Zusammenfassung
Bipolare Störungen gehören zu den affektiven Erkrankungen und zeichnen sich durch einen Wechsel depressiver und/oder manischer/hypomanischer Phasen mit i.d.R. dazwischenliegenden symptomfreien Intervallen aus. Depressive Symptome entsprechen dabei denen einer unipolaren Depression (gedrückte Stimmung, Interessen- und Antriebsverlust), wohingegen manische Phasen mit gehobener Stimmung, vermehrtem Antrieb und ggf. leichtsinnigem und rücksichtslosem Verhalten einhergehen. Je nach Ausprägung kann es dabei zu erheblichen sozialen Schwierigkeiten und Beeinträchtigungen kommen.
Ätiologisch wird ein komplexes Vulnerabilitäts-Stress-Modell angenommen, wobei die Bedeutung genetischer Faktoren insgesamt sehr groß ist. Bipolare Störungen beginnen in der Mehrzahl der Fälle um das 18. Lebensjahr herum und somit früher als unipolare Depressionen.
Diagnostisch ist der Ausschluss einer organischen Genese wichtig, denn sowohl manische als auch depressive Symptome können durch eine Vielzahl körperlicher Erkrankungen bedingt sein.
Eine manische Episode wird akut mit Stimmungsstabilisierern und/oder Antipsychotika behandelt. Mittel der Wahl zur Behandlung bipolarer Depressionen ist Quetiapin, aber auch Stimmungsstabilisierer und Antidepressiva (CAVE: Switch-Risiko) kommen zum Einsatz. Um Rezidiven vorzubeugen, ist eine medikamentöse Phasenprophylaxe meist unumgänglich. Hier ist Lithium nach wie vor Mittel der Wahl.
Typisierung affektiver Störungen
Affektive Störungen sind eine Störungsgruppe mit dem Hauptmerkmal einer veränderten Stimmung, innerhalb welcher die unipolare Depression mit ca. 65% den größten Anteil ausmacht. Die grobe Einteilung der affektiven Störungen erfolgt gemäß der Polarität und dem zeitlichen Verlauf. [1]
Einteilung der affektiven Störungen (nach ICD-10) | ||
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Unipolar | Bipolar | |
Monophasisch |
| — |
Polyphasisch |
|
|
Anhaltend (>2 Jahre) |
Epidemiologie
- Lebenszeitprävalenz [1][3][4]
- Allgemeinbevölkerung: 3–5% [2]
-
Erhöhung bei familiärer Belastung
- Risiko, wenn ein Elternteil betroffen ist: Ca. 20%
- Risiko, wenn beide Elternteile betroffen sind: Ca. 55%
- Konkordanzrate bei eineiigen Zwillingen: Ca. 80%
- Konkordanzrate bei zweieiigen Zwillingen: Ca. 15–20%
- Jahresprävalenz (Stand 2014): 1–2%
- Alters- und Geschlechterverteilung
Bipolare Störungen beginnen in der Mehrzahl der Fälle in der Adoleszenz und damit früher als unipolare Depressionen!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Die Ursache der bipolaren Störung ist bis heute nicht abschließend geklärt. Sie ist am ehesten multifaktoriell bedingt und insb. durch genetische und neurobiologische, aber auch psychosoziale Einflüsse zu erklären. Dabei wird von einem komplexen Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell ausgegangen. [1][3][5]
- Genetische Faktoren
- Heritabilität spielt insg. große Rolle (ca. 80%), ist jedoch keinesfalls als alleinger Einflussfaktor zu sehen [6]
- Genauer Erbgang nicht bekannt
- Neurobiologische Aspekte siehe: Neurobiologische Aspekte affektiver Störungen
- Psychosoziale Stressoren, bspw. frühkindliche Traumen, Gewalterfahrung und emotionale Vernachlässigung [6]
Die Heritabilität der bipolaren Störung ist eine der höchsten aller psychiatrischer Erkrankungen!
Symptomatik
Bipolare Störungen sind gekennzeichnet durch einen Wechsel depressiver und/oder manischer/hypomanischer Phasen mit i.d.R. dazwischenliegenden symptomfreien Intervallen. Typischerweise überwiegen dabei depressive Phasen, während manische Phasen nur ca. 10–20% der Erkrankungsepisoden ausmachen. Je nach Ausprägung werden unterschiedliche Verlaufsformen unterschieden. [1]
Manische Episode [4]
Klinisch lassen sich unterschiedliche Formen der Manie unterscheiden: euphorisch, dysphorisch/gereizt, psychotisch. [3][6]
- Affektstörungen
- Situationsinadäquat gehobene Stimmung bis hin zur ungesteuerten Euphorie
- Gesteigertes Selbstwertgefühl, Selbstüberschätzung
- Reizbarkeit, Aggressivität und Feindseligkeit
- Affektlabilität
- Störungen des Antriebs und der Psychomotorik
- Antriebssteigerung
- Motorische Unruhe
- Denk- und Sprachstörungen
- Beschleunigter formaler Gedankengang bis hin zur Ideenflucht, subjektives Gedankenrasen
- Gesteigerter Rededrang, Logorrhö
- Größenideen
- Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen: Konzentrationsstörungen, gesteigerte Ablenkbarkeit und Irritierbarkeit
- Ggf. psychotische Symptome [3]
- Weitere
- Distanzlosigkeit und Verlust sozialer Hemmungen
- Impulsives und rücksichtsloses, leichtsinniges Verhalten
- Vermindertes Schlafbedürfnis
- Gesteigerte Libido
Eine manische Episode ist eine schwere psychische Erkrankung, die zu psychosozialen, beruflichen und privaten Problemen führen kann! Sie geht i.d.R. mit einer Geschäftsunfähigkeit einher! [1]
Selbst bei einer reinen manischen Phase können abrupt kurze, nur für wenige Minuten bis Stunden anhaltende, depressive Verstimmungen auftreten, die nicht selten mit konkreten Suizidimpulsen einhergehen!
Depressive Episode (bipolare Depression)
-
Symptome entsprechen i.d.R. denen einer unipolaren Depression [1][3]
- Bei schweren Verläufen auch psychotische Symptome möglich
- Häufig mit einem somatischen Syndrom assoziiert
- Unterschied zu unipolarer Depression: Häufig früherer Krankheitsbeginn und z.T. untypische Symptomatik (bspw. vermehrter Appetit und höheres Schlafbedürfnis)
- Siehe auch: Symptome einer Depression
Gemischte Episode [3][4]
- Symptome: Auftreten (hypo)manischer und depressiver Symptome gemischt oder im schnellen Wechsel (innerhalb von Minuten oder Stunden)
- Zusätzlich häufig
- Dauer: ≥2 Wochen
Verlaufs- und Sonderformen
Bipolar-I-Störung
- Manische/Gemischte Episoden, i.d.R. im Wechsel mit depressiven Episoden
- „Klassische“ Form der bipolaren Störung
Bipolar-II-Störung
- Eine oder mehrere hypomanische Episoden und mind. 1 depressive Episode
- Keine manischen Episoden [7]
Rapid Cycling (F31.81) [4][8][9]
- Definition: Schwerwiegende Form der bipolaren Störung mit mind. 4 Phasenwechseln innerhalb eines Jahres (Manien/Hypomanien und/oder Depressionen bzw. gemischte Episoden) [10]
- Ultra rapid Cycling: Mind. 4 Phasenwechsel innerhalb eines Monats
- Epidemiologie
- Ca. 15–20% der Personen mit bipolarer Störung
- Geschlecht: ♀ > ♂
- Bipolar-II-Störung > Bipolar-I-Störung
- Ätiologie: Genaue Ursachen sind noch nicht ausreichend geklärt
- Klinische Relevanz
- Höheres Suizidrisiko
- Schwerere Symptomatik
- Vermehrte Komorbiditäten
- Schlechteres Therapieansprechen
- Größere Einschränkungen des ursprünglichen Funktionsniveaus
- Ungünstigere Prognose
- Therapie [3][6]
- Medikamentöse Therapie [9]
- Wirksamkeit belegt für: Lamotrigin, weniger gut für Quetiapin und Olanzapin, eingeschränkt für Valproat
- Ggf. Kombinationsbehandlung (zunehmendes Interaktionspotenzial beachten!), bspw.
- 2 Stimmungsstabilisierer
- Stimmungsstabilisierer + atypisches Antipsychotikum
- Ggf. Dreifachkombination
- Dauer: Jeweiliger Therapieversuch über mind. 2 Monate , bei Lamotrigin deutlich länger
- Vermeidung eines Antidepressivums!
- Nicht-medikamentöse Therapie [3]
- Ggf. Psychotherapie
- Bei ausbleibendem Erfolg aller anderer Therapieverfahren: Ggf. EKT
- Medikamentöse Therapie [9]
Diagnostik
Die Diagnose einer bipolaren Störung kann schwierig sein, da insb. hypomane Symptome von Betroffenen selbst nicht als krankhaft erlebt werden. Zudem zeigen manche Patient:innen über Jahre hinweg nur depressive Symptome, weshalb dann häufig zunächst eine rezidivierende depressive Störung diagnostiziert wird. Nach der ersten manischen Episode muss die Diagnose "ex post" (nachträglich) auf eine bipolare affektive Störung umgestellt werden.
Exploration [1]
- Allgemeine Exploration
- Psychiatrische Anamnese, inkl.
- Suchtanamnese, Medikamentenanamnese [3]
- Beurteilung von Eigengefährdung (insb. Suizidalität) und Fremdgefährdung
- Wenn möglich Fremdanamnese
- Erhebung des psychopathologischen Befundes
- Siehe auch: Diagnostisches Gespräch in der Psychiatrie
- Psychiatrische Anamnese, inkl.
- Gezielte Exploration: Aktuelle und vergangene Symptome/Episoden aktiv erfragen
- Affektive Episoden
- Wie viele Episoden insgesamt?
- Wie viele Episoden pro Jahr?
- Wann war die erste Episode?
- Wie lange dauern die Episoden im Durchschnitt?
- Überwiegen manische oder depressive Episoden?
- Manische Symptome
- Haben Sie sich in der Vergangenheit besonders stark oder großartig gefühlt?
- Haben Sie rückblickend übertrieben gute Laune gehabt, sodass andere Leute Sie auf ihre Wesensänderung angesprochen haben?
- Wurden plötzlich und unüberlegt größere Geldbeträge ausgegeben?
- Ist der Schlaf reduziert?
- Hatten Sie viele Ideen und Einfälle, von denen Sie jedoch keine bis zum Ende umgesetzt haben?
- Hatten Sie in einer kurzen Zeit verschiedene Sexualkontakte, obwohl dies nicht Ihrer eigentlichen Natur entspricht?
- Depressive Symptome siehe: Diagnostik bei Depression
- Psychotische Symptome
- Besteht die Überzeugung, zu verarmen oder für etwas schuldig zu sein?
- Besteht die Überzeugung, für etwas Besonderes bestimmt zu sein bzw. besondere Fähigkeiten zu haben?
- Bestehen Sinneseindrücke, die andere nicht wahrnehmen?
- Affektive Episoden
Hinweise auf einen bipolaren Verlauf affektiver Störungen [3]
- Positive Familienanamnese
- Schwere Depression mit oder ohne psychotische Symptome im Kindes- oder Jugendalter
- Schneller Beginn sowie schnelles Ende der affektiven Phasen
- Saisonale oder atypische Verläufe der affektiven Erkrankung
- Subsyndromale hypomanische Symptome während einer depressiven Phase
- Entwicklung hypomanischer/manischer Symptome
- Während einer Behandlung mit Antidepressiva
- Nach Einnahme von Stimulanzien
Bei jeder depressiven Symptomatik sollten hypomanische/manische Symptome immer gezielt abgefragt werden!
Die am häufigsten gestellte Fehldiagnose ist eine unipolare Depression! [6]
Ausschluss organischer Ursachen [3]
Sowohl manische als auch depressive Symptome können durch eine Vielzahl körperlicher Erkrankungen bedingt sein. Siehe auch: Somatische Differenzialdiagnosen bipolarer Störungen.
- Körperliche Untersuchung
- Apparative Untersuchungen
- Routinelabordiagnostik, siehe auch: Labordiagnostik in der Psychiatrie
- Ggf. Drogenscreening, Syphilis-Diagnostik
- Bei V.a. Morbus Cushing: Freies Cortisol im 24-h-Urin
- EKG
- Ggf. EEG und/oder bildgebende Diagnostik (cCT/cMRT)
- Bei Erstmanifestation
- Bei atypischer Symptomatik
- Bei später Manifestation der manischen Episoden
- Siehe auch: Apparative Diagnostik in der Psychiatrie
- Routinelabordiagnostik, siehe auch: Labordiagnostik in der Psychiatrie
Störungsspezifische Tests [3]
- Früherkennung und Screening: Bei erhöhtem Risiko für eine bipolare Störung
- Maniforme Symptome
- Mood Disorder Questionnaire (MDQ)
- Hypomania Checklist (HCL-32)
- Depressive Symptome, bspw.
- Maniforme Symptome
- Symptomerfassung: Häufig zur Therapie- und Verlaufskontrolle eingesetzt
- Manische Symptome
- Depressive Symptome
- Selbstbeurteilungsbogen, bspw. Beck-Depressions-Inventar (BDI-II)
- Fremdbeurteilungsbögen, bspw.
- Für allgemeine Informationen siehe auch: Testpsychologische Verfahren
Verlaufsdiagnostik [3][6]
- Allgemeines Monitoring
- Regelmäßiges Erfassen komorbider Erkrankungen
- Kontrolluntersuchungen unter Therapie mit Phasenprophylaktika
- Symptomerfassung
- Fremdbeurteilungsskalen
- Ggf. Screening auf kognitive Störungen
- Für mehr Informationen siehe auch: Psychologische Leistungsdiagnostik
- Psychosoziales Funktionsniveau
- Stimmungskalender/Stimmungstagebuch
- Für weitere Informationen siehe: Tipps & Links (Stimmungskalender (DGBS))
ICD-10
Die hier aufgeführten Untergruppen (Hypomanie, Manie mit/ohne psychotische Symptome, Depression mit/ohne psychotische Symptome) dürfen nur für eine einzelne Episode verwendet werden. Hypomanische oder manische Episoden bei Betroffenen, die früher eine oder mehrere affektive (depressive, hypomanische, manische oder gemischte) Episoden hatten, sind unter bipolarer affektiver Störung zu klassifizieren. [10]
Diagnostische Kriterien einer bipolaren affektiven Störung (F31–F31.9) [6][10]
Die Diagnose einer bipolaren Störung kann nur gestellt werden, wenn mind. 2 zeitlich klar abgrenzbare affektive Episoden aufgetreten sind, von denen eine hypomanisch/manisch oder gemischt sein muss.
Diagnostische Kriterien einer Hypomanie (F30.0) [10]
Diagnostische Kriterien einer Hypomanie nach ICD-10 [10] | |
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A |
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B |
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C |
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D |
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Diagnostische Kriterien einer Manie (F30.1, F30.2)
Manie ohne psychotische Symptome (F30.1)
Diagnostische Kriterien einer Manie ohne psychotische Symptome nach ICD-10 (F30.1) | |
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A |
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B |
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C |
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D |
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Manie mit psychotischen Symptomen (F30.2)
Diagnostische Kriterien einer Manie mit psychotischen Symptomen nach ICD-10 (F30.2) | |
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A |
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B |
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C |
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D |
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Differenzierung |
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Diagnostische Kriterien einer depressiven Episode
Siehe hierzu: Diagnostische Kriterien einer depressiven Episode nach ICD-10
ICD-11
- Wesentliche Änderungen, u.a. [11]
- Kodierung der bipolaren Störung bereits nach Vorliegen einer manischen oder gemischten Episode
- Manie als eigenständige Diagnose entfällt
- Zusätzliches Hauptkriterium einer manischen Episode : Erhöhte Aktivität oder subjektiv gesteigertes Energiegefühl
- Klare Subtypisierung in [11]
- Kodierung der bipolaren Störung bereits nach Vorliegen einer manischen oder gemischten Episode
- Mehr Informationen zur ICD-11 (deutsche Entwurfsfassung) unter Tipps & Links
Komorbiditäten
Bei bipolaren Störungen kommt es sehr häufig zu komorbid auftretenden psychischen und somatischen Erkrankungen, die Auswirkungen auf den Verlauf, die Prognose und die Therapie haben. [3]
- Psychische Komorbiditäten [6]
- Somatische Komorbidität, insb.
- Kardiovaskuläre Erkrankungen
- Adipositas
- Metabolisches Syndrom
- Diabetes mellitus
- Muskuloskelettale Erkrankungen
- Migräne
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch können für ein depressives und/oder manisches Syndrom zahlreiche psychiatrische und somatische Krankheitsbilder sowie pharmakogene bzw. substanzinduzierte Ursachen infrage kommen. Im Folgenden aufgeführt sind beispielhafte, wichtige Ursachen ohne Anspruch auf Vollständigkeit. [1][3]
Psychiatrische Differenzialdiagnosen
- Schizophrenie und andere psychotische Störungen
- Schizoaffektive Störung
- Unipolare Depression, siehe auch: Hinweise auf einen bipolaren Verlauf affektiver Störungen [6]
- Substanzmissbrauch/-abhängigkeit, bspw. Psychostimulanzien, Alkohol
- Emotional instabile Persönlichkeitsstörung
- ADHS
- Zyklothymia (anhaltende leichte depressive und hypomane Stimmungsschwankungen über mind. 2 Jahre)
Somatische Differenzialdiagnosen
- Hirnorganische Störungen , bspw.
- Epilepsie
- Multiple Sklerose
- Frontotemporale Demenz (Morbus Pick)
- Zerebrale Infektionen, bspw. Enzephalitis, HIV, Neurosyphilis
- Zerebrale Neoplasien
- Endokrinologische Erkrankungen/Stoffwechselstörungen, bspw.
Pharmakogene Ursachen
- Arzneimittelinduzierte (Hypo‑)Manien, bspw. durch
- Arzneimittelinduzierte Depressionen, siehe: Medikamente mit depressiogenem Potenzial
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Exkurs: Zyklothymia
Epidemiologie [4]
- Lebenszeitprävalenz: 0,4–1%
- Manifestation oft im jugendlichen Alter
Merkmale [4][10]
- Anhaltende leichte depressive und hypomane Stimmungsschwankungen über mind. 2 Jahre
- Kriterien einer mittelgradigen/schweren Depression oder einer Manie sind nicht erfüllt
- Hohe Komorbidität mit Substanzmissbrauch und Substanzabhängigkeit
- Übergang in bipolare Störung möglich
Diagnostische Kriterien
Nach ICD-10
Die Zyklothymia (F34.0) wird nach ICD-10 zu den anhaltenden affektiven Störungen gezählt.
Diagnostische Kriterien der Zyklothymia nach ICD-10 [10] | |
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A |
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B |
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C |
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D |
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Nach ICD-11
- Wird eigenständig unter den „Bipolaren oder verwandten Störungen“ gelistet
- Mehr Informationen zur ICD-11 (deutsche Entwurfsfassung) unter Tipps & Links
Therapie [4]
- Medikamentöse Therapie: Keine zugelassene Substanz
- Psychoedukation
- Psychosoziale Betreuung
Therapie
Allgemein [3][6][9]
Die Therapie gestaltet sich individuell unterschiedlich und hängt von einer Reihe verschiedener Faktoren ab.
- Behandlungsziel: Beibehaltung eines hohen psychosozialen Funktionsniveaus
- Symptomreduktion bzw. Symptomfreiheit
- Vermeidung von Rezidiven
- Vorgehen
- Aufbau einer tragfähigen Arzt-Patient-Beziehung unter partizipativer Entscheidungsfindung und Einbezug des sozialen Umfelds
- Ggf. Erstellung einer Behandlungsvereinbarung
- Förderung der Selbsthilfe
- Psychoedukation in Gruppen- und Einzelgesprächen
- Selbsthilfemanuale
- Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige
- Peer-Support
- Führen eines Stimmungstagebuches/Stimmungskalenders
- Für weitere Informationen siehe: Tipps & Links (Stimmungskalender (DGBS))
Zur Reduktion von Zwangsmaßnahmen sollte zusammen mit den Patient:innen eine schriftliche Behandlungsvereinbarung getroffen werden!
Behandlungsphasen
- Akuttherapie
- Ziele
- Phasenspezifische Behandlung der Manie und/oder der Depression
- Wahl des Pharmakons unter Berücksichtigung einer evtl. Phasenprophylaxe
- Dauer: Tage bis Wochen
- Ziele
- Ggf. Erhaltungstherapie [3]
- Ziel: Reduktion des Rückfallrisiko durch Fortführung der Akuttherapie
- Dauer: 3–6 Monate
- Ggf. Phasenprophylaxe [4][6][9]
- Ziele
- Rezidivprophylaxe zur Vermeidung/Abschwächung weiterer affektiver Episoden
- Medikamentöse Monotherapie bevorzugen
- Dauer: Viele Jahre, ggf. lebenslang
- Ziele
Akuttherapie
Akuttherapie einer (hypo‑)manischen Episode[3][6]
Allgemein [4]
- Setting
- Ggf. Unterbringung: Bei Eigen- und/oder Fremdgefährdung
- Einleitung einer Unterbringung nach öffentlich-rechtlichen Landesgesetzen oder
- Einleitung einer betreuungsrechtlichen Unterbringung
- Umgang mit manischen Patient:innen
- Ruhiges Auftreten und aktives, empathisches Zuhören
- Reizfreie Umgebung schaffen
- Klare Grenzen setzen, gleichzeitig aber ausreichend Freiraum bieten
- Für Beschäftigung sorgen
- Förderung eines geregelten Tag-Nacht-Rhythmus
- Auf die eigene Sicherheit achten (insb. bei dysphorisch/gereizten Manien)
Medikamentöse Therapie [3][12]
Manische Patient:innen sind i.d.R. nicht krankheitseinsichtig und damit weniger zugänglich für Psychotherapie. Der Schwerpunkt liegt hier auf der medikamentösen Therapie.
Allgemeines Vorgehen
- Monotherapie bevorzugen
- Schwere Manie: I.d.R. Kombinationsbehandlung notwendig
- Antidepressive Therapie beenden [9]
Wahl des Pharmakons
- Unter Beachtung von [9]
- Vorerfahrungen/Wünschen der Betroffenen
- Nebenwirkungsprofilen
- Gewünschter sedierender oder nicht-sedierender Wirkung
- Eignung des Medikamentes zur Fortführung als Phasenprophylaktikum
- Unterbringung [9]
- Art der Manie (euphorisch, dysphorisch/gereizt oder psychotisch)
- Mögliche Substanzen: In der S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie bipolarer Störungen“
- Mit gleichem Empfehlungsgrad und ohne Priorisierung gelistet: Lithium, Antipsychotika (Aripiprazol, Asenapin, Haloperidol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon), Anfallssuppressiva (Valproat, Carbamazepin)
- Mit einem niedrigeren Empfehlungsgrad empfohlen: Paliperidon (Off-Label Use); Ggf. supportive Gabe bei Agitiertheit: Benzodiazepine (bspw. Lorazepam), Loxapin
- Bisher nicht empfohlen: Cariprazin (Off-Label Use)
Medikamentöse Akuttherapie einer manischen Episode [3][6][9] | |||
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Empfohlene Substanzen | Indikation | ||
Euphorische Manie | Dysphorisch/Gereizte Manie | Psychotische Manie | |
Lithium p.o.a |
| — | — |
|
|
|
|
Valproat p.o. (Retardpräparat)a,b,c |
|
| — |
Typische Antipsychotika, bspw. Haloperidol
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Carbamazepin (Retardpräparat) (Off-Label Use) |
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Paliperidon (Off-Label Use) |
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Cariprazin (Off-Label Use) |
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Benzodiazepine, bspw. Lorazepam |
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Loxapin | |||
Legende |
|
- Für weiterführende Behandlungsoptionen siehe: Behandlungsoptimierung bei manischer Episode und Medikamentöse Kombinationsbehandlungen bei akuter Manie
Benzodiazepine können bei agitierten und dysphorisch/gereizten Manien zusätzlich angewendet werden. Aufgrund des Abhängigkeitspotenzials sollte der Einsatz jedoch zeitlich begrenzt sein!
Valproat ist in der Schwangerschaft absolut kontraindiziert! Für Personen im gebärfähigen Alter oder mit Kinderwunsch (auch Männer) gelten besondere Anwendungshinweise! (Siehe: Rote-Hand-Brief zu Valproat und Fachinformation [13])
Klassische Antipsychotika sollten bei der Behandlung eines manischen Syndroms möglichst vermieden oder nur kurzzeitig verwendet werden. Eine längerfristige Behandlung sollte immer mit einem atypischen Antipsychotikum erfolgen!
Betroffene mit bipolaren Störungen entwickeln unter Antipsychotika-Gabe häufiger extrapyramidal-motorische Störungen! [9]
Nicht-medikamentöse Therapie [3]
- Psychotherapie: Fehlende Evidenz
- Bei leichter Manie
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
- Psychoedukation
- Familienfokussierte Interventionen
- Bei leichter Manie
- Ggf. unterstützende Therapieverfahren: Bspw. Ergotherapie, Kunsttherapie, Sporttherapie
- Für weiterführende Behandlungsoptionen siehe: Behandlungsoptimierung bei manischer Episode
Psychotherapeutische Verfahren spielen in der Behandlung der akuten Manie aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht der Patient:innen im Vergleich zur medikamentösen Therapie eine untergeordnete Rolle!
Akuttherapie einer bipolaren Depression
Die Empfehlungen zur Akuttherapie einer bipolaren Depression sind abhängig vom jeweiligen Schweregrad. [3][9]
- Leichte depressive Episode: Nicht-medikamentöse Therapieverfahren bevorzugen, bspw. Psychoedukation, psychotherapeutische Maßnahmen und Förderung des Selbstmanagements
- Mittelgradige bis schwere depressive Episode, insb. mit Suizidalität: Medikamentöse antidepressive Therapie zusätzlich zu nicht-medikamentösen Therapieverfahren empfohlen
- Reevaluation des Schweregrades: 3–4 Wochen nach medikamentösem Therapiebeginn
- Bei unzureichendem oder ausbleibendem Therapieerfolg siehe: Behandlungsoptimierung bei bipolarer Depression
Medikamentöse Therapie [3][9]
Grundsätzlich erfolgt die Behandlung einer bipolaren Depression ähnlich zu den Behandlungsansätzen einer unipolaren Depression. Sie gehört mit zu den herausfordernsten Aufgaben in der Therapie bipolarer Störungen . Insb. die Gabe von Antidepressiva wird kontrovers diskutiert. [1][6]
- Gefahren einer Therapie mit Antidepressiva
- Manieinduktion (sog. Switch-Risiko): Risiko des Umschlagens einer depressiven in eine (hypo)manische oder gemischte Episode
- Zunahme der Episodenfrequenz bis hin zum Rapid Cycling
- Siehe auch: Antidepressiva bei bipolarer Depression
- Therapiekontrolle: 1×/Woche nach medikamentösem Therapiebeginn
- Bei unzureichendem oder ausbleibendem Therapieerfolg siehe: Behandlungsoptimierung bei bipolarer Depression
Wahl des Pharmakons
Quetiapin ist die einzige Substanz, die für die Behandlung bipolarer Depressionen zugelassen ist, allerdings nur für schwere Verläufe.
- Abhängig von Phasenprophylaxe
- Bestehende Phasenprophylaxe: Spiegelbestimmung und ggf. Dosisanpassung
- Keine Phasenprophylaxe: Ggf. Wahl eines Pharmakons in der Akuttherapie, das sich auch für eine Phasenprophylaxe eignet
Medikamentöse Akuttherapie einer bipolaren Depression | |
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Empfehlungsgrad | Empfohlene Substanzen |
Mit Leitlinienempfehlung |
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Ohne Leitlinienempfehlung |
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Supportive Medikation |
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Legende |
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- Für weiterführende Behandlungsoptionen siehe: Behandlungsoptimierung bei bipolarer Depression und Medikamentöse Kombinationsbehandlungen bei bipolarer Depression
Betroffene mit bipolaren Störungen entwickeln unter Antipsychotika-Gabe häufiger extrapyramidal-motorische Störungen! [9]
Benzodiazepine können zusätzlich bei ängstlich-agitierten Depressionen angewendet werden. Aufgrund des Abhängigkeitspotenzials sollte der Einsatz jedoch zeitlich begrenzt sein!
Gabe von Antidepressiva bei bipolaren Störungen [3][6][9]
- Indikation: Mittelgradige bis schwere depressive Episode, insb. bei Suizidalität
- Vermeiden bei
- Hinweisen auf mind. 2 (hypo)manische Symptome
- Gemischten Episoden
- Motorischer Unruhe
- Häufigen Phasenwechseln/Rapid Cycling
- Vermeiden bei
- Vorgehen
- Wahl des Antidepressivums: Unter Beachtung des jeweiligen Switch-Risikos der einzelnen Substanzen
- Bevorzugt SSRI
- Alternativ ggf. Bupropion
- Möglichst keine Gabe von Venlafaxin oder Trizyklika
- Zusätzliche Gabe eines Stimmungsstabilisierers oder atypischen Antipsychotikums (insb. bei Bipolar-I-Störung) empfohlen
- Wahl des Antidepressivums: Unter Beachtung des jeweiligen Switch-Risikos der einzelnen Substanzen
- Behandlungsdauer
- Längere Behandlungsdauer (Erhaltungstherapie) bei
- Schwerer depressiver Episode
- Erfolgreicher Erhaltungstherapie mit Antidepressiva in der Vergangenheit
- Depressiver Symptomatik einhergehend mit Suizidalität und/oder psychotischen Symptomen
- Bereits mehreren schweren depressiven Episoden in der Vergangenheit
- Schnelleres Absetzen (keine Erhaltungstherapie) und Fortführung einer Phasenprophylaxe bei
- Schweren manischen Zustandsbildern in der Vergangenheit
- Gemischten Episoden in der Vergangenheit
- Rapid Cycling (aktuell oder in der Vergangenheit)
- Beginnenden (hypo)manischen Symptomen
- Therapie mit einem Antidepressivum, das ein erhöhtes Switch-Risiko hat
- Längere Behandlungsdauer (Erhaltungstherapie) bei
Venlafaxin und Trizyklika haben das größte Risiko, eine manische Episode zu induzieren, und sollten bei einer bipolaren Störung möglichst vermieden werden! [9]
Therapeutisches Dilemma in der Erhaltungstherapie: Zu frühes Absetzen des Antidepressivums kann zu einer Reexazerbation der depressiven Symptomatik führen. Eine längere Fortführung dieser Therapie erhöht jedoch das Switch-Risiko in eine Manie!
Nicht-medikamentöse Therapie [3]
- Psychotherapie
- Psychoedukation
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
- Familienfokussierte Interventionen
- Interpersonelle und soziale Rhythmustherapie (IPSRT)
- Ggf. nicht-medikamentöse somatische Therapieverfahren
- Hirnstimulationsverfahren
- Elektrokonvulsionstherapie (EKT): Bei schwerer/lebensbedrohlicher/wahnhafter bipolarer Depression[6]
- Repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS): Aktivierung des linken dorsolateralen präfrontalen Kortex mittels hochfrequenter rTMS
- Lichttherapie
- Insb. bei saisonalen bipolaren Depressionen
- Schlafentzugstherapie (Wachtherapie)
- Als Mono- oder als Kombinationstherapie mit Pharmakotherapie zur Erreichung eines kurzzeitigen antidepressiven Effektes möglich
- Cave: Bei gemischter Episode kontraindiziert!
- Hirnstimulationsverfahren
- Ggf. unterstützende Therapieverfahren: Bspw. Ergotherapie, Kunsttherapie, Sporttherapie
- Für weiterführende Behandlungsoptionen siehe: Behandlungsoptimierung bei bipolarer Depression
Akuttherapie einer gemischten Episode [9]
Grundsätzlich erfolgt die Behandlung einer gemischten Episode analog zu den Behandlungsansätzen der Akuttherapie einer manischen Episode. Es liegen jedoch kaum kontrollierte Studien vor.
Behandlungsoptimierung bei unzureichendem oder ausbleibendem Therapieerfolg [3][6]
Abklärung möglicher Ursachen
- Wurde konsequent über eine ausreichende Dauer und in einer adäquaten Dosis behandelt?
- Spielen aktuelle psychosoziale Belastungsfaktoren eine Rolle?
- Werden die Medikamente regelmäßig eingenommen?
- Adhärenzprüfung anhand von Spiegelkontrollen (therapeutisches Drug Monitoring,TDM)
- Werden somatische/psychiatrische Begleiterkrankungen ausreichend therapiert?
- Siehe auch: Komorbiditäten einer bipolaren Störung
- Werden Medikamente eingenommen, die miteinander interagieren oder ggf. sogar die Episode auslösen bzw. unterhalten?
Behandlungsoptimierung bei manischer Episode [3]
- Bei unzureichendem Therapieerfolg
- Ggf. Dosis und Serumspiegel der jeweiligen Phasenprophylaktika erhöhen
- Ggf. Einsatz medikamentöser Kombinationsbehandlungen bei akuter Manie [3][6]
- 1. Wahl: Lithium oder Valproat + Olanzapin oder Risperidon
- 2. Wahl: Lithium oder Valproat + Aripiprazol oder Quetiapin
- 3. Wahl (wenn die Kombination aus Stimmungsstabilisierer + atypisches Antipsychotikum nicht erfolgreich war): Kombination aus 2 Stimmungsstabilisierern erwägen
- Bei weiterhin unzureichendem oder fehlendem Therapieerfolg: EKT [3]
Behandlungsoptimierung bei bipolarer Depression [3][6]
- Bei unzureichendem Therapieerfolg
- Ggf. medikamentöse Umstellung
- Ggf. Einsatz möglicher medikamentöser Kombinationsbehandlungen bei bipolarer Depression [3]
- Bei weiterhin unzureichendem oder fehlendem Therapieerfolg
- EKT [3]
- Ggf. zur kurzfristigen Symptomlinderung erwägen: Einmalige Kurzinfusion mit Ketamin (Off-Label Use) [3]
Phasenprophylaxe
Allgemeine Grundprinzipien der Phasenprophylaxe [3]
Grundsätzlich geht eine bipolare Störung mit einer hohen Rezidivrate einher, wobei der individuelle Verlauf sehr unterschiedlich sein kann. Eine Phasenprophylaxe soll verhindern, dass es zu einer erneuten manischen oder depressiven Episode kommt. Dabei kommen insb. medikamentöse, aber auch unterstützend psycho- und soziotherapeutische Verfahren zum Einsatz. Generell gilt, dass Medikamente, die in der Akuttherapie wirksam waren, auch in der Rezidivprophylaxe effektiv sind. [9]
- Indikation: Bei 2 manischen Episoden innerhalb von 4 Jahren [4][9]
- Wahl des Pharmakons: Individuell abstimmen unter Beachtung von [6]
- Vorerfahrungen der Betroffenen, bzw. Ansprechen auf vorherige Therapien
- Nebenwirkungsprofil
- Polarität und Verlauf der Episoden
- Suizidalität
- Alter und Geschlecht
- Komedikation
- Somatischen und psychiatrischen Komorbiditäten
- Therapieadhärenz der Betroffenen
- Beurteilung des Therapieansprechens
- Individuelle Wirksamkeit prüfen, wenn die doppelte Zeit für einen durchschnittlichen Krankheitszyklus vergangen ist [3][12]
- Bei fehlendem Therapieansprechen: Medikamentöse Umstellung
- Bei partiellem Therapieansprechen: Kombinationstherapie
- I.d.R. keine Therapieänderung bei Rezidiven in den ersten 6 Monaten nach Start einer Phasenprophylaxe
- Individuelle Wirksamkeit prüfen, wenn die doppelte Zeit für einen durchschnittlichen Krankheitszyklus vergangen ist [3][12]
Medikamentöse Therapie
Zur Phasenprophylaxe einer bipolaren Störung werden sowohl Stimmungsstabilisierer als auch atypische Antipsychotika eingesetzt. Es wird zunächst immer eine Monotherapie angestrebt.
1. Wahl
- Lithium [3][6][9][12][15]
- Leitlinienempfehlung: Insb. bei Suizidalität
- Zulassungsstatus: Uneingeschränkt
Prädiktoren für ein Ansprechen auf Lithium in der Phasenprophylaxe bipolarer Störungen
- Besseres Ansprechen [16]
- Bipolare Störung mit vollständiger Remission zwischen den Phasen
- Geringe Episodenzahl
- Positive Familienanamnese für das Auftreten einer bipolaren Störung
- Positive Familienanamnese für das Ansprechen auf eine Lithium-Therapie
- Kein Vorliegen stimmungsinkongruenter Wahnsymptome
- Geringeres Ansprechen [9]
- Rapid Cycling
- Gemischte Episoden
- Hohe Episodenzahl
Alternativ
2. Wahl
- Quetiapin [3][17]
- Leitlinienempfehlung: Wenn es in der Akuttherapie wirksam und verträglich war
- Zulassungsstatus: Wenn es in der Akuttherapie wirksam war
- Lamotrigin [3][9][18]
- Leitlinienempfehlung: Wenn es in der Akuttherapie depressiver Phasen wirksam und verträglich war
- Zulassungsstatus: Bei Bipolar-I-Störung, wenn depressive Phasen überwiegen
3. Wahl
- Carbamazepin [19][3][9]
- Leitlinienempfehlung: Uneingeschränkt
- Zulassungsstatus: Wenn Lithium kontraindiziert/unwirksam ist oder zu schnellen Phasenwechseln geführt hat
- Valproat [3][9][13]
- Leitlinienempfehlung: Bei Frauen im gebärfähigen Alter nicht empfohlen!
- Zulassungsstatus : Wenn es in der Akuttherapie der Manie wirksam und verträglich war
- Aripiprazol [3][20][20]
- Leitlinienempfehlung: Wenn es in der Akuttherapie der Manie wirksam und verträglich war
- Zulassungsstatus: Bei Überwiegen manischer Episoden und wenn es in der Akuttherapie der Manie wirksam und verträglich war
- Olanzapin [3][21]
- Leitlinienempfehlung: Wenn es in der Akuttherapie der Manie wirksam und verträglich war
- Zulassungsstatus: Wenn es in der Akuttherapie der Manie wirksam und verträglich war
- Paliperidon [3]
- Leitlinienempfehlung: Wenn es in der Akuttherapie der Manie oder gemischter Episoden wirksam und verträglich war
- Zulassungsstatus: Nicht zugelassen (Off-Label Use)
- Risperidon-Depot [3]
- Leitlinienempfehlung: Wenn es in der Akuttherapie wirksam und verträglich war (insb. bei Überwiegen manischer Episoden)
- Zulassungsstatus: Nicht zugelassen (Off-Label Use)
Mögliche medikamentöse Kombinationsbehandlungen bei unzureichendem Ansprechen [3][9]
Bei unzureichendem Ansprechen auf eine Monotherapie kann eine Kombinationsbehandlung mit unterschiedlichen Wirkstoffen erwogen werden (Interaktionspotenzial beachten!). Die Datenlage hierzu ist insgesamt jedoch sehr gering.
- Stimmungsstabilisierer + atypisches Antipsychotikum: Lithium oder Valproat +
- Quetiapin: Wenn eine dieser Kombinationsbehandlungen zuvor in der Akuttherapie wirksam und verträglich war
- Ziprasidon: Wenn Ziprasidon zuvor in der Akuttherapie einer manischen oder gemischten Episode wirksam und verträglich war
- Lithium + Valproat
- Cave: Anfallssuppressiva erhöhen ggf. den Lithiumspiegel (siehe auch: Arzneimittelinteraktionen in der Lithiumtherapie)!
Nicht-medikamentöse Therapie [3]
- Psychotherapie
- Psychoedukation
- Kognitive Verhaltenstherapie
- Ggf. familienfokussierte Psychotherapie
- Ggf. interpersonelle und soziale Rhythmustherapie (IPSRT)
- Ggf. kognitive und/oder funktionale Remediation [6]
- Nicht-medikamentöse somatische Therapieverfahren
- Hirnstimulationsverfahren: Ggf. Elektrokonvulsionstherapie zur Erhaltungsbehandlung
- Weitere Therapieverfahren: Bspw. Ergotherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie, Soziotherapie, Entspannungsverfahren (bspw. Progressive Muskelrelaxation)
Komplikationen
Suizidalität
- Häufigkeit: Suizidrate im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung: 10- bis 15-mal höher [1][3][4][6]
- Risikofaktoren, insb. [3]
- Vorheriger Suizidversuch
- Aktuelle depressive Phase
- Schwere depressive Phase in der Vorgeschichte
- Junges Ersterkrankungsalter (<30 Jahre)
- Zusätzlicher Substanzmissbrauch
- Zu schnelles Absetzen einer Lithium-Medikation
- Siehe auch: Hauptrisikofaktoren für Suizidalität, Psychopathologische Risikofaktoren für Suizidalität
- Behandlungssetting: Ambulant oder stationär (siehe auch: Voraussetzungen für eine ambulante Therapie bei Suizidalität, Indikationen zur stationären Aufnahme bei Suizidalität)
- Therapie
- Für akute Therapiemaßnahmen siehe
- Rezidivprophylaxe/Prävention
- Behandlung mit Lithium kann erwogen werden [3]
- Siehe auch: Prävention von Suizidalität
- Für allgemeine Informationen siehe: Suizidalität
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
Prognose [3][6]
- Lebenserwartung: Ca. 9 Jahre weniger als Gesamtbevölkerung
- Mortalität: 2-fach höher als Gesamtbevölkerung
- Hohe Arbeitsunfähigkeitsrate und Frühberentung
Prognostische Faktoren
Prognostische Faktoren der bipolaren Störung [3] | |
---|---|
Risikofaktoren für wiederkehrende Episoden | Risikofaktoren für einen chronischen Verlauf |
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Besondere Patientengruppen
Personen im gebärfähigen Alter / mit Kinderwunsch, in Schwangerschaft und Stillzeit [3]
Grundprinzipien
Die Pharmakotherapie dieser Patientengruppe ist eine besondere Herausforderung, da sowohl Verträglichkeit und Wirksamkeit bei der Mutter als auch die Verträglichkeit beim (ungeborenen) Kind von Bedeutung sind. Eine Exazerbation der Erkrankung ist immer auch mit einer Gefahr für das Wohl des (ungeborenen) Kindes verbunden.
- Frauen im gebärfähigen Alter
- Besprechen der Themen Kontrazeption und mögliche Schwangerschaft
- Wenn möglich Wahl eines Phasenprophylaktikums unter Berücksichtigung potenziell teratogener Effekte
- Valproat dürfen Frauen im gebährfähigen Alter nur unter den Voraussetzungen eines sog. Schwangerschaftsverhütungsprogramms erhalten
- Frauen mit Kinderwunsch, Schwangere
- Evaluation der bestehenden Medikation
- Wie hoch ist die Rezidivgefahr insgesamt?
- Reichen nicht-medikamentöse Therapieverfahren ggf. aus?
- Wenn medikamentöse Therapie notwendig bzw. bereits durchgeführt wird
- Ggf. Umstellung der Medikation
- Monotherapie anstreben
- Ggf. Spiegelkontrollen
- Abruptes Absetzen der Medikation vermeiden [22]
- Engmaschige psychiatrische und gynäkologische Begleitung der Schwangerschaft
- Frühzeitige Anbindung an ein Perinatalzentrum zur Vorbereitung der Geburt
- Evaluation der bestehenden Medikation
- Männer mit Kinderwunsch: Valproat vermeiden (siehe hierzu: Rote-Hand-Brief zu Valproat)
- Wochenbett und Stillzeit
- Ggf. prophylaktische Erhöhung der stimmungsstabilisierenden Medikation
- Gewisses Maß an Reizabschirmung sicherstellen
-
Stillen ja/nein?
- Kann ein gestörter Nachtschlaf durch die Mutter beim Stillen toleriert werden?
- Positive Effekte durch das Stillen für das Kind vs. potenziell unerwünschter Nebenwirkungen beim Kind
Valproat ist in der Schwangerschaft absolut kontraindiziert! Für Personen im gebärfähigen Alter oder mit Kinderwunsch (auch Männer) gelten besondere Anwendungshinweise! (Siehe: Rote-Hand-Brief zu Valproat und Fachinformation [13])
Spezifische Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit
Die folgenden Informationen sollten auch bei bestehendem Kinderwunsch beachtet werden. Es sollte möglichst eine Substanz gewählt werden, die im Falle einer fortgeführten Einnahme in der Schwangerschaft geeignet ist. Für weitere Angaben zu den einzelnen Wirkstoffen in Schwangerschaft und Stillzeit sei auf die Seite von Embryotox verwiesen (siehe: Tipps & Links) [23]. Die Gabe aller hier aufgeführten Medikamente erfolgt in der Schwangerschaft im Off-Label Use [3] . Lithium, Carbamazepin, Lamotrigin und Valproat sind in unterschiedlichem Ausmaß potenziell teratogen [1].
Atypische Antipsychotika [3]
- Quetiapin
- Schwangerschaft: Mittel der Wahl
- Am besten untersuchtes atypisches Antipsychotikum während der Schwangerschaft
- Vermutlich keine teratogenen Effekte
- Erhöhtes Risiko für Gestationsdiabetes
- Stillzeit: Stillen unter guter Beobachtung des Kindes akzeptabel
- Schwangerschaft: Mittel der Wahl
- Weitere atypische Antipsychotika: Bspw. Risperidon, Olanzapin, Aripiprazol
- Siehe auch: Antipsychotika in Schwangerschaft und Stillzeit
Lithium [9][24]
- Schwangerschaft
- Neueinstellung im 1. Trimenon möglichst vermeiden
- Bei bereits bestehender Lithiumtherapie: Fortführung unter strenger Nutzen-Risiko-Abwägung möglich
- Stillzeit: Stillen nicht empfohlen, bei ausdrücklichem Wunsch jedoch akzeptabel
- Für weiterführende Informationen siehe: Lithium - Besondere Patientengruppen
Anfallssuppressiva [9]
- Allgemein: Bei Einnahme von Anfallssuppressiva und geplanter Schwangerschaft oder Schwangerschaft im 1. Trimenon: Hochdosierte Folsäure-Substitution (4–5 mg/d) empfohlen
- Lamotrigin: Einsatz zur Phasenprophylaxe bei Bipolar-I-Störung und Überwiegen depressiver Phasen möglich, wenn atypische Antipsychotika nicht infrage kommen [18]
- Schwangerschaft
- Bisher keine eindeutigen Hinweise auf teratogene Effekte [3]
- Regelmäßige Spiegelkontrollen erforderlich
- Stillzeit: Stillen unter guter Beobachtung des Kindes akzeptabel
- Schwangerschaft
- Carbamazepin: Nicht empfohlen! [19]
- Schwangerschaft
- Teratogener Effekt
- Risiko einer Fehlbildung korreliert mit Höhe der Carbamazepin-Dosis
- Stillzeit: Stillen unter guter Beobachtung des Kindes akzeptabel
- Schwangerschaft
- Valproat: Absolut kontraindiziert! [13]
Antidepressiva [9]
- Schwangerschaft
- Alle Antidepressiva sind plazentagängig [1]
- Strenge Indikationsprüfung
- Substanzen
- Je nach Substanz, erhöhtes teratogenes Potenzial und Frühgeburtsrisiko
- Vorzugsweise Sertralin oder Citalopram [3]
- Stillzeit: Stillen unter strenger Beobachtung des Kindes akzeptabel
- Siehe auch: Antidepressiva - Besondere Patientengruppen
Lithium ist bei Bipolar-I-Störungen anderen Anfallssuppressiva vorzuziehen! [9]
Personen >65 Jahre [3][9]
- Zu beachten
- Erhöhtes Risiko für medikamentöse Interaktionen aufgrund einer häufig bestehenden Polypharmazie
- Altersbedingte veränderte Pharmakokinetik und Pharmakodynamik
- Altersbedingte erhöhte Sensibilität auf Psychopharmaka und deren Nebenwirkungen
- Häufig vorliegende Komorbiditäten (bspw. Herzkreislauferkrankungen)
Spezifische Medikamente
- Anfallssuppressiva
- Lamotrigin
- Dosisreduktion bei eingeschränkter Nieren- und Leberfunktion
- Sehr langsame Aufdosierung notwendig
- Carbamazepin
- Nicht empfohlen
- Häufige Nebenwirkungen: Kognitive Defizite, Gangstörungen, Schwindel, Sedierung und Sehstörungen
- Valproat
- Wenn Lithium kontraindiziert ist
- Erhöhtes Nebenwirkungsrisiko für Enzephalopathie, Leberschädigung oder Thrombozytopenie
- Lamotrigin
- Lithium
- Niedrigere Dosierung und langsamere Aufdosierung wählen
- Lithiumspiegel >0,6 mmol/L vermeiden
- Siehe auch: Lithium - Besondere Patientengruppen
- Antipsychotika
- Typische Antipsychotika nur in Notfallsituationen und zur kurzzeitigen Therapie
- Bei längerfristiger Therapie atypische Antipsychotika bevorzugen
- Siehe auch: Antipsychotika - Besondere Patientengruppen
- Antidepressiva
- SSRI bevorzugen
- Siehe auch: Antidepressiva - Besondere Patientengruppen
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Depression und Antidepressiva: fragliche Ursache, fragliche Wirkung (Januar 2024)
Psychiatrische Notfälle: Richtig reagieren bei Manie & Co. (September 2023)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
F30.-: Manische Episode
- Inklusive: Bipolare Störung, einzelne manische Episode
- F30.0: Hypomanie
- F30.1: Manie ohne psychotische Symptome
- F30.2: Manie mit psychotischen Symptomen
- Manie mit parathymen psychotischen Symptomen
- Manie mit synthymen psychotischen Symptomen
- Manischer Stupor
- F30.8: Sonstige manische Episoden
- F30.9: Manische Episode, nicht näher bezeichnet (Manie o.n.A.)
F31.-: Bipolare affektive Störung
- Inklusive: Manisch-depressiv: Krankheit, Psychose, Reaktion
- Exklusive: Bipolare affektive Störung, einzelne manische Episode(F30.‑), Zyklothymia (F34.0)
- F31.0: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig hypomanische Episode
- F31.1: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episode ohne psychotische Symptome
- F31.2: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episode mit psychotischen Symptomen
- F31.3: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig leichte oder mittelgradige depressive Episode
- F31.4: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome
- F31.5: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen
- F31.6: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig gemischte Episode
- Exklusive: Einzelne gemischte affektive Episode (F38.0)
- F31.7: Bipolare affektive Störung, gegenwärtig remittiert
- F31.8: Sonstige bipolare affektive Störungen
- Bipolar-II-Störung
- Rezidivierende manische Episoden o.n.A.
- F31.9: Bipolare affektive Störung, nicht näher bezeichnet
F34.-: Anhaltende affektive Störungen
- F34.0: Zyklothymia
- Affektive Persönlichkeit(sstörung)
- Zykloide Persönlichkeit
- Zyklothyme Persönlichkeit
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.