Zusammenfassung
Die arrhythmogene Kardiomyopathie (ACM) ist eine seltene hereditäre Herzerkrankung, bei der es zu lebensgefährlichen ventrikulären Arrhythmien und im fortgeschrittenen Stadium auch zu einer Herzinsuffizienz kommen kann. Am häufigsten beschrieben sind Formen, die primär den rechten Ventrikel betreffen (arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie). Exzessiver Sport kann den Ausbruch der Erkrankung beschleunigen und erhöht das Risiko für einen folgenden plötzlichen Herztod. Pathophysiologisch führen Mutationen im Bereich kardialer Verbindungsproteine zu einem progredienten myokardialen Zelluntergang mit Fett- und Bindegewebsinfiltration. Die Erstdiagnose wird häufig im jungen Erwachsenenalter gestellt, Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen.
Die geltenden Task-Force-Kriterien zur Diagnosesicherung fordern einen multimodalen Ansatz inkl. EKG, kardialer Bildgebung, Myokardbiopsie und Familienanamnese. Typische Befunde sind u.a. T-Wellen-Negativierungen in den septalen und anterioren Ableitungen, eine Vergrößerung des rechten Ventrikels (RV) in der Echokardiografie sowie vermehrtes Fettgewebe und ggf. ein LGE in der MRT. Die arrhythmogene Kardiomyopathie ist nicht kausal heilbar, daher haben die therapeutischen Maßnahmen primär eine verbesserte Symptomkontrolle, die Vermeidung eines Progresses und das Abwenden von Komplikationen wie dem plötzlichen Herztod zum Ziel. Ultima Ratio ist die Herztransplantation.
Definition
- Arrhythmogene Kardiomyopathie (ACM): Klinischer Überbegriff für das Spektrum verschiedener Phänotypen [1][2]
- Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC): Rechtsventrikuläre Dilatation und/oder Dysfunktion mit
- Histologischem und/oder elektrokardiografischem Korrelat
- Erfüllen der überarbeiteten Task-Force-Kriterien von 2010 (siehe auch: ACM - Diagnostik)
- Möglicher Beteiligung des linken Ventrikels
- Arrhythmogene linksventrikuläre Kardiomyopathie (ALVC): (Vorwiegend) Linksventrikuläre Beteiligung [1][2]
- Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC): Rechtsventrikuläre Dilatation und/oder Dysfunktion mit
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die Informationen dieses Kapitels primär auf die ARVC als den bisher am besten erforschten Subtyp der ACM!
Epidemiologie
Ätiologie
- Seltene hereditäre Erkrankung
- Erbgang: Überwiegend autosomal-dominant [5] [4]
- Genetische Mutation bei ca. ⅔ der Betroffenen nachweisbar: Insg. 8 Gene identifiziert
- >12 verschiedene Subtypen (ARVC1–12 [5] und weitere) je nach betroffenem Gen
Pathophysiologie
- Genetik: Mutationen insb. desmosomaler Gene → Gestörte Funktion der myokardialen Glanzstreifen → Gestörte inter- und intrazelluläre Kommunikation → Arrhythmien und struktureller Umbau des Herzens
- Arrhythmogenes Substrat: Verschiedene Hypothesen
- Gestörte Funktion der Gap Junctions
- Gestörte Funktion von Natriumkanälen → Natriumeinstrom↓
- Gestörter intrazellulärer Calciumhaushalt: Ca2+↑ im Zytoplasma und im sarkoplasmatischen Retikulum → Spontane Calciumfreisetzung aus Kardiomyozyten → Arrhythmien [3]
- Struktureller Umbau → Reentry-Tachykardien
- Struktureller Umbau: Gesteigerter mechanischer Stress → Verlust der Zelladhäsion/-integrität → Myokardialer Zelluntergang → Zunehmende Binde- und Fettgewebsinfiltration → Verbliebene Kardiomyozyten zwischen Binde- und Fettgewebe: Mögliches Substrat für ventrikuläre Reentry-Tachykardien
- Arrhythmogenes Substrat: Verschiedene Hypothesen
Bei der ACM begünstigen sowohl Störungen im Elektrolythaushalt als auch ein struktureller Umbau des Myokards das Auftreten von lebensgefährlichen Arrhythmien!
Symptomatik
- Erstmanifestation: Bei ca. ⅓ der Betroffenen in einem Alter ≤30 Jahren symptomatisch [5]
- Wettbewerbssportarten: Erhöhtes Risiko für frühe Symptomatik, ventrikuläre Arrhythmien und Tod
- Ggf. auch Assoziation mit Virusinfekten
- Symptomatische Arrhythmien: Bereits im Frühstadium, häufiger Grund für Erstvorstellung
- Anhaltende ventrikuläre Tachykardien bzw. Kammerflimmern: Synkopen, Palpitationen, Angina pectoris, (überlebter) plötzlicher Herztod [3]
- Atriale Arrhythmien bei bis zu 20% der Betroffenen: Palpitationen, ggf. Synkopen [5]
- Symptome einer Herzinsuffizienz: Eher im fortgeschrittenen Stadium
- Sehr selten: Kutane Manifestation bei syndromalen Subtypen (Naxos-Syndrom, Carvajal-Syndrom )
Das erste Symptom einer ARVC kann der plötzliche Herztod sein!
Diagnostik
Allgemeines Vorgehen bei V.a. Kardiomyopathie [1]
- (Familien‑)Anamnese und Erstuntersuchung
- Ruhe- und Langzeit-EKG
- Labordiagnostik
- Multimodale kardiale Bildgebung , ggf. Myokardbiopsie
- Genetische Diagnostik und Beratung
Bei jedem V.a. Kardiomyopathie sollte eine strukturierte diagnostische Aufarbeitung mit dem Ziel einer genauen Beschreibung des vorliegenden Phänotyps erfolgen!
Hinweise auf ARVC [1][3]
- (Familien‑)Anamnese und Erstuntersuchung
- Stammbaum der letzten 3–4 Generationen: Frühe (ungeklärte) Herztode, Schrittmacher- oder ICD-Implantationen, Herzinsuffizienz unklarer Genese
-
Indexperson
- Jugend- bzw. junges Erwachsenenalter
- (Belastungsabhängig) Palpitationen, Synkope, überlebter plötzlicher Herztod
- Selten: Symptomatische Herzinsuffizienz
- Ruhe- und Langzeit-EKG
- nsVTs, VTs oder gehäufte VES mit Linksschenkelblock-Morphologie
- T-Wellen-Negativierungen in den septalen und anterioren Ableitungen (V1–V3) und verlängerte TAD
- Epsilonwellen
- Rechtsschenkelblock
- Selten: Niedervoltage in den Extremitätenableitungen
- Labordiagnostik : Ggf. erhöhtes NT-proBNP
- Multimodale kardiale Bildgebung
- TTE [8]
- Kardio-MRT
- RV-Dilatation und ggf. -Dysfunktion
- Regionale Wandbewegungsstörungen und/oder morphologische Auffälligkeiten des RV
- Fettgewebe↑ und ggf. Fibrose
- LGE im RV [8] und/oder LV
- Reduzierter RV-Strain [8]
- Myokardbiopsie: Rechts- und/oder linksventrikuläre Binde- und Fettgewebsinfiltration mit Untergang von Kardiomyozyten [3]
- Genetische Diagnostik: Nachweis ARVC-assoziierter Genvarianten (insb. desmosomal, siehe auch: ARVC - Ätiologie)
- Familienscreening: Bei allen erstgradigen Verwandten einer Indexperson mit gesicherter ARVC [3]
- Indexperson ohne (bekannte) Genvariante: Diagnostik inkl. (Langzeit‑)EKG, Echokardiografie und Kardio-MRT bei allen erstgradigen Verwandten
- Indexperson mit Genvariante: Diagnostik inkl. (Langzeit‑)EKG, Echokardiografie und Kardio-MRT bei allen erstgradigen Verwandten mit Nachweis der identischen Genvariante
- Familienscreening: Bei allen erstgradigen Verwandten einer Indexperson mit gesicherter ARVC [3]
Ausschluss von Differenzialdiagnosen [1][3]
- Strukturelle Herzerkrankungen (Auswahl)
- Myokarditis
- Sarkoidose
- DCM
- Ischämische Kardiomyopathie (bspw. rechtsventrikulärer Infarkt)
- Pulmonal-arterielle Hypertonie
- Chagas-Kardiomyopathie
- Nicht-strukturelle Herzerkrankungen: Insb. idiopathische VTs aus dem RVOT , Sportlerherz
Diagnosesicherung gemäß revidierter Task-Force-Kriterien von 2010 [1][3][6]
- Gesicherte ARVC
- 2 Major-Kriterien oder
- 1 Major- und 2 Minor-Kriterien oder
- 4 Minor-Kriterien aus verschiedenen Kategorien
- Borderline-ARVC
- 1 Major- und 1 Minor-Kriterium oder
- 3 Minor-Kriterien aus verschiedenen Kategorien
- Mögliche ARVC
- 1 Major-Kriterium oder
- 2 Minor-Kriterien aus verschiedenen Kategorien
Revidierte Task-Force-Kriterien zur ARVC von 2010 [3][6] | |||
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Pathologie | Modalität | Major-Kriterien | Minor-Kriterien |
1. Globale oder regionale Dysfunktion und strukturelle Veränderungen | Echokardiografie | ||
Kardiale MRT | |||
RV-Angiografie |
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2. Strukturell verändertes Gewebe | Myokardbiopsie |
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3. Repolarisationsstörung | EKG (bei Personen >14 Jahre) | ||
4. Depolarisations- bzw. Leitungsstörung | EKG |
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Signalgemitteltes EKG (SAECG ) | |||
5. Ventrikuläre Arrhythmien | 12-Kanal-EKG bzw. Langzeit-EKG | ||
6. Familienanamnese | Klinisch |
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Genetisch |
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Therapie
Allgemeine Therapieziele bei ARVC [1]
- Symptomkontrolle
- Verlangsamtes Fortschreiten der Erkrankung
- Vermeiden von Komplikationen
Herzinsuffizienz-Management
- Medikamentöse Therapie der Herzinsuffizienz - 4-Säulen-Modell
- Device-Therapie: Bei CRT-Indikation frühzeitig möglichen Benefit durch zusätzlichen ICD prüfen und entsprechend CRT-D-Systeme bevorzugen
- Frühzeitige und regelmäßige HTx-Evaluation! [3]
Management ventrikulärer Arrhythmien
- Sportverzicht
- Leichte bis moderate körperliche Aktivität (etwa 150 min/Woche) gilt als sicher [3]
- Fortschreiten der Erkrankung↓, VT-Last (Burden) ↓
- Ggf. auch besseres Ansprechen auf andere Therapieformen (wie Katheterablation) und verringertes Risiko einer Herzinsuffizienz [3]
- Antiarrhythmika
- 1. Wahl bei jeder ARVC mit VES und/oder nsVTs/VTs: Betablocker , bspw. Bisoprolol oder Metoprolol
- Alternativen: Amiodaron , Flecainid (Off-Label Use)
- Weitere (Off-Label Use): Sotalol , Dofetilid, Ranolazin
- Katheterablation: Bei persistierenden VTs und/oder rezidivierenden, adäquaten ICD-Schockabgaben bzw. Electrical Storm trotz Betablockertherapie erwägen
- Inkl. epikardialen Zugangs, falls möglich und sinnvoll
- Insg. hohe Rezidivrate: 30–50% an spezialisierten Zentren [1]
- In Einzelfällen : Autonome Modulation (z.B. Blockade des Ganglion stellatum oder kardiale Sympathikusdenervation) erwägen
- Device-Therapie: ICD-Implantation zur Vermeidung eines plötzlichen Herztodes
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- I42.8- Sonstige Kardiomyopathien
- I42.80 Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie [ARVCM]
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.