Zusammenfassung
Dissoziative Störungen sind durch einen partiellen oder völligen Verlust der Integration von Erinnerung, Identität, Bewusstsein, der Kontrolle von Körperbewegungen und/oder der sinnlichen Wahrnehmung ohne organisches Korrelat charakterisiert. Sie können mit posttraumatischen Belastungsstörungen oder emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen assoziiert sein und als Versuch der Psyche betrachtet werden, Situationen großer Anspannung, Angst oder Überlastung zu entkommen (Konversionsreaktion).
Dissoziative Störungen können sich bspw. in Form von Sinnesausfällen, geistiger Abwesenheit, Lähmungen, Sensibilitätsausfällen oder Krampfanfällen präsentieren, ohne dass Hinweise für eine somatische oder neurologische Krankheit vorliegen. Zu den dissoziativen Störungen werden nur der Verlust von Sinneswahrnehmungen sowie Störungen körperlicher Funktionen, die normalerweise willentlich kontrolliert werden können, gezählt. Schmerz sowie komplexe körperliche Empfindungen (bspw. Übelkeit, Schwindel, Unwohlsein), die durch das vegetative Nervensystem vermittelt werden, gehören zu den somatoformen Störungen.
Zu einer Chronifizierung kann es kommen, wenn scheinbar unlösbare Probleme vorliegen (z.B. bei ungünstigen Abhängigkeitsverhältnissen).
Allgemeines
- Definition: Störungsgruppe mit partiellem oder vollständigem Verlust der Integration von Erinnerung, Identität, Bewusstsein, Kontrolle von Körperbewegungen und/oder sinnlicher Wahrnehmung [1]
- Ohne organisches Korrelat
- In zeitlichem Zusammenhang zu belastenden Ereignissen
- Häufige Komorbiditäten [2]
- Verlauf [2]
- Häufig plötzlicher Beginn mit anschließend spontaner Remission nach Wochen bis Monaten
- Zum Teil chronische und wiederkehrende Verläufe
- Nicht selten mit Übergang zu somatoformer Störung
- Prognose: Schlechtere Prognose bei [2]
- Später Diagnosestellung und Therapiebeginn
- Komorbiditäten
Zu den dissoziativen Störungen werden der Verlust von Sinneswahrnehmungen sowie Störungen körperlicher Funktionen, die normalerweise willentlich kontrolliert werden können, gezählt. Schmerz sowie komplexe körperliche Empfindungen (bspw. Übelkeit, Schwindel, Unwohlsein), die durch das vegetative Nervensystem vermittelt werden, gehören zu den somatoformen Störungen!
Übersicht
Spezielle Formen dissoziativer Störungen nach ICD-10 [1][2] | ||
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Form | Beschreibung | |
F44.0 | Dissoziative Amnesie |
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F44.1 | Dissoziative Fugue |
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F44.2 | Dissoziativer Stupor |
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F44.3 | Trance- und Besessenheitszustände |
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F44.4 | Dissoziative Bewegungsstörungen |
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F44.5 | Dissoziative Krampfanfälle |
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F44.6 | Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen |
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F44.80 | Ganser-Syndrom |
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F44.81 | Multiple Persönlichkeit (Dissoziative Identitätsstörung) |
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Für die genauen diagnostischen Kriterien siehe: Diagnostische Kriterien der dissoziativen Störungen nach ICD-10
Epidemiologie
Die epidemiologischen Daten weisen aufgrund der sich im Laufe der Jahre veränderten diagnostischen Kriterien eine erhebliche Varianz auf.
Epidemiologische Kontextfaktoren [4]
- Geschlechterverteilung: ♀ > ♂ [2]
- Erstmanifestation: In ca. 75% der Fälle zwischen dem 17. und 32. Lebensjahr
- Prävalenz dissoziativer Bewusstseinsstörungen
- Allgemeinbevölkerung: 2–5%
- Bei psychisch Erkrankten: 5–20%
- Prävalenz dissoziativer Störungen mit körperlichen Funktionsausfällen
- Allgemeinbevölkerung: 0,3%
- In stationärer Behandlung befindliche Patient:innen: 1–10%
Sporadisch auftretende dissoziative Symptome (insb. Derealisations- und Depersonalisationserleben) sind ohne Krankheitswert und kommen als Ausdruck starker Belastungssituationen häufig vor.
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Multifaktorielle Genese entsprechend eines Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modells [2][4]
- Genetische Faktoren: Hinweise auf eine erbliche Komponente dissoziativer Störungen
- Neurobiologische Faktoren: Bislang nicht ausreichend verstanden, u.a.
- In der Bildgebung erkennbare Beteiligung einzelner Hirnregionen während dissoziativer Vorgänge
- Psychosoziale Faktoren, u.a.
- Traumatische Erlebnisse, bspw.
- Misshandlungen oder emotionale und soziale Vernachlässigung in der Kindheit
- Belastende Lebensereignisse
- Gestörte Emotionsregulation
- Qualitativ schlechter Schlaf und/oder Schlafmangel
- Reduzierte Flüssigkeitszufuhr
- Reduzierter Allgemeinzustand
- Traumatische Erlebnisse, bspw.
Ätiologisches Konzept der Dissoziation aus verhaltenstherapeutischer Sicht [2]
Aus verhaltenstherapeutischer Sicht wird Dissoziation als dysfunktionale Lösungsstrategie zum Umgang mit stark belastenden Gefühlen verstanden und kann durch positive und negative Verstärkung aufrechterhalten werden.
- Negative Verstärkung: Dissoziation führt zum (kurzzeitigen) Wegfall der als negativ erlebten Emotion
- Positive Verstärkung: Häufige Zuwendung durch das Umfeld bei Dissoziationen wird positiv wahrgenommen
Eine Dissoziation stellt aus verhaltenstherapeutischer Sicht eine dysfunktionale Lösungsstrategie zum Umgang mit starken, unangenehmen Gefühlen dar!
Diagnostik
Exploration [4]
Allgemeine Exploration [2]
- Psychiatrische Anamnese inkl.
- Besonderer Lebensereignisse oder Belastungssituationen
- Erhebung des psychopathologischen Befundes
- Siehe auch: Diagnostisches Gespräch in der Psychiatrie
Gezielte Exploration
Je nach Ausprägungsgrad berichten Betroffene nicht spontan von dissoziativen Symptomen, daher sollten diese immer gezielt exploriert werden, bspw:
- Dissoziative Amnesie
- Kennen Sie das Gefühl, größere Lücken im Gedächtnis zu haben?
- Gab es Zeiten, in denen Sie Schwierigkeiten hatten, sich an alltägliche Dinge zu erinnern?
- Hatten Sie schon einmal Probleme, sich an persönliche Informationen (bspw. Namen, Adresse) zu erinnern?
- Multiple Persönlichkeit
- Führen Sie manchmal Selbstgespräche?
- Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie wie eine andere Person wirken?
- Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass in Ihrem Inneren darüber gestritten wird, wer Sie eigentlich sind?
- Wurden Sie schon mal darauf aufmerksam gemacht, verschiedene Namen für sich zu gebrauchen?
- Depersonalisation
- Haben Sie manchmal das Gefühl, sich selbst fremd zu sein?
- Haben Sie manchmal das Gefühl, sich von außen beobachten zu können?
- Haben Sie manchmal das Gefühl, dass ihr Körper oder Körperteile unwirklich sind?
- Derealisation: Fühlen sich vertraute Mitmenschen oder Ihre Umgebung manchmal unwirklich an?
Dissoziative Symptome müssen bei allen Patient:innen gezielt erfragt werden!
Ausschluss organischer Ursachen[2]
Insb. bei körperlichen dissoziativen Symptomen ist eine gründliche somatische Abklärung wichtiger Differenzialdiagnosen dissoziativer Störungen unumgänglich .
- Somatische Basisdiagnostik, mit Schwerpunkt auf der neurologischen Untersuchung
- Ggf. apparative Verfahren, bspw.
- Routinelabordiagnostik, siehe auch: Labordiagnostik in der Psychiatrie
- EEG und/oder bildgebende Diagnostik (cCT/cMRT)
Testpsychologische Verfahren (Auswahl) [4]
- Screeningverfahren: Dissociative Experiences Scale (DES)
- Deutsche Version: Fragebogen zu dissoziativen Symptomen (FDS)
- Selbsteinschätzung anhand 44 oder 20 Items
- Zeitaufwand: I.d.R. 5–15 min
- Deutsche Version: Fragebogen zu dissoziativen Symptomen (FDS)
- Diagnosesicherung: Strukturiertes Interview für Dissoziative Störungen (SKID-D)
- Goldstandard
- 200 Items, die alle Formen der Dissoziation erfassen
- Zeitaufwand: I.d.R. 30–150 min
ICD-10
Allgemeine diagnostische Kriterien dissoziativer Störungen (F44) [1]
Allgemeine diagnostische Kriterien dissoziativer Störungen nach ICD-10 | |
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G1 | Kein Nachweis einer körperlichen Krankheit, die die für diese Störung charakteristischen Symptome erklären könnte |
G2 | Überzeugender zeitlicher Zusammenhang zwischen den dissoziativen Symptomen und belastenden Ereignissen, Problemen oder Bedürfnissen |
Diagnostische Kriterien der verschiedenen Formen dissoziativer Störungen
Diagnostische Kriterien einer dissoziativen Amnesie (F44.0)
Diagnostische Kriterien einer dissoziativen Amnesie nach ICD-10 | |
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A | Die allgemeinen diagnostischen Kriterien dissoziativer Störungen nach ICD-10 sind erfüllt |
B | Teilweise oder vollständige Amnesie für vergangene Ereignisse oder Probleme, die traumatisch oder belastend waren oder noch sind |
C | Die Amnesie ist zu ausgeprägt und langanhaltend, um mit einer normalen Vergesslichkeit oder durch eine gewollte Simulation erklärt werden zu können |
Diagnostische Kriterien einer dissoziativen Fugue (F44.1)
Diagnostische Kriterien einer dissoziativen Fugue nach ICD-10 | |
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A | Die allgemeinen diagnostischen Kriterien dissoziativer Störungen nach ICD-10 sind erfüllt |
B | Eine unerwartete, gleichwohl äußerlich normal organisierte Reise mit Entfernung von Zuhause oder vom gewohnten Arbeitsplatz und den sozialen Aktivitäten; die Selbstversorgung bleibt während dieser Zeit weitestgehend erhalten |
C | Teilweise oder vollständige Amnesie für die Zeit der Reise, die das Kriterium C für eine dissoziative Amnesie erfüllt |
Diagnostische Kriterien eines dissoziativen Stupors (F44.2)
Diagnostische Kriterien eines dissoziativen Stupors nach ICD-10 | |
---|---|
A | Die allgemeinen diagnostischen Kriterien dissoziativer Störungen nach ICD-10 sind erfüllt |
B | Beträchtliche Verringerung oder Fehlen willkürlicher Bewegungen und der Sprache sowie der normalen Reaktion auf Licht, Geräusche und Berührung |
C | Der normale Muskeltonus, die aufrechte Haltung, die Atmung sowie die – häufig eingeschränkte – Koordination der Augenbewegungen sind erhalten |
Diagnostische Kriterien von Trance- oder Besessenheitszuständen (F44.3)
Diagnostische Kriterien von Trance- oder Besessenheitszuständen nach ICD-10 | |
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A | Die allgemeinen diagnostischen Kriterien dissoziativer Störungen nach ICD-10 sind erfüllt |
B | Entweder 1. oder 2. ist erfüllt:
|
C | Die Kriterien B1 und B2 sind ungewollt und belastend, treten außerhalb religiöser oder anderer kulturell akzeptierter Situationen auf oder stellen eine Verlängerung solcher Zustände dar |
D | Ausschluss: Die Symptome treten nicht gleichzeitig mit einer Schizophrenie oder einer verwandten Störung (F2) oder mit einer affektiven Störung mit Halluzinationen und Wahngedanken (F3) auf |
Diagnostische Kriterien einer dissoziativen Bewegungsstörung (F44.4)
Diagnostische Kriterien einer dissoziativen Bewegungsstörung nach ICD-10 | |
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A | Die allgemeinen diagnostischen Kriterien dissoziativer Störungen nach ICD-10 sind erfüllt |
B | Entweder 1. oder 2. ist erfüllt:
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Diagnostische Kriterien eines dissoziativen Krampfanfalls (F44.5)
Diagnostische Kriterien eines dissoziativen Krampfanfalls nach ICD-10 | |
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A | Die allgemeinen diagnostischen Kriterien dissoziativer Störungen nach ICD-10 sind erfüllt |
B | Plötzliche und unerwartete krampfartige Bewegungen, die sehr an verschiedene Formen epileptischer Anfälle erinnern, aber nicht mit einem Bewusstseinsverlust einhergehen |
C | Kriterium B geht nicht mit Zungenbiss, schweren Hämatomen oder Verletzungen aufgrund eines Sturzes oder mit Harninkontinenz einher |
Diagnostische Kriterien einer dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörung (F44.6)
Diagnostische Kriterien einer dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörung nach ICD-10 | |
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A | Die allgemeinen diagnostischen Kriterien dissoziativer Störungen nach ICD-10 sind erfüllt |
B | Entweder 1. oder 2. ist erfüllt:
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Diagnostische Kriterien einer multiplen Persönlichkeit (F44.81)
Diagnostische Kriterien einer multiplen Persönlichkeit nach ICD-10 | |
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A | Mind. 2 unterschiedliche Persönlichkeiten innerhalb eines Individuums, von denen zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils nur 1 in Erscheinung tritt |
B | Jede Persönlichkeit hat ihr eigenes Gedächtnis sowie eigene Vorlieben und Verhaltensweisen und übernimmt zu einem bestimmten Zeitpunkt, auch wiederholt, die volle Kontrolle über das Verhalten der Betroffenen |
C | Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern (für eine einfache Vergesslichkeit zu ausgeprägt) |
D | Ausschluss: Die Symptome sind nicht durch eine organische psychische Störung (F0) oder durch einen Missbrauch psychotroper Substanzen (F1) bedingt |
Diagnostische Kriterien eines Depersonalisations- oder Derealisationssyndroms (F48.1) [1]
Diagnostische Kriterien eines Depersonalisations- oder Derealisationssyndrom nach ICD-10 | |
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A | Entweder 1. oder 2. ist erfüllt:
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B | Die Einsicht, dass die Veränderung nicht von außen durch andere Personen oder Kräfte eingegeben wurde, bleibt erhalten |
ICD-11
- Wesentliche Änderungen, u.a. [5]
- Nicht mehr eigenständig kodierbar
- Neue Diagnose/Kategorie
- Partielle Identitätsstörung
- Dissoziative Störung mit neurologischen Symptomen
- Einordnung des Depersonalisations-/ Derealisationssyndrom als dissoziative Störung
- Anhaltendes und rezidivierendes Erleben von Depersonalisation und/oder Derealisation
- Psychopathologisch den Ich-Störungen zuzuordnen
- Mehr Informationen zur ICD-11 (deutsche Entwurfsfassung) unter Tipps & Links
Differenzialdiagnosen
Auflistung wichtiger Differenzialdiagnosen [2][4][6][7]
- Somatische Erkrankungen
- Epileptische Anfälle
- Multiple Sklerose
- Bewegungsstörungen, bspw. Chorea Huntington
- Polyneuropathie
- Organisch bedingte Amnesie, bspw. im Rahmen von demenziellen Entwicklungen, Delir oder Schädel-Hirn-Trauma
- Herzrhythmusstörungen (bei synkopalen Ereignissen)
- Psychiatrische Erkrankungen
- Affektive Störungen
- Angststörungen
- Somatoforme Störungen
- Schizophrenien
- Akute Belastungsreaktion
- Posttraumatische Belastungsstörung
- Intoxikation mit psychotropen Substanzen
- Artifizielle Störungen und Simulationstendenzen
Abgrenzung zwischen dissoziativen und epileptischen Anfällen [2][4][8]
Zeitlicher Verlauf | Eher dissoziativer Anfall | Eher epileptischer Anfall | |
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Beginn |
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Iktal | Bewusstsein |
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Bewegungsmuster |
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| |
Sonstiges |
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Postiktal |
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Klinisch kann es mitunter schwierig sein, einen dissoziativen von einem epileptischen Anfall zu unterscheiden. Goldstandard zur Differenzierung ist die simultane Video-EEG-Registrierung!
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Die Therapie dissoziativer Störungen sollte bevorzugt ambulant erfolgen.
Psychotherapie [2][4]
Für die Behandlung dissoziativer Störungen liegen bisher keine evidenzbasierten Empfehlungen vor. In der Literatur wird i.d.R. ein modulares, phasenorientiertes Vorgehen beschrieben.
1. Phase: Stabilisierung und Symptomreduktion
In dieser Phase können folgende Interventionen zum Einsatz kommen:
- Psychoedukation
- Vermittlung eines individuellen Erklärungskonzepts für die Dissoziationen
- Empathische, zugewandte Grundhaltung: Dissoziation als Schutzfunktion vor aversiven Emotionen und Anspannungszuständen erklären
- Ziele
- Entlasten der Betroffenen durch Ansprechen und Entkatastrophisieren der Symptome
- Betroffene werden Expert:innen der Erkrankung
- Verstärken der Veränderungsmotivation
- Aufführen von Vor- und Nachteilen der dissoziativen Symptome
- Ziel: Bewusste Entscheidung gegen Dissoziationen
- Reduktion der Anfälligkeit für Dissoziationen
- Verhaltensanalysen und Symptomtagebücher
- Erstellen einer Dissoziationsskala, die den Grad der Dissoziation wiedergibt
- Ziel: Erkennen von Auslösern und Frühwarnzeichen
- Kontingenzmanagement: Reduktion negativer und positiver Verstärkung
- Negative Verstärkung im Rahmen von Dissoziationen: Reduktion der aversiven Gefühle durch Dissoziationen
- Ansatzpunkt: Erlernen alternativer Verhaltensweisen zur Emotions- und Spannungsreduktion
- Positive Verstärkung im Rahmen von Dissoziationen: Aufmerksamkeit durch das Umfeld während der Dissoziationen
- Ansatzpunkt: Reduktion der Aufmerksamkeit durch das Umfeld
- Negative Verstärkung im Rahmen von Dissoziationen: Reduktion der aversiven Gefühle durch Dissoziationen
- Erlernen von antidissoziativen Fertigkeiten
- Mögliche Fertigkeiten
- Grounding-Techniken, bei denen sich die Betroffenen auf den körperlichen Kontakt zur Umgebung konzentrieren
- Realitätsprüfung durch Benennen von Zeit, Ort, Situation usw.
- Anwendung starker Sinnesreize
- Ziel: Unterbrechung einer Dissoziation
- Mögliche Fertigkeiten
- Erlernen alternativer Mechanismen zur Emotions- und Spannungsregulation
- Durch Anwenden des Therapiekonzepts der dialektisch-behavioralen Therapie
- Ziel: Erlernen von Skills
2. Phase: Trauma- und Konfliktbearbeitung
Bei Betroffenen mit traumatischen Erlebnissen können diese im Anschluss an die Stabilisierung und Symptomreduktion im Rahmen konfrontativer Maßnahmen aufgearbeitet werden. Hierbei ist zu beachten, dass Dissoziationen nicht immer ein Trauma zugrunde liegt. In diesen Fällen dürfen den Betroffenen keine suggestiven Fragen gestellt werden . Auch bei zugrundeliegenden Traumata sollten Erinnerungslücken akzeptiert und nicht forciert erinnert werden. Im Rahmen der Konfrontation empfiehlt sich ein graduiertes Vorgehen sowie der Einsatz antidissoziativer Fertigkeiten.
Pharmakotherapie [2][4][6][10][11]
- Geringe Datenlage, keine standardisierte Empfehlung für eine spezifische Pharmakotherapie
- Pharmakotherapeutische Behandlungsversuche nur in einem integrativen psychotherapeutischen Gesamtkonzept
- Positive Hinweise bei der Anwendung von (Off-Label Use!)
Genereller Umgang mit dissoziativen Symptomen
- Falls möglich: Vorherige Absprache mit Betroffenen, wie mit Dissoziationen umgegangen werden soll
- Möglichst wenig Aufmerksamkeit geben
- Falls vorhanden: Anwenden antidissoziativer Fertigkeiten
- Nachexploration der Dissoziation im Sinne einer Verhaltensanalyse
Sonderfall: Dissoziativer Krampfanfall
- Sicherstellen der Diagnose eines dissoziativen Krampfanfalls
- Während eines dissoziativen Anfalls
- Ruhe ausstrahlen
- Falls möglich: Reduktion der Aufmerksamkeit
- Sichern der Umgebung
- Falls vorhanden: Anwenden antidissoziativer Fertigkeiten
- Regelmäßige Sichtkontrollen bis Sistieren des Anfalls
- Keine medikamentöse Behandlung des Anfalls
- Bei regelmäßigen dissoziativen Anfällen: Erstellen einer Notfallkarte
Bei jedem dissoziativen Anfall muss mind. eine ärztlich-klinische Ausschlussdiagnostik erfolgen!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
F44.-: Dissoziative Störungen [Konversionsstörungen]
- Inklusive: Hysterie, Hysterische Psychose,Konversionshysterie, Konversionsreaktion
- Exklusive: Simulation [bewusste Simulation] (Z76.8)
- F44.0: Dissoziative Amnesie
- Exklusive
- Alkohol- oder sonstige substanzbedingte amnestische Störung (F10-F19, vierte Stelle .6)
- Amnesie: anterograd (R41.1), retrograd (R41.2), o.n.A. (R41.3)
- Nicht alkoholbedingtes organisches amnestisches Syndrom (F04)
- Postiktale Amnesie bei Epilepsie (G40.‑)
- Exklusive
- F44.1: Dissoziative Fugue
- Exklusive: Postiktale Fugue bei Epilepsie(G40.‑)
- F44.2: Dissoziativer Stupor
- F44.3: Trance- und Besessenheitszustände
- Exklusive: Zustandsbilder bei:
- Intoxikation mit psychotropen Substanzen (F10-F19, vierte Stelle .0)
- organischem Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma (F07.2)
- organischer Persönlichkeitsstörung (F07.0)
- Schizophrenie (F20.‑)
- vorübergehenden akuten psychotischen Störungen (F23.‑)
- Exklusive: Zustandsbilder bei:
- F44.4: Dissoziative Bewegungsstörungen
- F44.5: Dissoziative Krampfanfälle
- F44.6: Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen
- Psychogene Schwerhörigkeit oder Taubheit
- F44.7: Dissoziative Störungen [Konversionsstörungen], gemischt
- F44.8-: Sonstige dissoziative Störungen [Konversionsstörungen]
- F44.80: Ganser-Syndrom
- F44.81: Multiple Persönlichkeit(sstörung)
- F44.82: Transitorische dissoziative Störungen [Konversionsstörungen] in Kindheit und Jugend
- F44.88: Sonstige dissoziative Störungen [Konversionsstörungen]
- Psychogen: Dämmerzustand, Verwirrtheit
- F44.9: Dissoziative Störung [Konversionsstörung], nicht näher bezeichnet
F48.-: Andere neurotische Störungen
- F48.1: Depersonalisations- und Derealisationssyndrom
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.