Zusammenfassung
Neuroblastome sind maligne, embryonale Tumoren des peripheren sympathischen Nervensystems. Sie können in allen Geweben auftreten, in denen sich sympathische Nervenzellen befinden, bspw. im Nebennierenmark oder im Grenzstrang. Nach ZNS-Tumoren sind sie die häufigsten malignen soliden Tumoren im Kindesalter. In 40% der Fälle handelt es sich um einen Zufallsbefund. Spezifische Symptome hängen von der Lokalisation des Tumors ab. Diagnostisch sollten Hals, Abdomen und Becken sonografiert und die Katecholamin-Abbauprodukte (Vanillinmandelsäure und Homovanillinsäure) im Spontanurin bestimmt werden. Die Therapie richtet sich nach dem Alter bei Diagnosestellung, dem Risikoprofil (bspw. Niedrigrisiko-Neuroblastom, Hochrisiko-Neuroblastom) und dem Erkrankungsstadium. Bei Kindern mit einem günstigen Risikoprofil kann häufig eine spontane Regression beobachtet werden, sodass die Überlebensrate bei >90% liegt. Hochrisiko-Neuroblastome zeigen trotz intensiver Therapie eine Überlebensrate von ≤50%.
Definition
- Maligner neuroektodermaler, embryonaler Tumor, entstehend aus Zellen des sympathischen (i.d.R. peripheren) Nervensystems
Epidemiologie
- Häufigster extrakranieller solider Tumor im Kindesalter (5,5% aller kindlichen Tumoren) [2]
- Mittleres Erkrankungsalter: 14 Monate
- Assoziationen : Morbus Hirschsprung, Undine-Syndrom, Beckwith-Wiedemann-Syndrom, Sotos-Syndrom und Weaver-Syndrom
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Ätiologie: Unklar, i.d.R. sporadisches Auftreten [1]
- Risikofaktoren für ein Hochrisiko-Neuroblastom [1]
Symptomatik
- Zufallsbefund (40%) [1][2]
- Tumor-/Metastasenschwellung (25%)
- Allgemeinsymptome
- Leistungsminderung, Appetitlosigkeit
- Fieber, Blässe
- Erhöhte Katecholaminbildung (selten): Arterielle Hypertonie, sekretorische Diarrhö [3]
- Spezifische Symptome eines Neuroblastoms je nach Lokalisation
- Selten (paraneoplastisch): Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom (in 2% der Fälle)
Spezifische Symptome eines Neuroblastoms je nach Lokalisation [1][3] | |
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Lokalisation des Primärtumors | Assoziierte Symptome |
Hals |
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Thorax (paravertebral) |
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Abdomen |
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Lokalisation der Metastasen | Assoziierte Symptome |
Orbitainfiltration |
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Knochen(mark) |
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Ca. 40% der Neuroblastome sind ein Zufallsbefund, z.B. bei Vorsorgeuntersuchungen oder Ultraschalluntersuchungen aus anderer Indikation!
In 50% der Fälle sind bei Diagnosestellung bereits Fernmetastasen vorhanden!
Stadien
- Stadieneinteilungen des Neuroblastoms: Zwei parallele Klassifikationssysteme
- INRGSS (International Neuroblastoma Risk Group Staging System, 2009)
- Einteilung der Tumorausdehnung vor dem initialen operativen Eingriff und unabhängig vom Lymphknotenstatus
- Risikostratifizierung anhand sog. Image defined Risk Factors (IDRF) möglich
- Bei Multifokalität: Klassifikation anhand der Ausdehnung des größten Tumors
- INSS (International Neuroblastoma Staging System, 1993)
- Einteilung nach Tumorgröße, Beteiligung von Lymphknoten bzw. Metastasen und das Ausmaß der initialen chirurgischen Tumorresektion
- Exakte Beurteilung des Stadiums erst nach initialer Operation möglich
- Bei Multifokalität: Klassifikation anhand der Ausdehnung des größten Tumors
- INRGSS (International Neuroblastoma Risk Group Staging System, 2009)
INRGSS-Einteilung des Neuroblastoms [1] | |
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Stadium | Bedeutung |
INRGSS-Stadium L1 | |
INRGSS-Stadium L2 | |
INRGSS-Stadium M |
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INRGSS-Stadium MS |
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Die INRGSS dient einer besseren Risikostratifizierung!
INSS-Einteilung des Neuroblastoms [1] | |
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Stadium | Bedeutung |
INSS-Stadium 1 |
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INSS-Stadium 2A |
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INSS-Stadium 2B |
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INSS-Stadium 3 |
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INSS-Stadium 4 |
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INSS-Stadium 4S |
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Die Mittellinie ist definiert als die kontralaterale Begrenzung der Wirbelsäule!
Diagnostik
Basisdiagnostik [1]
- Indikation: Unspezifische Symptome ohne konkreten Hinweis auf ein Neuroblastom
- Untersuchungen
- Vollständige körperliche Untersuchung
- Katecholamin-Abbauprodukte (Vanillinmandelsäure und Homovanillinsäure) im Spontanurin [3]
- Sonografie: Hals, Abdomen, Becken
- Röntgen-Thorax
Vollständige Statuserhebung [1]
- Indikation: Spezifische Symptome, anhaltender klinischer Verdacht und/oder auffälliger Basisdiagnostik
- Untersuchungen (zusätzlich zur Basisdiagnostik)
- Neuronenspezifische Enolase (NSE)
- MRT der Tumorregion mit Kontrastmittel (Alternative: CT )
- MIBG-Szintigrafie des gesamten Körpers mit 123Iod-meta-Iodbenzylguanidin inkl. SPECT
- Knochenmarkpunktion
- Offene Tumorbiopsie
- Molekulargenetik
- Für weiterführende Diagnostik unter und nach Therapie siehe: S1-Leitlinie „Neuroblastom“ [1]
Pathologie
- International Neuroblastoma Pathological Classification (INPC) [1]
- Beurteilung
- Verhältnis von Neuroblasten, Schwann-Zellen, Stroma
- Reifegrad der Neuroblasten
- Einteilung in „prognostisch günstig“ und „ungünstig“ (unter Einbeziehung von Histologie, Patientenalter und Mitose-Karyorrhexis-Index)
- Beurteilung
- Veraltet: Histologische Einteilung der Malignitätsgrade nach Hughes nach Zelldifferenzierung (Grad 1–3) [4]
Differenzialdiagnosen
- Nephroblastom [2]
- Lymphome [2]
- Teratome [2]
- Osteomyelitis oder Koxitis
- Phäochromozytom
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Erstlinientherapie nach nationaler S1-Leitlinie „Neuroblastom“ [1]
- Durchführung i.d.R. im Rahmen klinischer Studien mit eigenen studienspezifischen Therapien und Risikostratifizierungen
Niedrigrisiko-Neuroblastom
- Einschlusskriterien: Keine MYCN-Amplifikation und
- INSS-Stadium 1 oder
- INSS-Stadium 2 ohne Aberrationen im Chromosom 1p oder
- INSS-Stadium 3 ohne Aberrationen im Chromosom 1p im Alter <2 Jahren oder
- INRGSS-Stadium MS
- Therapiekonzept
- Operativer Eingriff zur Biopsie (ggf. mit vollständiger Tumorresektion )
- Bei sehr jungen Säuglingen ohne Symptome: Unter engmaschiger Kontrolle abwarten und Biopsie im Alter von 3–6 Monaten
- Keine extensiven Operationen
- I.d.R. keine weitere Therapie bei makroskopischen Tumorresten
- Zu beachten: Hohe Rate an spontanen Regressionen
- Engmaschige Verlaufsbeobachtungen, ggf. Tumorresektion im Verlauf (falls nicht bereits erfolgt)
- Ggf. Chemotherapie: Bei tumorbedingten Symptomen
- Nicht indiziert: Strahlentherapie
- Operativer Eingriff zur Biopsie (ggf. mit vollständiger Tumorresektion )
Mittleres Risiko beim Neuroblastom
- Einschlusskriterien: Keine MYCN-Amplifikation und
- INSS-Stadium 2 mit Nachweis einer Deletion oder Imbalance im Chromosom 1p oder
- INSS-Stadium 3 mit Nachweis einer Deletion oder Imbalance im Chromosom 1p im Alter <2 Jahren bei Diagnosestellung oder
- INSS-Stadium 3 im Alter >2 Jahre bei Diagnosestellung oder
- INRGSS-Stadium M im Alter <18 Monaten bei Diagnosestellung
- Therapiekonzept
- Operativer Eingriff zur Biopsie (ggf. mit vollständiger Tumorresektion )
- Chemotherapie (6 Zyklen) und operative Tumorresektion nach 2–4 Zyklen (falls nicht bereits erfolgt)
- Postoperative Erhaltungstherapie mit Cyclophosphamid (p.o.)
- Bei (inoperablem) Resttumor und Alter >18 Monate bei Diagnosestellung: Strahlentherapie
Hochrisiko-Neuroblastom
- Einschlusskriterien
- MYCN-Amplifikation oder
- INGRSS-Stadium M im Alter >18 Monate
- Therapiekonzept
- Operativer Eingriff zur Biopsie (ggf. mit Tumorresektion ) bei
- Unzureichender Diagnosesicherung anhand eines Knochenmarkbefalls oder
- Zu geringem Infiltrationsgrad des Knochenmarks für die Durchführung der molekulargenetischen Untersuchungen
- Induktionschemotherapie und Resektion des Primärtumors (Ziel >95% des Primärtumors)
- Ggf. 131I-MIBG-Therapie bei MIGB-positivem Tumorgewebe
- Konsolidierende Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation
- Postkonsolidierungstherapie (Immuntherapie mit Dinutuximab)
- Bestrahlung der Region des Primärtumors
- Operativer Eingriff zur Biopsie (ggf. mit Tumorresektion ) bei
Nachsorge
- Regelmäßige Kontrollen: Je nach individuellem Risikoprofil mit [1]
- Klinischer Untersuchung
- Tumormarkerbestimmung
- Schnittbildgebung (im Verlauf ggf. Sonografie)
- Knochenmarkpunktion und funktionelle Bildgebung (ggf. verzichtbar bei unauffälligen Vorbefunden und Nutzen-Risiko-Abwägung)
- Nach Radiochemotherapie: Ausschluss von Spätfolgen [1]
- Innenohrschwerhörigkeit
- Hypothyreose
- Fokale noduläre Hyperplasie der Leber
- Kardiomyopathie
- Chronische Nierenerkrankungen
- Wachstumsstörungen
- Skoliose
- Sekundärmalignom
Prognose
- Abhängig vom Risikoprofil [1]
- Niedrigrisiko-Neuroblastom: Überlebensrate >90% (hohe Rate spontaner Regressionen)
- Hochrisiko-Neuroblastom: Überlebensrate ≤50%
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- C47.-: Bösartige Neubildung der peripheren Nerven und des autonomen Nervensystems
- Inklusive: Sympathische und parasympathische Nerven und Ganglien
- Exklusive: Hirnnerven (C72.2-C72.5)
- C47.0: Periphere Nerven des Kopfes, des Gesichtes und des Halses
- C47.1: Periphere Nerven der oberen Extremität, einschließlich Schulter
- C47.2: Periphere Nerven der unteren Extremität, einschließlich Hüfte
- C47.3: Periphere Nerven des Thorax
- C47.4: Periphere Nerven des Abdomens
- C47.5: Periphere Nerven des Beckens
- C47.6: Periphere Nerven des Rumpfes, nicht näher bezeichnet
- C47.8: Periphere Nerven und autonomes Nervensystem, mehrere Teilbereiche überlappend
- C47.9: Periphere Nerven und autonomes Nervensystem, nicht näher bezeichnet
- C48.-: Bösartige Neubildung des Retroperitoneums und des Peritoneums
- C48.0: Retroperitoneum
- C74.-: Bösartige Neubildung der Nebenniere
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.