Zusammenfassung
Die akute Nierenschädigung (veraltet: akute Niereninsuffizienz, akutes Nierenversagen) beschreibt eine potenziell reversible Nierenfunktionsverschlechterung, die laborchemisch durch einen Kreatininanstieg und/oder klinisch durch eine verminderte Urinausscheidung (Oligurie, Anurie) definiert ist. Das Krankheitsbild betrifft jede fünfte hospitalisierte Person und geht mit potenziell schwerwiegenden Folgen einher (z.B. dauerhaft notwendige Dialyse, chronische Nierenerkrankung).
Die häufigste Ursache ist eine verminderte Nierenperfusion (prärenales Nierenversagen), bspw. im Rahmen einer Hypovolämie bei Dehydratation oder Blutung. Es kann aber auch zu einer direkten Schädigung der Niere (intrarenales Nierenversagen) bspw. einer akuten Tubulusnekrose z.B. medikamentenassoziiert oder im Rahmen einer Sepsis kommen. Ein postrenales Nierenversagen aufgrund mechanischer oder funktioneller Abflussstörungen ist deutlich seltener. Je nach Ausprägung der Nierenfunktionseinschränkung werden drei Stadien der akuten Nierenschädigung nach KDIGO unterschieden.
Diagnostisch steht eine rasche Ursachenklärung sowie therapeutisch die Verhinderung einer anhaltenden Nierenfunktionsverschlechterung im Vordergrund. Zusätzlich sollten die Komplikationen einer verminderten Nierenfunktion, bspw. eine Überwässerung (Lungenödem, periphere Ödeme), eine Stoffwechselentgleisung (Hyperkaliämie, metabolische Azidose) und eine ausgeprägte Infektneigung, engmaschig überwacht und behandelt werden. Bei unzureichender Behandlung dieser Komplikationen sollten Nierenersatzverfahren in Erwägung gezogen werden.
Definition
- Definition: Akut einsetzende, potenziell reversible Abnahme der Nierenfunktion mit reduzierter glomerulärer Filtrationsrate und ggf. Abnahme der Diurese
- Synonyme
- Acute Kidney Injury (AKI)
- Akute Niereninsuffizienz
- Akutes Nierenversagen
- Acute renal Failure (ARF)
- Diagnosekriterien der akuten Nierenschädigung (nach KDIGO) [1]: Vorliegen von mind. 1 Kriterium
- Anstieg des Serumkreatinins um ≥0,3 mg/dL (26,5 μmol/L) innerhalb von 48 h oder
- Anstieg des Serumkreatinins auf das ≥1,5-fache oder
- Neu aufgetretene Reduktion der Urinmenge auf <0,5 mL/kgKG/h über 6 h
Die akute Nierenschädigung kann auch als Leitsymptom (unspezifische, potenziell reversible Abnahme der Nierenfunktion) verstanden werden, das durch klinische (Oligurie/Anurie) oder laborchemische Parameter (Kreatininanstieg) definiert wird!
Epidemiologie
- Inzidenz: Ca. 500/100.000 Personen/Jahr [2]
- Häufig im Krankenhaus: Ca. 10–20% aller stationären Patient:innen [3][4]
- Intensivstation: Sehr hohes Risiko, ca. 30–60% der Personen [2][3][4]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Die Ursachen der akuten Nierenschädigung werden in drei Gruppen zusammengefasst.
- Prärenal (60%): Renale Minderperfusion
- Intrarenal (35%): Direkte Schädigung der Niere
- Postrenal (5%): Harnabflussstörung
Sowohl die prärenale als auch die postrenale Ursache führen bei anhaltendem Schaden zu einer intrarenalen Nierenschädigung!
Prärenale Nierenschädigung (ca. 60%)
- Hypovolämie: Vermindertes, zirkulierendes Blutvolumen
- Unzureichende Flüssigkeitszufuhr
-
Erhöhte Flüssigkeitsverluste, z.B. durch
- Blutungen
- Erbrechen/Durchfall
- Akute Pankreatitis
- Diuretika
- Reduziertes (effektives) Herzminutenvolumen oder Hypotonie
- Herzinsuffizienz, siehe auch: Kardiorenale Syndrome
- Leberzirrhose, siehe auch: Hepatorenales Syndrom
- Nephrotisches Syndrom
- Kardiogener Schock
- Sepsis
- Verbrennungen
- Medikamentös-toxisch: Störung der Autoregulation der Nierendurchblutung, bspw. durch
Eine lang anhaltende, prärenale Genese führt durch die Minderperfusion der Niere zusätzlich zu einem intrarenalen Nierenversagen mit einer Tubulusnekrose!
Intrarenale Nierenschädigung (ca. 35%)
- Tubulo-interstitiell
- Akute Tubulusnekrose (ca. 85% der intrarenalen Formen)
- Sepsis
- Ischämisch
- Medikamentös-toxisch
- Medikamente (z.B. Aminoglykoside, NSAR, ACE-Hemmer, Amphotericin, Cisplatin, siehe auch: Nephrotoxische Medikamente)
- Kontrastmittel (siehe auch: Kontrastmittelassoziierte Nierenschädigung)
- Pigment-Nephropathie
- Tubulo-interstitielle Nephritis
- Medikamentös: Antibiotika (bspw. Penicilline, Cephalosporine), Aciclovir, PPI, NSAR
- Infektiös: Hantavirus-Infektion, Leptospirose, HIV, Hepatitis C, CMV
- Parainfektiös: Streptokokken, Staphylokokken, Legionellen
- Infiltrativ: Sarkoidose, Amyloidose
- Tubuläre „Verstopfungen“
- Akute Uratnephropathie
- Cast-Nephropathie
- Nephropathie durch Oxalate
- Akute Tubulusnekrose (ca. 85% der intrarenalen Formen)
- Vaskulär
- Makrovaskulär
- Mikrovaskulär
- Cholesterinembolie-Syndrom
- Disseminierte intravasale Gerinnung
- Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura und Hämolytisch-urämisches Syndrom
- HELLP-Syndrom
- Nierenbeteiligung bei systemischer Sklerose
- Sichelzellerkrankung
- Glomerulär
- Glomerulonephritiden
- HIV-assoziierte Nephropathie
Medikamente können durch unterschiedliche Mechanismen zu einem intrarenalen Nierenversagen führen, bspw. durch eine akute Tubulusnekrose und/oder eine tubulo-interstitielle Nephritis!
Postrenale Nierenschädigung (ca. 5%)
- Angeborene Fehlbildungen
- Erworbene (mechanische oder funktionelle) Abflussbehinderungen, bspw.
- Urolithiasis
- Tumoren
- Abszesse
- Benigne Prostatahyperplasie
- Fehlplatzierte Harnblasenkatheter
- Harnblasentamponade
- Retroperitoneale Fibrose (Morbus Ormond)
- Urethrastrikturen
- Harnblasenentleerungsstörung
Pathophysiologie
Prärenales Nierenversagen: Renale Minderperfusion
- Pathomechanismus: Renale Minderperfusion der Niere (z.B. Hypotonie, Hypovolämie) → Verminderte Aktivierung autoregulatorischer Kompensationsmechanismen zur Aufrechterhaltung des hydrostatischen Drucks im Glomerulum → Reduktion der glomerulären Filtrationsrate
- Ursachen des prärenalen Nierenversagens: Renale Minderperfusion oder pathologisch veränderte Autoregulation
- Renale Minderperfusion
- Hypovolämie
- Reduziertes Herzminutenvolumen
- Hypotonie
- Fehlende (ausreichende) Autoregulation
- Medikamente (NSAR , RAAS-Inhibitoren wie ACE-Hemmer/AT1-Rezeptor-Blocker , Calcineurininhibitoren )
-
Kontrastmittel
- Relevanz umstritten: Siehe auch Kontrastmittel-Nephropathie
- Renale Minderperfusion
- Risikofaktoren für eine eingeschränkte Autoregulation
Intrarenal: Direkte Nierenschädigung
- Pathomechanismus: Durch einen schädigenden Einfluss, z.B. anhaltende Ischämie → Mitochondriale Schädigung der Zellen → Zelltod, tubuläre Ablösung und Obstruktion sowie verminderte Resorptionskapazität der Tubuli → Reduktion der glomerulären Filtrationsrate
Postrenal: Harnabflussstörung
- Pathomechanismus: Funktionelles oder mechanisches Harnabflusshindernis → Rückstau des Urins in die Glomerula der Niere mit erhöhtem hydrostatischen Druck und verminderter Ultrafiltration → Zusätzlich konsekutiv renale Vasokonstriktion und Minderperfusion → Reduktion der glomerulären Filtrationsrate
Symptomatik
- Häufig: Asymptomatisch bzw. die Symptome der Grunderkrankung
- Leitsymptom: Oligurie bzw. Anurie
- Verlauf der Symptomatik in drei Phasen möglich
- Asymptomatisch: Verlauf der Grunderkrankung
- Oligurie bzw. Anurie
- Polyurie
- Verlauf der Symptomatik in drei Phasen möglich
Die Symptome der akuten Nierenschädigung werden häufig erst durch die Komplikationen einer Nierenfunktionsverschlechterung ausgelöst (siehe auch: Komplikationen der akuten Nierenschädigung)!
Verlaufs- und Sonderformen
Kontrastmittelassoziierte Nierenschädigung [2][5][6][7]
- Synonyme: Kontrastmittelassoziierte Nephropathie, kontrastmittelinduzierte Nephropathie (KIN), kontrastmittelassoziiertes Nierenversagen
- Relevanz: Umstritten! [8]
- Definition, siehe: Diagnosekriterien der akuten Nierenschädigung, wobei der Anstieg des Serumkreatinins innerhalb von 48–72 h bzw. der Abfall der Urinausscheidung innerhalb von 6–12 h nach iodhaltiger Kontrastmittelgabe eintritt
- Risikofaktoren
- Vorerkrankungen: Chronische Nierenerkrankung, kardiovaskuläre Erkrankungen, hohes Alter
- Kontrastmittel: Große Mengen und hohe Osmolalität
- Bildgebung: Intraarterielle und wiederholte Gabe (z.B. Angiografie, Herzkatheteruntersuchung)
- Pathophysiologie: Kausaler Zusammenhang unwahrscheinlich
- Hypoxie im Nierenmark durch renale Vasokonstriktion
- Direkte zytotoxische Schäden in den Tubuli durch Sauerstoffradikale
- Verschluss der Tubuli durch ausgefallenes Kontrastmittel
- Prognose: Meist Erholung der Nierenfunktion nach 3–5 d
- Prophylaxe: Nutzen aktuell unklar [9][10]
- Möglichst geringe und niedrig konzentrierte Kontrastmittelmenge verwenden [6][7]
- Ggf. Kontrolle des Serumkreatinins
- Ggf. Absetzen kurzfristig verzichtbarer, nephrotoxischer Medikamente, z.B. NSAR, ACE-Hemmer, Metformin [6][7][11][12]
- Ggf. individualisierte periprozedurale Hydrierung [6][11][12]
- Ggf. medikamentöse Prophylaxe mit hochdosierten Statinen (bspw. vor Angiografie) [6]
Der früher angenommene kausale Zusammenhang zwischen iodhaltigen Kontrastmitteln und akuter Nierenschädigung ist aktuell umstritten!
Bei Personen mit höhergradig eingeschränkter Nierenfunktion soll der diagnostische Nutzen einer Röntgen-/MRT-Kontrastmittelgabe gegenüber potenziellen Risiken stärker berücksichtigt werden! [13]
Stadien
KDIGO-Klassifikation der AKI [1]
- Zur Einteilung und Abschätzung der Prognose existieren verschiedene Klassifikationen
-
Einteilung nach KDIGO
- Neueste Klassifikation und klinisch am gebräuchlichsten
- Vereint Merkmale der ehemaligen RIFLE-Kriterien und AKIN-Stadien
Einteilung nach KDIGO (2012) | ||
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Stadium | Serumkreatinin | Urinausscheidung |
1 |
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2 |
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3 |
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Korrespondieren das Stadium nach der Serumkreatininkonzentration und die Urinausscheidung nicht miteinander, ist das jeweils höher erreichte Stadium entscheidend. |
Diagnostik
Diagnosesicherung
- Anhand des Kreatininwertes bzw. der ausgeschiedenen Urinmenge [1]
- Oft als Zufallsbefund!
- Siehe auch: Diagnosekriterien der akuten Nierenschädigung
Staging
- Siehe: KDIGO-Klassifikation der AKI
Bestimmung der Ursache
Anamnese
- Stattgehabter Flüssigkeitsverlust oder Hypotonie (z.B. Diarrhö, Erbrechen, OP, Sepsis, Blutungen)
- Medikamenteneinnahme (siehe auch: Nephrotoxische Medikamente)
- Vorausgegangene Kontrastmittelapplikation (umstritten, siehe: Kontrastmittel-Nephropathie)
- Nebendiagnosen, insb. Leichtkettenerkrankungen, Rhabdomyolyse, Harnsteine
- Vorbestehende chronische Niereninsuffizienz
- Symptome von Vaskulitiden, Glomerulonephritiden und Kollagenosen (z.B. Fieber, Arthralgien, Myalgien, Uveitiden/Konjunktividen)
Körperliche Untersuchung und Messung der Vitalparameter
Besonderer Fokus auf:
- Zeichen eines verminderten zirkulierenden Blutvolumens (z.B. arterielle Hypotonie, verminderte Halsvenenfüllung), siehe auch: Klinik der Dehydratation
- Zeichen einer Überwässerung durch verminderte Ausscheidungsfunktion (z.B. Ödeme, Halsvenenstauung, arterielle Hypertonie)
- Enges Monitoring der Vitalzeichen
- Insb. bei Personen im Schock sollten invasivere Methoden erwogen werden (erweitertes hämodynamisches Monitoring)
Blutentnahme
- Retentionsparameter
-
Kreatinin: Standardparameter
- Vorteil: Günstig und etabliert
- Nachteile: Kreatininblinder Bereich (erhöhte Werte erst ab einem GFR-Verlust von ≥50%), verfälschte Werte möglich, siehe auch: Harnpflichtige Substanzen
- Cystatin C: Alternative zu Kreatinin
- Vorteil: Sensitiver bei geringen Einschränkungen der GFR, nicht abhängig vom Körperbau
- Nachteil: Deutlich teurer als Kreatinin
- Mögliche Indikationen: Sarkopenie , Kinder, Personen mit deutlich abweichendem BMI
- Harnstoff
-
Kreatinin: Standardparameter
- Blutbild (Thrombopenie?), ggf. inkl. Blutausstrich
-
Venöse BGA
- Typische Konstellation bei akuter Nierenschädigung
- Kreatinkinase
- LDH
- Lipase, Amylase
- Blutkultur
- Bei V.a. Vaskulitiden, Glomerulonephritiden und Kollagenosen: Spezifische Antikörperdiagnostik
- Bei V.a. thrombotische Mikroangiopathien: Nachweis von Fragmentozyten im Blutausstrich
Die rechnerische Abschätzung der GFR nur über das Serumkreatinin (oft auf dem Laborzettel angegeben) ist bei akuter Nierenschädigung nicht sinnvoll – sie ist nur bei einer stabilen Nierenfunktion aussagekräftig!
Urinuntersuchungen
- U-Status
- Insb. Frage nach Hämaturie und Proteinurie
- Siehe auch: Urin-Stix
- Urinsediment
- „Aktives Sediment“: Hinweise auf entzündliche glomeruläre Erkrankungen, dazu zählen:
- Akanthozyten
- Erythrozytenzylinder: Sind beweisend für einen renalen Ursprung der Erythrozyten
- Leukozytenzylinder: Bei entzündlichen Erkrankungen der Niere
- Siehe auch: Urinsediment
- „Aktives Sediment“: Hinweise auf entzündliche glomeruläre Erkrankungen, dazu zählen:
- Labor: Bestimmung von Kreatinin und Natrium im Urin, ggf. Bestimmung der fraktionellen Natriumexkretion zur Differenzierung zwischen prärenaler und intrarenaler Nierenschädigung
- Für Berechnung und Hintergrund siehe auch: Fraktionelle Natriumexkretion, alternativ: Bestimmung der fraktionellen Harnstoffexkretion
- Beachte auch: Diagnostik von Erkrankungen der Niere und der ableitenden Harnwege
Bildgebung
-
Sonografie von Nieren, Harnblase, ggf. Pleuraergüssen und V. cava inferior
- Zur Differenzierung von prä-, intra- und postrenaler Nierenschädigung, insb. bei V.a. obstruierende Nierensteine
- Mögliche Befunde: Vergrößerte Nieren mit verschwommener Mark-Rinden-Grenze , Hydronephrose, gestaute V. cava inferior, Pleuraergüsse
- Siehe auch
- Selten: CT, z.B. bei V.a. (seltene) makrovaskuläre Ursachen
Biopsie
- Bei V.a. rapid-progressive Glomerulonephritis
- Indikationen
- Rascher Kreatininanstieg
- Flankenschmerzen, Hämoptysen
- Siehe auch: Rapid-progressive Glomerulonephritis
- Für Kontraindikationen siehe auch: Nierenbiopsie
Ursachen mit raschem Handlungsbedarf
Zusammenfassung: Ursachen der akuten Nierenschädigung mit schnellem Diagnostik- und Therapiebedarf | |
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Differenzialdiagnose | Untersuchung |
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Das häufige Fehlen von Symptomen sowie die Vielzahl an Ursachen können die Differenzialdiagnostik unter Umständen erschweren. Insb. schnell zu behandelnde Ursachen müssen daher zügig ausgemacht werden!
Therapie
Allgemeines klinisches Management bei AKI und Risikopatienten [1]
Meiden bzw. Absetzen nephrotoxischer Medikamente
-
Häufig verabreichte Substanzen, die abgesetzt werden müssen: Sartane, ACE-Hemmer, NSAID, Diuretika , Metformin (Gefahr der Lactatazidose)
- Nephrotoxische Medikamente
- NSAID
- Zoledronsäure
- Pentamidin
- Tenofovir
- Foscarnet
- Zytostatika: Bspw. Cisplatin
- Amphotericin B
- Aminoglykoside: Bspw. Gentamicin, Tobramycin
- Bei AKI kontraindizierte Medikamente
- ACE-Hemmer: Bspw. Ramipril, Captopril, Lisinopril, Benazepril
- Sartane: Bspw. Valsartan, Losartan, Candesartan
- Diuretika
- Dosisanpassung oder Pausierung von Antidiabetika (insb. Metformin aufgrund der Gefahr der Lactatazidose)
- Nephrotoxische Medikamente
- Bei Notwendigkeit eines bildgebenden Verfahrens ggf. Alternativen ohne Kontrastmittelgabe suchen
- Siehe auch: Kontrastmittel-Nephropathie
Kontrolle des Wasser-, pH- und Elektrolythaushalts
- Bei Oligurie/Anurie: Balancierte Volumengabe
- Management bei Überwässerung (nur bei prä- und intrarenalen Ursachen )
- Therapieversuch mit Schleifendiuretika zum kurzfristigen Volumenmanagement
- Begleitend immer, insb. bei ausbleibendem Erfolg von Diuretika auf hämodynamische Ursache hin prüfen, ggf. Katecholamingabe (Dobutamin, Noradrenalin)
- Bei ausbleibendem Effekt auf die Überwässerung: Indikationen zur Akutdialyse prüfen
Ggf. Dialyse
- Siehe: Indikationen zur Akutdialyse
Ggf. Verlegung auf die Intensivstation und intensivmedizinische Maßnahmen
- Ab Stadium 2 nach KDIGO zu erwägen
- Management von Volumenstatus und Aufrechterhaltung des Perfusionsdrucks
- Ziel: Aufrechterhaltung der Nierenperfusion und des Blutdrucks im Gesamtkreislauf
- Hintergrund
- Bei akuter Nierenschädigung versagt die Autoregulation der Niere
- Eine verminderte Durchblutung der Niere bei Hypotension erhöht das Risiko einer akuten Nierenschädigung bzw. verschlechtert eine bestehende Schädigung
- Durchführung
- Flüssigkeitssubstitution mit kristalloiden Lösungen
- Siehe auch: Volumenersatztherapie
- Gabe von Vasopressoren bei Personen im vasomotorischen Schock (nur in Kombination mit Volumengabe)
- Flüssigkeitssubstitution mit kristalloiden Lösungen
- Blutzuckereinstellung zur Vermeidung einer sog. Stress-Hyperglykämie
- Ziel: Werte von 110–149 mg/dL Glucose (6,1–8,3 mmol/L) bei schwer kranken Personen, ggf. mithilfe eines Insulinperfusors
- Für das weitere Vorgehen bei einer AKI durch Hypovolämie siehe auch: Hypovolämischer Schock - Klinisches Management
Zusätzlich, je nach Genese
- Prärenale Genese
-
Flüssigkeitssubstitution und Bilanzierung der Ein- und Ausfuhr
- Ggf. Transfusion von EK bei hämorrhagischem Schock
-
Flüssigkeitssubstitution und Bilanzierung der Ein- und Ausfuhr
- Renale Genese (siehe auch: Therapie der entsprechenden ursächlichen Erkrankungen)
- Glomerulonephritis: Immunsuppressive Therapie
- Ischämische Genese: Ggf. Revaskularisation
- Toxische Genese: Ausreichende Hydrierung, ggf. Dialyse
- Cholesterinembolie-Syndrom: Absetzen von Antikoagulanzien , Gabe von Statinen
- Tumorlyse-Syndrom: Gabe von Rasburicase
- Postrenale Genese
- Entfernung des Abflusshindernisses
- Ggf. künstliche Harnableitung durch perkutanes Nephrostoma
- Siehe auch: Harnverhalt und Anlage eines Blasenkatheters
Eine zeitgleiche Gabe von Schleifendiuretika und Flüssigkeit zur „Nierenspülung“ soll nicht erfolgen. (DGIM - Klug entscheiden in der Nephrologie)
Die Gabe von Schleifendiuretika bei oligoanurischen Personen mit akuter Nierenschädigung soll nicht erfolgen. (DGIM - Klug entscheiden in der Nephrologie)
Pflegewissen: Akute Nierenschädigung
Für Grundlagen der Anatomie und Physiologie siehe: Niere
Zu den Aufgaben der Pflege gehört u.a. auch das frühzeitige Erkennen einer akuten Nierenschädigung. Erstes Symptom ist i.d.R. eine veränderte Urinausscheidung (Oligurie, Anurie, seltener Polyurie). Die Pflegemaßnahmen werden an die vorliegende Symptomatik angepasst.
Beobachten/Überwachen
- Basismonitoring
- Blutdruck
- Hypertonie: Insb. Oligurie bzw. Anurie aufgrund einer Überwässerung
- Hypotonie: Insb. bei Polyurie aufgrund eines Flüssigkeitsmangels
- Herzfrequenz und -rhythmus: Insb. Herzrhythmusstörungen bei Elektrolytverschiebungen
- Atmung: Insb. Zeichen eines Lungenödems
- Temperatur: Ggf. erhöht (bei infektiös bedingter Nierenschädigung)
- Gewicht: Täglich
- Blutdruck
- Bewusstsein: Insb. bei Urämie qualitative (bspw. Bewusstseinstrübung) und/oder quantitative Bewusstseinsstörungen (Somnolenz bis Koma)
- Urin: Menge, Farbe, Konzentration
- Haut
- Flüssigkeitsbilanzierung: Zur Einschätzung des Verlaufs
- Anlage eines Blasenkatheters zur genauen Bilanzierung nach ärztlicher Rücksprache
- Anpassung der Flüssigkeitszufuhr an die Flüssigkeitsausscheidung nach ärztlicher Anordnung
- Engmaschige Dokumentation der ausgeschiedenen Urinmenge
- Gewicht: Täglich
Medikamentöse Therapie
- Absetzen von (potenziell) nierenschädigenden Medikamenten häufig notwendig, ärztliche Änderungen der Medikation beachten
- Siehe auch: Nephrotoxische Medikamente
- Bei Therapieversuch mit Schleifendiuretika: Engmaschige Kontrolle und Dokumentation der Urinausscheidung beibehalten
Hygiene
- Striktes Einhalten der Hygienevorgaben im Umgang mit dem Blasenkatheter!
- Erhöhtes Infektionsrisiko
- Häufigster Grund für einen letalen Verlauf
- Genese unklar
Ernährung
Die Ernährung sowie ggf. die Flüssigkeitszufuhr werden an das Ausmaß der Nierenschädigung angepasst, Parameter an die ausgeschiedene Flüssigkeitsmenge und die Laborergebnisse. Eine interdisziplinäre Entscheidung bzw. ärztliche Rücksprache/Anordnung sollte immer erfolgen.
- Gefahr einer Elektrolytentgleisung, daher
Weitere Pflegemaßnahmen
- Mobilisation und Bewegung: Angepasst an den Allgemeinzustand
- Prophylaxen: Bedarfsgerecht, insb.
- Sturzprophylaxe: Insb. bei liegendem Blasenkatheter und Hypotonie
- Thromboseprophylaxe: Insb. bei Dehydratation
- Pneumonieprophylaxe: Insb. bei Lungenödem
- Körperpflege: Unterstützung angepasst an den Allgemeinzustand
Komplikationen
Aufgrund der häufig fehlenden Symptomatik einer akuten Nierenschädigung wird diese oft/i.d.R. erst durch die (lebensbedrohlichen) Folgen einer eingeschränkten renalen Funktion auffällig!
Überwässerung [2][4][12]
- Periphere Ödeme
- Interstitielles Lungenödem („Fluid Lung“)
- Pleuraergüsse, Perikarderguss
- Kardiale Dekompensation bei Herzinsuffizienz
- Hirnödem
Die Volumenüberladung durch eine Oligo- oder Anurie kann zu einer (raschen) kardiopulmonalen Verschlechterung führen und sollte daher klinisch überwacht werden!
Elektrolytverschiebungen und Azidose [2][4][12]
- Hyperkaliämie: Insb. bei Tumorlyse-Syndrom, Rhabdomyolyse oder aufgrund der Folgen einer metabolischen Azidose
- Metabolische Azidose: Mit vergrößerter Anionenlücke
- Hyperphosphatämie: Insb. bei Tumorlyse-Syndrom, Rhabdomyolyse
- Hypokalzämie
Insb. die metabolische Azidose und Hyperkaliämie samt ihren Folgen (Herzrhythmusstörungen, Hypotonie, Hyperkaliämie) führen zu potenziell lebensgefährlichen Situationen!
Blutungsneigung [2][4][12]
- Insb. obere gastrointestinale Blutungen
- Multifaktorielle Genese
Anämie [2][4][12]
- Multifaktorielle Genese
- Erythropoese↓: Insb. bei länger anhaltender akuter Nierenschädigung bzw. beim Übergang in eine chronische Nierenkrankheit, siehe auch: renale Anämie
- Blutungen↑: Durch Blutungsneigung bei akuter Nierenschädigung (s.o.)
- Als Hinweis auf ursächliche Erkrankung des Nierenversagens
- Gleichzeitig vorliegende Anämie anderer Genese (z.B. bei Vitamin-B12-Mangel)
- Vorgehen: Diagnostik der Anämie durchführen
Eine Anämie kann auch hinweisend auf die Ursache der akuten Nierenschädigung sein, bspw. bei der Pigment-Nephropathie oder einer thrombotischen Mikroangiopathie (z.B. TTP oder HUS)!
Infektionen [4][12][14]
- Infektionsanfälligkeit während und nach dem akuten Nierenversagen
Weitere potenzielle Folgen der Urämie
- Urämische Enzephalopathie: Verwirrtheit, Somnolenz, epileptische Anfälle, Koma und Flapping Tremor
- Urämische Perikarditis
- Urämische Gastroenteropathie
- Weitere Folgen, siehe auch: Urämie
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Günstigere Prognose [2]
- Kurzfristig: 3–7-fach erhöhte Krankenhaussterblichkeit [2][3][12]
- Langfristig: Erhöhtes Risiko für chronische Nierenerkrankung, Dialysepflicht und Tod [4]
Langfristig dialysepflichtig bleiben ca. 10% der Personen mit akuter Nierenschädigung! [2][12]
Studientelegramme zum Thema
- HOMe Studientelegramme Innere Medizin
- Studientelegramm 299-2024-3/3: Akute Nierenschädigung unter Immuncheckpoint-Inhibitoren
- Studientelegramm 282-2024-2/3: NO more: Kontrastmittelassoziierte Nephropathie
- Studientelegramm 247-2023-1/3: You gotta be kidney me: Empfehlungen zur kontrastmittelassoziierten Nierenschädigung
- Studientelegramm 222-2022-3/3: Nierenersatztherapie bei akuter Nierenschädigung – wann und wie?
- Studientelegramm 208-2022-1/3: Waiting to begin – Dialysebeginn bei akuter Nierenschädigung
- Studientelegramm 183-2021-3/3: Postoperative akute Nierenschädigung – neue Konsensusempfehlungen
- Studientelegramm 124-2020-2/3: Nomenklatur in der Nephrologie
- Studientelegramm 81-2019-3/4: Überblick in der Nephrologie: Gibt es die KM-Nephropathie wirklich?
- Studientelegramm 66-2019-3/3: “Pass op, wat de säs” – Nomenklatur in der Nephrologie
- Studientelegramm 48-2018-3/3: IDEAL-ICU: Zeitpunkt der Dialyseeinleitung in der Intensivmedizin
- Studientelegramm 07-2017-2/4: PRESERVE – kein Benefit von NAC oder Natriumbicarbonat vor Kontrastmittelgabe
- One-Minute Telegram (aus unserer englischsprachigen Redaktion)
- One-Minute Telegram 51-2022-3/3: Are glucocorticoids a safe and effective treatment for IgA nephropathy?
- One-Minute Telegram 39-2021-1/3: Estimating glomerular filtration rate: Not a matter of race
- One-Minute Telegram 14-2020-3/3: GFR formulas are just estimates, but can we estimate better?
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- N17.-: Akutes Nierenversagen
- Inklusive: Acute Kidney Injury [AKI]; Akute Niereninsuffizienz; Akute Nierenschädigung; Akutes prärenales Nierenversagen
- Die folgenden fünften Stellen sind bei den Kategorien N17.0–N17.9 zu benutzen, um das Stadium des akuten Nierenversagens anzugeben:
- 1 – Stadium 1: Anstieg des Serum-Kreatinins um mind. 50% bis unter 100% gegenüber dem Ausgangswert innerhalb von 7 d oder um mind. 0,3 mg/dL innerhalb von 48 h oder Abfall der Diurese auf unter 0,5 mL/kg/h über 6 bis unter 12 h
- 2 – Stadium 2: Anstieg des Serum-Kreatinins um mind. 100% bis unter 200% gegenüber dem Ausgangswert innerhalb von 7 d oder Abfall der Diurese auf unter 0,5 mL/kg/h über mind. 12 h
- 3 – Stadium 3: Anstieg des Serum-Kreatinins um mind. 200% gegenüber dem Ausgangswert innerhalb von 7 d oder Anstieg des Serum-Kreatinins auf mind. 4,0 mg/dL oder Einleitung einer Nierenersatztherapie oder Abfall der glomerulären Filtrationsrate auf unter 35 mL/min/1,73 m2 Körperoberfläche bei Patient:innen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder Abfall der Diurese auf unter 0,3 mL/kg/h über mind. 24 h oder Vorliegen einer Anurie über mind. 12 h
- 9 – Stadium nicht näher bezeichnet
- N17.0-: Akutes Nierenversagen mit Tubulusnekrose [1–3,9]
- Tubulusnekrose
- Akut
- Renal
- O.n.A.
- Tubulusnekrose
- N17.1-: Akutes Nierenversagen mit akuter Rindennekrose [1–3,9]
- Rindennekrose
- Akut
- Renal
- O.n.A.
- Rindennekrose
- N17.2-: Akutes Nierenversagen mit Marknekrose [1–3,9]
- N17.8-: Sonstiges akutes Nierenversagen [1–3,9]
- Akutes Nierenversagen mit sonstigen histologischen Befunden
- N17.9-: Akutes Nierenversagen, nicht näher bezeichnet [1–3,9]
- Akutes Nierenversagen ohne Vorliegen eines histologischen Befundes
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.