Zusammenfassung
Die Pyelonephritis ist eine infektiöse Erkrankung des Nierenbeckens mit Beteiligung des Nierenparenchyms. Sie ist meist Folge eines aufsteigenden bakteriellen Infekts der Harnblase. Typische Symptome sind Flankenschmerzen und Schüttelfrost in Verbindung mit dysurischen Beschwerden und Fieber. Entscheidend ist eine frühzeitige antibiotische Therapie zur Vermeidung einer Ausbreitung des Infekts und Urosepsis. Bei Säuglingen und Kleinkindern kann die Abgrenzung einer Pyelonephritis von einer Urozystitis schwierig bis unmöglich sein, für das Vorgehen siehe: Harnwegsinfektionen im Kindesalter.
Definition
- Interstitielle eitrige Entzündung der Niere (obere Harnwegsinfektion)
- Unkomplizierte Pyelonephritis
- Vorliegen von Flankenschmerzen, klopfschmerzhaftem Nierenlager und/oder Fieber (>38 °C)
- Mit oder ohne Symptome einer Zystitis (bspw. Dysurie)
- Ohne Vorliegen komplizierender Faktoren (s.u.)
- Komplizierte Pyelonephritis
- Zusätzliches Vorliegen von komplizierenden Faktoren (s.u.)
- Unkomplizierte Pyelonephritis
Komplizierende Faktoren einer Harnwegsinfektion
- Anatomisch (angeboren/erworben)
- Männliches Geschlecht (uneinheitlich) [1][2]
- Ureterabgangsstenose
- Harnblasendivertikel
- Nieren- und/oder Harnleitersteine [1]
- Prostatavergrößerung
- Schwangerschaft
- Postoperative Veränderungen
- Funktionell
- Chronische Nierenschädigung
- Blasenentleerungsstörungen
- Detrusor-Sphinkter-Störungen
-
Störungen des Immunsystems
- HIV
- Leberinsuffizienz
- Schlecht eingestellter Diabetes mellitus
- Immunsuppressive Therapie
- Eingebrachte Fremdkörper
Auch bei einer unkomplizierten Pyelonephritis sind schwere Verläufe möglich! Anhand der Bezeichnung kann also nicht auf die Schwere oder die Prognose der Erkrankung geschlossen werden!
Ätiologie
- Geschlecht: ♀ > ♂ (kürzere Harnröhre bei ♀)
- Meist gehen bakterielle Infekte der Harnblase (Urozystitis) voraus
- Erreger
-
Enterobacteriaceae (gramnegative Stäbchen)
- Escherichia coli (ca. 70% der Fälle)
- Proteus mirabilis
- Klebsiellen
-
Enterobacteriaceae (gramnegative Stäbchen)
Bei über 90% der Männer mit fieberhaften Harnwegsinfektionen kommt es gleichzeitig zu einer Prostatabeteiligung!
Symptomatik
-
Fieber (>38 °C), Schüttelfrost
- Undulierendes Fieber unter/trotz antibiotischer Therapie
- Flankenschmerzen, meist einseitig
- Klopfschmerzhaftes Nierenlager
- Ggf. Dysurie
Diabetes-Patient:innen nehmen Symptome oftmals reduziert wahr. Grund dafür ist eine periphere Polyneuropathie!
Bei der Pyelonephritis können Symptome einer Zystitis vorangehen oder zeitgleich bestehen!
Diagnostik
Basisdiagnostik
- Anamnese: Insb. Abfragen möglicher Risikofaktoren für Harnwegsinfektionen
- Körperliche Untersuchung
- Nierenlagerklopfschmerz
- Abdominelle Untersuchung inkl. Palpation
- Laboruntersuchungen
-
Mittelstrahlurin
- Urin-Stix: Meist Leukozyturie und Mikrohämaturie
- Urinkultur: Keimnachweis mit Resistogramm (immer bei V.a. Pyelonephritis!)
- Urinsediment: Leukozytenzylinder
- Ggf. Blutuntersuchung
-
Mittelstrahlurin
- Ggf. Bildgebung
- Indikation: V.a. Vorliegen komplizierender Faktoren (siehe auch: Hinweise auf komplizierende Faktoren einer Harnwegsinfektion)
- 1. Wahl: Sonografie der Nieren und der Harnblase
- Insb. Ausschluss von Harnabflussstörungen
- Vergrößerte, im Parenchym aufgelockerte, gut atemverschiebliche Niere (dezente Veränderungen)
- Mark-Rinden-Trennung evtl. unscharf
Die positive Urinkultur ist der entscheidende diagnostische Test zur Bestätigung der Diagnose und darf beim V.a. Pyelonephritis nicht fehlen!
Ergänzende Diagnostik
- Indikationen
- Unklare Genese
- Anhaltendes Fieber 72 h nach Therapiebeginn
- Schwerer klinischer Verlauf
- Mögliche Untersuchungen
- Kontrastmittel-CT des Abdomens / Urogramm zur Darstellung der Abflussverhältnisse
- Miktionsurethrogramm zur Verifizierung eines vesikoureteralen Reflux
- Urodynamik zum Ausschluss einer neurogenen Harnblasenentleerungsstörung oder subvesikalen Obstruktion
- Statische DMSA-Nierenfunktionsszintigrafie zur Bestimmung der Nierenrestleistung im Seitenvergleich
Pathologie
- Destruktive interstitielle Nephritis: Eitrige Entzündung des Interstitiums mit Destruktion des Parenchyms, der Nierentubuli und manchmal des Nierenbeckens
Differenzialdiagnosen
- Akute Cholezystitis
- Sigmadivertikulitis
- Adnexitis
- Pathologien des Bewegungsapparates (insb. muskuloskelettale Rückenschmerzen)
- Pankreatitis
- Basale Pneumonie
- Pleuritis
- Akute Appendizitis
- Nephrolithiasis
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Therapeutische Grundlagen [1]
- Therapie richtet sich nach Schwere des Verlaufs
- I.d.R. ambulante Behandlung
- Supportive Therapie
- Flüssigkeitssubstitution, ggf. auch i.v.
- Ggf. Schmerztherapie
- Bei Harnverhalt, Restharn oder Pyurie: Einlage eines transurethralen Dauerkatheters zur sicheren und prompten Harnableitung
Die Diagnosestellung einer Pyelonephritis rechtfertigt immer den Einsatz einer antibiotischen Therapie!
Schwere Verläufe sind i.d.R. durch systemische Symptome wie hohes Fieber, AZ-Verschlechterung und/oder Kreislaufinstabilität gekennzeichnet!
Empirische antibiotische Therapie der unkomplizierten Pyelonephritis
Grundüberlegungen
- Therapiebeginn so früh wie möglich: Zunächst empirisch, ggf. Anpassung nach Identifikation des Erregers
- Therapiedauer
- Milder Verlauf: I.d.R. 5–10 Tage
- Schwerer Verlauf: Individuell, i.d.R. ca. 7–14 Tage
- Beim männlichen Geschlecht: I.d.R. 14 Tage
- Darreichungsform
Mild verlaufende unkomplizierte Pyelonephritis [2] [1]
- 1. Wahl: Fluorchinolone (oral) [3]
- Anwendungsbeschränkungen beachten: Einsatz nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung und Aufklärung (siehe auch: Rote-Hand-Briefe zu Fluorchinolonen)
- Ciprofloxacin
- Levofloxacin
- Alternativ: Cephalosporine Insb. wenn keine Fluorchinolone eingesetzt werden können oder ≥10% der lokal isolierten E.-coli-Stämme resistent gegen Fluorchinolone sind (Rücksprache mit der Mikrobiologie oder Infektiologie!).
- Initial: Bestenfalls einmalige i.v. Gabe eines Cephalosporins mit langer Halbwertszeit (bspw. Ceftriaxon ) [3], anschließend: Cefpodoxim p.o.
- Oder ggf. Cefpodoxim als orale Monotherapie
Cephalosporine sollten aufgrund der besseren Bioverfügbarkeit initial einmalig i.v. verabreicht werden!
Schwer verlaufende unkomplizierte Pyelonephritis [2] [1]
- 1. Wahl: Cephalosporine der 3. Generation (i.v.) oder Fluorchinolone (i.v.)
- Cephalosporine
- Fluorchinolone [3]
- Anwendungsbeschränkungen beachten: Einsatz nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung und Aufklärung
- Siehe auch: Rote-Hand-Briefe zu Fluorchinolonen
- Lokale Resistenzsituation beachten
- Ciprofloxacin
- Levofloxacin
- Anwendungsbeschränkungen beachten: Einsatz nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung und Aufklärung
- Alternativ, u.a.
- (Acyl‑)Aminopenicilline mit β-Lactamase-Inhibitoren: Bspw. Piperacillin/Tazobactam
- Aminoglykoside: Bspw. Gentamicin , ggf. kombiniert mit einem β-Lactam-Antibiotikum
Bei schweren Verläufen einer unkomplizierten Pyelonephritis sollte eine stationäre Aufnahme mit i.v. Therapie erfolgen!
Therapie komplizierter Harnwegsinfektionen
- Allgemeine Überlegungen
- Individuelles Vorgehen erforderlich
- Höhere Wahrscheinlichkeit von Therapieversagen: Herangehensweise muss gegenüber unkomplizierten Infekten angepasst werden
-
Antibiotische Therapie notwendig
- Lokale Resistenzlage sollte beachtet werden
- Mikrobiologische Diagnostik zur Erregeridentifizierung und Resistenzbestimmung vor Beginn der Therapie empfohlen
- Bei hospitalisierten Patient:innen i.v. Therapie, nach klinischer Besserung Umstieg auf orale Therapie (Sequenztherapie)
- Längere Therapiedauer, i.d.R. 7–14 Tage
- Mitbehandlung der komplizierenden Faktoren, wenn möglich
- Empirische Initialtherapie
- Rein orale Therapie: Nur Fluorchinolone geeignet
- Voraussetzungen
- Lokale Resistenzlage passend
- Letzte Gabe von Fluorchinolonen liegt mind. 6 Monate zurück
- Kein schwerer Verlauf
- Indikationen
- Allergie gegen β-Lactam-Antibiotika
- i.v. Therapie nicht gut durchführbar oder nicht notwendig
- Wirkstoffe
- Voraussetzungen
- Intravenöse Therapie: Allgemeingültige Empfehlungen schwierig
- Indikationen
- Vorhandensein systemischer Infektzeichen
- Schwerer Verlauf
- Beispiele möglicher Therapieoptionen
- Aminoglykosid kombiniert mit β-Lactam-Antibiotikum: Gentamicin und Ampicillin
- Aminoglykosid kombiniert mit Cephalosporin der 2. Generation: Gentamicin und Cefuroxim
- Monotherapie mit Cephalosporin der 3. Generation: Ceftriaxon
- Bei hoher Wahrscheinlichkeit multiresistenter Erreger (bspw. ESBL) ggf. auch angepasste Initialtherapie mit Carbapenemen, Acylaminopenicillinen oder anderen Reservesubstanzen
- Indikationen
- Rein orale Therapie: Nur Fluorchinolone geeignet
- Weiteres Vorgehen
- Therapieanpassung nach Erregeridentifizierung
- Ggf. Umstellung auf orale Therapie
Komplizierte Harnwegsinfektionen erfordern ein individualisiertes Vorgehen, das meist eine i.v. antibiotische Kombinationstherapie beinhaltet!
Komplikationen
Chronifizierung
- Rezidivierende bakterielle Pyelonephritiden (Ask-Upmark-Niere infolge einer chronisch destruierenden tubulo-interstitiellen Nephritis)
- Schrumpfniere
- Terminale Niereninsuffizienz bei beidseitigem Befall, Einzelniere oder anderer Pathologie der kontralateralen Niere
Urosepsis
- Lebensbedrohliche Organdysfunktion infolge einer dysregulierten Immunantwort auf eine Harnwegsinfektion
- Siehe auch
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Besondere Patientengruppen
Pyelonephritis gravidarum (Schwangerschaftspyelonephritis)
- Ursache: Einfluss von Progesteron in der Schwangerschaft führt zu Weitstellung der Ureteren mit erleichterter Keimaszension; betroffen ist dabei v.a. die rechte Niere
- Epidemiologie: Häufigste Erkrankung im 1. Trimenon
- Ätiologie
- Bei bis zu 10% der Schwangeren findet sich eine asymptomatische Bakteriurie
- Die weiten Ureteren und der erhöhte Glucosegehalt im Urin der Schwangeren bewirken eine vereinfachte Aszension
Eine stationäre Aufnahme sollte bei Schwangeren auch bei milden Verläufen erwogen werden, um eine parenterale Therapie zu ermöglichen!
Eine frühzeitige Diagnose und Therapie sind essenziell, um Komplikationen bei Mutter und ungeborenem Kind zu reduzieren!
Besonderheiten in der Diagnostik bei Schwangeren [1] [2]
- In jedem Fall bei V.a. Pyelonephritis indiziert
- Körperliche Untersuchung
- Urinkultur (vor und nach antibiotischer Therapie)
- Blutuntersuchung (Blutbild, Retentionsparameter, CRP)
- Sonografie der Nieren und Harnwege
- Frühzeitige Diagnose und Therapie!
- Ggf. ergänzende Diagnostik: MRT statt CT
Eine asymptomatische Bakteriurie soll bei Niedrig-Risiko-Schwangerschaft i.d.R. nicht behandelt werden. Bei Risikopatientinnen ist ein Screening auf eine asymptomatische Bakteriurie und deren Behandlung ggf. sinnvoll!
Therapie der akuten unkomplizierten Pyelonephritis bei Schwangeren [1]
- 1. Wahl: Cephalosporine der 3. Generation: Cefpodoxim (siehe auch: Antibiotika in der Schwangerschaft)
- Alternativen: Nach Antibiogramm, bspw. Amoxicillin/Clavulansäure , Fluorchinolone nur nach sorgfältiger Abwägung
Die Anwendung von Fluorchinolonen und Cotrimoxazol in der Schwangerschaft ist nicht empfohlen!
Neben der parenteralen Antibiotikatherapie soll eine ausreichende Flüssigkeitsgabe erfolgen!
Nach Beendigung der antibiotischen Therapie muss die Eradikation des Erregers durch eine erneute Urinkultur bestätigt werden!
Kinder
- Unterscheidung von Pyelonephritis und Urozystitis bei kleineren Kindern und Säuglingen nicht sicher möglich
- Verlauf bei Schulkindern und Jugendlichen ähnelt dem bei Erwachsenen
- Für Details zum Vorgehen siehe: Harnwegsinfektionen im Kindesalter
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- N10: Akute tubulointerstitielle Nephritis
- Inklusive: Akut:
- Infektiöse interstitielle Nephritis
- Pyelitis
- Pyelonephritis
- Soll der Infektionserreger angegeben werden, ist eine zusätzliche Schlüsselnummer (B95–B98) zu benutzen.
- Inklusive: Akut:
- N11.-: Chronische tubulointerstitielle Nephritis
- Inklusive: Chronisch:
- Infektiöse interstitielle Nephritis
- Pyelitis
- Pyelonephritis
- Soll der Infektionserreger angegeben werden, ist eine zusätzliche Schlüsselnummer (B95–B98) zu benutzen.
- Inklusive: Chronisch:
- N11.0: Nicht-obstruktive, mit Reflux verbundene chronische Pyelonephritis
- Pyelonephritis (chronisch) in Verbindung mit Reflux (vesikoureteral)
- Exklusive: Vesikoureteraler Reflux o.n.A. (N13.7)
- N11.1: Chronische obstruktive Pyelonephritis
- N11.8: Sonstige chronische tubulointerstitielle Nephritis
- Nicht-obstruktive chronische Pyelonephritis o.n.A.
- N11.9: Chronische tubulointerstitielle Nephritis, nicht näher bezeichnet
- Chronisch:
- Interstitielle Nephritis o.n.A.
- Pyelitis o.n.A.
- Pyelonephritis o.n.A.
- Chronisch:
- N12: Tubulointerstitielle Nephritis, nicht als akut oder chronisch bezeichnet
- Inklusive: Interstitielle Nephritis o.n.A., Pyelitis o.n.A., Pyelonephritis o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.