Zusammenfassung
Die Wirkung eines Pharmakons ist von multiplen Faktoren abhängig. Die Pharmakokinetik beschäftigt sich dabei mit den Zusammenhängen, wie ein Pharmakon an seinen gewünschten Zielort gelangt, während die Pharmakodynamik die Wirkung am Zielort beschreibt. Medikamente beeinflussen im Rahmen ihrer Metabolisierung die Aktivität von Enzymen (Cytochrom-P450-System) und weisen unterschiedliche Formen von Interaktionen auf. Klinisch bedeutsam ist dies insb. für die Applikation eines Medikaments (topisch, oral, intravenös) sowie für potenzielle Wirkverstärkungen oder -abschwächungen bei gleichzeitiger Einnahme mehrerer Pharmaka. Weiterhin muss bei hepatischer oder renaler Elimination eines Medikaments die Gefahr einer Akkumulation bedacht werden, wenn ein Patient an einer Leber- oder Niereninsuffizienz erkrankt ist.
Übersicht
- Pharmakokinetik: „LADME“ ist ein Akronym, das die Phasen der Pharmakokinetik umfasst. Es kann weiter in Invasion und Elimination unterteilt werden und steht für:
- Invasion (Anfluten)
- Liberation (Freisetzung)
- Absorption (Resorption)
- Distribution (Verteilung)
- Elimination (Abfluten)
- Metabolisierung
- Exkretion
- Invasion (Anfluten)
- Pharmakodynamik: Wichtig in diesem Zusammenhang sind:
- Rezeptortypen und ihre Interaktion mit dem Pharmakon
- Dosis-Wirkungs-Beziehungen
- Pharmakogenetik: Befasst sich mit den genetisch bedingten Unterschieden in Arzneimittelmetabolismus und -wirkung
Pharmakokinetik
Die Pharmakokinetik beschreibt, wie ein Pharmakon vom Körper aufgenommen, verteilt, metabolisiert und ausgeschieden wird!
Liberation (Freisetzung)
- Beschreibt die Freisetzung des Wirkstoffs aus der Darreichungsform, was v.a. für feste Formen (Kapsel, Tablette oder Zäpfchen) relevant ist
- Generell kommen viele Applikationswege zur Anwendung
- Oral (p.o.)
- Intravenös (i.v.)
- Intramuskulär (i.m.)
- Intraossär (i.o.)
- Subkutan (s.c.)
- Sublingual
- Transdermal
- Intranasal
- Inhalativ
- Vaginal
- Rektal
- Seltenere Formen sind z.B. buccal (auf Wangenschleimhaut), intraartikulär (in ein Gelenk), intrathekal (in den Subarachnoidalraum)
Absorption (Resorption)
Zur Beschreibung der Resorption sind unterschiedliche Größen relevant:
- Bioverfügbarkeit: Beschreibt, in welcher Geschwindigkeit und Konzentration ein Pharmakon im systemischen Kreislauf erscheint. Die Angabe erfolgt in Prozent der Ausgangskonzentration
- Die Bioverfügbarkeit ist zum großen Teil von zwei Mechanismen abhängig
- First-Pass-Effekt: Oral verabreichte Pharmaka sind beim Durchtritt der Leber einer ersten Verstoffwechselung unterworfen, die zu einer geringeren Bioverfügbarkeit führen kann
- Fähigkeit zur Passage von Membranen: Abhängig vom Substanzcharakter (siehe Tabelle)
- Die Bioverfügbarkeit ist zum großen Teil von zwei Mechanismen abhängig
- Bioäquivalenz: Zwei Pharmaka, die sich in ihrer Bioverfügbarkeit bei Anwendung gleicher Dosis nicht unterscheiden
Substanzcharakter | Bedeutung | Beispiele | |
---|---|---|---|
Lipophilie |
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Hydrophilie |
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Amphiphilie |
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Distribution (Verteilung)
Nachdem das Pharmakon in die Blutbahn gelangt ist, erfolgt die initiale Verteilung zuerst in die am stärksten durchbluteten(!) Organe!
Wichtig zur Einschätzung der Verteilung in den Geweben sind:
- Verteilungskoeffizient K = c (Pharmakon in organischem Lösungsmittel) / c (Pharmakon in Wasser)
- Maß für die Polarität/Hydrophilie eines Stoffes
- Verteilungsvolumen (V) = M (Menge des Pharmakons) / c (Plasmakonzentration des Pharmakons)
- Angabe entweder in L oder in L/kg (bezogen auf das Körpergewicht)
- Beschreibt die Verteilung eines Pharmakons zwischen Plasma und Gewebe
- Lipophile Stoffe haben meistens ein großes Verteilungsvolumen
- Plasmaproteinbindung: Pharmaka binden mit unterschiedlicher Affinität an Plasmaproteine (z.B. Albumin)
- Wirksam ist nur der freie, ungebundene Anteil eines Pharmakons
- Pharmaka können um die Plasmaproteinbindung konkurrieren
Metabolisierung (Biotransformation)
Die Biotransformation ist eine Reaktion, der sowohl körpereigene als auch körperfremde Stoffe unterworfen sind und die vorwiegend in der Leber abläuft. Die hauptsächliche Aufgabe der Biotransformation ist es, Stoffe zu entgiften und durch chemischen Umbau die nachfolgende Exkretion zu ermöglichen.
- Kinetik: Im Rahmen der Metabolisierung und Exkretion können bestimmte zeitliche Abläufe (Kinetiken) beobachtet werden
- Kinetik nullter Ordnung: Die Reaktion läuft mit konstanter Geschwindigkeit und ist unabhängig von der Substratkonzentration (z.B. Abbau von Alkohol)
- Kinetik erster Ordnung: Die Reaktion verläuft proportional zur Substratkonzentration (gilt für die meisten Pharmaka)
- Ablauf: Die Biotransformation kann in zwei Phasen unterteilt werden
- Phase-I-Reaktion: Entstehung eines polaren Metaboliten (vorwiegend mittels Oxidation durch Cytochrom-P450-System) → Ermöglicht Phase-II-Reaktion
- Phase-II-Reaktion: Konjugationsreaktion → Kopplungen des Metaboliten mit Glucuronsäure (häufigste Kopplungsreaktion), aktivierter Essigsäure, Schwefelsäure, Aminosäuren oder Glutathion
- Bedeutung: Die Metabolisierung kann zu folgenden Effekten am Metabolit führen
- Entgiftung: In den meisten Fällen führen die Reaktionen zu einer Deaktivierung des Pharmakons mit Steigerung der Hydrophilie → Ermöglicht Ausscheidung über Niere oder Galle
- Aktivierung: Überführung von Prodrugs in ihre aktive Wirkform
- Giftung: Entstehung von toxischen Metaboliten
Die Biotransformation ist nicht grundsätzlich eine nützliche Reaktion für den Organismus!
Exkretion
- Clearance: Maß für Eliminationsleistung = fiktives Plasmavolumen, das innerhalb eines bestimmten Zeitraums vollständig von einer gegebenen Substanz befreit wird (→ z.B. Kreatinin-Clearance)
- Halbwertszeit (HWZ): Zeitraum, in dem die Plasmakonzentration eines Pharmakons die Hälfte der Ursprungskonzentration erreicht hat
- Kontextsensitive Halbwertszeit: Von der Infusionsdauer sowie der Pharmakokinetik eines Pharmakons abhängige Halbwertszeit [1]
Nach 4 Halbwertszeiten sind mehr als 90% der Substanz eliminiert!
Je nach Stoffeigenschaft stehen unterschiedliche Formen der Exkretion zur Verfügung:
- Renale Elimination: Insb. hydrophile Substanzen
- Glomeruläre Filtration
- Tubuläre Sekretion
- Tubuläre Rückresorption
- Biliäre Elimination: Lipophile und hydrophile Substanzen
- Lipophile Substanzen können durch den enterohepatischen Kreislauf rückresorbiert werden
- Pulmonale Elimination: Insb. für Inhalationsanästhetika relevant
Pharmakodynamik
Die Pharmakodynamik beschreibt, wie das Medikament an seinem Zielort in Abhängigkeit von der Dosis und anderen Faktoren wirkt!
Rezeptortypen
Jedes Molekül mit Funktion im Organismus kann ein Angriffspunkt für Pharmaka sein:
- Wirkung an Rezeptoren im engeren Sinne
- Membranständig
- G-Protein-gekoppelte Rezeptoren
- Ionenkanäle
- Rezeptorproteinkinasen
- Intrazellulär
- Membranständig
- Wirkung an Enzymen
- Wirkung auf DNA (z.B. Zytostatika)
- Wirkung durch physikalischen/chemischen Einfluss (z.B. osmotische Diuretika, Antazida)
Interaktion zwischen Rezeptor und Pharmakon
- Affinität: Bezeichnet die Stärke der Bindung eines Pharmakons an den Rezeptor
- Bindungen meist leicht lösbar
- Seltener kovalente Bindungen, die nahezu irreversibel sind (z.B. ASS-Bindung an die Cyclooxygenase)
- Agonist: Das gebundene Pharmakon hat einen ähnlichen Effekt wie der natürliche Transmitter (z.B. β2-Sympathomimetika)
- Antagonist : Das Pharmakon reduziert oder hemmt die Wirkung eines Agonisten
- Kompetitiv: Agonist und Antagonist konkurrieren um den gleichen Rezeptor (bspw. Acetylcholin und nicht-depolarisierende Muskelrelaxantien)
- Nicht-kompetitiv: Bindung außerhalb des Rezeptorareals führt zu einer Änderung der räumlichen Struktur des Rezeptors
- Funktionell: Agonist und Antagonist vermitteln über jeweils eigene Rezeptoren entgegengesetzte Wirkungen am Erfolgsorgan
- Partialagonist: Entfaltet eine agonistische Wirkung am Rezeptor, die aber geringer als die Wirkung eines reinen Agonisten ist
Dosis-Wirkungs-Beziehung
Die Zusammenhänge zwischen Wirkstoffkonzentration und Wirkung eines Pharmakons werden mit den folgenden Begriffen beschrieben:
- Effektivdosis (ED): Menge an verabreichtem Wirkstoff, bei dem ein bestimmtes Wirkungsausmaß (Effektivität in %) erreicht wird, bspw. ED50
- Effektivität (Maximalwirkung): Maximales Wirkungsausmaß (Wirksamkeit) eines Wirkstoffes
- Ceiling-Effekt (Sättigungseffekt): Nach Erreichen des max. Wirkungsausmaßes kann trotz Dosiserhöhung keine stärkere Wirkung erzielt werden
- Toxische Dosis (TD): Dosis, bei der eine toxische Wirkung (im Sinne schädlicher Nebenwirkungen) zu erwarten ist
- Letale Dosis (LD): Gibt die im Tierversuch ermittelte letale Dosis eines Wirkstoffs an
- Therapeutische Breite: „Sicherheitsabstand“ zwischen therapeutischer und toxischer bzw. letaler Dosis
- Je größer die therapeutische Breite, desto sicherer ist ein Medikament
- Große therapeutische Breite: Bspw. Glucocorticoide oder Penicillin
- Geringe therapeutische Breite: Bspw. Lithium oder Theophyllin
- Therapeutischer Quotient (LD50/ED50)
- Potenz (Potency): Maß für die Wirkstärke eines Pharmakons bezogen auf die Dosis
- Gemessen wird, welche Menge eines Pharmakons benötigt wird, um die ED50 zu erreichen
- Non-Response: Nicht-Ansprechen eines Patienten auf eine medikamentöse Therapie trotz adäquater Dosierung und Dauer
Bei wiederholter Gabe kann sich die Wirkung eines Pharmakons verringern:
- Toleranz
- Tachyphylaxie
- Der zugrundeliegende Mechanismus ist die Leerung von körpereigenen Speichern
- Keine Durchbrechung durch Dosissteigerung möglich
Pharmakogenetik
Die Pharmakogenetik befasst sich mit den genetisch bedingten Unterschieden in Enzymen, die zu Veränderungen von Arzneimittelmetabolismus und -wirkung führen.
Ist das betroffene Enzym am Abbau des Pharmakons beteiligt, kommt es bei:
- Hyperaktiven Varianten des Enzyms zu einer verringerten Wirkung
- Hypoaktiven Varianten des Enzyms zu einer Kumulationsneigung mit verstärkten Nebenwirkungen
Ist das betroffene Enzym an der Aktivierung des Medikaments beteiligt, sind die Auswirkungen entsprechend umgekehrt.
- Beispiele für klinisch relevante Genvarianten:
- CYP2D6-Polymorphismus
- Es kommen hyper- und hypoaktive Varianten des Enzyms vor
- An der Metabolisierung vieler Pharmaka beteiligt, bspw. Abbau von Antiarrhythmika und trizyklischen Antidepressiva sowie Aktivierung von Codein
- Es sind geschlechtsspezifische Unterschiede in der Metabolisation über CYP2D6 bekannt
- N-Acetyltransferase-Polymorphismus
- Es kommen hyper- und hypoaktive Varianten des Enzyms vor
- Baut unter anderem Isoniazid, Sulfasalazin und Hydralazin ab
- Atypische Pseudocholinesterase
- Pseudocholinesterase ist zuständig für den Abbau von Succinylcholin durch Esterhydrolyse
- Thiopurin-Methyltransferase-Polymorphismus (TPMT)
- Die TPMT ist am Abbau von Azathioprin beteiligt
- CYP2D6-Polymorphismus
Medikamenteninteraktionen und Cytochrom-P450-System
Interaktionen
- Interaktionen manifestieren sich durch Wirkungsverstärkungen bzw. -abschwächungen sowie Nebenwirkungen
- Pharmaka↑ ≈ Interaktionen↑
- Größtes Interaktionspotenzial bei Enzyminduktoren des Cytochrom-P450-Systems
Bei Arzneimittelinteraktionen mit Wirkungsverstärkung bzw. -abschwächung sollte eine Dosisanpassung oder ein Substanzwechsel in Betracht gezogen werden!
Cytochrom-P450-System
- Grundlagen
- Eine CYP-Induktion führt zu einer beschleunigten Umsetzung der Substrate, eine CYP-Inhibition zu einer verlangsamten
- Wird ein Substrat über CYP abgebaut, kommt es durch eine Induktion zu einer Wirkungsabschwächung und durch eine Inhibition zu einer Wirkungsverstärkung
- Wird ein Substrat über CYP aktiviert , kommt es durch eine Induktion zu einer Wirkungsverstärkung und durch eine Inhibition zu einer Wirkungsabschwächung
- Eine CYP-Induktion führt zu einer beschleunigten Umsetzung der Substrate, eine CYP-Inhibition zu einer verlangsamten
- Pharmakogenetik: CYP2D6
Carbamazepin bewirkt eine Autoinduktion des CYP3A4-Metabolismus! Daher muss bei langfristiger Gabe eine Dosiserhöhung erfolgen!
Rifampicin und Carbamazepin gehören zu den stärksten Induktoren, sodass mit zahlreichen Interaktionen zu rechnen ist!
P-Glykoprotein (P-gp)
- Definition: Membrangebundenes Transportprotein, das aktiv körperfremde Stoffe (= P-gp-Substrate, bspw. Pharmaka) aus der Zelle heraustransportiert
- Vorkommen: Menschliche Zellen , Bakterien, Pilze
- Klinische Bedeutung
- Überexpression von P-gp in Tumorzellen kann eine Zytostatika-Resistenz (sog. Multidrug Resistance) zur Folge haben
- Inhibitoren und Induktoren von P-gp beeinflussen die Pharmakokinetik des P-gp-Substrats
- Induktoren von P-gp (bspw. Johanniskraut, Rifampicin): Bewirken eine schnellere Elimination des P-gp-Substrats
- Inhibitoren von P-gp (bspw. Amiodaron, Mefloquin): Bewirken eine höhere Bioverfügbarkeit des P-gp-Substrats
- Sehr breites Substratspektrum, bspw. Dabigatran, Sertralin, Amitriptylin, Carbamazepin, Erythromycin, Fentanyl, Prednisolon, Tacrolimus