Zusammenfassung
Astrozytome und Oligodendrogliome sind primäre Hirntumoren aus der Gruppe der Gliome (Untergruppe der neuroepithelialen Tumoren). Astrozytome unterteilen sich gemäß WHO in vier Grade: Vom langsam wachsenden pilozytischen Astrozytom (Grad I), das typischerweise bei Kindern auftritt und sich in der Regel kurativ resezieren lässt, über die diffusen Astrozytome (Grad II bis III) bis hin zum schnell wachsenden Glioblastom (Grad IV). Bei den Oligodendrogliomen unterscheidet man zwei WHO-Grade (II und III), wobei es sich bei letzterem um das aggressivere anaplastische Oligodendrogliom handelt.
Astrozytome und Oligodendrogliome können neben den allgemeinen Symptomen von Hirntumoren in Abhängigkeit von ihrer Lokalisation zusätzlich Herdsymptome wie progrediente Paresen oder Aphasien zeigen. Ab WHO-Grad II ist bei beiden Entitäten keine kurative Resektion mehr möglich, sodass nach symptomorientierter Teilresektion die adjuvante Radiochemotherapie Mittel der Wahl ist, um den Tumorprogress zu verzögern.
Die WHO-Klassifikation der Tumoren des zentralen Nervensystems wurde 2021 von der WHO überarbeitet und angepasst und ist in gekürzter Form in unserem Kapitel Hirntumor zu finden. [1] Sie ist jedoch ansonsten noch nicht vollständig in unsere Inhalte eingearbeitet. Die AMBOSS-Redaktion bittet um Entschuldigung, dass sich die Aktualisierung unserer Inhalte an dieser Stelle verzögert.
Molekulare Biomarker
Die WHO-Klassifikation der Tumoren des zentralen Nervensystems unterscheidet die Tumoren nicht nur nach dem Phänotyp (d.h. der Histopathologie), sondern teilweise auch nach dem Genotyp, d.h. nach definierten genetischen Abweichungen im Tumorgewebe (sog. molekulare Biomarker). Die wichtigsten molekularen Biomarker dieser Tumoren sind:
- BRAF-Fusionsgen: Charakteristisch für das pilozytische Astrozytom (WHO-Grad I)
- IDH-Mutation: Charakteristisch für das diffuse Astrozytom (WHO-Grad II) und das anaplastische Astrozytom (WHO-Grad III)
- MGMT-Promotor-Hypermethylierung: Häufig beim Glioblastom (astrozytärer Tumor mit WHO-Grad IV)
- 1p/19q-Kodeletion: Charakteristisch für Oligodendrogliome (WHO-Grad II–III)
BRAF-Fusionsgen
- Genetik: Duplikation des Protoonkogens BRAF mit nachfolgender Fusion mit dem KIAA-549-Gen → permanente Aktivierung des MAPK-Signalweges
- Häufigkeit: Mehrzahl der pilozytischen Astrozytome
- Klinische Relevanz: Diagnostisch wegweisend für pilozytisches Astrozytom (bei histologisch unklaren Fällen)
Mutation im Isocitratdehydrogenase-1- oder -2-Gen (IDH-mutiert)
- Genetik: Punktmutation im IDH-1- oder IDH-2-Gen → enzymatische Synthese von Onkometaboliten , die DNA-Methylierungen von CpG-Inseln im Genom stimulieren
- Findet sich keine IDH-Mutation im Tumorgewebe, bezeichnet man dies als „IDH-Wildtyp“
- Häufigkeit
- Charakteristisch für Astrozytome mit WHO-Grad II und III (diffuses Astrozytom und anaplastisches Astrozytom)
- ca. 10% der Glioblastome (WHO-Grad IV) haben eine IDH-Mutation (sog. sekundäre Glioblastome)
- Klinische Relevanz
- WHO-Klassifikation der Tumoren des zentralen Nervensystems fordert Bestimmung des IDH-Status für alle sog. diffusen Gliome (= Astrozytome WHO-Grad II–IV und Oligodendrogliome WHO-Grad II–III) bei Diagnosestellung
- Astrozytome mit IDH-Mutation haben eine bessere Prognose als Astrozytome des gleichen WHO-Grades ohne IDH-Mutation
MGMT-Promotor-Hypermethylierung
- Genetik: Starke DNA-Methylierung des Promotors vom MGMT-Gen (O6-Methylguanine-DNA-Methyltransferase-Gen) senkt dessen Expression → Abnahme des kodierten DNA-Reparaturenzyms → DNA-Schädigungen (z.B. durch Alkylanzien) können nicht repariert werden
- Häufigkeit: Etwa die Hälfte aller Glioblastome zeigt eine Hypermethylierung des MGMT-Promotors
- Klinische Relevanz
- Positiver Prädiktor für Ansprechen von Astrozytomen WHO Grad II–IV auf Chemotherapie mit Alkylanzien (wie Temozolomid) und eine resultierende verlängerte Überlebenszeit
1p/19q-Kodeletion
- Genetik: Verlust des kurzen Arms von Chromosom 1 (1p) und des langen Arms von Chromosom 19 (19q) durch unbalancierte Translokation
- Häufigkeit: 1p/19q-Kodeletion ist charakteristisch für Oligodendrogliome
- Klinische Relevanz
- Diagnostisch wegweisend für Oligodendrogliome (bei histologisch unklaren Fällen)
- Positiver Prädiktor für Ansprechen von Oligodendrogliomen auf Chemotherapie und Radiotherapie und eine resultierende verlängerte Überlebenszeit
Astrozytome
- Definition: Primäre Hirntumoren aus der Gruppe der Gliome (Untergruppe der neuroepithelialen Tumoren)
WHO-Grad | Typ | Mittleres Erkrankungsalter | Lokalisation/Symptome | Diagnostik | Therapie | Mediane Überlebenszeit unter Therapie |
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I |
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II |
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III |
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IV |
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IV |
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Sonderform Hirnstammgliom
- Definition: „Hirnstammgliom“ ist ein klinisch-radiologischer Sammelbegriff für astrozytäre Tumoren im Bereich des Hirnstammes mit unterschiedlicher Dignität und Prognose (WHO Grad I-IV). Sie machen 15% aller kindlichen ZNS-Tumoren aus.
- Klassifikation
- Tektales Gliom (histologisch: Pilozytisches Astrozytom WHO-Grad I)
- Fokales tegmentales mesenzephales Gliom (histologisch: Pilozytisches Astrozytom WHO-Grad I)
- Diffuses Mittelliniengliom, H3-K27M-mutiert (histologisch: High-Grade-Gliom astrozytärer (teils oligodendroglialer) Differenzierung WHO-Grad IV); (ehemals als „diffuses (intrinsisches) Ponsgliom“ bezeichnet)
- Epidemiologie: 3.–10. Lebensjahr
- Klinik
- Erbrechen
- Ataxie
- Hirnnervenausfälle
- MRT
- Hirnstammgliome sind i.d.R. T2-hyperintens
- KM-Enhancement: Abhängig vom Typ des Hirnstammglioms
- Tektales Gliom: Variables Enhancement
- Fokales tegmentales mesenzephales Gliom: KM-Aufnahme
- Diffuses Mittelliniengliom, H3-K27M-mutiert: Meist keine KM-Aufnahme
- Therapie: Resektion oftmals schwierig wegen der Lokalisation im Hirnstamm
- Prognose
Oligodendrogliome
- Definition: Von den Oligodendrozyten ausgehende Tumoren, die zur Gruppe der sog. diffusen Gliome zählen
- Epidemiologie: 30.–50. Lebensjahr
- Unterteilung (gemäß WHO-Klassifikation der Tumoren des zentralen Nervensystems)
- Oligodendrogliom, IDH-mutiert und 1p/19q-kodeletiert (WHO-Grad II)
- Oligodendrogliom, NOS
- Anaplastisches Oligodendrogliom, IDH-mutiert und 1p/19q-kodeletiert (WHO-Grad III)
- Anaplastisches Oligodendrogliom, NOS
- Lokalisation: Am häufigsten im Frontallappen
- Klinik: Siehe allgemeine Symptome von Hirntumoren (bspw. epileptischer Anfall)
- Diagnostik
- Radiologie: Unterschiedliche Densitäten im CT (dichte Bereiche entsprechen meist Verkalkungen, seltener Einblutungen)
- Histopathologie: Verkalkungen, Tumorzellen erinnern an „Spiegeleier“
- Therapie
- Resektion: Per definitionem nur Teilresektion möglich (diffus wachsende Gliome!)
- Anzustreben bei möglicher Verbesserung der Lebensqualität
- Größtmöglich bei klinischer Symptomatik
- Radiatio + Chemotherapie mit PCV-Schema (Procarbazin, CCNU (= Lomustin) und Vincristin) oder Radiatio + Chemotherapie mit Temozolomid
- Abwartendes Verhalten nur bei erheblichem Interventionsrisiko indiziert
- Resektion: Per definitionem nur Teilresektion möglich (diffus wachsende Gliome!)
- Prognose: Mediane Überlebenszeit unter Therapie 9,8 Jahre (für WHO-Grad II) bzw. 4,5 Jahre (für WHO-Grad III)
- Oligodendrogliome mit IDH-Mutation haben eine bessere Prognose als Oligodendrogliome ohne IDH-Mutation
Meditricks
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Astrozytome
Glioblastome
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- C71.-: Bösartige Neubildung des Gehirns
- Exklusive: Hirnnerven (C72.2–C72.5), Retrobulbäres Gewebe (C69.6)
- C71.0: Zerebrum, ausgenommen Hirnlappen und Ventrikel
- Supratentoriell o.n.A.
- C71.1: Frontallappen
- C71.2: Temporallappen
- C71.3: Parietallappen
- C71.4: Okzipitallappen
- C71.5: Hirnventrikel
- Exklusive: IV. Ventrikel (C71.7)
- C71.6: Zerebellum
- C71.7: Hirnstamm
- Infratentoriell o.n.A.
- IV. Ventrikel
- C71.8: Gehirn, mehrere Teilbereiche überlappend
- C71.9: Gehirn, nicht näher bezeichnet
- C72.-: Bösartige Neubildung des Rückenmarkes, der Hirnnerven und anderer Teile des Zentralnervensystems
- Exklusive: Meningen (C70.‑), Periphere Nerven und autonomes Nervensystem (C47.‑)
- C72.0: Rückenmark
- C72.1: Cauda equina
- C72.2: Nn. olfactorii [I. Hirnnerv]
- C72.3: N. opticus [II. Hirnnerv]
- C72.4: N. vestibulocochlearis [VIII. Hirnnerv]
- C72.5: Sonstige und nicht näher bezeichnete Hirnnerven
- Hirnnerven o.n.A.
- C72.8: Gehirn und andere Teile des Zentralnervensystems, mehrere Teilbereiche überlappend
- C72.9: Zentralnervensystem, nicht näher bezeichnet
- Nervensystem o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.