Grundlagen
Ziel der AMBOSS-SOP
- Schnellstmöglicher Therapiebeginn einer diabetischen Ketoazidose im Kindes- und Jugendalter zur Vermeidung gravierender Komplikationen bis zum Tod
- Für Informationen zur Pathophysiologie, Ursache und Häufigkeit siehe: Diabetische Ketoazidose im Kindes- und Jugendalter - Grundlagen
Für die gewichtsbezogenen Berechnungen steht dir in der hinterlegten Quelle unser kostenfrei ausdruckbares Ketoazidoseschema zur Verfügung! [3]
Klinische Präsentation
- Kußmaul-Atmung
- Bauchschmerzen (Pseudoperitonitis diabetica)
- Dehydratation (bzw. Gewichtsverlust)
- Übelkeit und Erbrechen
- (Fruchtiger) Aceton-Geruch im Atem
- Verlängertes QT-Intervall
- Lethargie bzw. Koma, kognitive Einschränkungen
- Für allgemeine Symptome eines Diabetes mellitus Typ 1 siehe: Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter - Symptome
Der Grad der Exsikkose kann aufgrund eines intravasalen Flüssigkeitsshifts klinisch unterschätzt werden!
Bei auffälligem Atemmuster, Erbrechen und/oder Bauchschmerzen muss der Blutzucker gemessen werden!
Definition
- Diagnosekriterien
- pH <7,3
- Bicarbonat <18 mmol/L
- Hyperglykämie >200 mg/dL (>11 mmol/L)
- Ketonurie bzw. Ketonnachweis im Serum
- Schweregrade
- Leicht: pH <7,3 bzw. Bicarbonat <18 mmol/L
- Mittelschwer: pH <7,2 bzw. Bicarbonat <10 mmol/L
- Schwer: pH <7,1 bzw. Bicarbonat <5 mmol/L
- Differenzialdiagnose: Hyperglykämisches hyperosmolares Syndrom ohne Ketonnachweis (siehe: Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter - Differenzialdiagnosen)
Bei V.a. eine diabetische Ketoazidose sollte sofort eine BGA mit BZ-Messung durchgeführt werden!
1 - Sofortmaßnahmen
- Überprüfung und Sicherung der Vitalfunktionen nach dem cABCDE-Schema (siehe auch: Reanimation von Kindern - AMBOSS-SOP)
- Monitoring der Vitalparameter: Herzfrequenz, EKG, Atmung, spO2, Blutdruck, Körpertemperatur
- Überprüfung der Vigilanz: Glasgow Coma Scale
- Intravenöser Zugang: Mind. 2 stabile i.v. Zugänge
- Klinische Untersuchung: Inkl. Grad der Dehydratation (u.a. Körpergewicht, Rekapillarisierungszeit)
- Blutentnahme
- Sofort venöse BGA
- Blutzucker
- Elektrolyte
- HbA1c und großes Blutbild
- CRP, Albumin, Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure
- Kapilläre Ketonmessung
- Weitere Maßnahmen
- Urindiagnostik: Glucose, Ketone, ggf. Urinstatus
- Bei Fieber: Fokussuche
- Bei Manifestation siehe: Diagnostik bei Manifestation eines Diabetes mellitus Typ 1
Bei einer diabetischen Ketoazidose sollten zügig 2 periphere Zugänge gelegt werden!
2 - Flüssigkeitsausgleich
Therapieprinzipien
- Kreislaufstabilisierung durch initialen Volumenbolus
- Azidoseausgleich und Normoglykämie durch
- Insulingabe und
- Bedarfsgerechte Elektrolytsubstitution und
- Langsamen Flüssigkeitsausgleich und
- Vermeidung von Therapiekomplikationen
- Ggf. auslösende Faktoren therapieren
Der Azidoseausgleich sollte durch eine Infusionstherapie und nicht durch die Gabe von Bicarbonat erzielt werden!
Flüssigkeitsausgleich [1][2]
- Initialer Volumenbolus
- Bei ausgeprägtem Flüssigkeitsdefizit oder
- Bei verlängerter Rekapillarisierungszeit [1] oder
- Bei hämodynamischem Schock (selten) [1]
- Maximalvolumen: Laufrate max. 500 mL/h bzw. 1.000 mL/Bolus
- Anschließender Flüssigkeitsausgleich: Über 24–48 h
- Wahl der Infusionslösungen
- ≤6 Stunden: Isotone Elektrolytlösung
- >6 Stunden: Isotone oder hypotone Elektrolytlösung (NaCl-Konzentration nie hypotoner als 0,45%)
- Plus 5%ige Glucoselösung bei
- Blutzucker <270 mg/dL (<15 mmol/L) oder
- Blutzuckerabfall >90 mg/dL/h (>5 mmol/L/h)
- Infusionsmenge: Verabreichung über 24 h (Tagesbedarf an Flüssigkeit bei Kindern plus geschätztes Volumendefizit minus initialer Volumenbolus)
- Tagesbedarf an Flüssigkeit bei Kindern
- ≤10 kgKG: 100 mL/kgKG/24 h
- 11–20 kgKG: Grundsätzlich 1.000 mL plus zusätzlich 50 mL/kgKG für jedes Kilogramm ab 10 kgKG pro 24 h
- >20 kgKG: Grundsätzlich 1.500 mL plus zusätzlich 20 mL/kgKG für jedes Kilogramm ab 20 kgKG pro 24 h
- Geschätztes Volumendefizit: Nach Schweregrad der Ketoazidose
- Leicht : 5% des aktuellen Körpergewichts
- Mittelschwer : 7% des aktuellen Körpergewichts
- Schwer : 10% des aktuellen Körpergewichts
- Tagesbedarf an Flüssigkeit bei Kindern
- Wahl der Infusionslösungen
Berechnungsbeispiele für den Flüssigkeitsausgleich bei diabetischer Ketoazidose im Kindes- und Jugendalter | |||||||
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Aktuelles Körpergewicht (kg) | Allgemeiner Flüssigkeitsbedarf (mL/24 h) | Schweregrad der Ketoazidose | Initialer Volumenbolus | Benötigtes Gesamtvolumen | Laufrate (mL/h) | ||
Leicht | Mittelschwer | Schwer | |||||
Geschätztes Volumendefizit (% des aktuellen Körpergewichts in mL) | |||||||
5% | 7% | 10% | |||||
4 | 400 | 200 mL | 280 mL | 400 mL | 60 | 620 | 26 |
13 | 1.150 | 650 mL | 910 mL | 1.300 mL | 195 | 1.865 | 78 |
I.d.R. sollte initial ein Volumenbolus von 10–20 mL/kgKG mit NaCl 0,9% über 1–2 h verabreicht werden!
Der weitere Flüssigkeitsausgleich erfolgt mittels Voll- bzw. Halbelektrolytlösung über 24 h: Allgemeiner Flüssigkeitsbedarf + geschätztes Volumendefizit – initialer Volumenbolus!
Die Laufrate sollte max. 500 mL/h betragen! Die tägliche Infusionsmenge sollte das 1,5- bis 2-Fache des allgemeinen täglichen Flüssigkeitsbedarfs nicht übersteigen!
3 - Insulintherapie
- Beginn: 1 h nach Infusionsbeginn!
- Dosierung: 0,1 IE/kgKG/h Normalinsulin
- Ziel: Langsame Blutzuckersenkung um ca. 36–90 mg/dL/h , da ein rasanter Blutzuckerabfall das Risiko für die Entstehung eines Hirnödems erhöht
- Insulinperfusor (Therapievorschlag): Dosierung 0,01 IE/kgKG/mL
Laufrate des Insulinperfusors bei diabetischer Ketoazidose im Kindes- und Jugendalter | ||
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Blutzuckerwert | Laufrate des Insulinperfusors | Insulindosierung |
>200 mg/dL (>11 mmol/L) | 10 mL/h | 0,1 IE/kgKG/h |
150–200 mg/dL (8,3–11 mmol/L) | 5 mL/h | 0,05 IE/kgKG/h |
100–149 mg/dL (5,5–<8,3 mmol/L) | 2,5 mL/h | 0,025 IE/kgKG/h |
<100 mg/dL (<5,5 mmol/L) | Pausiert | — |
Kein Abbruch der Insulinzufuhr vor Azidoseausgleich! Bei zu schnellem Absenken des Blutzuckers und einem pH <7,3 soll 5%ige Glucoselösung zur Infusion gegeben werden!
Die Therapie der Ketoazidose beginnt mit dem Flüssigkeitsausgleich! Erst nach 1 h wird die langsame Blutzuckersenkung mit Insulin i.v. begonnen!
4 - Kaliumsubstitution
- Kaliumdefizit: ca. 3–6 mmol/kgKG
- Kaliumsubstitution
- Beginn
- Hypokaliämie: Sofort
- Normokaliämie: Mit Beginn der Insulingabe
- Hyperkaliämie: Nach Miktion und Kalium <5,5 mmol/L
- Wirkstoff: Kaliumchlorid-Lösung
- Ggf. Kaliumphosphat-Lösung zur Phosphatsubstitution
- Bei schwerer Hypophosphatämie: 50% der Kaliumsubstitution mittels Kaliumphosphat-Lösung statt Kaliumchlorid-Lösung
- Ggf. Kaliumphosphat-Lösung zur Phosphatsubstitution
- Verabreichung: Zusatz zur Infusion mit max. 40 mmol/L
- Dosierung: Je nach Kaliumwert im Serum
- Maximale Laufrate: 0,5 mmol/kgKG/h
- Beginn
Therapievorschlag: Kaliumsubstitution bei Ketoazidose im Kindes- und Jugendalter | ||
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Aktueller Kaliumwert | Kaliumsubstitution | |
Bedarf in mmol/kgKG/24 h | Laufrate in mmol/kgKG/h | |
>6 mmol/L | Kaliumsubstitution pausieren | |
>5,0–6,0 mmol/L | 2 mmol/kgKG/24 h | 0,08 mmol/kgKG/h |
3,5–5,0 mmol/L | 4 mmol/kgKG/24 h | 0,17 mmol/kgKG/h |
<3,5 mmol/L | 6 mmol/kgKG/24 h | 0,25 mmol/kgKG/h |
Während der Therapie einer Ketoazidose besteht ein hoher zusätzlicher Kaliumbedarf!
5 - Überwachung
- Stündliche Kontrollen: Bis zum Azidoseausgleich
-
Blutentnahme
- Kapillärer Blutzucker
- BGA und Elektrolyte (Cave: korrigiertes Serumnatrium)
- Vitalparameter
- Vigilanz (GCS)
- Temperaturmessung
- Ein- und Ausfuhr mit Bilanzierung alle 2 h
-
Blutentnahme
Blutzuckerkontrollen, BGAs und Vigilanzprüfungen sollten initial stündlich durchgeführt werden!
Komplikation: Hirnödem
Hirnödem im Rahmen einer diabetischen Ketoazidose im Kindes- und Jugendalter
- Häufigkeit: Bei 0,3–1% aller Ketoazidosen [2]
- Assoziationen
- Manifestation
- Alter <5 Jahre
- Ausgeprägte Dehydratation
- Schwere Azidose (pH <7,1)
- Niedriger initialer pCO2
- Mangelnder Anstieg oder Abfall des Serumnatriums
- Warnzeichen
- Kopfschmerzen
- Auffälligkeiten der Vitalparameter
- Neurologische Symptome
- Therapie
- Verlegung auf die Intensivstation
- Mannitol-Gabe [1][2]
- Reduktion der Infusionsmenge auf ⅓ des Gesamtvolumens und Kopfhochlagerung
Diagnosescore für das symptomatische Hirnödem [2] | ||
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Direkte Kriterien |
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Indirekte Kriterien | Hauptkriterien |
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Nebenkriterien |
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Diagnose: Wenn 1 direktes Kriterium oder 2 indirekte Hauptkriterien oder 1 indirektes Haupt- und 2 Nebenkriterien zutreffen |
Das Hirnödem ist eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation der diabetischen Ketoazidose!
Ausdruck: Pädiatrisches Ketoazidoseschema
Für die gewichtsbezogenen Berechnungen steht dir in der hinterlegten Quelle unser kostenfrei ausdruckbares Ketoazidoseschema zur Verfügung! [3]
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
E10.11: Diabetes mellitus, Typ 1: Mit Ketoazidose
- Diabetisch: Azidose, Ketoazidose, ohne Angabe eines Komas
E10.01: Diabetes mellitus, Typ 1: Mit Koma
- Mit Koma
- Diabetisches Koma: hyperosmolar, mit oder ohne Ketoazidose, Hyperglykämisches Koma o.n.A.
- Exklusive: Hypoglykämisches Koma (.6)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.