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Emotional instabile Persönlichkeitsstörung

Letzte Aktualisierung: 2.1.2025

Zusammenfassungtoggle arrow icon

Bei der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung werden nach ICD-10 zwei Ausprägungsformen unterschieden: zum einen der impulsive Typ, bei dem besonders die Konfliktbereitschaft und eine Impulskontrollstörung im Vordergrund stehen, zum anderen der Borderline-Typ, bei dem einige zusätzliche Symptome vorliegen (bspw. anhaltendes Gefühl innerer Leere, Neigung zu intensiven und instabilen Beziehungen). In der Literatur und in der klinischen Versorgung dominiert die emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (Borderline-Persönlichkeitsstörung), weshalb dieses Kapitel v.a. diese Störung behandelt.

Der Begriff „Borderline“ ist darauf zurückzuführen, dass die Störung in der Vergangenheit als Grenzfall zwischen den sog. neurotischen (z.B. Angst-, Zwangsstörungen) und den psychotischen Störungen (z.B. Schizophrenie) betrachtet wurde. Das Leben der Betroffenen ist klassischerweise geprägt von einer Störung des Selbstbildes und der Emotionsregulation sowie unbeständigen Beziehungen. Zu einer stationären Behandlung kommt es meist infolge selbstdestruktiven Verhaltens mit selbst zugefügten Verletzungen und/oder suizidalen Handlungen. Behandelt wird hauptsächlich mittels Psychotherapie, wobei die dialektisch behaviorale Therapie als Mittel der 1. Wahl gilt.

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Epidemiologietoggle arrow icon

Die epidemiologischen Angaben beziehen sich auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung.

  • Lebenszeitprävalenz: Ca. 5% [1]
  • Alter [1]
    • Beginn meist in der frühen Adoleszenz
    • Gipfel der Symptomausprägung i.d.R. zwischen 15 und 25 Jahren [2]
  • Geschlechterverteilung: = [1]

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Ätiologietoggle arrow icon

Wie bei allen Persönlichkeitsstörungen ist auch bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung von einem multifaktoriellen Geschehen auszugehen [2].

  • Genetische Faktoren: Mittlere bis hohe Heritabilität
  • Neurobiologische Faktoren: Strukturelle und funktionelle Veränderungen
    • In frontolimbischen Arealen
    • Neuropsychologischer Funktionen, bspw. [1]
      • Emotionsregulation/-erkennung
      • Emotionale Hypersensitivität
  • Psychosoziale Faktoren [1]
    • Traumatische Erlebnisse (körperlich, sexuell, verbal, emotional)
      • In ca. 50% der Fälle: Schwere zwischenmenschliche Gewalterfahrung
      • In ca. 95% der Fälle: Subjektiv wahrgenommene emotionale Vernachlässigung („traumatisch erlebte Invalidierung“ ) [3]
    • Problematische Beziehungserfahrungen
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Symptomatiktoggle arrow icon

Das klinische Bild der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist durch vielseitige Symptome geprägt, wobei im Kindes- und Jugendalter oftmals die Störungen auf der Verhaltensebene das klinische Gesamtbild dominieren . [1][2][4]

Störungen der Affektivität

  • Intensives Erleben von (insb. negativen) Emotionen und affektive Instabilität
  • Gestörte Affektregulation
  • Häufig mit
    • Starken, inneren Anspannungszuständen
    • Dissoziativen Zuständen
    • Chronischem Gefühl der inneren Leere

Störungen der sozialen Interaktion

  • Zwiegespaltenes Bedürfnis nach Nähe/Distanz
  • Wechsel zwischen Abwertung und Idealisierung anderer [2]
  • Defizitäre Strategien der Konfliktlösung [2]

Störungen der Identität

  • Instabiles Selbstbild [1]
  • Unsicherheiten bzgl. eigener Ziele und Präferenzen [5]

Störungen auf Verhaltensebene

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Komorbiditätentoggle arrow icon

Psychische Komorbiditäten [2]

Psychische Komorbiditäten sind häufig und bessern sich oftmals bei erfolgreicher Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Einige Komorbiditäten sind besonders zu beachten bzw. vorrangig zu behandeln (fett gedruckt).

Somatische Komorbiditäten [2]

Das Risiko somatischer Komorbiditäten ist v.a. bei langjährigem Verlauf einer Borderline-Persönlichkeitsstörung signifikant erhöht. Hierzu zählen insb.:

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Diagnostiktoggle arrow icon

Exploration

Das Vorgehen entspricht im Allgemeinen der Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen. Nach sorgfältiger, fachgerechter Untersuchung ist die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung bereits ab einem Alter von 12 Jahren möglich und sinnvoll. Die Vorteile durch frühe störungsspezifische Interventionen wiegen insg. schwerer als das Risiko einer frühen Stigmatisierung. [2]

Bereits ab einem Alter von 12 Jahren kann die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung gestellt werden!

Gezielte Exploration [2]

  • Gibt es Situationen intensiver und unangenehmer Anspannung? [4]
    • Wann treten diese Situationen auf?
    • Was hilft in solchen Situationen (kurzfristig)?
    • Werden dysfunktionale Strategien eingesetzt?
  • Gibt es sonstige klinische Hinweise auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung? (gelten für Personen ab 12 Jahren)
    • Starke Einbußen der psychosozialen Funktionsfähigkeit
    • Ausgeprägte emotionale Instabilität [1]
    • Rezidivierendes selbstverletzendes Verhalten oder Suizidalität
    • Kombiniertes Auftreten mehrerer psychiatrischer Störungsbilder
    • Unzureichende Besserung psychiatrischer Symptome durch bisherige Therapie
  • Gibt es relevante Komorbiditäten? (siehe: Komorbiditäten bei Borderline-Persönlichkeitsstörung)

Testpsychologische Verfahren [2]

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ICD-10toggle arrow icon

Diagnostische Kriterien einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 [5]

Borderline-Typ (F60.31) Impulsiver Typ (F60.30)
A
B
  • Mind. 3 der 5 genannten Kriterien treffen zu (beim impulsiven Typ muss Kriterium 2 zutreffen)
    1. Deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln
    2. Deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, v.a. dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden
    3. Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt, mit der Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens
    4. Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden
    5. Unbeständige und launische Stimmung
C
  • Mind. 2 der 5 genannten Kriterien treffen zu
    1. Störungen und Unsicherheit bzgl. des Selbstbildes, der Ziele und „inneren Präferenzen“
    2. Neigung, sich auf intensive, jedoch instabile Beziehungen einzulassen, oft mit emotionalen Krisen als Folge
    3. Übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden
    4. Wiederholte Drohungen oder Handlungen mit Selbstbeschädigung
    5. Anhaltendes Gefühl von Leere

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ICD-11toggle arrow icon

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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Die Abgrenzung zwischen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und anderen psychischen Störungen kann schwierig sein. Impulsivität und Stimmungsschwankungen finden sich insb. auch bei: [2]

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Therapietoggle arrow icon

Allgemein [2]

Die Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung basiert auf Psychotherapie. Medikamente kommen ggf. unterstützend zum Einsatz. [1]

Vorgehen

  • Diagnose frühzeitig und offen besprechen
  • Nach Kindern fragen und ggf. Unterstützung anbieten
    • Erziehungskompetenzen und Bindungsverhalten frühzeitig fördern
      • Wenn möglich: Störungsspezifische (Gruppen‑)Programme wählen
      • Alternativ (bspw. im Einzelsetting): Auf Verbesserung von Emotionsregulation und Impulsivität fokussieren
    • Bei Notwendigkeit eines stationär-psychiatrischen Aufenthalts: Möglichst Eltern-Kind-Einheit wählen (Ausnahme: Kindeswohlgefährdung)
    • Ggf. Unterstützung für die Kinder organisieren

Setting

  • Ambulant: 1. Wahl
  • (Teil‑)stationär
    • Insb. unspezifische und längere Aufenthalte vermeiden
    • Evtl. als kurzzeitige Krisenintervention oder als elektiver, störungsspezifischer Aufenthalt

Bei minderjährigen Patient:innen zu beachten

  • Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres: Therapieeinverständnis der erziehungsberechtigten Person(en) nötig
  • Ab 12 Jahren: Psychotherapeutisches Behandlungsangebot machen
    • Ggf. Einbezug der Angehörigen in die Therapie
    • Angepasst an Lebensalter, -umstände und Entwicklungsstand
  • Ab 14 Jahren: Einsatz störungsspezifischer Verfahren [1]

Der therapeutische Kontakt [4]

Die Beziehungsgestaltung mit Borderline-Patient:innen gestaltet sich – auch für erfahrene Behandler:innen – oft als herausfordernd. I.d.R. empfiehlt sich eine Unterstützung durch Super-/Intervisionsgruppen.

  • Aus Sicht der Patient:innen
    • Wunsch nach Kontrolle und Steuerbarkeit der Beziehung
    • Häufig ausgeprägtes Abhängigkeitsgefühl zu Therapeut:innen
  • Aufgabe der Behandelnden: Funktionale und normative Beziehungserfahrung ermöglichen
    • Verlässliche und klare Strukturen schaffen (bspw. hinsichtlich Terminabsprachen, Therapievereinbarungen )
    • Transparent und authentisch in Interaktion treten
    • Vertrauensvolle Zusammenarbeit fördern
    • Kein Machtgefälle aufbauen
    • Siehe bspw. auch: Therapeutische Rolle in der DBT

Psychotherapie [1][2][9]

Allgemein

  • Psychoedukation
    • Patient:innen u.a. über vorhandene, empirisch validierte Verfahren aufklären
    • Einbezug der Angehörigen erwägen, insb. bei jüngeren Patient:innen
  • Setting
    • Idealerweise: Einzeltherapie plus störungsspezifische Gruppentherapie (bspw. DBT-Skillstraining)
    • Bei fehlender Verfügbarkeit einer Einzeltherapie: Mit alleiniger störungsspezifischer Gruppentherapie beginnen
  • Sitzungsfrequenz: Mind. 1×/Woche

Störungsspezifische Therapie

Die beste Evidenz liegt für die dialektisch behaviorale Therapie vor, gefolgt von der mentalisierungsbasierten Therapie.

Bei der Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist die dialektisch behaviorale Therapie das Verfahren der 1. Wahl! [1]

Medikamentöse Therapie [1][2][9]

Wie bei allen Persönlichkeitsstörungen gibt es keine zugelassenen Medikamente, sodass der therapeutische Einsatz von Psychopharmaka immer als Off-Label Use erfolgt.

  • Allgemein
    • Nicht als primäre oder alleinige Therapie geeignet
    • Mögliche (Neben‑)Effekte beachten
      • Kann Psychotherapiefähigkeit verbessern oder verschlechtern
      • Reduziertes Erleben von Selbstwirksamkeit
    • Bei pharmakologisch behandlungsbedürftiger Komorbidität (bspw. schwerer depressiver Episode) indiziert
    • Restriktiv und zeitlich begrenzt zur Verbesserung umschriebener Symptome erwägbar
    • Abrupte Änderungen der Medikation vermeiden
    • Polypharmazie vermeiden
  • Verschreibung
    • Durch 1 (Fach‑)Arzt/Ärztin
    • In Absprache mit allen Behandelnden
  • Substanzauswahl: Möglichst keine Medikamente mit
    • Abhängigkeitspotenzial
    • Hoher Letalität bei Überdosierung (bspw. im Rahmen einer suizidalen Handlung)
  • Oft eingesetzte Substanzgruppen (Evidenz unzureichend, Off-Label Use)

Pharmakotherapie sollte nicht als primäre oder alleinige Therapie gewählt werden! [2]

Die Gabe potenziell abhängigkeitserzeugender Medikamente (bspw. Benzodiazepine) sollte vermieden werden! [2]

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Einbezug der Angehörigen in die Therapietoggle arrow icon

Hintergrund [2]

Zwischenmenschliche Beziehungen sind für die meisten Borderline-Patient:innen ein stark problembehafteter Lebensbereich. Gleichzeitig können nahestehende Personen eine unterstützende Rolle einnehmen oder auch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen stehen. Die Rolle der Angehörigen und Bezugspersonen sollten daher immer mitberücksichtigt werden.

Hinweise [2]

Allgemein

Tipps für Angehörige und Bezugspersonen im Umgang mit Betroffenen

  • Nicht-wertende und empathische Haltung einnehmen
  • Schwierigkeiten und Sorgen der Patient:innen ernst nehmen und beachten
  • Autonomie und Selbstbefähigung unterstützen
  • Unterstützungsangebote wahrnehmen, bspw. Borderline-Trialog, Selbsthilfe (siehe: Tipps & Links)

Thematisierung von Traumen mit Angehörigen

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Prognosetoggle arrow icon

  • Lebenserwartung: Ca. 6–7 Jahre weniger als Gesamtbevölkerung [10]
    • Insb. aufgrund somatischer Komorbiditäten [2][10]
    • Aber auch aufgrund von Suizidalität
      • Suizidrate: Ca. 2–6% [2][4]
      • Rate an Suizidversuchen: >60% [1]
  • Krankheitsverlauf [2][4]
    • Im höheren Alter: Niedrigere Prävalenz (evtl. aufgrund von Symptomveränderung )
    • I.d.R. Persistenz psychosozialer Einbußen (interpersonell, beruflich)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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