Zusammenfassung
Im Kindes- und Jugendalter ist der Diabetes mellitus Typ 1 die mit Abstand häufigste Form des Diabetes und die häufigste Stoffwechselerkrankung. Durch die Zerstörung der insulinproduzierenden β-Zellen im Pankreas kommt es zu einem absoluten Insulinmangel, der eine umgehende und lebenslange Insulintherapie erforderlich macht. Neben den typischen Symptomen wie Polyurie, Polydipsie und Gewichtsabnahme liegen bei Manifestation häufig schon die Symptome einer potenziell lebensbedrohlichen Ketoazidose wie Kußmaul-Atmung und Dehydratation vor. Die Diagnose wird durch den Nachweis der diabetesspezifischen Autoantikörper bestätigt. Die stetige Weiterentwicklung automatisierter, algorithmusgesteuerter Systeme ermöglicht durch Insulinpumpen und kontinuierliche Glucosemessung eine immer besser werdende Imitation der physiologischen Insulinsekretion. Dennoch stellt ein Diabetes mellitus Typ 1 für die Familien eine erhebliche „24/7“-Herausforderung mit großer psychosozialer Belastung dar. Es erfordert ein spezialisiertes diabetologisches Team, um die Kinder und Jugendlichen sowie ihre Betreuungspersonen zur Insulintherapie inkl. situativem Insulinbedarf, Hypo- und Hyperglykämien sowie den alltäglichen und altersspezifischen Herausforderungen zu schulen. Regelmäßige Screenings sollen dabei helfen, Langzeitkomplikationen wie Mikroangiopathien zu verhindern. Über die Assoziation mit HLA-DR und -DQ treten zudem oft assoziierte Autoimmunerkrankungen wie Zöliakie auf.
Sind keine diabetesspezifischen Autoantikörper nachweisbar, muss eine molekulargenetische Diagnostik hinsichtlich der monogenetischen Formen MODY (Maturity-onset of Diabetes of the Young) oder neonatalem Diabetes erwogen werden. Durch die steigende Inzidenz der Adipositas tritt auch der Diabetes mellitus Typ 2 immer häufiger bereits im Kindes- und Jugendalter auf.
Dieses Kapitel widmet sich den besonderen Aspekten eines Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter, für allgemeine Informationen siehe auch: Diabetes mellitus, Hypoglykämie oder Hyperglykämisches Koma.
Dieses Kapitel ist CME-zertifiziert. Wenn du die CME-Fragen zu diesem und einem weiteren relevanten Kapitel erfolgreich beantwortest, erhältst du 4 CME-Punkte (siehe: Tipps & Links)!
Epidemiologie
- Häufige pädiatrische Stoffwechselerkrankung
- Prävalenz: 1/500 Kindern und Jugendlichen
- Inzidenz: 29/100.000 Kinder ≤17 Jahren/Jahr
- Geschlecht: ♂ > ♀
- Positive Familienanamnese: Bei 10–15% aller Erkrankten <15 Jahren
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Multifaktorielle Genese: Chronische (i.d.R. autoimmune) Zerstörung insulinproduzierender β-Zellen des Pankreas
- Genetik [2][3]
- Erhöhtes familiäres Risiko
- Starke Assoziation mit HLA-DR(-3/-4) und -DQ(-2/-8)
- Herkunft
- Weitere Einflussfaktoren [4]
- Infektionen
- Biodiversitätshypothese
- Gastrointestinales Mikrobiom
- Ernährung im Säuglingsalter
- Psychosoziale Belastung
- Genetik [2][3]
Durch die HLA-Assoziation besteht ebenfalls eine Assoziation zu anderen Autoimmunerkrankungen (z.B. Zöliakie)!
Pathophysiologie
- Physiologische Insulinwirkung siehe: Physiologische Wirkung von Insulin
- Diabetes mellitus Typ 1
-
Antigenpräsentierende Zellen (beladen mit β-Zell-Protein als Antigen) wandern in Lymphknoten des Pankreas → Interaktion mit autoreaktiven CD4+-T-Zellen
- → Aktivierung von autoreaktiven CD8+-T-Zellen → Zerstörung von β-Zellen in Langerhans-Inseln → (Absoluter) Insulinmangel
- → Aktivierung von B-Lymphozyten → Bildung von Autoantikörpern gegen β-Zellen → Zerstörung von β-Zellen in Langerhans-Inseln → (Absoluter) Insulinmangel
- Ggf. sog „Honeymoon-Phase“
-
Antigenpräsentierende Zellen (beladen mit β-Zell-Protein als Antigen) wandern in Lymphknoten des Pankreas → Interaktion mit autoreaktiven CD4+-T-Zellen
Die Zerstörung der β-Zellen ist initial T-Zell-vermittelt!
Autoantikörper sind für die immunologische Zerstörung der β-Zellen nicht obligat! Sie dienen aber als Biomarker für das Vorliegen einer Autoimmunreaktion!
Symptomatik
Diabetes mellitus Typ 1
- Polyurie
- Polydipsie
- Gewichtsverlust
- Gesteigerter Appetit
- Müdigkeit
- Leistungsminderung (z.B. schulisch)
- Ggf. Sehstörungen
- Vulvovaginale Candidose
Ketoazidose
- Kußmaul-Atmung
- Bauchschmerzen (Pseudoperitonitis diabetica)
- Dehydratation (bzw. Gewichtsverlust)
- Übelkeit und Erbrechen
- (Fruchtiger) Aceton-Geruch im Atem
- Verkürztes QT-Intervall
- Lethargie bzw. Koma, kognitive Einschränkungen
- Für Diagnostik und Therapie einer Ketoazidose siehe: Diabetische Ketoazidose im Kindes- und Jugendalter - AMBOSS-SOP
Der Grad der Exsikkose kann aufgrund eines intravasalen Flüssigkeitsshifts klinisch unterschätzt werden!
Bei auffälligem Atemmuster, Erbrechen und/oder Bauchschmerzen muss eine Blutzuckermessung erfolgen!
Diagnostik
Diagnosekriterien
- Typische Symptomatik und
- Pathologische Blutzuckermessung (siehe auch: Diagnosesicherung Diabetes mellitus)
- Spontane Blutzuckermessung ≥200 mg/dL (≥11,1 mmol/L) oder
- Nüchternblutzucker ≥126 mg/dL (≥7,0 mmol/L) oder
- 2-h-Wert nach oGTT ≥200 mg/dL (≥11,1 mmol/L) oder
- HbA1c-Wert ≥6,5%
- Zu beachten: Wiederholung der Messung bei
- Hyperglykämie ohne eindeutige Symptomatik
- Eindeutige Symptome ohne Hyperglykämie
Klassifikation des Diabetes mellitus
- Diabetesspezifische Antikörper
- Falls Auto-AK negativ: Diagnosekriterien für Typ 2 und monogenetische Diabetesformen überprüfen
Anhand der Symptomatik und den pathologischen Blutzuckerwerten wird die Diagnose Diabetes mellitus gestellt. Der Diabetes mellitus Typ 1 wird durch den Nachweis der Autoantikörper gesichert!
Diagnostik bei Manifestation eines Diabetes mellitus Typ 1
- Blutentnahme
- BGA
- EDTA: HbA1c-Wert und großes Blutbild
- Serum
- Glucose, Elektrolyte (korrigiertes Serumnatrium beachten!)
- CRP
- Harnstoff, Kreatinin
- Lipase, GOT/GPT, γ-GT
- Triglyceride, Cholesterin, HDL, LDL, Albumin
- TPO-AK, fT4 und TSH
- Transglutaminase-IgA und Gesamt-IgA
- Diabetesspezifische Antikörper
- Ketone im Blut
- C-Peptid
- U-Stix
- Aufnahmestatus
-
Körperliche Untersuchung
- Vigilanz
- Grad der Dehydratation
- Pubertätsstadien
- Blutdruck
- Perzentile für Länge und Gewicht
-
Körperliche Untersuchung
- Ausgangsuntersuchungen für Folgescreenings: Fundoskopie
Bei Manifestation eines Diabetes mellitus Typ I sollte neben der Akutdiagnostik bereits ein Screening auf Folge-/Begleiterkrankungen durchgeführt werden!
Diagnoseübermittlung
- Sich Zeit nehmen, gut vorbereitet sein
- Soweit möglich immer das Kind einbeziehen
- Herausforderung zwischen Vermittlung einer realistischen Bedeutung der Diagnose und Vermeidung von unnötigen Ängsten und Überforderung
- Berücksichtigung der familiären Ressourcen
- Psychoedukative Maßnahmen (insb. zu Beginn: Positive Effekte auf die Stoffwechseleinstellung)
Differenzialdiagnosen
- Metabolische Azidose
- Diarrhö
- Renale tubuläre Azidose
- Lactatazidose
- Niereninsuffizienz
- Vergiftung mit Salicylsäure, Ethanol, Methanol, Ethylenglykol (in Frostschutzmitteln)
- Nicht-diabetische Ketoazidose
- Kohlenhydratarme Ernährung
- Nahrungskarenz
- Azetonämisches Erbrechen
- Vorübergehende Hyperglykämie
- Medikamente (z.B. Glucocorticoide)
- Stressbedingte Hyperglykämie
- Iatrogene Hyperglykämie
- Polyurie und/oder Polydipsie
- Habituelle Polydipsie
- Diabetes insipidus
- Hyperkalzämie
- Urinauffälligkeiten
- Siehe: Ketone im Urin
- Siehe: Glucose im Urin
- Pathologisches Atemmuster
- Kußmaul-Atmung: Andere Ursachen einer Ketoazidose (siehe oben: Nicht-diabetische Ketoazidose)
- Hyperventilation
- Anaphylaxie
- Infektion bzw. Sepsis
- Bauchschmerzen und/oder Erbrechen
Die Pseudoappendizitis diabetica kann fälschlicherweise für eine Appendizitis gehalten werden und die zeitkritische Diagnose einer diabetischen Ketoazidose verzögern!
Bei auffälligem Atemmuster, Erbrechen und/oder Bauchschmerzen muss eine Blutzuckermessung erfolgen!
Hyperglykämisches hyperosmolares Syndrom (HHS) [2]
- Differenzierung zur Ketoazidose: Keine Lipolyse (Ketonnachweis negativ bzw. minimal )
- Diagnosekriterien
- pH-Wert >7,3 (arteriell)
- Bicarbonat >15 mmol/L
- Hyperglykämie >600 mg/dL (>33,3 mmol/L)
- Geringe Ketonurie, fehlender/milder Ketonnachweis im Serum
- Effektive Serumosmolalität >320 mOsm/kg
- Bewusstseinseinschränkung
- Häufigkeit: Sehr selten im Kindes- und Jugendalter
- Therapie
- Flüssigkeitssubstitution
- Insulintherapie
- Intensivmedizinische Überwachung
- Prognose: Hohe Letalität
Im Gegensatz zur diabetischen Ketoazidose reicht das Restinsulin aus, um eine Lipolyse zu verhindern!
Die Therapie entspricht dem Management einer Ketoazidose, es besteht jedoch ein niedriger Insulinbedarf!
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Therapieziele
- Prinzip: Lebenslange Insulintherapie zur Abdeckung des physiologischen Bedarfs
- Beginn: Sofort nach Diagnosestellung
- Allgemeine Therapieziele
- Vermeidung von großen Blutzuckerschwankungen
- Vermeidung von akuten Komplikationen (Hypoglykämie, Ketoazidose)
- Prävention von Folgeerkrankungen
- Altersgerechte körperliche Entwicklung und Leistungsfähigkeit
- Blutzuckerzielbereiche
- HbA1c-Wert: <7%
- Nüchternblutzucker: 70–144 mg/dL (4–8 mmol/L)
- Blutzucker vor dem Schlafengehen: >70 mg/dL (3,9 mmol/L)
- Zeit im Zielbereich (CGM) : >70%
Orientierend an allgemeinen Empfehlungen sollten individuelle Therapieziele vereinbart und festgehalten werden!
Glucosemessung
Kapilläre Blutzuckermessung
- Prinzip: Wiederholte Einzelwertbestimmung
- Häufigkeit: Mind. 5–6 × täglich
- Messzeitpunkte
- Nahrungsabhängig
- Immer präprandial
- Ggf. postprandial zur Therapieanpassung
- Sportliche Aktivität: Ggf. vor, während und/oder nach intensiver körperlicher Anstrengung
- Außergewöhnliche Situation
- Im Krankheitsfall
- Bei ungewohnten Tätigkeiten
- Straßenverkehr
- Immer vor Führen eines Kraftfahrzeugs
- Ggf. während längerer Autofahrten
- Hypo- oder Hyperglykämieverdacht: Bei typischen Symptomen
- Zur Nacht
- Ggf. zwischen 22 und 23 Uhr
- Ggf. Nüchternblutzucker morgens
- Nahrungsabhängig
Jede Person mit Diabetes mellitus sowie deren Bezugspersonen sollten in der kapillären Blutzuckermessung und Interpretation der Werte geschult sein!
Kapillär gemessene Werte liegen i.d.R. 10–15% unter den Blutzuckerwerten im Plasma!
Kontinuierliches Glucosemonitoring (Continous Glucose Monitoring; CGM)
- Prinzip: Wiederholte interstitielle Glucosemessung alle 1–5 min mittels Glucosesensor im subkutanen Fettgewebe
- Indikation: Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter
- Vorteile: Glucoseprofil statt Einzelmesswerte → Tiefergehendes Verständnis der Glucosedynamik
- Einfachere Handhabung
- Erweiterung der Telemedizin
- Warnhinweise
- Trendanzeige
- Kopplung mit Insulinpumpen möglich
- Sensorparameter
- „glucose management indicator“ (GMI)
- „time above range“ (Zeit über Zielbereich; TaR)
- „time below range (Zeit unter Zielbereich; TbR)
- „time in range“ (Zeit im Zielbereich; TiR)
- Standardisierte Auswertung der vielen Datenpunkte mit AGP (ambulantes Glucoseprofil)
- Rückschlüsse durch Rückblick
- Viel mehr Messpunkte
- Nachteil
- Interstitieller Glucosewert
- Dauerhaftes Tragen
- Informationsflut
Das kontinuierliche Glucosemonitoring (CGM) wird bereits bei der Mehrheit der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes Typ 1 verwendet!
Bei klinischem V.a. Hypo- oder Hyperglykämie sowie bei starken Glucoseschwankungen sollten die Werte immer mittels kapillärer Blutzuckermessung kontrolliert werden!
Weiteres Vorgehen
- Optimierung der ambulanten Versorgung: Teilnahme am DMP Diabetes mellitus empfehlen (für allgemeine Informationen zu DMP siehe auch: Disease-Management-Programme
Insulintherapie im Kindes- und Jugendalter
Berechnungsgrundlagen einer ICT im Kindes- und Jugendalter
- Kohlenhydrateinheit: 1 KE ≈ 10 g Kohlenhydraten
- Veraltet: Broteinheit: 1 BE ≈ 12 g Kohlenhydraten ≈ 1,2 KE (1 KE ≈ 0,83 BE)
- Insulintagesbedarf
- Initialphase der Manifestation: 0,5–1,5 IE/kgKG/d [8]
- Remissionsphase: <0,5 IE/kgKG/d
- Präpubertär: 0,7–1,0 IE/kgKG/d
- Pubertär: 1–2 IE/kgKG/d
- Erwachsene: 0,6–0,7 IE/kgKG/d [8]
- Verteilung des Insulintagesbedarfs
- Basalinsulin: Ca. 30(–50)% des Insulintagesbedarfs
- Tageszeitabhängige Verteilung
- Prandialinsulin: Ca. (50–)70% des Insulintagesbedarfs
- Mahlzeitenfaktor: Menge an Insulin (in IE) zum Ausgleich der Blutzuckersteigerung durch 1 KE
- Tageszeitabhängigkeit
- Morgens: Mahlzeitenfaktor × 2
- Mittags: Mahlzeitenfaktor × 1
- Abends: Mahlzeitenfaktor × 1,5
- Beispiel für Mahlzeitenfaktor morgens/mittags/abends bei 30 kgKG (Insulintagesbedarf 1,0 IE/kgKG): 1,2/0,6/0,9
- Faustregel (500er-Regel)
- 500/Insulintagesbedarf (IE)
- Ergebnis durch 10 teilen
- Kehrwert vom Ergebnis aus Schritt 2 = durchschnittlicher Mahlzeitenfaktor
- Den durchschnittlichen Mahlzeitenfaktor entsprechend der Tageszeit mit 2/1/1,5 multiplizieren
- Beispielrechnung für ein Kind mit 30 kgKG: Insulintagesbedarf (1,0 IE/kgKG)
- 500 ÷ 30 IE ≈ 16,7 g Kohlenhydrate, deren Blutzuckersteigerung durch 1 IE ausgeglichen werden
- 16,7 g Kohlenhydrate/10 ≈ 1,67 KE
- 1 ÷ 1,67 ≈ 0,6
- Mahlzeitenfaktor 1,2/0,6/0,9
- Tageszeitabhängigkeit
- Mahlzeitenfaktor: Menge an Insulin (in IE) zum Ausgleich der Blutzuckersteigerung durch 1 KE
- Korrekturinsulin: Korrekturfaktor ≈ Blutzuckersenkung (in mg/dL) durch 1 IE Insulin
- Tageszeitabhängigkeit
- Morgens: Korrekturfaktor × 1
- Mittags: Korrekturfaktor × 2
- Abends: Korrekturfaktor × 1,5
- Beispiel für Korrekturfaktoren morgens/mittags/abends bei 30 kgKG (Insulintagesbedarf 1,0 IE/kgKG): 60/120/90
- Faustregel (1.800er-Regel): 1.800/Insulintagesbedarf (IE) ≈ Blutzuckersenkung (mg/dL) durch 1 IE schnell wirksames Insulin = Korrekturfaktor
- Tageszeitabhängigkeit
- Basalinsulin: Ca. 30(–50)% des Insulintagesbedarfs
Der Insulintagesbedarf ist sehr individuell und unterliegt kurzfristigen Schwankungen (z.B. bei Infektionen)!
Die Berechnung von KE ist ein wichtiger Bestandteil der Patienten- und Elternschulung! Hierfür steht eine Vielzahl von Umrechnungstabellen zur Verfügung (siehe Tipps & Links)!
Insuline im Kindes- und Jugendalter
- Prandialinsuline
- Siehe: Normalinsulin
- Siehe: Kurzwirksame Insulinanaloga
- Insulin Lispro (z.B. Humalog®) [9]
- Insulin Lispro Lyumjev® [10]
- Insulin Aspart (z.B. NovoRapid®) [11]
- Insulin Glulisin (z.B. Apidra®) [12]
- Verzögerungsinsuline (siehe: NPH-Insuline)
- Insulin Lispro (z.B. Humalog®) [9]
- Langwirksame Insulinanaloga
- Siehe: Insulin Glargin (z.B. Lantus®) [13]
- Siehe: Insulin Detemir (z.B. Levemir®) [14]
Insulintherapien im Kindes- und Jugendalter
Intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT; Intensified conventional Therapy)
- Prinzip: Kombination aus Basalinsulin und Prandialinsulin
- Patientenschulung: Immer notwendig
- Individueller Therapieplan (siehe: Berechnungsgrundlagen einer ICT im Kindes- und Jugendalter)
Insulinpumpentherapie (CSII; Continuous subcutaneous Insulin Infusion)
- Prinzip: Intensivierte Insulintherapie mittels kontinuierlicher subkutaner Insulininfusionstherapie
- Nutzung: >90% der Kinder ≤6 Jahre [1]
- Wirkstoff: Kurzwirksame Insulinanaloga
- Indikation: Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter
- Vorteile
- Flexibilität im Tagesablauf
- Bessere Steuerung im Säuglings- und Kleinkindalter
- Verbesserung der Stoffwechsellage
- Nachteile: Mögliches Verstopfen des Insulinkatheters mit (initial unbemerktem) Insulinmangel
Automatisierte Insulintherapien (AID; Automated Insulin Delivery)
- Prinzip: Kontinuierliche
- Blutzuckermessung und
- Algorithmusbasierte, automatisch gesteuerte, subkutane Insulininfusionstherapie
- Indikation: Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter
- Vorteil
- Höhere Flexibilität
- Geringere Belastung der Familien durch die Insulintherapie
- Verbesserung der Stoffwechsellage
Insulintherapien im Kindes- und Jugendalter | |||||
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Komponenten | Intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT) | Sensorunterstützte intensivierte Insulintherapie (SuT) | Sensorunterstützte Insulinpumpentherapie (SuP) | Automatisierte Insulintherapien (AID) | |
Insulinverabreichung | Intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT) | Insulinpumpentherapie (CSII) | Automatisierte Kombination aus kontinuierlicher Blutzuckermessung und subkutaner Insulininfusionstherapie | ||
Blutzuckermessung | Kapilläre Selbstmessungen | Kontinuierliche Blutzuckermessung (CGM) | |||
Sonderformen | — | — | SuP + Low-Glucose-Suspend (LGS) | — | |
SuP + Predictive Low-Glucose-Management (PLGM) |
Alle Kinder und Jugendlichen sowie ihre Bezugspersonen müssen zwingend in der intensivierten Insulintherapie geschult sein!
Die Insulintherapien werden stetig weiterentwickelt, um eine möglichst genaue Imitation der physiologischen Insulinausschüttung im Sinne eines „künstlichen Pankreas“ zu erzielen!
Einflüsse auf den Insulinbedarf
- Insulinbedarf↑ bzw. Hyperglykämieneigung
- Stresssituationen
- Pubertät und Wachstum
- Verminderte körperliche Aktivität
- Postaggressionsstoffwechsel
- Hyperthyreose
- Hypercortisolismus
- Spätschwangerschaft
- Insulinbedarf↓ bzw. Hypoglykämieneigung
- Unzureichende Nahrungszufuhr
- Hypothyreose
- Sport bzw. erhöhte körperliche Aktivität
- Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz
- Frühschwangerschaft
- Faktoren mit variablem Einfluss auf den Insulinbedarf
- (Fieberhafte) Erkrankungen
- Medikamenteneinnahme (siehe: Medikamentöse Einflüsse auf den Insulinbedarf)
- Alkoholkonsum
Die Einflüsse auf den Insulinbedarf sind ein wichtiger Bestandteil der Eltern- und Patientenschulungen!
Bei schwankendem Insulinbedarf sollte nach einer zugrunde liegenden Ursache bzw. Erklärung geforscht werden!
Komplikationen der Insulintherapie
- Morgendliche Hyperglykämien
- Siehe: Dawn-Phänomen
- Siehe: Somogyi-Effekt
- Psychosoziale Aspekte
- Siehe: Insulin-Purging
- Siehe: Hypoglykämieangst
- Hohe psychosoziale Belastung
- Lipodystrophie: An Injektionsstellen [8]
Patientenschulung
Die umfassende Schulung von Kindern und Jugendlichen sowie enger Bezugspersonen ist unerlässlicher Bestandteil für die Therapie .
- Regelmäßige Schulungen: Für Eltern und altersadaptiert für Kinder und Jugendliche („motivational interviewing“)
- Schulungsinhalte
- Grundlagen der Erkrankung und Insulintherapie
- Akute Komplikationen
- Folgeerkrankungen
- Ernährungsberatung durch eine Ernährungsfachkraft
- Psychosoziales Unterstützungsangebot
- Altersspezifische Aspekte
- Grundlagen der Erkrankung und Insulintherapie
Perioperatives Management
- Zielbereich
- Perioperativ: Blutzucker 90–180 mg/dL (5–10 mmol/L)
- Postoperativ: Blutzucker 140–180 mg/dL (7,8–10 mmol/L)
- Vorbereitung
- 2 h vor Eingriff: Start einer intravenösen Infusion mit Insulin und Glucose
- Bei ICT: Auslassen der morgendlichen subkutanen Insulingabe (sowohl lang- als auch kurzwirksames) am Operationstag
- Bei CSII/AID: Beendigung der CSII/AID mit Start der intravenösen Insulininfusion
- CGM: Perioperativ fortführen (zusätzliche Blutzuckerkontrollen)
- Initiale Blutentnahme
- 2 h vor Eingriff: Start einer intravenösen Infusion mit Insulin und Glucose
- Prinzip
- (Glucosehaltige) Infusion und Insulinperfusor
- Blutzuckerkontrollen alle 30–60 min und Anpassung der Insulinzufuhr
- Ggf. Anpassung der Insulinzufuhr nach Blutzuckerkontrollen: Messzeitpunkte
- Immer: Mind. alle 60 min
- Nach Therapieänderungen: Alle 30 min
- Bei Blutzucker <80 mg/dL (<4,5 mmol/L): Alle 15 min
- Infusionsmenge: Siehe Tagesbedarf an Flüssigkeit bei Kindern (maximal: 2.000 bzw. 2.500 mL/d für Mädchen bzw. Jungen)
- Insulinperfusor
- Hypoglykämie: Glucose 10% bei Blutzucker <70 mg/dL (<4 mmol/L) [16]
- Hyperglykämie: Bei Blutzucker ≥250 mg/dL (≥14 mmol/L) zusätzlich Ketone im Blut oder Urin messen und Blutzucker engmaschiger überwachen
Perioperatives Insulindosierungsschema bei Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter [15] | ||
---|---|---|
Aktueller Blutzucker | Empfohlene Infusionsrate | Verabreichte Insulindosis (IE/kgKG/h) |
>270 mg/dL (≥15 mmol/L) | 10 mL/h | 0,1 |
216–269 mg/dL (12–14,9 mmol/L) | 7,5 mL/h | 0,075 |
144–215 mg/dL (8–11,9 mmol/L) | 5 mL/h | 0,05 |
110–143 mg/dL (6,1–7,9 mmol/L) | 2,5 mL/h | 0,025 |
90–109 mg/dL (5–6 mmol/L) | 1,25 mL/h | ≈ 0,0125 |
<70 mg/dL (<4 mmol/L) | Glucosegabe und ggf. Insulinperfusor für maximal 15 min stoppen | 0 |
Komplikationen
- Akutkomplikationen
- Diabetische Ketoazidose im Kindes- und Jugendalter - Grundlagen (siehe auch: Diabetische Ketoazidose im Kindes- und Jugendalter - AMBOSS-SOP)
- Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter - Hypoglykämie
- Langzeitkomplikationen
Kindeswohlgefährdung bei Diabetes mellitus [17]
- Definition
-
Kindeswohlgefährdung aus diabetologischer Sicht
- HbA1c-Wert >10% über >6–12 Monate oder
- Wiederholte oder schwere Ketoazidose (>1/Jahr mit pH-Wert <7,2 oder immer bei pH-Wert <7,0) oder
- >2 Hypoglykämien/Jahr unklarer Ursache mit Bewusstseinsverlust
- Trotz adäquater Therapie mit
- Leitliniengerechter Behandlung
- Wiederholten, altersadaptierten Patientenschulungen
- Wiederholten Krisengesprächen
-
Kindeswohlgefährdung aus diabetologischer Sicht
- Vorgehen
- Prüfung der Kriterien einer Kindeswohlgefährdung im diabetologischen Team
- Gespräch mit der Familie und mind. 2 Personen des diabetologischen Teams
- Meldung an das Jugendamt
- Nicht-Erscheinen der Familie zum vereinbarten Gesprächstermin
- Nicht-Erfüllen der vereinbarten Maßnahmen zur Verbesserung der Stoffwechselsituation
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Diabetische Ketoazidose
Die diabetische Ketoazidose stellt einen vital bedrohlichen Notfall dar! Für das Notfallmanagement siehe: Diabetische Ketoazidose im Kindes- und Jugendalter - AMBOSS-SOP!
Definition
- Diagnosekriterien
- pH-Wert <7,3
- Bicarbonat <18 mmol/L
- Hyperglykämie >200 mg/dL (>11 mmol/L)
- Ketonurie bzw. Ketonnachweis im Serum
- Schweregrade
- Leicht: pH-Wert <7,3 bzw. Bicarbonat <18 mmol/L
- Mittelschwer: pH-Wert <7,2 bzw. Bicarbonat <10 mmol/L
- Schwer: pH-Wert <7,1 bzw. Bicarbonat <5 mmol/L
Bei V.a. eine diabetische Ketoazidose sollte sofort eine BGA mit Blutzuckermessung erfolgen!
Pathophysiologie der diabetischen Ketoazidose [4]
- Physiologie Ketonkörperstoffwechsel: Fettsäureabbau als alternative ATP-Gewinnung des Citratzyklus (bei intrazellulärem Glucosemangel aufgrund von Insulinmangel) → Bildung von Ketonkörpern in der Leber → Bereitstellung zur Energiegewinnung in extrahepatischem Gewebe (durch Einschleusung in den Citratzyklus)
- Ketoazidose
- Insulinmangel → Intrazellulärer Glucosemangel trotz Hyperglykämie → Glycogenolyse↑ und Gluconeogenese↑ → Hyperglykämie↑ → Überschreiten der Nierenschwelle für Glucose → Glucosurie → Osmotische Diurese und Polyurie → Flüssigkeits- und Elektrolytverlust → Dehydratation → Hypovolämie
- Insulinmangel → Gegenregulatorische Hormone↑ (Glucagon, Katecholamine, Cortisol, Wachstumshormone) → Fettsäureabbau und Lipolyse↑ → Hepatische Ketonkörperbildung↑ → Metabolische Azidose → ggf. Kußmaul-Atmung (respiratorische Kompensation)
Bei einer Ketoazidose kommt es aufgrund der Hyperglykämie zu einer osmotischen Polyurie, die zu einer ausgeprägten Dehydratation führt!
Bei der verstärkten Lipolyse entstehen saure Ketonkörper, die zur metabolischen Azidose führen!
Ursachen und Häufigkeit
- Häufigkeit: Auftreten bei
- Manifestation: Ca. 20–45% der Fälle [2][18]
- Bestehendem Diabetes mellitus: Ca. 5% pro Patientenjahr [19]
- Ursachen
- Manifestation
- Verzögerte Diagnosestellung
- Junges Patientenalter
- Bei bestehendem Diabetes mellitus
- Vergessene bzw. unzureichende Insulinzufuhr
- Akute Erkrankungen
- Manifestation
- Siehe auch: Pathophysiologie der diabetischen Ketoazidose
Symptome
Diagnostik & Therapie
Hypoglykämie
Schweregrade der Hypoglykämie bei Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter [21][22] | ||
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Stadien | Blutzucker bzw. Leitsymptom | Vorgehen |
Stufe 1 | <70 mg/dL (<4 mmol/L) |
|
Stufe 2 | <54 mg/dL (<3 mmol/L) |
|
Stufe 3 | Mit Bewusstseinsstörung |
|
*Fremdhilfe: Orale Glucosezufuhr in die Wangentasche und/oder Glucose i.v. und/oder Glucagon i.m./s.c. |
- Symptome
- Vegetativ
- Zittern, Schwitzen
- Palpitationen
- Blässe
- Neuroglucopenisch
- Konzentrationsstörung, Verwirrtheit, Benommenheit, Störung des Kurzzeitgedächtnisses
- Seh-, Sprach-, Hörstörung
- Kraftlosigkeit
- Schwindel bzw. Gangstörung
- Bewusstseinsstörung, epileptischer Anfall (Grad 3)
- Verhaltensspezifisch
- Unspezifisch
- Kopfschmerzen, Müdigkeit
- Übelkeit
- Hunger
- Vegetativ
- Risikofaktoren
- Kleinkindalter
- Änderungen im gewohnten Tagesablauf
- Hohe sportliche Aktivität
- Alkoholkonsum
- Niedriger HbA1c-Wert
- Rezidivierende Hypoglykämie
- Häufung im Schlaf (z.B. Somogyi-Effekt)
- Assoziierte Autoimmunerkrankungen
- Hypoglykämiewahrnehmungsstörung [22]
- Symptome einer Hypoglykämie werden spät oder gar nicht bemerkt
- Hohes Risiko für schwere Hypoglykämien
- Therapie: Höheres Blutzuckerniveau für mehrere Wochen anstreben
Hypoglykämien sind die häufigste Akutkomplikation eines Diabetes mellitus!
Die Symptome einer Hypoglykämie können insb. im Kleinkindalter unspezifisch und daher schwer zu identifizieren sein!
Durch wiederholte oder schwere Hypoglykämien kommt es zur Hypoglykämiewahrnehmungsstörung, die wieder schwere Hypoglykämien begünstigt!
- Anamnese
- Begünstigende Risikofaktoren
- Insulintherapie evaluieren
- Therapie
- Bei erhaltenem Bewusstsein: Oral (ca. 0,3g/kgKG Glucose) [20]
- Bei Bewusstseinsstörung: Glucagon
- Im Anschluss: Ggf. glucosehaltige Infusion
- Stationäre Aufnahme: Insb. bei
- Schwerer Hypoglykämie
- Anhaltenden oder rezidivierenden Hypoglykämien
- Unklarer Ursache
Sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch deren Eltern, primäre Bezugspersonen (z.B. im Kindergarten) und Lehrkräfte müssen im Erkennen und der Therapie einer Hypoglykämie geschult sein!
Die Insulinzufuhr sollte bis zu einem Blutzucker von >70 mg/dL (>4 mmol/L) unterbrochen bzw. ausgesetzt werden!
Nachsorge
Langzeitkomplikationen
Langzeitkomplikationen eines Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter: Screening und Therapie [2][21] | |||||
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Beginn | Intervall | Methode | Ziel | Mögliche Therapie | |
Stoffwechsellage |
|
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Diabetische Retinopathie |
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Diabetische Nephropathie |
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Diabetische Neuropathie |
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Arterielle Hypertonie |
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Dyslipidämie |
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Kinder und Jugendliche mit Diabetes mellitus Typ 1 sollten nach den allgemeinen STIKO-Empfehlungen geimpft werden!
Assoziierte Autoimmunerkrankungen
Schilddrüsenerkrankungen [2]
- Screening: Bei Manifestation danach
- Alle 1–2 Jahre oder bei typischen Symptomen
- Bestimmung von TSH, TPO-AK und Tg-AK
- Ggf. Sonografie der Schilddrüse
- Alle 1–2 Jahre oder bei typischen Symptomen
- Therapie: Ggf. L-Thyroxin (siehe auch: Therapie der Hypothyreose)
Zöliakie [2]
- Screening: Bei Manifestation danach
- Alle 2 Jahre oder bei typischen Symptomen
- Bestimmung von Transglutaminase-IgA und Gesamt-IgA
- Ggf. bioptische Sicherung
- Alle 2 Jahre oder bei typischen Symptomen
- Therapie: Lebenslange glutenfreie Diät
Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz [2]
- Kein routinemäßiges Screening
- Diagnostische Hinweise: Neben typischen Symptomen der Nebennierenrindeninsuffizienz
- Zunehmende Hypoglykämien
- Insulinbedarf↓
- Ggf. im Rahmen eines Polyendokrinen Autoimmunsyndroms (PAS)
Prävention
- Aktuell: Keine bundesweiten Screening-Programme oder Maßnahmen zur Primärprävention
- Europäische Studienprogramme zur Früherkennung und Primärprävention
- Teplizumab [29]
- Humanisierter monoklonaler Anti-CD3-Antikörper
- Bisher nur in den USA zugelassen für Kinder ≥8 Jahren im Stadium 2
- Ziel: Verzögerung der β-Zell-Zerstörung / Aufschub der Diabetesmanifestation
- Ergebnis: Verzögerung der Manifestation um durchschnittlich >2 Jahre
Stadien des Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter [30] | ||||
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Stadium 1 | Stadium 2 | Stadium 3 | Stadium 4 | |
Autoimmunität | ≥2 Autoantikörper [2] | |||
Blutzuckerspiegel | Normal | Erhöht | Pathologisch (Diagnosekriterien erfüllt) | |
Symptome | Keine Symptome | Symptome vorhanden | Diagnose gesichert |
Die immunologische Zerstörung der β-Zellen durch aktivierte T-Lymphozyten und die Bildung eines Antikörpers durch aktivierte B-Lymphozyten beginnt schon vor Stadium 1! Beim Nachweis von 2 Autoantikörpern ist die Entstehung eines klinisch manifesten Diabetes Typ 1 sehr wahrscheinlich, aber nicht obligat!
Weitere Diabetesformen im Kindes- und Jugendalter
- Einteilung nach WHO und American Diabetes Association (ADA): Siehe auch: Klassifikation des Diabetes mellitus
Relevante Diabetesformen im Kindes- und Jugendalter [1][2][3] | ||||||
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Typ 1 | Typ 2 | Typ 3A: Monogenetischer Diabetes | Typ 3C: Diabetes mellitus bei zystischer Fibrose | |||
MODY (Maturity-onset Diabetes of the Young) | Neonataler Diabetes | |||||
Transient (TNDM) | Permanent (PNDM) | |||||
Häufigkeit |
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Ätiologie |
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Besonderheit |
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Im Kindes- und Jugendalter liegt in >90% der Fälle ein Diabetes mellitus Typ 1 vor!
Diabetes mellitus Typ 2
- Weitere Informationen siehe: Diabetes mellitus
- Häufigkeit: Ca. 170 Neuerkrankungen jährlich bei Jugendlichen [1]
- Screening: Oraler Glucosetoleranztest ≥10 Jahre bei
- Übergewicht (BMI >90. Perzentil) und
- Mind. 2 weiteren Risikofaktoren
- Positive Familienanamnese
- Extreme Adipositas
- Zeichen der Insulinresistenz
- Migrationshintergrund [32]
- Symptome
- Keine Unterschiede zum Erwachsenenalter
- Im Gegensatz zum Diabetes mellitus Typ 1
- Schleichender Beginn
- Zeichen einer Insulinresistenz (z.B. Acanthosis nigricans benigna )
- Diagnostik
- Nüchternblutzucker und/oder
- Oraler Glucosetoleranztest im Kindesalter [33]
- Vorbereitung: Nüchternperiode von 10–16 h und Entleerung der Harnblase
- Ablauf: Venöse Blutentnahme (Nüchternblutzucker) → Orale Einnahme von 1,75 g/kgKG Dextrose (maximal 75 g), Einnahme in ≤5 min → Blutentnahme nach 120 min zur venösen Blutzuckerbestimmung
- Siehe auch: Diagnosesicherung Diabetes mellitus
- Screening auf Folgeerkrankungen (siehe: Diabetische Mikroangiopathie)
- Therapie [21]
- Ziel: Nüchternblutzucker <126 mg/dL (<7,0 mmol/L) bzw. HbA1c-Wert <7%
- Lebensstilmodifikation
- Ernährungstherapie und Anleitung zu sportlichen Aktivitäten (im Rahmen eines Adipositasprogramms)
- Individuelle Übernahme von Inhalten der Patientenschulung bei Diabetes mellitus Typ 1
- Medikamentöse Therapie
- Mittel der 1. Wahl: Metformin (Zulassung ≥10 Jahre)
- Initiale Insulintherapie: Bei
- Diabetischer Ketoazidose oder hyperosmolarem hyperglykämischen Koma: Insulin initial ohne Metformin
- Initialer HbA1c-Wert ≥8,5%: Basalinsulin s.c. und Metformin
Übergewicht bzw. Adipositas und eine positive Familienanamnese sind die größten Risikofaktoren für einen Diabetes mellitus Typ 2!
Im Vergleich zum Erwachsenenalter erfolgt die medikamentöse Therapie i.d.R. mit Metformin und kann bei Therapieversagen um Insulin ergänzt werden!
Maturity Onset Diabetes of the Young (MODY)
- Definition: Heterogene Gruppe seltener genetischer, nicht-ketotischer Formen des Diabetes mellitus
- Ätiologie: Monogenetisch (nicht immunologisch) bedingte pathologische Pankreas- bzw. β-Zell-Entwicklung oder defekte Insulinsekretion
- Diagnostische Hinweise: Indikationen für eine molekulargenetische Untersuchung
- Fehlender Nachweis von diabetesspezifischen Autoantikörpern und
- Geringer Insulinbedarf ≥2 Jahre nach Manifestation (<0,5 IE/kgKG/d) oder
- Positive Familienanamnese ≥3 Generationen oder
- Diabetes mellitus ohne Übergewicht
- Begleiterkrankungen
- Fehlender Nachweis von diabetesspezifischen Autoantikörpern und
Klinische Merkmale und Therapieoptionen der häufigsten MODY-Formen [2] | |||
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Glucokinase-MODY | HNF1A-MODY | HNF4A-MODY | |
Häufigkeit unter MODY-Diagnosen |
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Vererbung | |||
Betroffenes Gen (gestörte Funktion) |
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Altersgipfel bei Manifestation |
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Hyperglykämie |
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Klinische Merkmale |
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Therapie |
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Ein MODY sollte in Betracht gezogen werden, wenn keine diabetesspezifischen Autoantikörper nachweisbar sind und ein atypischer Verlauf besteht (z.B. niedriger Insulinbedarf)!
Die korrekte Differenzierung zwischen Diabetes mellitus Typ 1 und MODY ist therapierelevant!
Neonataler Diabetes mellitus (NDM)
- Häufigkeit: Ca. 1/89.000 Lebendgeburten
- Ätiologie: Genetisch bedingt
- Subgruppen
- Transienter neonataler Diabetes mellitus (TNDM)
- Häufigste Form des neonatalen Diabetes mellitus
- Symptombeginn meist ≤1. Lebenswoche
- Häufige Nebenbefunde
- Reduziertes Geburtsgewicht (<2. Perzentil)
- Ggf. Makroglossie
- Verlauf
- Komplette Remission im Median nach ca. 12 Wochen
- Re-Manifestation eines Diabetes mellitus im späteren Kindesalter bei ca. 50%
- Permanenter neonataler Diabetes mellitus (PNDM)
- Transienter neonataler Diabetes mellitus (TNDM)
- Diagnostik
- Indikation: Manifestation im Alter von ≤6 Monaten oder fehlende Auto-AK im Alter von 7–12 Monaten
- Untersuchung
- Molekulargenetische Diagnostik
- Ohne genetische Ursache: Ausschluss einer Pankreasinsuffizienz
- Sonografie des Pankreas
- Elastase im Stuhl
- Therapie
- Initial immer Insulintherapie mittels CSII
- Bei PNDM mit Mutation im KCNJ11- oder ABCC8-Gen: Rascher Therapieversuch mit Sulfonylharnstoffen
Bei einer Diabetesmanifestation im Alter ≤6 Monate sollte eine molekulargenetische Diagnostik erfolgen, da sich hierdurch eine therapeutische Konsequenz ergeben kann!
AMBOSS-Podcast zum Thema
Diabetes mellitus Typ 1 im Kindes- und Jugendalter (August 2023)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
Diabetes mellitus (E10–E14)
- E10.-: Diabetes mellitus, Typ 1
- Inklusive: Diabetes mellitus: Juveniler Typ, labil [brittle], mit Ketoseneigung
- Exklusive
- Diabetes mellitus: beim Neugeborenen (P70.2), in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition] (E12.‑), pankreopriv (E13.‑), während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes (O24.‑)
- Gestörte Glukosetoleranz (R73.0)
- Glukosurie: renal (E74.8), o.n.A. (R81)
- Postoperative Hypoinsulinämie, außer pankreopriver Diabetes mellitus (E89.1)
- E11.-: Diabetes mellitus, Typ 2
- Inklusive
- Diabetes (mellitus) (ohne Adipositas) (mit Adipositas): Alters-, Erwachsenentyp, ohne Ketoseneigung, stabil
- Nicht primär insulinabhängiger Diabetes beim Jugendlichen
- Typ-2-Diabetes unter Insulinbehandlung
- Exklusive
- Diabetes mellitus: beim Neugeborenen (P70.2), in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition] (E12.‑), pankreopriv (E13.‑), während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes (O24.‑)
- Gestörte Glukosetoleranz (R73.0)
- Glukosurie: renal (E74.8) oder o.n.A. (R81)
- Postoperative Hypoinsulinämie, außer pankreopriver Diabetes mellitus (E89.1)
- Inklusive
- E12.: Diabetes mellitus in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition]
- Inklusive: Diabetes mellitus in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition]: Typ 1, Typ 2
- Exklusive
- Diabetes mellitus: beim Neugeborenen (P70.2), pankreopriv (E13.‑), während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes (O24.‑)
- Gestörte Glukosetoleranz (R73.0)
- Glukosurie: renal (E74.8), o.n.A. (R81)
- Postoperative Hypoinsulinämie, außer pankreopriver Diabetes mellitus (E89.1)
- E13.-: Sonstiger näher bezeichneter Diabetes mellitus
- Inklusive: Pankreopriver Diabetes mellitus
- Exklusive
- Diabetes mellitus: beim Neugeborenen (P70.2), in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition] (E12.‑), Typ 1 (E10.‑), Typ 2 (E11.‑), während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes (O24.‑)
- Gestörte Glukosetoleranz (R73.0)
- Glukosurie: renal (E74.8) oder o.n.A. (R81)
- Postoperative Hypoinsulinämie, außer pankreopriver Diabetes mellitus (E89.1)
- E14.-: Nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus
- Inklusive: Diabetes mellitus o.n.A.
- Exklusive
- Diabetes mellitus: beim Neugeborenen (P70.2), in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung [Malnutrition] (E12.‑), Typ 1 (E10.‑), Typ 2 (E11.‑), pankreopriv (E13.‑), während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes (O24.‑)
- Gestörte Glukosetoleranz (R73.0)
- Glukosurie: renal (E74.8), o.n.A. (R81)
- Postoperative Hypoinsulinämie, außer pankreopriver Diabetes mellitus (E89.1)
Die folgenden vierten Stellen sind bei den Kategorien E10-E14 zu benutzen
- .0: Mit Koma
- Diabetisches Koma: hyperosmolar, mit oder ohne Ketoazidose, Hyperglykämisches Koma o.n.A.
- Exklusive: Hypoglykämisches Koma (.6)
- .1: Mit Ketoazidose
- Diabetisch: Azidose, Ketoazidose, ohne Angabe eines Komas
- .2†: Mit Nierenkomplikationen
- Diabetische Nephropathie (N08.3*), Intrakapilläre Glomerulonephrose (N08.3*), Kimmelstiel-Wilson-Syndrom (N08.3*)
- .3†: Mit Augenkomplikationen
- .4†: Mit neurologischen Komplikationen
- Diabetisch: Amyotrophie (G73.0*), autonome Neuropathie (G99.0*), autonome Polyneuropathie (G99.0*), Mononeuropathie (G59.0*), Polyneuropathie (G63.2*)
- .5: Mit peripheren vaskulären Komplikationen
- .6: Mit sonstigen näher bezeichneten Komplikationen
- Diabetische Arthropathie† (M14.2-*), Hypoglykämie, Hypoglykämisches Koma, Neuropathische diabetische Arthropathie† (M14.6-*)
- .7: Mit multiplen Komplikationen
- .8: Mit nicht näher bezeichneten Komplikationen
- .9: Ohne Komplikationen
Die folgenden fünften Stellen 0 und 1 sind mit den Subkategorien .2-.6 sowie .8 und .9 bei den Kategorien E10-E14 zu benutzen
- 0: Nicht als entgleist bezeichnet
- 1: Als entgleist bezeichnet
Die folgenden fünften Stellen 2-5 sind ausschließlich mit der Subkategorie .7 bei den Kategorien E10-E14 zu benutzen
- 2: Mit sonstigen multiplen Komplikationen, nicht als entgleist bezeichnet
- 3: Mit sonstigen multiplen Komplikationen, als entgleist bezeichnet
- 4: Mit diabetischem Fußsyndrom, nicht als entgleist bezeichnet
- 5: Mit diabetischem Fußsyndrom, als entgleist bezeichnet
U69.7-: Sekundäre Schlüsselnummern (Schweregrad einer Hypoglykämien oder Hypoglykämiewahrnehmungsstörung)
- U69.7-*: Sekundäre Schlüsselnummern zur Angabe des Schweregrades einer Hypoglykämie oder des Vorliegens einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung (nur bei Jugendlichen (≥13 Jahre) und Erwachsenen)
- U69.70*: Milde Hypoglykämie, als nicht rezidivierend bezeichnet
- Info: Die Person ist nicht auf Fremdhilfe angewiesen, Blutzucker von 60 mg/dL bzw. 3,3 mmol/L und weniger.
- U69.71*: Milde Hypoglykämie, als rezidivierend bezeichnet
- Info: Die Person ist nicht auf Fremdhilfe angewiesen, Blutzucker von 60 mg/dL bzw. 3,3 mmol/L und weniger.
- U69.72*: Schwere Hypoglykämie ohne Koma
- Info: Die Person ist auf Fremdhilfe angewiesen, Blutzucker von 60 mg/dL bzw. 3,3 mmol/L und weniger.
- Inkl.: Schwere Hypoglykämie ohne Koma (rezidivierend) (nicht rezidivierend)
- U69.73*: Hypoglykämisches Koma bei Diabetes mellitus
- U69.74*: Hypoglykämiewahrnehmungsstörung bei Diabetes mellitus
- Info: Rezidivierend unbemerkte Hypoglykämien mit Blutzucker von 60 mg/dL bzw. 3,3 mmol/L und weniger.
- U69.70*: Milde Hypoglykämie, als nicht rezidivierend bezeichnet
P70.-: Transitorische Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels, die für den Fetus und das Neugeborene spezifisch sind
- P70.0: Syndrom des Kindes einer Mutter mit gestationsbedingtem Diabetes mellitus
- P70.1: Syndrom des Kindes einer diabetischen Mutter
- Diabetes mellitus der Mutter (vorher bestehend), der sich auf den Fetus oder das Neugeborene auswirkt (mit Hypoglykämie)
- P70.2: Diabetes mellitus beim Neugeborenen
Sonstiges
- Z96.4: Vorhandensein von endokrinen Implantaten
- Inklusive: Insulinpumpe
- R73.-: Erhöhter Blutglukosewert
- R73.0: Abnormer Glukosetoleranztest
- Diabetes: subklinisch, latent
- Pathologische Glukosetoleranz
- Prädiabetes
- R73.9: Hyperglykämie, nicht näher bezeichnet
- R73.0: Abnormer Glukosetoleranztest
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.