachen, bspw. entzündliche/infektiöse ZNS-Erkrankungen, Endokrinopathien
Medikamenteninduzierte Psychosen [1][25]
Eine Vielzahl an Medikamenten kann eine psychotische Symptomatik induzieren, sodass bei jeder akuten psychotischen Symptomatik immer ein Medikationscheck durchgeführt werden sollte. Im Folgenden findet sich eine Auswahl dieser Medikamente.
- Antiparkinsonmittel, u.a. L-Dopa, Dopa-Decarboxylase-Hemmer (Benserazid, Carbidopa), COMT-Hemmer
- Antidepressiva: MAO-Hemmer, Bupropion
- Kardiovaskulär wirksame Medikamente: Digoxin, Clonidin, Methyldopa, Betablocker, ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorblocker, Calciumkanalblocker
- Gastroenterologisch wirksame Medikamente: Metoclopramid, H2-Antihistaminika, Pantoprazol
- Hormonpräparate: L-Thyroxin, orale Kontrazeptiva, Steroide
- Analgetika: Nicht-steroidale Antirheumatika, Opioide
- Antibiotika und Virostatika: U.a. Sulfonamide, Chinolone, Clarithromycin, Amoxicillin, Metronidazol, Chloroquin, Isoniazid, Aciclovir
- Immunsuppressiva und Immunmodulatoren: Corticosteroide, Methotrexat, Vincristin, Ifosfamid, Cyclosporine, 5-Fluorouracil, Cisplatin, Doxorubicin, Cyclophosphamid
- Stimulanzien: Atomoxetin, Methylphenidat
- β2-Sympathomimetika: Clenbuterol, Fenoterol, Salbutamol
- Triptane
- Anticholinergika
- Diuretika
- Statine
- Anfallssuppressiva [26]
Ein Medikationscheck ist obligat bei jeder neu aufgetretenen psychotischen Symptomatik!
Somatische Differenzialdiagnosen [1][25]
Erkrankungen des ZNS
- Entzündliche/infektiöse ZNS-Erkrankungen, bspw. Enzephalitis
- Zerebrale Gefäßerkrankungen, bspw. Hirninfarkt, Vaskulitiden
- Alkoholbedingte Störungen, bspw. Alkoholhalluzinose, Wernicke-Enzephalopathie
- Neurodegenerative Erkrankungen, bspw. Morbus Parkinson
- Weitere: Epilepsie, Schädel-Hirn-Trauma, zerebrale Raumforderungen
Internistische Erkrankungen
- Elektrolytverschiebungen
- Stoffwechselstörungen, bspw. Hypothyreose oder Hyperthyreose
- Weitere: U.a. Exsikkose, hepatische Enzephalopathie, Vitamin-B12-Mangel, Morbus Wilson
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemein [1]
- Behandlungsziel: Ein von der schizophrenen Symptomatik weitestgehend unabhängiges Leben in Selbstbestimmung (Recovery) [20]
- Symptomreduktion, bzw. Symptomfreiheit
- Vermeidung von Rezidiven und Hospitalisierung
- Setting: Möglichst ambulant und wohnortnah (unabhängig von der Krankheitsphase)
- Gründe, die für eine stationäre Behandlung sprechen, bspw. [11]
- Selbst- oder Fremdgefährdung
- Ausgeprägte Wahn- oder Angstzustände
- Familiäre Konflikte bzw. konfliktbehaftete Wohnsituation
- Starke Antriebshemmung
- Unzureichende Selbstversorgung (Ernährung, Pflege)
- Schwere Begleiterkrankungen
- Gründe, die für eine stationäre Behandlung sprechen, bspw. [11]
- Vorgehen
- Multiprofessionell und mehrdimensional
- Hohes Maß fachlicher und menschlicher Kompetenz erforderlich (Aufbau einer tragfähigen Arzt-Patient-Beziehung)
- Partizipative Entscheidungsfindung und Vermeidung von Zwangsmaßnahmen, wenn immer möglich [1][27]
- Integration in einen Gesamtbehandlungsplan
- Möglichst frühzeitige antipsychotische Therapie
- Ggf. Erstellung einer Behandlungsvereinbarung
- Zum Vorgehen bei akuten Psychosen siehe auch: Vorgehen bei akuten Psychosen - AMBOSS-SOP
- Zum Vorgehen bei fremdaggressivem Verhalten siehe: Vorgehen bei fremdaggressivem Verhalten - AMBOSS-SOP
Überblick über Therapiemaßnahmen
Medikamentöse Therapie
- Antipsychotische Therapie
- Orale Monotherapie in möglichst niedriger Dosierung bevorzugen
- I.d.R. keine Priorisierung einzelner Substanzen bzw. Substanzklassen, sondern Orientierung am Nebenwirkungsprofil und den Wünschen der Betroffenen [20]
- Bei Therapieresistenz: Umstellung auf Clozapin
- Für weiterführende Informationen
- Zur antipsychotischen Therapie siehe: Medikamentöse Therapie der Schizophrenie
- Zu Wirkung und Nebenwirkungen von Antipsychotika siehe: Antipsychotika
- Therapie von Begleitsymptomen und komorbiden Störungen
- Erregungszustände, Ängste, innere Unruhe, akute Suizidalität und Katatonie: Benzodiazepine, bspw. Lorazepam
- Schlafstörungen: Primär Wahl eines atypischen Antipsychotikums mit hoher sedierender Komponente, bspw. Quetiapin
- Depressionen: Primär Wahl eines Antipsychotikums mit hoher antidepressiver Komponente, bspw. Quetiapin
- Für weiterführende Informationen siehe: Therapie von Begleitsymptomen und komorbiden Störungen bei Schizophrenie
Nicht-medikamentöse Therapie
- Psychotherapeutische und psychosoziale Verfahren
- Psychoedukation
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
- Metakognitives Training (MKT)
- Familienfokussierte Interventionen
- Training sozialer Kompetenz
- Kognitive Remediation
- Weitere: Ergotherapie, Sport- und Bewegungstherapie, Musiktherapie, Kunsttherapie, Soziotherapie
- Nicht-invasive Stimulationsverfahren
Die Therapie erfolgt multiprofessionell unter partizipativer Entscheidungsfindung, phasenspezifisch und integriert in einen Gesamtbehandlungsplan!
Zusammengefasst empfehlen sich eine frühzeitige medikamentöse Akutbehandlung, eine konsequente Rückfallprophylaxe, eine Psycho- und Soziotherapie sowie die soziale Wiedereingliederung!
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie sollte immer gemeinsam mit psychotherapeutischen und -sozialen Maßnahmen erfolgen. Wichtig ist dabei die vorherige Aufklärung der Betroffenen über Wirkungen und Nebenwirkungen der jeweiligen Medikamente sowie die Durchführung einiger Routineuntersuchungen (Labordiagnostik, EKG etc.). Medikamentöse Zwangsbehandlungen sind möglichst zu vermeiden.
Antipsychotische Therapie [1]
Wahl des Antipsychotikums
- Monotherapie bevorzugen
- Individuell abstimmen unter Beachtung von [1]
- Klinischem Erscheinungsbild
- Vor- bzw. Nachteilen des jeweiligen Antipsychotikums, insb. Nebenwirkungsprofil
- Bisherigen Erfahrungen der Betroffenen mit Antipsychotika
- Individuellem Risikoprofil
- Wünschen der Betroffenen
- Ggf. Behandlungsvereinbarungen
- I.d.R. keine Priorisierung einzelner Substanzen bzw. Substanzklassen [20], Ausnahmen bei
- Vorwiegender Negativsymptomatik [1]
-
Amisulprid in geringer Dosierung oder Olanzapin
- Bei nicht ausreichendem Ansprechen: Kombination mit Antidepressiva (Mirtazapin, SSRI) [20]
- Ggf. Cariprazin [20][28]
-
Amisulprid in geringer Dosierung oder Olanzapin
-
Katatonie: Antipsychotikum mit geringem Risiko für die Entstehung eines malignen neuroleptischen Syndroms [29]
- Zur primären Vorgehensweise bei der Behandlung katatoner Symptome siehe: Pharmakotherapie der Katatonie bei Schizophrenie
- Komorbiden Störungen und Begleitsymptomen, siehe: Therapie von Begleitsymptomen und komorbiden Störungen bei Schizophrenie
- Unverträglichkeit oder ausbleibendem Therapieerfolg, siehe: Vorgehen bei Unverträglichkeit oder ausbleibendem Therapieerfolg einer Antipsychotikatherapie
- Älteren Patient:innen (> 65 Jahre) [1]
- 1. Wahl: Risperidon
- 2. Wahl: Quetiapin, Olanzapin, Aripiprazol
- Vorwiegender Negativsymptomatik [1]
Dosierung und Applikationsform
- Dosierung: Möglichst niedrig
- Niedrigste Einstiegsdosis, langsame Steigerung
- Individuelle Dosierung je nach Risiko-Nutzen-Abwägung
- Häufig niedrigere Dosierungen notwendig bei Erstmanifestation , höherem Lebensalter und weiblichem Geschlecht
- Bei Rezidiv mit akuter, schwerer Symptomatik: Sofortiger Behandlungsbeginn mit höherer Einstiegsdosis und relativ rascher Aufdosierung
- Ausreichendes Abwarten nach relevanter Dosissteigerung, ggf. für 2–4 Wochen
- Stetige Risiko-Nutzen-Abwägung und ggf. Dosisreduktion
- Applikationsform: Bevorzugt oral
Es ist eine orale antipsychotische Monotherapie in möglichst niedriger Dosierung zu bevorzugen!
Notwendige Maßnahmen im Verlauf der Behandlung
- Vor Beginn
- Ausführliche Aufklärung über Wirkungen von Antipsychotika und Nebenwirkungen von Antipsychotika
- Kontrolluntersuchungen (siehe auch: Kontrolluntersuchungen bei Antipsychotika-Gabe)
- Während der Behandlung
- Ggf. Spiegelkontrollen [1]
- Regelmäßige Kontrolluntersuchungen, siehe auch: Kontrolluntersuchungen bei Antipsychotika-Gabe
- Regelmäßige Überprüfung des Therapieansprechens über Beurteilung des psychopathologischen Befundes [1]
- Mittels störungsspezifischer Skala, bspw. Positive and negative Syndrome Scale (PANSS)
Vorgehen bei Unverträglichkeit oder ausbleibendem Therapieerfolg einer Antipsychotikatherapie [1][20]
- Bei Unverträglichkeit: Wechsel auf ein Antipsychotikum mit anderem Nebenwirkungsprofil
- Siehe hierzu: Nebenwirkungen von Antipsychotika
- Bei ausbleibendem Therapieerfolg
- Vor Medikamentenwechsel oder Diagnose einer medikamentösen Therapieresistenz: Ausschluss einer sog. Pseudotherapieresistenz
- Wurde die richtige Diagnose gestellt?
- Wurde das Medikament in ausreichender Dauer und Dosierung verabreicht?
- Wurden die Medikamente wirklich eingenommen?
- Liegen Nebenwirkungen vor, die evtl. eine erfolgreiche Therapie maskieren oder beeinträchtigen?
- Bestehen andere Stressoren oder Drogenkonsum?
- Bei Non-Response [3][20]: Wechsel auf ein Antipsychotikum mit anderem Rezeptorbindungssprofil
- Siehe hierzu: Rezeptorbindungsprofile der Antipsychotika
- Vor Medikamentenwechsel oder Diagnose einer medikamentösen Therapieresistenz: Ausschluss einer sog. Pseudotherapieresistenz
- Bei Therapieresistenz
- Umstellung auf Clozapin [1] [1][20] mit angestrebtem Plasmaspiegel von mind. 350 ng/mL [20][30], jedoch innerhalb des zugelassenen Referenzbereiches
- Bei Unverträglichkeit oder Ablehnung von Clozapin: Umstellung auf Olanzapin oder Risperidon [1]
- Bei erfolgloser Monotherapie mit 3 verschiedenen Antipsychotika (einschließlich Clozapin): Kombinationsbehandlung mit 2 Antipsychotika
- Nicht-invasive Stimulationsverfahren (zusätzlich zur medikamentösen Therapie) [1]
- Bei andauernden akustischen Halluzinationen: Inhibition des linken Temporallappens mittels niederfrequenter rTMS (1 Hz)
- Bei persistierenden Negativsymptomen: Aktivierung des linken dorsolateralen präfrontalen Kortex mittels hochfrequenter rTMS (10/20 Hz)
- Ultima Ratio: EKT
- Nicht empfohlen: Hochdosisbehandlung (Off-Label Use)
- In Einzelfällen jedoch möglich [1][20]
- Nicht im Regelfall anzuwenden, Off-Label Use: Augmentationsbehandlung mit Carbamazepin , Lithium, Valproat, Lamotrigin [20]
- Umstellung auf Clozapin [1] [1][20] mit angestrebtem Plasmaspiegel von mind. 350 ng/mL [20][30], jedoch innerhalb des zugelassenen Referenzbereiches
- Art der Umstellung
- Möglichst schrittweise Umstellung der Medikation: Cross-Taper oder Overlap-and-Taper
- Nur wenn aufgrund ausgeprägter Nebenwirkungen ein sofortiges Absetzen des initialen Medikaments nötig ist: Start-Stop
Das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer Pharmakotherapie sollte regelmäßig überprüft werden!
Medikamentöse Kombinationsbehandlung bei Schizophrenie
- Indikation: Erfolglose Monotherapie mit 3 verschiedenen Antipsychotika (einschließlich Clozapin) [1][20]
- Durchführung: Kombinationsbehandlung mit 2 Antipsychotika [20]
- Zwei typische Antipsychotika
- Hochpotentes Antipsychotikum + niederpotentes Antipsychotikum
- Nicht empfohlen: Kombination zweier hochpotenter Antipsychotika (Cave: Stark erhöhtes EPMS-Risiko!)
- Typisches Antipsychotikum + atypisches Antipsychotikum (außer Clozapin)
- Hochpotentes, typisches Antipsychotikum + atypisches Antipsychotikum: Augmentativer antipsychotischer Effekt
- Niederpotentes, typisches Antipsychotikum + atypisches (nicht-sedierendes) Antipsychotikum: Sedierender Effekt
- Cave: Nicht zur Langzeittherapie geeignet!
- Für weitere Informationen siehe auch: Rezeptorbindungsprofile der Antipsychotika
- Zwei atypische Antipsychotika (außer Clozapin): Datenlage bisher unzureichend
- Risperidon + Olanzapin oder Quetiapin (niedrigdosiert!): Besserung maniformer Symptome
- Amisulprid + Quetiapin oder Olanzapin
- Atypisches Antipsychotikum + Aripiprazol: Besserung einer Prolaktinerhöhung und metabolischer Nebenwirkungen
- Clozapin in Kombination mit einem anderen Antipsychotikum: Keine konkreten Empfehlungen aufgrund fehlender Evidenz
- Zwei typische Antipsychotika
Erhaltungs- und Langzeittherapie
- Indikation: Rezidivprophylaxe
- Dauer : Soll individuell, in partizipativer Entscheidungsfindung, abgestimmt werden unter Beachtung von [1]
- Schwere der Erkrankung und der jeweiligen Episode
- Bisheriges Therapieansprechen
- Nebenwirkungen
- Motivation der Betroffenen
- Stabilität des sozialen Netzwerkes
- Familienanamnese
- Vorgehen [1]
- Kontinuierliche Fortführung der antipsychotischen Medikation in möglichst niedriger Dosierung
- Falls in der Akutphase mit einem typischen Antipsychotikum behandelt wurde: Vorsichtige Umstellung auf ein atypisches Antipsychotikum zur Vermeidung von Spätdyskinesien [20]
- Falls kontinuierliche Pharmakotherapie nicht möglich : Intervalltherapie
- Ggf. kontrollierte Dosisreduktion auf individuell niedrigstmögliche Dosierung, ggf. bis zum Absetzen [1]
- Langsam und unter engmaschiger Begleitung
- Aufklärung über Reduktions- und Absetzsymptome , Frühwarnsymptome und Rezidivraten unter Einbeziehung enger Bezugspersonen
- Reduktionsschritte von 5–20% der aktuellen Dosis (zu Beginn größere, später kleinere Dosisreduktionen)
- Stabilität über 6–12 Wochen vor nächstem Reduktionsschritt
- Beachtung guter Schlafhygiene
- Bei beginnendem Rezidiv: Aufdosierung auf vorherige Dosis oder mehr
- Beobachtungszeitraum nach Absetzen der Medikation: Mind. 2 Jahre [1]
- Regelmäßige Kontrolluntersuchungen bei Antipsychotika-Gabe
- Kontinuierliche Fortführung der antipsychotischen Medikation in möglichst niedriger Dosierung
- Applikationsform: Bevorzugt oral, alternativ als Depotgabe [1]
Es wird eine kontinuierliche antipsychotische Rezidivprophylaxe in möglichst niedriger Dosierung empfohlen!
Therapie von Begleitsymptomen und komorbiden Störungen bei Schizophrenie
Bei allen Kombinationsbehandlungen sollte auf ein höheres Interaktionspotenzial sowie das erhöhte Risiko von Nebenwirkungen geachtet werden!
Therapie von Begleitsymptomen
- Erregungszustände, Ängste und innere Unruhe: Medikamentöse Therapie erst nach Ausschöpfen aller nicht-medikamentösen Optionen und Vorgehen anhand eines Stufenplans [1][20]
- Bei Bedarf zusätzlich zur antipsychotischen Therapie
- 1. Schritt: Orale Gabe
- Vorzugsweise Lorazepam , alternativ atypisches oder typisches Antipsychotikum
- Bei psychotischem Erregungszustand: Kombination von Lorazepam und Antipsychotikum
- 2. Schritt: Parenterale Gabe
- Lorazepam i.v. oder i.m. , alternativ atypisches oder typisches Antipsychotikum i.m. oder Loxapin inhalativ
- Ggf. Kombination von Lorazepam und Antipsychotikum
- 1. Schritt: Orale Gabe
- Bei fremdaggressivem Verhalten siehe auch: Vorgehen bei fremdaggressivem Verhalten - AMBOSS-SOP
- Bei fehlender Einwilligung siehe: Zwangsmaßnahmen
- Bei Bedarf zusätzlich zur antipsychotischen Therapie
- Suizidalität [1]
- Bei akuter Suizidalität: Vorübergehende Gabe eines Benzodiazepins als sedierende Begleitmedikation [20]
- Bei ausgeprägter, anhaltender Suizidalität: Umstellung der antipsychotischen Medikation auf Clozapin erwägen (Off-Label Use)
- Für allgemeine Informationen siehe: Suizidalität - Vorgehen/Management
Therapie komorbider Störungen
- Schlafstörungen: Medikamentöse Unterstützung erst, wenn die Beseitigung ursächlicher Faktoren und nicht-pharmakologische Maßnahmen nicht ausreichend waren [1][31]
- Primär Wahl eines atypischen Antipsychotikums mit hoher sedierender Komponente, bspw. Olanzapin, Quetiapin oder ggf. Clozapin [20][20]
- Falls nicht ausreichend: Zusätzliche Gabe
- Eines niedrigpotenten Antipsychotikums (Melperon oder Pipamperon) [1]
- Oder kurzfristig von Benzodiazepinen oder Benzodiazepin-ähnlichen Substanzen, bspw. Zopiclon oder Zolpidem [1]
- Oder eines Antidepressivums (Off-Label Use), bspw. Mirtazapin oder Doxepin [1]
- Depressionen [1]
- Primär Wahl eines Antipsychotikums mit hoher antidepressiver Komponente, bspw. Quetiapin [20]
- Falls eine Optimierung der antipsychotischen Medikation nicht ausreicht: Kombination mit Antidepressivum , bspw. Citalopram oder Mirtazapin [20]
- Zwangsstörungen [1]
- Bei V.a. antipsychotikainduzierte Angst- und Zwangssymptomatik : Reduzierung der Antipsychotikadosis bzw. Umstellung auf bspw. Aripiprazol
- Substanzmissbrauch/-abhängigkeit (Doppeldiagnose): Wahl integrativer Therapieprogramme zur Berücksichtigung beider Störungsbilder
- Vorzugsweise primär Wahl eines atypischen Antipsychotikums [1][20]
Nicht-medikamentöse Therapie
Psychotherapeutische und psychosoziale Verfahren [1]
Die medikamentöse Therapie sollte immer gemeinsam mit psychotherapeutischen und -sozialen Maßnahmen erfolgen.
Psychoedukation
Die Psychoedukation ist wesentlicher Bestandteil der Therapie. Gleichzeitig kann das Wissen über die eigene Erkrankung und ihre potenziellen Folgen auch belastend sein und mit erhöhter Suizidalität einhergehen.
Kognitive Verhaltenstherapie [1]
- Indikation
- Ggf. bei erhöhtem Psychoserisiko
- Alle Menschen mit Schizophrenie
- I.d.R. gemeinsam mit einer medikamentösen Therapie [1]
- Bestandteile
- Beziehungsaufbau bei empathischer, entpathologisierender und nicht-konfrontativer Haltung der Therapierenden
- Erarbeitung von Erklärungsmodellen
- Ggf. kognitive Umstrukturierung von
- Wahninhalten/Wahngedanken
- Dysfunktionalen Kognitionen (bspw. Überkonfidenz, Inflexibilität, voreiliges Schlussfolgern)
- Rückfallprophylaktische Interventionen
- Dauer: ≥16 Sitzungen, bei komplexeren Therapiezielen ≥25 Sitzungen
- Setting: Stationär oder ambulant
Allen Menschen mit Schizophrenie soll ein Angebot zur kognitiven Verhaltenstherapie gemacht werden!
Metakognitives Training (MKT) [1]
- Indikation: Reduktion von Positivsymptomatik
- Setting: Als Einzel- oder Gruppentherapie
- Techniken und Ziele
- Bedeutung von Metakognitionen verstehen
- Kognitive Umstrukturierung dysfunktionaler Kognitionen
- Prozesse der Urteilsbildung und Entscheidung verbessern
Weitere psycho- und soziotherapeutische Verfahren
- Familienfokussierte Interventionen [1][27]
- Indikation: Alle Menschen mit Schizophrenie sowie ihre Angehörigen bzw. engen Vertrauenspersonen [1]
- Bestandteile: Je nach Schwerpunkt, bspw. [1]
- Psychoedukation
- Problemlöse- und Kommunikationstraining
- Förderung von Vernetzung untereinander bzw. gegenseitiger Unterstützung
- Erarbeitung eines Krisenplans
- Dauer: 3 Monate bis 1 Jahr mit mind. 10 Sitzungen [1]
- Ziel
- Senkung der Rezidivrate durch Aufklärung
- Emotionale Entlastung der Angehörigen/Vertrauenspersonen
- Soziales Kompetenztraining [1]
- Indikation
- Relevante Defizite in sozialen Kompetenzen
- Anhaltende Negativsymptomatik
- Sonderform: Integriertes psychologisches Therapieprogramm
- Kombiniert soziales Kompetenz- und Problemlösetraining [3]
- Indikation
- Kognitive Remediation [1]
- Indikation: Kognitive Defizite
- Bestandteile
- Training zur Verbesserung kognitiver Prozesse und der Alltagsfunktionen mit dem Ziel der leichteren beruflichen und sozialen Wiedereingliederung
- In Kombination mit anderen psychosozialen oder rehabilitativen Interventionen
- Weitere Verfahren
- Ergotherapie
- Sport- und Bewegungstherapie
- Musiktherapie
- Kunsttherapie
- Soziotherapie
- Psychodynamische Verfahren
Nicht-invasive Stimulationsverfahren [1]
- Elektrokonvulsionstherapie (EKT): Bei
- Perniziöser Katatonie (Therapie der 1. Wahl)
- Schizophrenie mit begleitender schwerer Depression und Suizidalität
- Therapieresistenz bei
- Malignem neuroleptischen Syndrom (Ultima Ratio)
- Repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS): Bei medikamentöser Therapieresistenz
- Bei andauernden akustischen Halluzinationen: Inhibition des linken Temporallappens mittels niederfrequenter rTMS (1 Hz)
- Bei persistierenden Negativsymptomen: Aktivierung des linken dorsolateralen präfrontalen Kortex mittels hochfrequenter rTMS (10/20 Hz)
Komplikationen
Suizidalität
- Häufigkeit
- 10% der Betroffenen unternehmen einen Suizidversuch innerhalb des ersten Jahres nach Erstdiagnose
- 5–15% der Betroffenen versterben an einem Suizid [1]
- Risikofaktoren siehe: Hauptrisikofaktoren für Suizidalität, Hinweise auf eine Eigengefährdung bei akuter Psychose
- Für weitere Informationen siehe: Suizidalität
Fremdaggressives Verhalten
- Häufigkeit (Deutschland): 0,05% der Patient:innen mit Schizophrenie üben Gewaltstraftaten aus [1]
- Risikofaktoren siehe: Hinweise auf eine Fremdgefährdung bei akuter Psychose, Einschätzen der Fremdgefährdung
- Für weitere Informationen siehe: Vorgehen bei fremdaggressivem Verhalten - AMBOSS-SOP
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose und Verlauf
Krankheitsphasen [1][9]
- Prodromalphase (Stadium des erhöhten Psychoserisikos)
- Unspezifische Symptomatik über Monate bis Jahre vor Erstmanifestation ohne Erfüllung der Diagnosekriterien
- Bei ca. 75% der Betroffenen
- Für Informationen zu Früherkennung und Früherkennungszentren siehe: Tipps & Links
- Akutphase : Überwiegende Positivsymptomatik
- Postakute Stabilisierungsphase: Überwiegende Negativsymptomatik
- Remissionsphase: Vollremission oder Teilremission mit Residuum (überwiegende Negativsymptomatik)
Verlaufsformen [1]
- Individuelle Verläufe nicht vorhersagbar
- 20% Vollremission nach erster Krankheitsepisode ohne späteres Rezidiv
-
⅔ episodischer Verlauf
- Mit zwischenzeitiger Vollremission oder
- Mit zwischenzeitiger Teilremission
- 5–10% chronisch progredienter Verlauf
Prognose [1]
- Lebenserwartung: Ca.15 Jahre weniger als Gesamtbevölkerung
- Mortalität: 2,6-fach höher als Gesamtbevölkerung
Prognostische Faktoren [3]
Prognostische Faktoren der Schizophrenie | |
---|---|
Eher ungünstiger Verlauf | Eher günstiger Verlauf |
|
|
Historisches
- Emil Kraepelin (1856–1926): Erstbeschreiber der Schizophrenie, die er als „Dementia praecox“ bezeichnete
- Eugen Bleuler (1857–1939): Bleuler prägte den Begriff „Schizophrenie“, da er feststellte, dass die Erkrankung keine frühzeitige Demenz, sondern ein eigenständiges Krankheitsbild darstellt
- Kurt Schneider (1887–1967): Begründer der Symptome 1. und 2. Ranges
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Schizophrenie
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- F20.-:
- Exklusive: Schizophrene Reaktion (F23.2); Schizophrenie: akut (undifferenziert) (F23.2), zyklisch (F25.2); Schizotype Störung (F21)
- F20.0: Paranoide Schizophrenie .
- Paraphrene Schizophrenie
- Exklusive: Paranoia (F22.0); Paranoider Involutionszustand (F22.8)
- F20.1: Hebephrene Schizophrenie
- Desintegrative Schizophrenie
- Hebephrenie
- F20.2: Katatone Schizophrenie
- F20.3: Undifferenzierte Schizophrenie
- Atypische Schizophrenie
- Exklusive: Akute schizophreniforme psychotische Störung (F23.2); Chronische undifferenzierte Schizophrenie (F20.5); Postschizophrene Depression (F20.4)
- F20.4: Postschizophrene Depression
- F20.5: Schizophrenes Residuum
- Chronische undifferenzierte Schizophrenie
- Restzustand
- Schizophrener Residualzustand
- F20.6: Schizophrenia simplex
- F20.8: Sonstige Schizophrenie
- Schizophreniform:
- Psychose o.n.A.
- Störung o.n.A.
- Zönästhetische (zönästhopathische) Schizophrenie
- Exklusive: Kurze schizophreniforme Störungen (F23.2)
- Schizophreniform:
- F20.9: Schizophrenie, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.