Zusammenfassung
Die nach dem brasilianischen Arzt Carlos Chagas benannte Chagas-Krankheit (Amerikanische Trypanosomiasis) ist eine Parasitose, die durch Trypanosoma cruzi verursacht und typischerweise vektoriell durch Raubwanzen übertragen wird. Die Erkrankung ist insb. in Süd- und Mittelamerika verbreitet und zählt nach der WHO zu den armutassoziierten vernachlässigten Tropenkrankheiten (Neglected tropical Diseases, NTDs). Durch die Migration bekommen nicht-vektorielle Übertragungswege zunehmend Bedeutung (bspw. durch Bluttransfusionen oder diaplazentare Übertragung).
Nach akuter Infektion kann es zu unspezifischen Symptomen (z.B. lokale Hautreaktion, Fieber, Lymphadenopathie) kommen. Anschließend tritt eine chronisch-indeterminierte Phase auf, in der die meisten Personen lebenslang verbleiben. Bei ca. ⅓ der Infizierten kann es zu einer chronischen Phase mit Spätfolgen kommen (z.B. Achalasie, Megakolon, Chagas-Kardiomyopathie inkl. Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz). Die Diagnose erfolgt serologisch oder mit einem direkten Erregernachweis im Blutausstrich. Die antiparasitäre Therapie mit Benznidazol und Nifurtimox ist nebenwirkungsreich und insb. im Akutstadium Erfolg versprechend. Aufgrund der begrenzten Therapiemöglichkeiten kommen der Prävention und systematischer Screeningmethoden von Risikopersonen eine besondere Rolle zu.
Epidemiologie
- Vorkommen
- Insb. Mittel- und Südamerika (mit lokaler Vektorübertragung) [1]
- Starke Assoziation mit Armut
- Durch Migration auch in Nordamerika und Europa (ohne lokale Vektorübertragung)
- USA: >300.000 Infizierte [2]
- Europa: >80.000 Infizierte [1][3]
- Insb. Mittel- und Südamerika (mit lokaler Vektorübertragung) [1]
- Häufigkeit: Ca. 6–8 Millionen Infizierte weltweit [2][4]
- Neuerkrankungen: 56.000/Jahr
- Todesfälle infolge der Infektion: 12.000/Jahr [5]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Erreger: Trypanosoma cruzi (Protozoen)
- Infektionsweg
- Vektorielle Übertragung (häufigste): Raubwanzen (verschiedene Arten, insb. Triatoma)
- Nicht-vektorielle Übertragung [1]
- Vertikale Übertragung von der Mutter auf das Kind - diaplazentar, unter der Geburt oder (in seltenen Fällen) während des Stillens
- Bluttransfusionen, Transplantationen
- Verwendung kontaminierter Injektionsnadeln (z.B. bei i.v. Drogenkonsum)
- Kontaminierte Nahrungsmittel
- Risikofaktoren [1]
- Armut
- Ländliches Wohnen in Lehmhäusern oder unter Stroh- bzw. Palmdächern
- Mangelnde Aufklärung und Gesundheitsversorgung
Symptomatik
Akutes Stadium [1][2][4][5]
- Inkubationszeit: 5–20 Tage
- Dauer: 1–3 Monate
- Typische Symptomatik
- Hautreaktion (an der Einstichstelle)
- Chagom: Entzündliches Ödem mit Rötung, meist im Gesicht
- Romaña-Zeichen: Einseitiges Ödem des Ober- und Unterlids, evtl. ipsilaterale Konjunktivitis und präaurikuläre Lymphadenopathie
- Fieber, subjektives Krankheitsgefühl
- Generalisierte Lymphadenopathie, Splenomegalie
- Übelkeit, Durchfälle
- Myokarditis, akute Herzinsuffizienz
- Meningoenzephalitis
- Hautreaktion (an der Einstichstelle)
Nach der Infektion und ggf. der akuten Symptomatik kann es entweder zur Ausheilung oder zu einer asymptomatischen sog. chronisch-indeterminierten Phase kommen, in der mind. ⅔ der Infizierten lebenslang verbleiben!
Chronisches Stadium [1][2][4][5]
- Auftreten: Nach Jahren bis Jahrzehnten
- Typische Symptomatik
- Kardial: Chagas-Kardiomyopathie [1]
- Gastrointestinal: Megaösophagus und -kolon, Achalasie
- Weitere (selten): Befall von Lunge, ZNS
Bei Personen mit Immunsuppression kann es zu einer Reaktivierung der Parasitämie mit einem schweren Krankheitsverlauf kommen!
Diagnostik
Screening [1]
- Indikation: Insb. Personen, die selbst oder deren Mütter aus endemischen Gebieten kommen
- Frauen im gebärfähigen Alter
- Schwangere
- Blutspender:innen und Organspender:innen/-empfänger:innen
- Ggf. immunsupprimierte Personen
- Ggf. alle weiteren Personen : Entscheidung im Einzelfall
- Bei positivem Ergebnis: Screening von Familienmitgliedern (insb. Kindern) empfohlen
- Durchführung: Nur in einigen Laboren möglich
Ggf. sollte die Kostenübernahme der Krankenkasse vorab geklärt werden!
Ca. 90% der infizierten Personen wissen nichts von ihrer Infektion und den damit verbundenen Komplikationen! [5]
Diagnostik bei V.a. Chagas-Krankheit [1][2][3][4][5]
- Bei allen Personen ≥1 Jahr ohne Immunsuppression: Indirekter Erregernachweis durch 2 serologische Tests mit unterschiedlichen Methoden und/oder Antigenen
- Bei positivem Befund beider Tests → Diagnose gestellt
- Bei widersprüchlichen oder nicht eindeutigen Ergebnissen → Bestätigungstest durch
- Sofortigen dritten serologischen Test oder
- Wiederholung von 2 verschiedenen serologischen Tests nach 3 Monaten
- Bei Neugeborenen, siehe: Chagas-Krankheit - Neugeborene
- Weitere Nachweismöglichkeiten
- Blutausstrich (Mithilfe Buffy Coat oder als „dicker Tropfen“): Insb. bei akuter Infektion, Immunsuppression oder Reaktivierung
- PCR
- Shed-acute-Phase-Antigen-(SAPA)-Test
- Mikroskopischer Nachweis der Amastigoten in Biopsiematerial (bspw. Leber, Milz, Muskel, Lymphknoten)
Bei gesicherter Diagnose: Weiterführende Diagnostik [1][2][3][4][5]
- Bei Erstkontakt
- Anamnese mit Frage nach typischen Symptomen bzw. Komplikationen, siehe auch: Symptomatik der Chagas-Krankheit
- EKG inkl. Rhythmusstreifen über 30 s
- Echokardiografie
- Röntgen-Thorax
- Weiteres Vorgehen
- Asymptomatisch und Befunde unauffällig: 1×/Jahr Kontrolluntersuchung inkl. Anamnese und EKG mit Rhythmusstreifen über 30 s
- Befunde auffällig: Einbezug von Fachärzt:innen der Tropenmedizin sowie der jeweiligen Fachdisziplinen
- Bei kardialen Auffälligkeiten: 24-h-EKG, Labor inkl. NT-proBNP, ggf. Kardio-MRT
- Bei gastrointestinalen Auffälligkeiten (abhängig von Symptomatik): Bspw. Röntgen/CT inkl. Kontrastmittel, Ösophagusmanometrie, MR-Defäkografie
Bei der Diagnostik sollte achtsam vorgegangen werden, da die Diagnose mit Stigmatisierung, Ängsten und Depressionen verbunden sein kann! [1]
Therapie
Antiparasitäre Therapie [1]
- Indikation
- Vorgehen
- Risiko-Nutzen-Abwägung
- Frauen im gebärfähigen Alter
- Vor Beginn der Behandlung: Schwangerschaft ausschließen
- Während und nach der Behandlung: Sichere Verhütung gewährleisten
- Umfassendes Verlaufs- und Nebenwirkungsmanagement aufgrund vieler Nebenwirkungen [6]
- Medikament der 1. Wahl: Benznidazol (Off-Label Use)
- Medikament der 2. Wahl: Nifurtimox (Off-Label Use)
- Therapie bei vertikaler Infektion, siehe Chagas-Krankheit - Neugeborene
- Nebenwirkungen: Häufig, teils Pausierung oder Dosisreduktion notwendig [6]
- Bestellung der Medikamente: Über internationale Apotheke bzw. WHO
- Therapiekontrolle: Keine allgemeingültigen Empfehlungen, ggf. mithilfe PCR und serologischen Tests
Symptomatische Therapie [1]
- Bei kardialen Komplikationen
- Therapie der Herzinsuffizienz
- Bei Herzrhythmusstörungen: Amiodaron, ICD-Implantation
- Herztransplantation frühzeitig erwägen, insb. bei EF ≤30%, ICD-Implantation oder NYHA-Stadium ≥II
- Bei gastrointestinalen Komplikationen
- Megaösophagus: Dilatation, Myotomie und Fundoplicatio, Ösophagektomie
- Megakolon: Siehe toxisches Megakolon
Prognose
- Nach der Infektion [1][3][5]
- Selten spontane Ausheilung
- Chronisch-indeterminierte Phase mit Infektion ohne Spätfolgen (ca. ⅔)
- Spätfolgen, bspw. Chagas-Kardiomyopathie (ca. ⅓)
- Nach Therapiebeginn im akuten Stadium: Hoher Heilungserfolg [1]
Der plötzliche Herztod ist die häufigste Todesursache bei Personen mit einer Chagas-Kardiomyopathie!
Prävention
- In endemischen Ländern: Insb. vektorielle Übertragung verhindern [4]
- Insektizide und Verbesserung der Wohnsituation u.a. durch Armutsbekämpfung
- Nahrungsmittelhygiene
- In Europa: Insb. nicht-vektorielle Übertragung verhindern [1][3][5]
- Screening von Risikopersonen
- Screening von Blutprodukten
- Untersuchung von Neugeborenen infizierter Mütter
- Für Reisende [1][3][5]
- Repellents
- Imprägnierte Moskitonetze und Kleidung
- Nahrungsmittelhygiene
- Aufklärung über Übertragungswege
Reisende sind i.d.R. nicht betroffen!
Aufgrund der begrenzten Therapiemöglichkeiten kommt der Prävention eine besondere Rolle zu. Ein Impfstoff ist bisher nicht verfügbar!
Mütter und ihre Neugeborenen
- Diagnostik beim Neugeborenen: PCR (kein Nabelschnurblut)
- Therapie beim Neugeborenen
- Medikament der 1. Wahl: Benznidazol (Off-Label Use)
- Vertikale Infektion
- Medikament der 2. Wahl: Nifurtimox (Off-Label Use)
- Vertikale Infektion
- Für weitere Informationen zur Therapie, siehe: Chagas-Krankheit - Therapie
- Medikament der 1. Wahl: Benznidazol (Off-Label Use)
- Stillempfehlungen
Meldepflicht
- Keine Meldepflicht [5][7]
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Chagas-Krankheit
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- B57.-: Chagas-Krankheit
- Inklusive: Amerikanische Trypanosomiasis, Infektion durch Trypanosoma cruzi
- B57.0†: Akute Chagas-Krankheit mit Herzbeteiligung (I41.2*, I98.1*)
- Akute Chagas-Krankheit mit
- kardiovaskulärer Beteiligung, anderenorts nicht klassifiziert (I98.1*)
- Myokarditis (I41.2*)
- Akute Chagas-Krankheit mit
- B57.1: Akute Chagas-Krankheit ohne Herzbeteiligung
- Akute Chagas-Krankheit o.n.A.
- B57.2: Chagas-Krankheit (chronisch) mit Herzbeteiligung
- Amerikanische Trypanosomiasis o.n.A.
- Chagas-Krankheit (chronisch) (mit):
- kardiovaskulärer Beteiligung, anderenorts nicht klassifiziert† (I98.1*)
- Myokarditis† (I41.2*)
- o.n.A.
- Trypanosomiasis o.n.A., in Gebieten, in denen Chagas-Krankheit häufig vorkommt
- B57.3: Chagas-Krankheit (chronisch) mit Beteiligung des Verdauungssystems
- B57.4: Chagas-Krankheit (chronisch) mit Beteiligung des Nervensystems
- B57.5: Chagas-Krankheit (chronisch) mit Beteiligung sonstiger Organe
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.