Zusammenfassung
Eine der wichtigsten Aufgaben der Niere ist die Filtration und Ausscheidung von harnpflichtigen Substanzen mit dem Urin. Durch Ultrafiltration des Blutes entsteht in den Glomeruli der Niere zunächst der sogenannte Primärharn. Anschließend wird der Primärharn durch Resorptions- und Sekretionsvorgänge im Tubulussystem zum Endharn aufbereitet (siehe dazu: Tubuläre Transportprozesse).
Die Nieren sind bezogen auf ihr Gewicht die am besten durchbluteten Organe des Körpers und erhalten ca. 20 % des Herzzeitvolumens. Diese enorme Durchblutung ermöglicht es, ein großes Blutvolumen schnell von harnpflichtigen Stoffwechselendprodukten zu reinigen. Verschiedene Regulationsmechanismen wie die myogene Autoregulation, das tubuloglomeruläre Feedback, das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System und externe Mechanismen tragen dazu bei, den renalen Blutfluss und damit auch die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) konstant zu halten.
Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) beschreibt die von allen Glomeruli beider Nieren pro Minute filtrierte Plasmamenge. Bei einem gesunden Erwachsenen beträgt sie 120 mL/min. Die GFR ist ein wichtiger Parameter zur Beurteilung der Nierenfunktion, kann jedoch nicht direkt gemessen werden. Im klinischen Alltag wird deshalb die Clearance verschiedener Markersubstanzen (bspw. Inulin) herangezogen. Dabei handelt es sich um ein „fiktives“ Plasmavolumen, das innerhalb einer bestimmten Zeit von einer Substanz gereinigt („gecleared“) wird. Mithilfe der Clearance kann indirekt die GFR bestimmt und damit die Nierenfunktion beurteilt werden.
Du möchtest diesen Artikel lieber hören als lesen? Wir haben ihn für dich im Rahmen unserer studentischen AMBOSS-Audio-Reihe im Podcastformat vertont. Den Link findest du am Kapitelende in der Sektion “Tipps & Links".
Harnbildung: Vom Primärharn zum Endharn
Durch Filtration des Blutes innerhalb des Nierenkörperchens entsteht zunächst der Primärharn. Dabei wird das Blut aus dem gewundenen Gefäßknäuel abgepresst und der entstandene Primärharn vom Kapselraum aufgefangen (glomeruläre Filtration). Der glomeruläre Filter (bestehend aus Kapillarendothel, Basalmembran und Podozyten) hält größere Moleküle und Zellen zurück; es werden also nur kleinere Plasmabestandteile in den Primärharn abgegeben. Im nächsten Schritt wird der Primärharn an das Tubulussystem abgegeben, wo er prozessiert wird. Durch komplizierte Transportprozesse werden etwa 99% des Primärharns rückresorbiert; es entsteht der Endharn.
Ablauf der Harnbildung
- Bildungsort: Nierenkörperchen und Tubulussystem
- Prinzip der Harnbildung
- Blut durchfließt das renale Gefäßknäuel
- Filtration des Blutes durch den glomerulären Filter in den Kapselraum: Primärharn entsteht (etwa 180 L/d)
- Primärharn durchfließt das Tubulussystem und wird „prozessiert“: Endharn entsteht
- Endharn wird ausgeschieden
- Vorteile dieses Prinzips
- Stoffe, die zwingend ausgeschieden werden müssen (harnpflichtige Substanzen wie bspw. Kreatinin), können den Körper in großen Mengen verlassen
- Gleichzeitig kann die Wasser- und Elektrolytausscheidung dem Bedarf angepasst werden
Generell gilt: Im Nierenkörperchen wird erst einmal alles (bis auf Makromoleküle und Blutzellen) in großen Mengen gefiltert, wodurch der Primärharn entsteht. Im Tubulussystem und Sammelrohr finden dann Resorptions- und Sezernierungsvorgänge statt, wobei der Endharn entsteht!
Proteinurie
Normalerweise können größere Eiweiße die glomeruläre Filtrationsbarriere nicht passieren. Ist der glomeruläre Filter jedoch geschädigt, können Eiweiße ungehindert filtriert und im Urin nachgewiesen werden. Ab einer Proteinmenge von 150 mg/24 h spricht man von einer Proteinurie. Klinisch kann dem Patienten ein schäumender Urin auffallen. Diagnostisch wird ein Urinteststreifen genutzt, um die Proteine im Urin nachzuweisen. Eine genauere Diagnostik ist das Urinsediment oder die Elektrophorese.
Primärharn
- Menge: Etwa 1⁄5 des durchgeflossenen Blutplasmas (ca. 180 L/Tag)
- Zusammensetzung: Entspricht weitestgehend der des Blutplasmas
Stoffe, die frei filtriert werden (also gelöste, nicht an Proteine gebundene, ungeladenen Stoffe), liegen im Primärharn in der gleichen Konzentration vor wie auch im Blutplasma. Makromoleküle (wie Plasmaproteine) liegen hingegen im Vas efferens in einer höheren Konzentration vor als im Primärharn, da sie nicht filtriert werden, dem Vas efferens allerdings Flüssigkeit entzogen wurde!
Endharn
- Menge: Etwa 1/100 des Primärharnvolumens (ca. 1,8 L/Tag)
- Zusammensetzung: Sehr variabel
- Osmolarität: Zwischen 50–1500 mosmol/L
- pH-Wert: Etwa 5,5 (zwischen 4,5 und 8,2)
Nierendurchblutung
In Relation zu ihrem Gewicht sind die Nieren die am besten durchbluteten Organe: Sie erhalten 20% des Herzzeitvolumens. Diese enorme Durchblutung ermöglicht es, ein großes Blutvolumen schnell von harnpflichtigen Stoffwechselendprodukten zu reinigen. Verschiedene Regulationsmechanismen tragen dazu bei, dass der renale Blutfluss und damit auch die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) konstant gehalten werden können. Details zum Nierenstoffwechsel werden in der Leistungsphysiologie dargestellt (siehe: Leistungsphysiologie und Altern → Nierenstoffwechsel).
- Weg des Blutes durch die Nieren: Nierenarterien (Aa. renales) → Interlobararterien (Aa. interlobares) → Bogenarterien (Aa. arcuatae) → Interlobulararterien (Aa. corticales radiatae interlobulares) → Afferente Arteriolen (Vasa afferentes) → 1. Kapillarnetz: Glomeruli (Filtration des Primärharns) → Efferente Arteriolen → 2. Kapillarnetz: Peritubuläres Kapillarsystem (Versorgung der Niere mit Nährstoffen)
Parameter der Nierendurchblutung
- Renaler Blutfluss (RBF)
- Definition: Menge an Blut, das pro Minute durch die Niere fließt
- Menge: Etwa 1⁄5 des Herzminutenvolumens (entspricht etwa 1,2 L/min)
- Renaler Plasmafluss (RPF)
- Definition: Menge an Blutplasma, das pro Minute durch die Niere fließt
- Berechnung: RPF = RBF × (1-Hämatokrit)
- Menge: ∼600 mL/min
Regulation der Nierendurchblutung
Die Niere besitzt die Fähigkeit, die renale Durchblutung – und somit die Filtrationsleistung – auch bei wechselnden Blutdruckverhältnissen konstant zu halten.
Myogene Autoregulation (Bayliss-Effekt)
- Beschreibung: Die renalen Arterien gleichen Blutdruckschwankungen (zwischen 80 und 180 mmHg) selbstständig aus
- Mechanismus
- Blutdruckanstieg (bis 180 mmHg) → Anstieg des intravasalen Blutdrucks → Kontraktion des Vas afferens → Blutdruckabfall im glomerulären Gefäßbett → Blutdruck bleibt konstant
- Blutdruckabfall (bis 80 mmHg) → Abfall des intravasalen Blutdrucks → Dilatation des Vas afferens → Blutdruckanstieg im glomerulären Gefäßbett → Blutdruck bleibt konstant
Prostaglandine
- Prinzip: Mangeldurchblutung (insb. des Nierenmarks) → Stimuliert die Synthese von Prostaglandinen → Vasodilatation der Gefäße → Gesteigerte Durchblutung insb. des Nierenmarks
Tubuloglomeruläres Feedback
- Ziel: Anpassung der renalen Filtration an die tubuläre Resorptionskapazität
- Mechanismus: Macula densa im distalen Tubulus misst die Salzkonzentration im Harn des Tubuluslumens und passt durch lokale Mechanismen die GFR des einzelnen Nephrons an die Resorptionskapazität des proximalen Tubulus an.
- Ablauf: Hypertoner Harn → Freisetzung von Adenosin → Vas afferens kontrahiert (Adenosin wirkt über A1-Adenosinrezeptoren vasokonstriktorisch) → Kapillardruck sinkt → GFR sinkt
Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS)
Ziel
- Kreislauf: Erhöhung des arteriellen Blutdrucks
- In der Niere: Aufrechterhaltung der glomerulären Filtrationsrate bei Blutdruckabfall
Beteiligte Hormone
- Renin
- Definition: Protease, die die erste Reaktion des RAAS katalysiert
- Syntheseort: Zellen des juxtaglomerulären Apparates (epitheloide Polkissenzellen der Arteriola afferens)
- Wirkung: Spaltung von Angiotensinogen zu Angiotensin I
- Reize für die Reninausschüttung
- Abfall des Blutdrucks unter den myogenen Autoregulationsbereich (also unter 80 mmHg)
- Sympathikusaktivierung
- Hypovolämie
- Hyponatriämie
- Hypotoner Harn
- Hemmende Reize der Reninausschüttung (im Sinne einer negativen Rückkopplung)
- Angiotensinogen
- Definition: Glykoprotein; wird innerhalb des RAAS von Renin zu Angiotensin I gespalten
- Syntheseort: Vor allem in Leber, Fettgewebe
- Angiotensin I: Spaltprodukt des Angiotensinogens, das von ACE zu Angiotensin II umgewandelt wird
- Angiotensin-konvertierendes Enzym (ACE)
- Definition: Protease; konvertiert Angiotensin I zu Angiotensin II
- Syntheseort: Endothelzellen, hauptsächlich der Lunge
- Angiotensin II
- Definition: Wird (von ACE katalysiert) aus Angiotensin I gebildet und vermittelt bei Aktivierung des RAAS gemeinsam mit Aldosteron eine Steigerung des Blutdrucks
- Molekularer Wirkmechanismus: Bindung an den Gq-Protein-gekoppelten AT1-Rezeptor (syn. Angiotensin-II-Rezeptor-Subtyp 1)
- Direkte Wirkung an den Zielorganen
- Vaskulär: Vasokonstriktion
- Zentral
- ADH-Freisetzung aus der Neurohypophyse
- Salzappetit↑
- Durst↑
- Renal
- Gesteigerte Natriumresorption im proximalen Tubulus → Gesteigerte Wasserresorption
- Konstriktion v.a. des Vas efferens → Trotz verminderter renaler Durchblutung bei systemischer Vasokonstriktion wird die GFR aufrechterhalten
- Adrenal: Stimulation der Aldosteronsynthese
- Indirekt (über Aldosteron): Gesteigerte Natrium- und Wasserretention sowie K+- und H+-Sekretion im distalen und Verbindungstubulus sowie im Sammelrohr
AT1-Rezeptor-Blocker
AT1-Rezeptor-Blocker (Sartane) binden als Antagonisten am AT1-Rezeptor und hemmen so die blutdrucksteigernden Effekte von Angiotensin II. Dieses Prinzip macht man sich in der Therapie der arteriellen Hypertonie zunutze. Der sinkende Blutdruck führt kompensatorisch zu einer vermehrten Reninsekretion und einer dadurch erhöhten Angiotensin-II-Konzentration im Blutplasma.
COVID-19 und SARS
Neben ACE gibt es auch das verwandte Protein ACE2, das analog zu ACE in unterschiedlichen Organen wie der Lunge, der Niere und dem Herzen exprimiert wird. Die Coronaviren SARS-CoV-1 und -2 binden über das sog. Spike-Protein an ACE2 und gelangen so in die Pneumozyten Typ 2, wo sie sich replizieren und das Alveolarepithel der Lunge schädigen. Hier lösen sie die Erkrankungen SARS bzw. COVID-19 aus. Bei einem schweren Verlauf der Erkrankung kann es zu einem Lungenversagen mit Beatmungspflicht kommen. Neben der Lunge schädigen die Viren auch andere Organe mit ACE2-Expression, sodass eine Erkrankung mit SARS oder COVID-19 zusätzlich zu einer akuten Nierenschädigung führen kann.
Zusammenfassung des Mechanismus
- Reninausschüttung nach Stimulation durch o.g. Faktoren (z.B. Blutdruckabfall)
- Renin spaltet Angiotensinogen zu Angiotensin I
- ACE wandelt Angiotensin I zu Angiotensin II um
- Angiotensin II hebt über o.g. Mechanismen den Blutdruck und das Extrazellulärvolumen
Das RAAS wird u.a. beim Abfall des Blutdrucks bzw. des Blutvolumens aktiviert. Mithilfe der Enzyme Renin und ACE wird Angiotensinogen zu Angiotensin II umgewandelt. Angiotensin II führt u.a. über den Gefäßtonus, Salzappetit und Durst sowie die renale Rückresorption von Natrium und Wasser zu einer Steigerung von Blutvolumen und Blutdruck!
ACE-Hemmer
ACE-Hemmer (z.B. Ramipril, Enalapril) hemmen die Umwandlung von Angiotensin I zu Angiotensin II und dadurch das von Angiotensin II vermittelte Anheben des Blutdrucks. Sie zählen daher zu den Medikamenten der ersten Wahl bei arterieller Hypertonie.
Externe Regulationsmechanismen
Vegetatives Nervensystem
- Ziel: Nervale Regulation der Nierendurchblutung
- Mechanismus
- Noradrenalin (NA): Über α1-Rezeptoren → Vasokonstriktion der Arteriolen → Widerstandserhöhung → Durchblutung sinkt
- Dopamin (DA): Über D1-Rezeptoren → Vasodilatation der Arteriolen → Widerstandserniedrigung → Durchblutung steigt
- Wirken Noradrenalin und Dopamin gleichzeitig auf die Niere ein, überwiegt der Effekt von Noradrenalin
Akute Nierenschädigung bei Schock
Bei großem Blutverlust kann es zum Schock kommen: Der arterielle Blutdruck fällt dabei durch den Flüssigkeitsverlust enorm ab. Der Sympathikus wird aktiviert, woraufhin die Gefäße kontrahieren, um den Blutdruck aufrechtzuerhalten. Durch den Flüssigkeitsmangel einerseits und die hohen Katecholaminspiegel (v.a. Noradrenalin) andererseits wird die Niere sehr schlecht durchblutet. Die Urinproduktion fällt ab, der Patient scheidet wenig bis gar keinen Urin mehr aus – man spricht von einer akuten Nierenschädigung.
Nierenfunktionsparameter
Glomeruläre Filtrationsrate (GFR)
- Definition: Beschreibt die Plasmamenge, die von allen Glomeruli der Niere pro Minute filtriert wird
- Menge: Etwa 120 mL/min
- Verlauf: Die Filtrationsleistung jedes einzelnen Glomerulus verändert sich im Verlauf der glomerulären Gefäßschlinge (nimmt vom Vas afferens zum Vas efferens ab)
Ermittlung der GFR
- Hintergrund: Die GFR ist von drei Faktoren abhängig
- Dem effektiven Filtrationsdruck Peff
- Der Filtrationsfläche F
- Der Durchlässigkeit des Filters L
- Formel: GFR = Peff × F × L = Peff × Kf
- Entscheidender Parameter: Der effektive Filtrationsdruck Peff ist die treibende Kraft der Filtration
- Definition von Peff: Peff = Pkap − Pbow − πonk → Peff = ΔP – πonk
- Pkap: Hydrostatischer Druck in den Glomeruluskapillaren (Kapillardruck)
- Wird beeinflusst durch Vasokonstriktion bzw. -dilatation von Vas afferens und Vas efferens der Niere
- Pbow: Hydrostatischer Druck in der Bowman-Kapsel (Kapseldruck)
- Wird beeinflusst durch den hydrostatischen Druck der nachfolgenden Tubulusabschnitte
- ΔP: Differenz zwischen Pkap und Pbow
- πonk: Onkotischer Druck in den Kapillaren
- Pkap: Hydrostatischer Druck in den Glomeruluskapillaren (Kapillardruck)
- Klinische Abschätzung der GFR
- CKD-EPI-Formel
- Berücksichtigte Faktoren: Serumkreatinin, Alter, Geschlecht, Ethnizität („Race“)
- Einheit des Ergebnisses: mL/min/1,73 m2
- MDRD-Formel
- Berücksichtigte Faktoren und Einheit wie bei CKD-EPI-Formel
- Cockcroft-Gault-Formel: eGFR ≈ [(140−Alter) × Körpergewicht in kg] / [72 × Serumkreatinin in mg/dL]
- Bei Frauen muss das Ergebnis noch mit 0,85 multipliziert werden
- Berücksichtigte Faktoren: Serumkreatinin, Alter, Geschlecht, Körpergewicht
- Einheit des Ergebnisses: mL/min
- CKD-EPI-Formel
Filtrationsgleichgewicht
Gegen Ende der Kapillarstrecke kann sich ein sog. Filtrationsgleichgewicht einstellen, das dazu führt, dass nichts mehr abfiltriert wird. Es entsteht, wenn sich ΔP (Pkap – Pbow) und πonk so sehr annähern, dass deren Differenz Peff – und damit die treibende Kraft der Filtration – gegen Null geht.
Druckverläufe entlang der Glomerulumkapillare (vereinfachte Darstellung) | |||
---|---|---|---|
Vas afferens | Vas efferens | Erklärung | |
Pkap | ↑↑↑↑ | ↑↑↑↑ |
|
Pbow | ↑ | ↑ |
|
πonk | ↑ | ↑↑↑ |
|
Peff = Pkap − Pbow – πonk → Peff = ΔP – πonk | ↑↑↑ | 0 |
|
Der effektive Filtrationsdruck (Peff) wird entlang der Glomerulumkapillare kleiner und sinkt gegen Ende gegen Null − ein Filtrationsgleichgewicht stellt sich ein!
Beziehung zwischen der Filtrationsleistung der Niere (GFR) und renalem Plasmafluss (RPF)
- Voraussetzungen
- Je höher der renale Plasmafluss (also die Nierendurchblutung), desto mehr wird das Filtrationsgleichgewicht an das Ende der Kapillare verschoben
- Je weiter das Filtrationsgleichgewicht an das Ende der Kapillare rückt, desto größer ist die zur Verfügung stehende Filtrationsfläche
- Je größer die Filtrationsfläche F, desto größer die GFR (da gilt: Peff × F↑ × L= GFR↑)
- Ergebnis: Filtrationsleistung der Niere (GFR) ist proportional zum renalen Plasmafluss (RPF): Je größer der renale Plasmafluss, desto größer die Filtrationsleistung der Niere
Renale Clearance
- Definition: Beschreibt das „fiktive“ Plasmavolumen, das von der Niere innerhalb einer bestimmten Zeit von einer Substanz gereinigt („gecleared“) wird
- Merkmale
- Interpretation
- Die Clearance ist größer als die GFR, wenn die Substanz zunächst frei filtriert und dann zusätzlich sezerniert wird
- Die Clearance ist kleiner als die GFR, wenn die Substanz zunächst frei filtriert und dann wieder rückresorbiert wird
- Die Clearance ist gleich der GFR, wenn die Substanz frei filtriert und ohne Modifikation ausgeschieden wird
- Berechnung: Clearance (mL/min) = StoffkonzentrationHarn (mmol bzw. g/mL) × Harnzeitvolumen V (mL/min) / StoffkonzentrationPlasma (mmol bzw. g/mL)
- Beispielrechnung: ClearanceInulin= HarnkonzentrationInulin 2 g/L × Harnzeitvolumen 5 mL/min / PlasmakonzentrationInulin 0,1 g/L = 0,002 g/mL × 5 mL/min / 0,0001 g/mL = 100 mL/min
Niedrige Clearance-Werte bedeuten, dass das Plasma nur in geringem Ausmaß von einer bestimmten Substanz befreit wurde – hohe Clearance-Werte bedeuten, dass das Plasma größtenteils von dieser Substanz befreit wurde!
Clearance-Verhalten wichtiger Substanzen
Glucose
- Clearance-Verhalten: Glucose wird komplett frei filtriert und im Tubulussystem unter Normalbedingungen vollständig zurückresorbiert und nicht sezerniert
- Clearance-Wert: 0 mL/min (unter Normalbedingungen)
- Clearance-Wert abhängig von der Plasmakonzentration der Substanz: Ja
- Urinkonzentration
- Unter Normalbedingungen ist keine Glucose im Urin nachweisbar
- Nach Überschreiten der Nierenschwelle für Glucose (10 mmol/L bzw. 180 mg/dL) steigt die Glucosekonzentration linear an
- Physiologische Erklärung: Bis zur Nierenschwelle ist es egal, wieviel Glucose sich im Blut befindet; sie wird wieder komplett resorbiert. Das Plasmavolumen wird also nicht von Glucose „gecleared“; die Clearance ist gleich Null. Wird die Nierenschwelle allerdings überschritten, wird Glucose zunehmend mit dem Urin ausgeschieden. Ab diesem Punkt steigt die Urinkonzentration (mehr oder weniger) proportional zur Plasmakonzentration an. Die Clearance steigt zunächst ebenfalls proportional mit der Plasma-Glucose-Konzentration an, bis sie sich der GFR annähert – mehr Volumen als die GFR kann pro Minute nicht gecleared werden (es sei denn der Stoff wird tubulär sezerniert, was bei Glucose jedoch nicht der Fall ist).
Inulin
- Clearance-Verhalten: Inulin wird komplett frei filtriert, weder resorbiert noch sezerniert → die Inulin-Clearance entspricht somit der GFR
- Clearance-Wert: 120 mL/min
- Clearance-Wert abhängig von der Plasmakonzentration der Substanz: Nein
- Urinkonzentration: Nimmt proportional zur Plasmakonzentration zu
- Physiologische Erklärung: Egal, wie hoch die Inulinkonzentration im Plasma ist, die Clearance dieses Stoffes entspricht immer der GFR. Anteilmäßig wird bei hoher Plasma-Inulinkonzentration genausoviel ausgeschieden wie bei niedriger Plasmakonzentration – befindet sich also mehr Inulin im Plasma, wird also auch mehr mit dem Urin ausgeschieden.
Paraaminohippurat (PAH)
- Clearance-Verhalten: PAH wird frei filtriert, nicht resorbiert und vollständig sezerniert
- Clearance-Wert: Ca. 650 mL/min (maximal so hoch wie der renale Plasmafluss)
- Clearance-Wert abhängig von der Plasmakonzentration der Substanz: Ja
- Urinkonzentration: Steigt zunächst überproportional an, mit zunehmender Plasmakonzentration dann proportional
- Physiologische Erklärung: Bei geringer Plasmakonzentration wird das komplette Plasmavolumen von PAH „gecleart“ – alles, was also nicht bereits im Glomerulus filtriert wurde, wird spätestens im Tubulussystem sezerniert. Ab einer bestimmten Plasmakonzentration tritt allerdings eine Sättigung der Sekretionsmechanismen ein, weshalb nicht mehr das komplette durch die Niere fließende Plasmavolumen von PAH „gecleared“ werden kann.
Klinische Anwendung: Kreatinin
- Clearance-Verhalten: Kreatinin wird komplett frei filtriert, nicht resorbiert, in geringen Mengen tubulär sezerniert
- Clearance-Wert: ca. 120 mL/min
- Besonderheit: Kreatinin wird im Klinikalltag für die Einschätzung der Nierenfunktion verwendet (Normwert für Serumkreatinin ≤0,9 mg/dL (♀) und ≤1,1 mg/dL (♂)):
- Besitzt ein ähnliches Clearance-Verhalten wie Inulin; eignet sich somit gut zur Einschätzung der GFR
- Nachteil: Kreatininspiegel im Blut hängt (neben der Nierenfunktion) vom Muskelstoffwechsel ab
- Vorteil: Kreatinin ist eine körpereigene Substanz, die beim Muskelstoffwechsel anfällt, und muss nicht wie Inulin in den Körper infundiert werden
GFR und Kreatinin-Clearance in der Klinik
Die GFR ist ein wichtiger Parameter, über den sich die Nierenfunktion beurteilen lässt. Verschiedene Erkrankungen (z.B. eine Glomerulonephritis) führen im Verlauf zu einer Destruktion der Glomeruli, wodurch es zu einem Abfall der GFR und somit zu einer Anhäufung harnpflichtiger Substanzen im Blut kommt. Da sich die GFR nicht direkt bestimmen lässt, wird meist die Kreatinin-Clearance als Maß für die GFR genommen. Kreatinin wird kontinuierlich vom Körper gebildet, glomerulär filtriert, nicht resorbiert und nur in sehr geringen Mengen sezerniert. Die Konzentration sollte also stets konstant sein und liefert indirekt Hinweise auf die GFR. Berechnet werden kann die GFR über die sog. CKD-EPI-Formel aus Alter, Geschlecht, Ethnizität („Race“) und Serumkreatinin.Ein Nachteil ist jedoch, dass das Serumkreatinin erst ab einer GFR-Reduktion von über 50% ansteigt. Eine geringere Reduktion der GFR ist nicht messbar; sie liegt im sogenannten „kreatininblinden“ Bereich.
Freie Wasser-Clearance
- Definition: Bildung von elektrolytfreiem Wasser durch die Niere zur Regulation der renalen Wasserausscheidung bei veränderter Plasmaosmolalität (insb. durch veränderte Natriumkonzentration)
- Einheit: mL/min
- Referenzwert Plasmaosmolalität: 290 mosmol/kg
- Interpretation: Beurteilung der Fähigkeit der Niere zur Urinkonzentration
- Freie Wasser-Clearance negativ: Die freie Wasser-Clearance ist normalerweise negativ, da der Urin im Vergleich zum Plasma hyperosmolar ist
- Freie Wasser-Clearance positiv: Der Urin ist in diesem Fall im Vergleich zum Plasma hypoosmolar
- Berechnung: Freie Wasser-Clearance cH2O = Urinvolumen pro Zeit VU (mL/min) × [1 – (Urinosmolalität Uosm/Plasmaosmolalität Posm)]
- Beispielrechnung: cH2O = 5 mL/min × [1 – (180 mosmol/kg / 300 mosmol/kg)] = 5 mL/min × [1 – 0,6] = 5 mL/min × 0,4 = 2 mL/min
Fraktionelle Ausscheidung (FA)
- Definition
- Die fraktionelle Ausscheidung gibt an, welcher Anteil einer filtrierten Substanz X tatsächlich mit dem Urin ausgeschieden wird
- Sie entspricht dem Verhältnis der Clearance einer bestimmten Substanz zur GFR
- Interpretation
- Beispielrechnung: Von 180 Litern glomerulär filtriertem Primärharn werden letztlich 1,5 Liter Wasser mit dem Urin ausgeschieden. Dies entspricht einer fraktionellen Ausscheidung von 1,5/180 ≈ 0,01 (also nur etwa 1% des filtrierten Wassers wird auch tatsächlich ausgeschieden).
Wiederholungsfragen zum Kapitel Nierendurchblutung und glomeruläre Filtration
Harnbildung: Vom Primärharn zum Endharn
Erkläre das Prinzip der Harnbildung!
Liegen gebundene und ungebundene Stoffe im Primärharn je in gleicher Konzentration wie im Blutplasma vor?
Zwischen welchen Werten kann die Osmolarität des Endharns schwanken?
Nierendurchblutung
Welche Parameter der Nierendurchblutung kennst du? Wie werden sie berechnet?
Was beschreibt der Bayliss-Effekt und wo tritt er auf?
Wo wird Renin gebildet und was bewirkt es?
Wie wird die Ausschüttung von Renin reguliert?
Wo wird Angiotensinogen gebildet?
An welche Rezeptoren bindet Angiotensin II und was wird dadurch bewirkt?
In der Hypertoniebehandlung werden u.a. AT1-Rezeptor-Blocker und ACE-Hemmer eingesetzt. Welchen Kompensationsmechanismus bewirken sie an der Niere?
Welchen Effekt hat Noradrenalin auf die Nierendurchblutung?
Nierenfunktionsparameter
Was versteht man unter der glomerulären Filtrationsrate?
Mit welcher im Klinikalltag häufig verwendeten Formel kann die GFR annähernd bestimmt werden?
Ist der effektive Filtrationsdruck entlang der Glomeruluskapillare gleichbleibend?
Was versteht man unter der sog. Clearance und wie wird sie berechnet?
Welcher Laborwert kann als Annäherung an die GFR herangezogen werden? Warum?
Wie ist das Clearance-Verhalten von Paraaminohippursäure?
Wieso ist der Clearance-Wert für Glucose unter Normalbedingungen 0 mL/min? Wann nicht mehr?
Erläutere den Begriff freie Wasser-Clearance und nenne seinen Plasmareferenzwert!
Wie berechnet sich die freie Wasser-Clearance?
Erkläre den Begriff fraktionelle Ausscheidung!
Eine Sammlung von allgemeineren und offeneren Fragen zu den verschiedenen prüfungsrelevanten Themen findest du im Kapitel Beispielfragen aus dem mündlichen Physikum.
Meditricks
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Renale Clearance
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