Zusammenfassung
Eine Synkope ist der plötzlich auftretende Verlust von Bewusstsein und Muskeltonus mit rascher, spontaner und kompletter Erholung innerhalb weniger Sekunden. Die Synkope ist Ausdruck einer vorübergehenden globalen zerebralen Minderperfusion infolge verschiedener Mechanismen: Vermindertes Herzzeitvolumen (kardiale Synkope), pathologischer neurokardiogener Reflex (Reflexsynkope) oder orthostatische Hypotonie (orthostatische Synkope). Als Basisdiagnostik erfolgen bei jedem Patienten Anamnese und körperliche Untersuchung sowie EKG und Schellong-Test. Lässt sich der Mechanismus dadurch nicht klären, ist weiterführende Diagnostik wie bspw. eine Echokardiografie oder Kipptischuntersuchung notwendig. Da kardiale Synkopen mit einem erhöhten Risiko für einen plötzlichen Herztod einhergehen, müssen Risikopatienten identifiziert und entsprechend ihrer Grunderkrankung therapiert werden.
Definition
- Synkope: Plötzlicher Verlust von Bewusstsein und Muskeltonus mit rascher, spontaner und kompletter Erholung aufgrund einer transienten globalen zerebralen Minderperfusion [1]
- Präsynkope: Prodromalstadium der Synkope mit Schwarzwerden vor den Augen, Schwindel und Kaltschweißigkeit
Die Synkope geht per definitionem immer mit einem Bewusstseinsverlust einher!
Epidemiologie
- Lebenszeitprävalenz: Ca. 30–50% aller Menschen [1]
- Altersgipfel und Geschlechterverhältnis
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Eine Synkope ist ein Symptom unterschiedlicher Pathophysiologien, die letztlich alle zu einer vorübergehenden globalen Minderperfusion des Gehirns führen. Diese Minderperfusion ist durch eine Abnahme des peripheren Widerstandes und/oder des Herzzeitvolumens bedingt.
Einteilung nach den ESC-Leitlinien 2018 [2]
Kardiale Synkope
- Erhöhtes Herztodrisiko, daher unbedingt auszuschließen
- Pathophysiologie: Akute, transiente Verminderung des Herzzeitvolumens → Zerebrale Minderperfusion → Synkope
- Differenzierung nach Auslöser
- Arrhythmogene Synkope
- Bradykarde Rhythmusstörungen (bspw. Sick-Sinus-Syndrom, AV-Blockierung, Schrittmacherfehlfunktion)
- Tachykarde Rhythmusstörungen (bspw. Tachyarrhythmia absoluta, AV-Knoten-Reentrytachykardie, Wolff-Parkinson-White-Syndrom)
- Synkope infolge einer strukturellen Herzerkrankung (bspw. Aortenklappenstenose, Hypertroph-obstruktive Kardiomyopathie (HOCM), Vorhofmyxom)
- Synkope infolge einer primär extrakardialen Erkrankung (bspw. Lungenembolie , Aortendissektion, pulmonale Hypertonie)
- Arrhythmogene Synkope
Reflexsynkope
- Keine erhöhte Mortalität, aber erhöhtes Sturz- und Verletzungsrisiko
- Pathophysiologie: Unklar, wahrscheinlich fehlerhafte Aktivierung eines kardiovaskulären Reflexes → Hypotension und/oder Bradykardie → Zerebrale Minderperfusion → Synkope
- Differenzierung nach Auslöser
- Neurokardiogene Synkope
- Häufigste Form
- Überwiegend bei jungen gesunden Menschen
- Auslöser: Angst, Schmerz, längeres Stehen
- Sonderfall: Posturales Tachykardiesyndrom (POTS) [3]
- Keine eigenständige Synkopenform
- Mäßiggradige zerebrale Minderperfusion im Stehen, die zu einer orthostatischen Intoleranz, i.d.R. aber nicht zu einer Synkope führt
- Typischerweise zeigt sich eine Tachykardie ohne Blutdruckabfall
- Situative Synkope: Auslöser sind Miktion, Defäkation, Husten, Niesen, Lachen, postprandial, nach Belastung (Sport)
- Karotissinussyndrom
- Überwiegend im höheren Lebensalter
- Auslöser: Mechanische Reizung des Karotissinus (bspw. durch Kopfdrehen, lokalen Druck)
- Ursache: Arteriosklerotische Veränderungen des Karotissinus → Zunahme der Empfindlichkeit der Barorezeptoren
- Mechanismus: Gesteigerte Empfindlichkeit des Karotissinus → Bei mechanischer Reizung des Karotissinus → Überschießender Karotissinusreflex
- Varianten
- Kardioinhibitorischer Typ: Bradykardie/Asystolie (Herzfrequenzabfall ≥50%); Therapie: Schrittmacher
- Vasodepressorischer Typ: Primäre Hypotension (Blutdruckabfall ≥40%)
- Atypische Reflexsynkope: Auslöser unklar
- Neurokardiogene Synkope
Orthostatische Synkope [3]
- Überwiegend bei älteren Menschen, bei jungen Menschen selten
- Neurogene orthostatische Hypotension
- Mögliche Auslöser: Neurologische oder internistische Erkrankungen mit Schädigung des peripheren oder zentralen autonomen Nervensystems, bspw. Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Diabetes mellitus
- Pathophysiologie: Ungenügende sympathisch vermittelte Vasokonstriktion direkt nach dem Aufstehen, z.B. durch Störung des autonomen Nervensystems oder Medikamenteneinwirkung, meist zusätzlich gestörte autonome kardiale Innervation und dadurch bedingt fehlender Herzfrequenzanstieg im Stehen → Relativ zu niedriger peripherer Gefäßwiderstand und ungenügender venöser Rückstrom → Akute systolische Hypotension → Zerebrale Minderperfusion → Synkope
- Nicht-neurogene orthostatische Hypotension
- Auslöser
- Volumenmangel: Bspw. bei Blutung, Erbrechen, Diarrhö
- Medikamente: Bspw. Antidepressiva, Diuretika, andere Antihypertensiva
- Pathophysiologie: Volumenmangel/Vasodilatation → Ungenügender venöser Rückstrom → Akute systolische Hypotension → Zerebrale Minderperfusion → Synkope
- Auslöser
- Unterscheidung klassische, initiale vs. verzögerte orthostatische Hypotension
- Klassische orthostatische Hypotension: Anhaltender systolischer Blutdruckabfall um ≥20 mmHg und/oder diastolischer Blutdruckabfall um ≥10 mmHg innerhalb 3 min nach dem Aufstehen
- Initiale orthostatische Hypotension: Transienter Blutdruckabfall um >40 mmHg systolisch und/oder 20 mmHg diastolisch innerhalb von 15 Sekunden nach aktivem Aufstehen
- Verzögerte orthostatische Hypotension: Blutdruckabfall um ≥20 mmHg und/oder diastolischer Blutdruckabfall um ≥10 mmHg ohne Bradykardie >3 min nach dem Aufstehen
Überblick über mögliche Ursachen einer Synkope [2]
Pathomechanismus | Unterformen | Ursachen und Auslöser | |
---|---|---|---|
Kardiale Synkope | Akute, transiente Verminderung des Herzzeitvolumens → Zerebrale Minderperfusion | Arrhythmogene Synkope | Bradykarde oder tachykarde Herzrhythmusstörung |
Synkope infolge struktureller Herzerkrankung | Herzklappenstenose, hypertroph-obstruktive Kardiomyopathie (HOCM), Vorhofmyxom | ||
Synkope infolge primär extrakardialer Erkrankung | Lungenembolie, Aortendissektion, pulmonale Hypertonie | ||
Reflexsynkope | Überaktivität des Parasympathikus und Unteraktivität des Sympathikus → Hypotension und/oder Bradykardie → Zerebrale Minderperfusion | Neurokardiogene (vasovagale) Synkope | Angst, Schmerz, längeres Stehen |
Situative Synkope | Miktion, Defäkation, Husten, Niesen, Lachen, postprandial, nach Belastung | ||
Karotissinussyndrom | Gesteigerte Empfindlichkeit des Karotissinus (meist bei arteriosklerotischen Veränderungen) → Syst. RR-Abfall bei mechanischer Reizung des Karotissinus | ||
Atypische Reflexsynkope | Auslöser unklar | ||
Orthostatische Synkope | „Versacken“ von Blut in die untere Extremität beim Aufstehen → Unzureichende Gegenregulation → Akute systolische Hypotension → Zerebrale Minderperfusion | Neurogene orthostatische Hypotension | Autonome Dysfunktion bei Morbus Parkinson, Multipler Sklerose oder Diabetes mellitus |
Nicht-neurogene orthostatische Hypotension | Einnahme von Vasodilatantien oder Antidepressiva Volumenmangel durch GI-Blutungen, Diarrhö oder Erbrechen |
Pathophysiologie
- Sistieren des zerebralen Blutflusses über ≥6–8 s oder Absinken des systolischen Blutdrucks <60 mmHg → Bewusstseinsverlust infolge globaler zerebraler Minderperfusion [1]
Symptomatik
- Plötzlicher Verlust von Bewusstsein und Muskeltonus mit rascher, spontaner und kompletter Erholung aufgrund einer transienten globalen zerebralen Minderperfusion [1]
- Blasses Hautkolorit
- Ggf. Einnässen
-
Ggf. Konvulsive Synkope (häufige Verlaufsform)
- Nach initialem Tonusverlust: Myoklonien über eine kurze Zeitspanne <15 Sekunden
- Unterschiede zum epileptischen Anfall
- Beginn erst nach Bewusstseinsverlust
- Danach schnelles und vollständiges Aufklaren
Diagnostik
Basisdiagnostik bei Synkope [1]
- Anamnese
- Akutsituation, Körper- und Kopfposition , Ruhe/Belastung, Emotionen, Prodromi?
- Erst- oder Rezidivereignis?
- Vorerkrankungen, insb. kardiovaskulär/neurologisch?
- Medikamente, insb. Antihypertensiva, Antiarrhythmika, Antidepressiva?
- Familiäre Herzerkrankungen/plötzlicher Herztod in der Familie?
- Klinische Untersuchung
- Körperliche Untersuchung
- Vitalparameter
- Sturzverletzungen?
- Schellong-Test : Blutdruckmessung im Liegen und im Stehen zur Prüfung, ob eine physiologische Orthostase-Reaktion vorliegt
- Durchführung: Wiederholte Messung und Dokumentation von Blutdruck und Herzfrequenz
- Beim liegenden Patienten: Über 10 min im Abstand von je 2 min
- Beim stehenden Patienten: 1, 3, 5 und 10 min nach dem Aufstehen
- Ergebnis : Hinweisend auf eine orthostatische Hypotonie sind
- Systolischer Blutdruck <90 mmHg oder
- Abfall des systolischen Blutdrucks um ≥20 mmHg oder
- Abfall des diastolischen Blutdrucks um ≥10 mmHg
- Befunde beim Schellong-Test: Nachfolgende Tabelle zeigt weitere Befundkonstellationen beim Schellong-Test, die in dieser modellhaften Ausprägung allerdings nicht immer zu erheben sind
- Durchführung: Wiederholte Messung und Dokumentation von Blutdruck und Herzfrequenz
RRsyst | RRdiast | HF | (Patho‑)Physiologische Grundlagen | Auftreten | |
---|---|---|---|---|---|
Normalbefund | ↔︎ | ↔︎ oder leicht↑ | ↑ (max. 20%) | Herzfrequenzzunahme bei Lageänderung vom Liegen zum Stehen, um einem Abfall des Blutdrucks entgegenzuwirken | Physiologisch |
Sympathikotone Orthostasereaktion | ↓ | ↑ | ↑ | Unzureichende Venenkonstriktion bei insgesamt vorhandener sympathischer Gegenregulation (HF↑) | Hypovolämie, Einnahme von Vasodilatatoren |
Asympathikotone Orthostasereaktion | ↓ | ↓ | ↔︎ | Dysfunktion des Sympathikus | Altersbedingt, medikamentös bedingt (Sympathikolytika), neurologisch bedingt (z.B. Multisystematrophie) |
Vasovagale Orthostasereaktion | ↓ | ↓ | ↓ | Überaktivität des Parasympathikus, Unteraktivität des Sympathikus → Vasodilatation und/oder Bradykardie | Volumenmangel oder Vagusreiz |
Hypertone Orthostasereaktion | ↑ | ↑ | ↑ | Hoher Sympathikotonus | Essenzielle Hypertonie |
Bei typischer Anamnese schließt ein unauffälliger Schellong-Test eine orthostatische Dysregulation nicht aus!
- 12-Kanal-Ruhe-EKG
- Arrhythmien?
- Zeichen einer strukturellen Herzerkrankung?
Patienten mit Synkope sollen in der Notaufnahme primär mittels einer strukturierten klinischen Risikoeinschätzung und eines EKG beurteilt werden. Bei niedrigem Risiko können diese Patienten ohne weitere Diagnostik oder Überwachung in die ambulante Weiterbehandlung entlassen werden. (DGIM - Klug entscheiden in der Notaufnahme 2
Risikostratifizierung
- Risikomarker
- Synkope im Liegen oder bei körperlicher Belastung
- Plötzliches Herzrasen vor der Synkope
- Auffälliger bzw. suspekter EKG-Befund (s.u.)
- Herzinsuffizienz, schwere strukturelle Herzerkrankung oder Z.n. Myokardinfarkt
- Schwere Komorbidität, bspw. Anämie oder Elektrolytstörung
- Plötzlicher Herztod oder Ionenkanalerkrankung in der Familie
- Bei mind. einem Risikomarker: Sofortige stationäre Aufnahme, EKG-Überwachung und erweiterte Diagnostik!
Nachweis-Kriterien und wegweisende Befunde in der Basisdiagnostik
Nachweis-Kriterien → Sofortige stationäre Aufnahme, EKG-Überwachung und Therapie! | Wegweisende Befunde | Suspekte EKG-Befunde → Sofortige stationäre Aufnahme, EKG-Überwachung und weiterführende Diagnostik! | |
---|---|---|---|
Kardiogene Synkope |
|
|
|
|
| ||
Orthostatische Synkope |
|
|
Bei V.a. auf eine kardiogene Synkope muss immer eine stationäre Aufnahme zur Abklärung erfolgen!
Erweiterte Diagnostik bei Synkopen
- Indikation: Unklare Synkopenursache nach Basisdiagnostik
CT/MRT Schädel oder EEG sind bei einer eindeutigen Synkope nicht indiziert.
Bei Patienten mit Synkope soll die Duplexsonografie der Hirngefäße nicht Bestandteil der Notfallroutine sein! (DGIM - Klug entscheiden in der Notaufnahme)
CT/MRT Schädel, EEG oder Duplexsonografie der Halsgefäße kommen nur bei unklarer Diagnose zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen zum Einsatz.
Erweiterte Diagnostik bei Synkope
EKG-Monitoring [1]
- Indikation: Verdacht auf kardiale (arrhythmogene) Synkope in Basisdiagnostik
- Ergebnis: Nachweis oder Ausschluss einer korrelierenden Arrhythmie bei erneuter (Prä‑)Synkope während der Überwachung
- Möglichkeiten
- Stationäres EKG-Monitoring als erste Maßnahme
- Langzeit-EKG (über 3 Tage) bei rezidivierenden (Prä‑)Synkopen ≥1×/Woche bzw. bei V.a. kardiale (arrhythmogene) Synkope und erfolglosem Nachweis im primären Monitoring
- Externer EKG-Event-Rekorder bei V.a. kardiale (arrhythmogene) Synkope und erfolglosem Nachweis im Langzeit-EKG
- Implantierbarer EKG-Event-Rekorder bei V.a. kardiale (arrhythmogene) Synkope und erfolglosem Nachweis im Langzeit-EKG
- Bei Patienten ohne Risikofaktoren mit häufig rezidivierenden Synkopen unklarer Ursache
- Bei Risikopatienten
Belastungs-EKG (Ergometrie)
- Indikation: Synkope während oder kurz nach körperlicher Belastung
- Beweisend für eine kardiogene Synkope
- Reproduzierbare Synkope mit EKG-Auffälligkeiten oder ausgeprägter Hypotonie bei oder unmittelbar nach Ergometrie
- AV-Block II° Typ Mobitz oder AV-Block III° (auch ohne Synkope)
- Weitere Befunde
- Symptomatische Bradykardie bei Belastung: Zeichen einer kardialen Pathologie und Substrat einer kardiogenen Synkope
- Symptomatische Bradykardie nach Belastung: Zeichen eines pathologischen vegetativen Reflexes und Substrat einer (kardiodepressorischen) Reflexsynkope
Echokardiografie
- Indikation: Verdacht auf strukturelle Herzerkrankung nach Anamnese, körperlicher Untersuchung und/oder EKG
- Beweisend für eine kardiogene Synkope
- Hochgradige Aortenstenose
- Aortendissektion
- Perikardtamponade
- Vorhofmyxom
- Weitere Befunde, bei denen eine Folgediagnostik notwendig ist
Kipptisch-Test
- Indikation
- Verdacht auf Reflexsynkope ohne hinreichende anamnestische Belege
- Rezidivierende Synkopen bei unklarer Ätiologie nach Basisdiagnostik
- Erstmalige Synkope nur bei schweren Sturzverletzungen oder bei beruflichem Risiko durch erneute Synkopen
- Durchführung: Patient auf dem Kipptisch fixieren, 15 min in liegender Position, dann passives Aufrichten auf ca. 70° und ca. 20 min dort belassen, ggf. Provokation mit Nitroglycerin sublingual
- Ergebnis
- Unauffälliger Befund: Steigerung der Herzfrequenz bei kaum verändertem Blutdruck und ohne Synkope oder Präsynkope
- Beweisend für eine vasovagale Reflexsynkope: Auftreten einer
- Synkope
- Präsynkope mit Hypotension (systolischer Druck <90 mmHg) oder Bradykardie
Karotissinus-Massage (CSM)
- Indikation
- Verdacht auf Karotissinussyndrom aufgrund entsprechender Anamnese, bspw. Synkope nach Kopfdrehen oder beim Rasieren
- Patienten >40 Jahre mit unklarer Synkope nach Abschluss der Basisdiagnostik
- Durchführung
- Immer erst Auskultation der Karotiden
- Bei Strömungsgeräuschen: Keine CSM, weil dadurch Plaques abgelöst werden können
- Bei unauffälligem Befund: Massage des rechten und linken Karotisbulbus über 10 Sekunden jeweils im Liegen und Stehen, mit angeschnalltem Patient auf dem Kipptisch, dabei kontinuierliche EKG-Ableitung und regelmäßige Blutdruckmessung
- Immer erst Auskultation der Karotiden
- Ergebnis
- Unauffälliger Befund: Karotissinussyndrom sehr unwahrscheinlich
- Auffälliger Befund ohne Synkope: Unspezifisches Ergebnis
- Synkope plus Asystolie >3 Sekunden und/oder systolischer Blutdruckabfall um >50 mmHg: Beweisend für eine Reflexsynkope
Invasive elektrophysiologische Untersuchung (EPU)
- Indikation
- Verdacht auf arrhythmogene Synkope, insb. bei struktureller Herzerkrankung
- Synkope und Schenkelblock im EKG
- Herzrasen vor der Synkope
Pharmakologischer Provokationstest (nicht-invasive Sonderform der elektrophysiologischen Diagnostik)
- Indikation: Verdacht auf Brugada-Syndrom (zur Diagnosesicherung bzw. zum Ausschluss)
- Durchführung: Demaskieren des Typ I-EKGs mittels i.v. Applikation von Klasse I-Antiarrhythmika bei Verdachtsfällen und uncharakteristischem EKG-Befund
- Ergebnis: Bei Brugada Typ I
- Charakteristische Veränderungen der (rechts‑)ventrikulären Repolarisation mit ST-Hebung >0,2 mV, negative T-Welle in mind. 1 Ableitung (V1–V3)
Labor
- Immer
- Bei V.a. akutes Koronarsyndrom oder Lungenembolie zusätzlich: Troponin und D-Dimere
Differenzialdiagnosen
Transienter Bewusstseinsverlust: TLOC (Transient loss of consciousness) [1]
- Traumatisch bedingt (Schädel-Hirn-Trauma)
- Nicht-traumatisch bedingt, bspw.
- Synkope
- Epileptischer Anfall
- Psychogener Bewusstseinsverlust (dissoziativer (psychogener) Anfall)
Nicht-synkopale Anfälle
Charakteristika des Anfalls | Anamnestische Hinweise | Diagnostische Hinweise | |
---|---|---|---|
Epileptischer Anfall |
| ||
Dissoziativer (psychogener) Anfall |
|
|
|
Intoxikation |
|
| |
Hypoglykämie |
|
|
|
Herzstillstand |
|
|
|
Vertebrobasiläre Ischämie/Steal-Syndrome |
|
|
|
Schädel-Hirn-Trauma |
|
|
|
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Kardiale Synkope [1]
- Primäre Maßnahmen
- Therapie der ursächlichen Erkrankung, bspw. bei Klappenstenose
- Ausschluss reversibler Auslöser von Herzrhythmusstörungen, insb. Elektrolytentgleisung, Schilddrüsenfunktionsstörung oder Medikamentennebenwirkung
- Bei bradykarden Arrhythmien: Schrittmacherimplantation
- Sinusknotenerkrankungen: Bei Synkopen
- und asymptomatischem Sinusarrest ≥3–6 s, außer bei jungen Sportlern, schlafbedingten Pausen oder Pausen unter herzfrequenzsenkender Medikation
- und pathologischer Sinusknotenerholungszeit
- durch Sinusarrest ohne beeinflussbare Ursache
- AV-Überleitungsstörungen: Bei Synkopen
- durch Schenkelblock
- durch AV-Block II° Typ Mobitz oder AV-Block III°
- Sinusknotenerkrankungen: Bei Synkopen
- Bei tachykarden Arrhythmien
- Katheterablation
- Medikamentöse antiarrhythmische Therapie
- Bei Synkopen
- durch plötzlich auftretendes tachykardes Vorhofflimmern
- durch SVT oder VT bei erfolgloser/unmöglicher Katheterablation
- Bei Synkopen
- ICD-Implantation (um einen plötzlichen Herztod zu verhindern)
- Unabhängig vom Auftreten einer Synkope: Immer bei hochgradig eingeschränkter linksventrikulärer Herzleistung
- Bei Synkopen
- und VT und struktureller Herzerkrankung
- und induzierbarer anhaltender monomorpher VT bei Patienten nach Myokardinfarkt
- und hypertropher Kardiomyopathie oder Ionenkanalerkrankung
- und arrhythmogener rechtsventrikulärer Dysplasie (ARVD), long QT-Syndrom oder Brugada-Syndrom
Reflexsynkope
- Allgemeinmaßnahmen
- Aufklärung über Diagnose und fehlende vitale Gefährdung
- Meiden auslösender Umstände
- Erkennen von Prodromi und Ausüben von Gegenmaßnahmen, insb. isometrische mechanische Manöver („counter-pressure manoeuvre“)
- Durchführung: Verschränken der Hände ineinander, Überkreuzen der Beine, dann Anspannen der Streckmuskulatur der proximalen Extremitäten gegen Widerstand → Steigerung von Sympathikotonus und Blutdruck → Verhindern einer Synkope
- Bei gleichzeitiger orthostatischer Hypotonie: Trinkmenge mind. 2 L/Tag und ausreichende Kochsalzzufuhr
- Ggf. medikamentöser Therapieversuch: Midodrin (α1-Rezeptor-Agonist)
- Ggf. Implantation eines 2-Kammer-Schrittmachers
- Bei Patienten über 40 J. mit rezidivierenden Synkopen und korrelierender kardioinhibitorischer Reaktion im EKG
- Bei dominierendem kardioinhibitorischen Karotissinussyndrom
Synkope bei orthostatischer Hypotonie
- Allgemeinmaßnahmen
- Aufklärung über Diagnose und präventive Maßnahmen
- Meiden von Medikamenten, die eine orthostatische Hypotonie begünstigen (insb. vasoaktive Medikamente und Diuretika)
- Trinkmenge mind. 2 L/Tag und ausreichende Kochsalzzufuhr
- Regelmäßiges Ausdauertraining
- (Insb. morgendliches) Aufstehen langsam über sitzende Position und nicht ruckartig
- Nur möglicherweise wirksam: Isometrische mechanische Manöver, Schlafen mit erhöhtem Kopfende, Tragen von Kompressionsstrümpfen
- Ggf. medikamentöser Therapieversuch[3][4]
- Midodrin (α1-Rezeptor-Agonist)
- Fludrocortison (Mineralocorticoid)
Eine Synkope im Rahmen einer hypertrophen Kardiomyopathie, einer arrhythmogenen rechtsventrikulären Dysplasie (ARVD), eines Long-QT-Syndroms oder eines Brugada-Syndroms gilt IMMER als Warnsignal und Risikofaktor für einen plötzlichen Herztod!
AMBOSS-Pflegewissen: Hypotonie und Synkope
- Siehe auch
Pflegerische Maßnahmen bei Hypotonie
- Behandlung der Grunderkrankung: Nach ärztlicher Anordnung ggf. Absetzen von Medikamenten mit Hypotonie als Nebenwirkung
- Regelmäßige Blutdruckkontrollen
- Bei akuter Hypotonie ohne Bewusstlosigkeit/Kollaps
- Patient:innen hinlegen lassen
- Positionierung: Beinhochlage/Schocklage, insb. bei gleichzeitig bestehender Tachykardie
- Außer bei kardiogenem Schock
- Insb. bei Luftnot, gestauten Halsvenen, Zyanose keine Schocklage
- Außer bei kardiogenem Schock
- Psychische Unterstützung: Patient:innen beruhigen
- Ggf. Getränke anbieten: Bei ausreichender Vigilanz
- Ggf. Sauerstoffgabe: Nach ärztlicher Anordnung, meist 2–4 L/min über eine Sauerstoffbrille
- Gesundheitsfördernde Maßnahmen empfehlen: Im Nachgang der Akutsituation bei bekanntem Auslöser hinweisen auf
- Regelmäßiges Ausdauertraining
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr
- Betätigung der Muskel-Venen-Pumpe
- Ggf. medikamentöse Therapie: Bspw. Gabe von Infusionen nach ärztlicher Anordnung, insb. bei starkem Schwindel
- Abschließende Dokumentation: Inkl. aller Beobachtungen und Schilderung der Situation
Pflegerische Erstmaßnahmen bei Synkope
- Siehe auch: Basic Life Support
- Patient:innen nicht alleine lassen
- Positionierung: Beinhochlage/Schocklage, insb. bei gleichzeitig bestehender Tachykardie
- Außer bei kardiogenem Schock
- Insb. bei Luftnot, gestauten Halsvenen und Zyanose keine Schocklage
- Außer bei kardiogenem Schock
- Hilfe holen: Arzt/Ärztin informieren
- Vitalzeichenkontrolle
- Herzfrequenz/Pulskontrolle
- Atemtätigkeit und -frequenz
- Vigilanz
- Blutdruck
- Blutzucker
- Temperatur
- Ggf. Pupillenreaktion überprüfen
- Ggf. Untersuchung auf Sturzfolgen/Ursachen durch Arzt/Ärztin: Ggf. Risikofaktoren für Sturz bzw. Synkope ermitteln
- Weitere Maßnahmen nach ärztlicher Anordnung
- 12-Kanal-EKG ableiten
- Zugang legen (lassen)
- Infusionstherapie
- Ggf. Sturzprotokoll ausfüllen
- Abschließende Dokumentation: Inkl. aller Beobachtungen und erhobenen Vitalparameter, Schilderung der Situation
Komplikationen
- Je nach Ursache (z.B. lebensbedrohliche Arrhythmien) [1]
- Sturzbedingte Verletzungen in 30% aller Fälle, in ca. 5–10% schwere Verletzungen wie Frakturen oder Schädel-Hirn-Traumata
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Rezidivrisiko [1]
- 30% innerhalb von 3 Jahren nach einer Synkope
- Je mehr Synkopen auftreten, desto wahrscheinlicher ist ein weiteres Rezidiv
- Lebenserwartung
- Bei Patienten mit Reflexsynkope normal
- Bei begleitenden kardiovaskulären Pathologien entsprechend der Grunderkrankung erhöhte Gesamtmortalität (insb. durch plötzlichen Herztod)
Das Rezidivrisiko innerhalb von 3 Jahren nach einer Synkope beträgt ca. 30%.
Exkurs: Posturales (orthostatisches) Tachykardiesyndrom (POTS)
- Ätiologie: Genaue Pathogenese unklar[3][4]
- Alter: Insb. junge Frauen
- Klinik und Mechanismus
- Innerhalb von 10 min nach dem Aufstehen: Starker Herzfrequenzanstieg um mind. 30/min (oder Herzfrequenz absolut >120/min) → Mäßiggradige zerebrale Minderperfusion → Orthostatische Intoleranz → Ggf. Übergang in neurokardiogene Synkope
- Diagnostik
- Anamnese
- Befunde von Kipptisch- oder Schellong-Test: 10 min nach dem Aufstellen
- Kein wesentlicher Blutdruckabfall (systolischer Abfall ≤20 mmHg; diastolischer Abfall ≤10 mmHg)
- Starker Herzfrequenzanstieg um mind. 30/min (oder Herzfrequenz absolut >120/min)
- Therapie
- Hohe Spontanheilungsrate
- Allgemeinmaßnahmen
- Trinkmenge mind. 2 L/Tag und ausreichende Kochsalzzufuhr
- Regelmäßiges Ausdauertraining
- Isometrische mechanische Manöver
- Tragen von Kompressionsstrümpfen
- Medikamentöse Therapie (Off-Label Use)
- Midodrin (α1-Rezeptor-Agonist)
- Fludrocortison
- Betablocker, bspw. Propranolol
- Bei Depression oder Angststörung: Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), bspw. Paroxetin
Fahreignung nach Synkope
- Einschätzungskriterien
- Umstände der Synkope
- Profil des Fahrers (privat, beruflich) [5][6]
Ereignis | Private Fahrer | Berufskraftfahrer |
---|---|---|
Synkope erstmalig | Keine Einschränkung | Keine Einschränkung |
Synkope rezidivierend | Keine Fahreignung für mind. 6 Monate | Meist dauerhaft keine Fahreignung |
Nach Schrittmacherimplantation | Keine Fahreignung für 1 Woche [2] | Keine Fahreignung für 4 Wochen |
- Zur Fahreignung bei kardialer Synkope siehe auch
- Siehe auch für Empfehlungen zur Fahreignung im Rahmen weiterer kardiovaskulärer Erkrankungen
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 14-2018-1/4: Wie häufig ist die Lungenembolie Ursache einer Synkope?
Interesse an wöchentlichen Updates zur aktuellen Studienlage im Bereich der Inneren Medizin? Abonniere jetzt das Studientelegramm! Den Link zur Anmeldung findest du am Seitenende unter "Tipps & Links"
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- R55: Synkope und Kollaps
- Inklusive: Blackout, Ohnmacht
- Exklusive:
- Adams-Stokes-Anfall [Morgagni-Adams-Stokes-Syndrom] (I45.9)
- Bewusstlosigkeit o.n.A. (R40.2)
- Neurozirkulatorische Asthenie (F45.30)
- Orthostatische Hypotonie (I95.1)
- Neurogene orthostatische Hypotonie (G23.8)
- Schock:
- Synkope (durch):
- Hitze (T67.1)
- Karotissinus (G90.00)
- psychogen (F48.8)
- F45.-: Somatoforme Störungen
- F48.-: Andere neurotische Störungen
- F48.8: Sonstige neurotische Störungen
- Psychogene Synkope
- F48.8: Sonstige neurotische Störungen
- G90.-: Krankheiten des autonomen Nervensystems
- G90.0-: Idiopathische periphere autonome Neuropathie
- G90.00: Karotissinus-Syndrom (Synkope)
- G90.0-: Idiopathische periphere autonome Neuropathie
- I45.-: Sonstige kardiale Erregungsleitungsstörungen
- I45.9: Kardiale Erregungsleitungsstörung, nicht näher bezeichnet
- Adams-Stokes-Anfall [Morgagni-Adams-Stokes-Syndrom]
- Herzblock o.n.A.
- I45.9: Kardiale Erregungsleitungsstörung, nicht näher bezeichnet
- T67.-: Schäden durch Hitze und Sonnenlicht
- T67.1: Hitzesynkope
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.