Zusammenfassung
Rückenschmerzen sind ein sehr häufiges Beschwerdebild und insb. aufgrund der dadurch entstehenden Arbeits-/Erwerbsunfähigkeit von hoher sozioökonomischer Bedeutung. Diagnostisch stehen eine ausführliche Anamnese und fokussierte körperliche Untersuchung im Vordergrund. Dabei gilt es insb., Red Flags zu erfassen und zwischen spezifischen und unspezifischen Rückenschmerzen zu unterscheiden. Spezifische Rückenschmerzen sind durch eine nachweisbare organische Ursache gekennzeichnet und können ggf. kausal behandelt werden. Hierzu werden je nach Quelle auch funktionelle Beschwerden wie myofasziale Dysfunktionen gezählt. Bei unspezifischen Rückenschmerzen (am häufigsten) hingegen lässt sich keine sichere organische Ursache ausmachen, sodass der Therapieansatz symptomatisch ist. Hier stehen die Aufklärung und Beratung der Person im Vordergrund, unterstützend kann eine medikamentöse Therapie (i.d.R. zunächst mit NSAR) angeboten werden. Insb. bei länger bestehenden oder rezidivierenden Rückenschmerzen sollten frühzeitig psychosoziale Risikofaktoren für eine Chronifizierung beachtet und ggf. eine multimodale Therapie begonnen werden.
Epidemiologie
- Prävalenz für Rückenschmerzen
- Pro Jahr: Ca. 60% der Bevölkerung
- Chronische Rückenschmerzen: Ca. 15%
- Häufig wiederkehrend [2]
- Sozioökonomische Bedeutung
- Einer der häufigsten Gründe für Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung
- In 50% der Fälle zunächst Vorstellung in der hausärztlichen Praxis [3]
- Altersverteilung
- Ähnliche Prävalenz in den Altersgruppen bis 70 Jahre
- Mit steigendem Alter
- Zunahme der chronischen Rückenschmerzen
- Steigende Schmerzintensität
- Lokalisation: Lendenwirbelsäule > Brustwirbelsäule
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Funktionelle Anatomie
Wirbelsäule
- Aufbau und Form
- Knöcherne Wirbelsäule und Gelenke
- Bandscheibe und Bandapparat
- Beweglichkeit
Stabilisierende Muskulatur (Auswahl)
- Autochthone Rückenmuskulatur: M. erector spinae
- Aufbau
- Lateraler Trakt: Zwischen Dorn- und Querfortsätzen der Wirbel
- Medialer Trakt: Zwischen Wirbelsäule und Rippen
- Umgeben von der Fascia thoracolumbalis
- Bedeutung
- Dorsale Stabilisierung der Wirbelsäule
- Tastbar als paravertebrale Muskulatur
- Verkürzung führt zu verstärkter Lendenlordose
- Aufbau
- Bauchwandmuskulatur
- Aufbau
- Vordere Bauchwandmuskulatur, insb. M. rectus abdominis
- Hintere Bauchwandmuskulatur, insb. M. psoas major und M. quadratus lumborum
- Seitliche Bauchmuskulatur, insb. M. obliquus internus abdominis, M. obliquus externus abdominis, M. transversus abdominis
- Bedeutung
- Entlastet insb. die Lendenwirbelsäule
- Ermöglicht Rotation und Flexion der Wirbelsäule
- Aufbau
- Glutealmuskulatur
- Aufbau
- Bedeutung
- Stabilisierung des Beckens
- Wichtig für das Gleichgewicht
Einteilung
Nach Ätiologie
- Unspezifische Rückenschmerzen: Keine feststellbare somatische Ursache
- Spezifische Rückenschmerzen: Feststellbare somatische Ursache [5]
- Funktionelle Ursache: Bspw. myofasziale Dysfunktion (LWS-Blockade, ISG-Syndrom) [3][4]
- Degeneration: Bspw. Bandscheibenprolaps, Spinalkanalstenose, Facettengelenksyndrom, Osteochondrosis intervertebralis, ISG-Arthrose
- Fehlstellung: Bspw. Beinlängendifferenz, Skoliose
- Entzündung/Infektion: Bspw. ankylosierende Spondylitis, Spondylodiszitis
- Extravertebragene Ursache
- Gynäkologische Ursachen, bspw. Dysmenorrhö, Ovarialzyste, Endometriose
- Urologische Ursachen, bspw. Urolithiasis, Pyelonephritis
- Kardiovaskuläre Ursachen, bspw. Aortendissektion, -aneurysma, Myokardinfarkt
- Neurologische Ursachen, bspw. Herpes zoster
- Abdominelle Ursachen, bspw. Pankreatitis, Cholezystitis, Malignome
- Psychosomatische und psychiatrische Erkrankungen
Nach Lokalisation
- Thorakalgie: Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule
- Lumbalgie (Kreuzschmerz): Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule
- Femoralgie: Von der Lendenwirbelsäule ausgehende Schmerzen im Innervationsgebiet des N. femoralis
- Ischialgie, Lumboischialgie: Von der Lendenwirbelsäule ausgehende Schmerzen im Innervationsgebiet des N. ischiadicus
Nach Schmerzausstrahlung
- Ohne Ausstrahlung (lokale Schmerzen)
- Pseudoradikulär
- Radikulär
Nach Dauer [4]
- Akut: <6 Wochen
- Subakut: 6–12 Wochen
- Chronisch: >12 Wochen
- Rezidivierend: Erneut auftretende Schmerzen nach mind. sechsmonatigem beschwerdefreien Intervall
Diagnostik
Ziele
- Erkennen von Red Flags bei Rückenschmerzen
- Unterscheidung zwischen unspezifischen und spezifischen Rückenschmerzen
- Erkennen von Risikofaktoren für eine Chronifizierung von Rückenschmerzen
- Vermeidung unnötiger Diagnostik ohne therapeutische Konsequenz
Basisdiagnostik
Anamnese
- Schmerzanamnese
- Beginn und Auslöser
- Charakter und Intensität
- Verlauf
- Lokalisation und ggf. Ausstrahlung
- Bewegungsabhängigkeit
- Bereits erfolgte Maßnahmen und Effekt
- Ähnliche Episoden in der Vorgeschichte
- Weitere Symptome: Insb. Sensibilitätsstörungen, Störungen von Blasen- und Mastdarmfunktion, B-Symptomatik, Gelenkschmerzen
- Vorerkrankungen: Insb. Tumorerkrankungen, Osteoporose, kardiovaskuläre Erkrankungen, Nierenfunktionseinschränkungen
- Medikamentenanamnese: Bspw. Glucocorticoide , Antikoagulanzien , Psychopharmaka, Schmerzmedikamente
- Psychosoziale Situation: Berufliche und private Belastungen, Hinweise auf Depressivität
- Allgemeine körperliche Aktivität: Körperliche Belastungen im Alltag , Sport
Bereits bei Erstkontakt sollte eine psychosoziale Anamnese erhoben werden, um Risikofaktoren für eine Chronifizierung von Rückenschmerzen frühzeitig zu erkennen!
Fokussierte körperliche Untersuchung
Untersuchung im Stehen
- Inspektion
- Allgemein- und Ernährungszustand
- Gangbild und Fehlstellung der unteren Extremität
- Deformität der Wirbelsäule: Bspw. Skoliose, ausgeprägte Kyphose oder Lordose, Tannenbaumphänomen
- Prüfung auf Beckenschiefstand und Beinlängendifferenz
- Hautveränderungen
- Palpation und Perkussion: Prüfung auf
- Klopfschmerz über der Wirbelsäule
- Druckschmerz über der paravertebralen Muskulatur
- Prüfung von Beweglichkeit und Kraft
- Fersengang und Zehengang, Einbeinstand
- Flexion, Extension, Lateralflexion und Rotation der Wirbelsäule
- Ggf. Finger-Boden-Abstand
Untersuchung im Liegen
- Orientierende neurologische Untersuchung
- Sensibilitätsprüfung der Beine
- Bestimmung der Kraftgrade nach Janda
- Ggf. Prüfung der Muskeleigenreflexe (Achillessehnenreflex, Patellarsehnenreflex)
- Prüfung der Nervendehnungszeichen, bspw.
- Untersuchung des ISG: Provokationstests bei V.a. ISG-Dysfunktion
- Untersuchung der Hüfte: Prüfung der Beweglichkeit
Bei jeder Person mit Rückenschmerzen sollte zunächst eine gründliche Anamnese und Untersuchung erfolgen, insb. um Red Flags auszuschließen! In den meisten Fällen ist keine weitere Diagnostik oder weitere fachärztliche Vorstellung erforderlich. [3]
Red Flags bei Rückenschmerzen
- Definition: Warnhinweise für spezifische Ursachen bzw. einen potenziell gefährlichen Verlauf
- Ziel: Frühzeitiges Erkennen von Erkrankungen, die eine weitere (zeitnahe) Diagnostik und/oder Therapie erfordern
- Interpretation: Jede Red Flag einzeln betrachtet wenig sensibel und spezifisch
Wichtigste Red Flags mit korrespondierender Pathologie [4] | |||
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Diagnostischer Bereich | Red Flag | Mögliche korrespondierende Pathologie | |
Anamnese |
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Medikation | |||
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Vorerkrankungen | |||
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Befund |
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Insb. bei schweren neurologischen Symptomen und ausgeprägter B-Symptomatik ist die Einleitung einer sofortigen Diagnostik und Therapie notwendig!
Die wichtigsten Red Flags kann man sich mit der Abkürzung TUNAFISH merken: „Trauma“, „Unexplained Weight Loss“, „Neurological Symptoms“, „Age“, „Fever“, „i.v. Drug Use“, „Steroid Use“, „History of Cancer“!
Risikofaktoren für eine Chronifizierung von Rückenschmerzen
- Psychosoziale Faktoren bereits bei Erstkontakt mitbeachten
- Bei ausbleibender Besserung unter Therapie frühzeitig Risikofaktoren für eine Chronifizierung erheben → Ggf. multimodale Therapie bei Rückenschmerzen planen
- Standardisierte Erfassung mit Screeninginstrumenten empfohlen [4]
Risikofaktoren für eine Chronifizierung von Rückenschmerzen [4] | |
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Arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren |
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Weitere Risikofaktoren |
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Auch die behandelnde Person kann eine Chronifizierung durch die Förderung unimodaler, passiver Therapiekonzepte, einen übertriebenen Einsatz diagnostischer Maßnahmen oder unbegründet lange Krankschreibungen begünstigen!
Erweiterte Diagnostik
Indikation [5]
- Vorliegen von Red Flags bei Rückenschmerzen
- Therapieresistente Rückenschmerzen
- Verdacht auf spezifische Ursache, insb. wenn therapeutische Konsequenz aus Befund zu erwarten ist
Labor
- Indikation: Bei V.a. infektiöse oder entzündliche Ursache
- Parameter: Kleines Blutbild, CRP
Bildgebung
- Konventionelle Röntgenaufnahmen
- Typische Indikation: Bei V.a. Wirbelkörperfraktur oder maligne Knochentumoren, entzündliche oder degenerative Veränderungen
- Durchführung: Betroffener Wirbelsäulenabschnitt in 2 Ebenen
- MRT
- Typische Indikation: Bei V.a. Bandscheibenprolaps, entzündliche Veränderungen, maligne Knochentumoren
- Durchführung: I.d.R. nativ
- CT
- Typische Indikation: Bei V.a. Spinalkanalstenose oder Spondylolisthesis, zur erweiterten Diagnostik bei V.a. Wirbelkörperfraktur oder Knochentumoren
- Durchführung: I.d.R. nativ
Klinik und Bildgebung müssen eng miteinander korrelieren! Ein bildmorphologischer Befund ohne passende Symptomatik reicht nicht zur Diagnosestellung aus!
Oftmals hat die Bildgebung bei unspezifischen Rückenbeschwerden nur einen geringen Nutzen, da sich aus den Ergebnissen selten therapeutische Konsequenzen ergeben!
Therapie
Allgemeines
- Ziele [4]
- Schmerzreduktion
- Frühzeitige Wiederaufnahme der Alltagsaktivitäten
- Verhinderung einer Chronifizierung
- Vorgehen [4]
- Therapiebeginn: Symptomatische Therapie
- Nicht-medikamentöse Therapie von Rückenschmerzen, insb. Aufklärung und Beratung
- Ggf. medikamentöse Therapie von Rückenschmerzen
- Ggf. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen
- Reevaluation nach 2–4 Wochen: Bei persistierenden Beschwerden
- Überprüfung der Diagnose
- Bei Risikofaktoren für eine Chronifizierung von Rückenschmerzen: Ggf. frühzeitig multimodale Therapie in Betracht ziehen
- Ggf. Intensivierung der Therapie
- Bei Dauer >4 Wochen: Strukturiertes Erfassen von Risikofaktoren für eine Chronifizierung von Rückenschmerzen
- Keine psychosozialen Risikofaktoren: Intensivierung der Therapie
- Psychosoziale Risikofaktoren: Intensivierung der Therapie und Bewegungstherapie nach verhaltenstherapeutischen Prinzipien
- Bei Dauer >12 Wochen: Immer multidisziplinäres Assessment für multimodalen Therapieansatz
- Intensivierte Therapie
- Multimodale Schmerztherapie
- Rehabilitation
- Therapiebeginn: Symptomatische Therapie
Nicht-medikamentöse Therapie von Rückenschmerzen
- Aufklärung und Beratung
- Rückenschmerzen häufig und meist selbstlimitierender Verlauf
- Häufig kein organischer „Schaden“ vorliegend, Bildgebung daher i.d.R. nicht zielführend
- Nicht-medikamentöse und medikamentöse Maßnahmen, insb. keine körperliche Schonung
- Wichtigste Maßnahme
- Aufnahme bzw. Aufrechterhaltung der körperlichen Aktivität
- Ggf. Bewegungstherapie
- Akute Rückenschmerzen: Ggf. sinnvoll zur Reduktion von ängstlichem Vermeidungsverhalten
- Subakut und chronisch: Immer empfohlen (Schmerzreduktion, verbesserte Funktion)
- Ggf. einfaches Eigenübungsprogramm/Funktionstraining anbieten [7][8]
- Zusätzlich mögliche Maßnahmen
- Manuelle Therapie und ggf. Physiotherapie
- Wärmetherapie: Wärmflasche, Fango-Packung, Capsaicinpflaster/-cremes
- Entspannungsmaßnahmen: Bspw. progressive Muskelrelaxation
- Akupunktur
- Rehasport bzw. Funktionstraining
- Rückenschule
- Insb. bei Risikofaktoren für eine Chronifizierung: Kognitive Verhaltenstherapie
Akute unkomplizierte Rückenschmerzen sind häufig selbstlimitierend! [4]
Übersicht über nicht-medikamentöse Therapiemaßnahmen bei unspezifischen Kreuzschmerzen
Empfehlungen der NVL zu nicht-medikamentösen Therapiemaßnahmen bei unspezifischen Rückenschmerzen [4] | ||
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Behandlungsoption | Akuter Kreuzschmerz | Chronischer Kreuzschmerz |
Ggf. empfohlene Maßnahmen | ||
Bewegungstherapie |
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Verhaltenstherapie |
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Progressive Muskelrelaxation |
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Manuelle Therapie |
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Massage |
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Ergotherapie |
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Thermotherapie (Wärme-/Kältetherapie) |
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Akupunktur |
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Rückenschule (biopsychologischer Ansatz) |
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Nicht-empfohlene Maßnahmen | ||
Bettruhe |
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Kinesio-Taping, Orthesen |
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Traktion |
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Interferenzstromtherapie, Kurzwellendiathermie, Lasertherapie, Magnetfeldtherapie |
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Perkutane elektrische Nervenstimulation (PENS) |
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Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) |
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Therapeutischer Ultraschall |
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↑↑ = starke Empfehlung, ↑ = empfohlen ↔︎ = offene Empfehlung ↓ = nicht empfohlen, ↓↓ = starke Nicht-Empfehlung k.A. = keine Angabe |
Medikamentöse Therapie von Rückenschmerzen [4][6][9][10]
- Ziel: Schmerzreduktion, insb. zur raschen Wiederaufnahme von Bewegungen bzw. zur Ermöglichung von Bewegungstherapie
- Grundsätze
- Medikamente immer nur unterstützend zu weiteren Therapiemaßnahmen
- Festlegung eines Therapieziels
- Niedrigst wirksame Dosis verwenden, stufenweise aufdosieren
- Bei fehlender Wirkung oder relevanten Nebenwirkungen Medikation konsequent beenden
- Bei akuten Rückenschmerzen zügiges Absetzen nach Besserung der Symptomatik
- Auswahl der Medikation nach individuellen Faktoren
- Empfohlenes Vorgehen
- Zunächst immer Versuch mit Nicht-Opioid-Analgetika
- Bei ausbleibender Wirkung oder Kontraindikationen ggf. zusätzliche Therapie mit Opioid-Analgetika
- Regelmäßige Überprüfung von Wirksamkeit und möglichen Nebenwirkungen
Die medikamentöse Schmerztherapie zeigt insb. bei chronischen Rückenschmerzen nur eine mäßige Wirksamkeit! Daher sollte immer eine gründliche Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen!
Nicht-Opioid-Analgetika
- 1. Wahl
- Alternativen
- Metamizol
- Diclofenac retardiert
- Selektive COX2-Hemmer, bspw. Celecoxib
- In Einzelfällen einzusetzen: Paracetamol
Bei Risikofaktoren für gastrointestinale Komplikationen: Zusätzliche Gabe von Protonenpumpeninhibitoren wie bspw. Pantoprazol oder Omeprazol
Opioid-Analgetika [4][11]
- Wirkstoffe, bspw.
- Tramadol retardiert
- Oxycodon-Naloxon-Kombinationspräparate retardiert
- Tilidin-Naloxon-Kombinationspräparate retardiert
- Durchführung
- Darreichungsform: I.d.R. oral
- Begrenzung der Therapiedauer: 12 Wochen
- Umgang mit Nebenwirkungen
- Ggf. prophylaktisch stuhlregulierende Maßnahmen beginnen
- Bei opioidinduzierter Übelkeit: Dimenhydrinat oder Ondansetron (Off-Label Use)
- Regelmäßige Evaluation von Wirkung und Nebenwirkungen
- Akuter Rückenschmerz: Spätestens nach 4 Wochen
- Chronischer Rückenschmerz: Spätestens nach 3 Monaten
Opioid-Analgetika sollten in der Therapie unkomplizierter Rückenschmerzen nur äußerst zurückhaltend eingesetzt werden!
Weitere Substanzen
- Muskelrelaxanzien: Bspw. Methocarbamol (keine Benzodiazepine!) [12]
- Cannabinoide: Bspw. Dronabinol bei chronischen Schmerzen, Evidenz gering [13]
- Keine Empfehlung
Multimodale Behandlungsprogramme bei chronischen Rückenschmerzen
- Definition: Programme, die verschiedene, aufeinander abgestimmte edukative, somatische, psychotherapeutische, soziale und berufsbezogene Anteile haben
- Ziel: Über eine multidisziplinäre, biopsychosoziale Therapie die Funktionsfähigkeit wiederherstellen
- Voraussetzungen zur Teilnahme: Insb.
- Vorheriger Ausschluss von Red Flags bei Rückenschmerzen und spezifisch zu therapierenden Ursachen von Rückenschmerzen
- Ausreichendes sprachliches und inhaltliches Verständnis der Programminhalte
- Motivation zur Verhaltensänderung
- Idealerweise kein laufendes Erwerbsminderungsrentenverfahren
- Bestandteile
- Schmerzmedizinische Behandlung
- Nicht-medikamentöse Therapie von Rückenschmerzen
- Medikamentöse Therapie von Rückenschmerzen
- Ggf. Antidepressiva: Bspw. bei begleitender depressiver Symptomatik oder Schlafstörungen
- Information und Schulung auf Basis eines biopsychosozialen Krankheitsmodells
- Bewegungstherapie
-
Psychotherapeutische Verfahren, bspw.
- Körperwahrnehmungstraining
- Schmerz-psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen
- Stärkung der eigenen Ressourcen im Umgang mit Schmerz und Beeinträchtigung, Steigerung der Kontrollfähigkeit und Selbstwirksamkeit, Verbesserung der Bewältigungsstrategien
- Erlernen von Entspannungs- und Stressbewältigungstechniken
- Störungsorientierte Einzeltherapie
- Miteinbeziehen von relevanten Komorbiditäten in das Therapiekonzept.
- Schmerzmedizinische Behandlung
- Durchführung
- Im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie oder einer multimodalen Behandlung im rehabilitativen Versorgungsbereich
- Ambulant, teilstationär oder stationär
- Effekt: In Studien bessere Wirksamkeit als herkömmliche Therapien bezogen auf Schmerzintensität und Funktionsfähigkeit
Differenzialdiagnosen
Wirbelsäulen-spezifische Ursachen für spezifische Rückenschmerzen
Wirbelsäulen-spezifische Ursachen für spezifische Rückenschmerzen | |||
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Erkrankung | Diagnostische Hinweise | Weiterführende Diagnostik | |
Degenerativ | Bandscheibenprolaps |
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Wirbelkörperfraktur |
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Degenerative Spinalkanalstenose |
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Spondylolyse und Spondylolisthesis |
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Lumbales Facettengelenkssyndrom |
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Morbus Baastrup |
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Entzündlich/Infektiös |
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Spondylitis und Spondylodiszitis |
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Spinaler Abszess |
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Maligne Erkrankungen | Tumor/Metastase |
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Funktionelle Ursachen | Myofasziale Dysfunktion |
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Hypomobile segmentale Dysfunktion der LWS |
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Extravertebragene Ursachen für spezifische Rückenschmerzen
Extravertebragene Erkrankungen mit Schmerzfortleitung in den Rücken | |||
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Erkrankung | Diagnostische Hinweise | Weiterführende Diagnostik | |
Gynäkologische Ursachen |
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Urologische Ursachen |
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Weitere abdominelle Ursachen |
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Kardiovaskuläre Ursachen |
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Neurologische/Dermatologische Ursachen |
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Funktionelle Ursachen spezifischer Rückenschmerzen
Myofasziale Dysfunktion [5]
Allgemeines
- Definition: Störung einer myofaszialen Funktionseinheit, die mit Schmerzen und/oder Bewegungsstörung verbunden ist
- Pathogenese
- Fehlbelastung des Bewegungssystems → Veränderungen motorischer Muster von Bewegung und Haltung → Dysfunktion von
- Muskulatur: Entstehung von Triggerpunkten, reflektorische Hemmung
- Faszie: Spannungsveränderungen, Reduktion der Verschieblichkeit
- Schmerzauslösung
- Direkte (myofasziale) Nozigeneratoren, bspw. Triggerpunkt
- Indirekte Nozigeneratoren, bspw. Gelenkfunktionsstörung
- Fehlbelastung des Bewegungssystems → Veränderungen motorischer Muster von Bewegung und Haltung → Dysfunktion von
- Typische Symptomatik
- Lokale und/oder ausstrahlende Schmerzen
- Übertragene Schmerzen
- Schmerzzunahme bei Belastung
- Ggf. Parästhesie und Dysästhesie
- Bewegungs- und Funktionseinschränkung
- Diagnostik: Diagnostisches Vorgehen bei Rückenschmerzen, insb. Ausschluss von Red Flags bei Rückenschmerzen
- Fokus der körperlichen Untersuchung
- Palpation: Betroffene Muskulatur i.d.R. verhärtet und ggf. druckschmerzhaft
- Funktions-/Provokationstests: Schmerzauslösung durch Dehnung oder aktive Kontraktion des betroffenen Muskels
- Ggf. Infiltration des betroffenen Gelenks
- Fokus der körperlichen Untersuchung
- Therapieprinzipien
- Akute Schmerztherapie, siehe auch: Therapie des unspezifischen Rückenschmerzes
- Manuelle Therapie, osteopathische Behandlung
- Ggf. Akupunktur oder „Dry Needling“
- Ggf. Injektion in den Muskel bzw. Triggerpunkt
Tiefes gluteales Schmerzsyndrom (Piriformis-Syndrom) [15][16]
- Definition: Myofasziales Schmerzsyndrom im Gesäß mit Einengung des N. ischiadicus
- Typische Symptomatik
- Schmerzen im Gesäß und ggf. Ausstrahlung in den dorsalen Oberschenkel
- Schmerzzunahme beim Sitzen
- Druckschmerz bei Palpation des Muskels, ggf. Druckschmerz über der Incisura ischiadica major
- Ggf. Ischialgie oder Pudendusneuralgie
- Fokussierte Funktionstests [17]
- Freiberg-Zeichen: Rückenlage, passive max. Innenrotation des gestreckten Beines
- Beatty-Zeichen: Seitenlage auf der nicht-betroffenen Seite, Flexion der oben liegenden Hüfte und des Knies, aktive Abduktion
- Piriformis-Provokationstest: Rückenlage, passive Flexion von Hüfte und Knie, Adduktion und Innenrotation der Hüfte
- Aktiver Piriformis-Test: Seitenlage auf der nicht-betroffenen Seite, 60° Flexion der Hüfte, das oben liegende Bein ist aufgestellt, aktive Außenrotation des oben liegenden Beines gegen die Hand der untersuchenden Person
- Sitzender Piriformis-Dehnungs-Test: Im Sitzen, Extension des Kniegelenks, passive Adduktion und Innenrotation des Beines
- HCLK-Test : Rückenlage, Ferse des betroffenen Beines auf das kontralaterale Knie, passive Flexion der kontralateralen Hüfte durch die untersuchende Person
- Ersttherapie: Kombination, bspw. aus
- Dehnübungen der Hüftaußenrotatoren und Hüftextensoren [18]
- Allgemeine Stärkung der Rücken- und Rumpfmuskulatur
ISG-Dysfunktion [19][20][21]
- Definition: Schmerzen im Bereich des Iliosakralgelenks, meist durch eine Fehlfunktion des ISG verursacht
- Ursache: Veränderte Beweglichkeit des Iliosakralgelenks mit Malalignment infolge von
- Hypomobilität, bspw. durch wenig Bewegung bzw. eine sitzende Lebensweise
- Hypermobilität, bspw. während der Schwangerschaft
- Risikofaktoren bzw. auslösende Faktoren
- Ungewohnte Belastung bzw. Bewegung
- Fehlstellung , insb. in Kombination mit schwacher Bauch- bzw. Rumpfmuskulatur
- Repetitive bzw. einseitige Belastung
- Trauma
- Entzündung
- Typische Symptomatik
- Schmerzen im Bereich des ISG und insb. lumbal paravertebral sowie Projektion nach distal
- Schmerzen beim Gehen, Treppensteigen oder Sitzen
- Ggf. Beckenschiefstand oder Beinlängendifferenz
- Fokussierte Provokationstests [22]
- Thigh-Thrust-Test: Rückenlage, 90° Flexion in Hüfte und Knie, Kompression des ISG durch Druck auf das gebeugte Knie
- Gaenslen-Test : Rückenlage, max. passive Flexion von Hüfte und Knie, das kontralaterale Bein hängt über die Kante der Trage, Druck auf das gebeugte Knie
- Beckendistraktionstest: Rückenlage, Druck auf die Spina iliaca anterior superior beidseits
- Kompressionstest: Seitenlage, leicht gebeugte Hüften und Knie, Kompression beider ISG durch Druck auf das Os ilium
- Sacral-Thrust-Test: Bauchlage, Druck von dorsal mittig über dem Sacrum
- FABER-Test (Vierer-Zeichen): Rückenlage, passive Flexion, Abduktion und Außenrotation, Kompression des ISG durch Druck auf das gebeugte Knie
- Initiale spezifische Therapie: Kombination, bspw. aus
- Dehnübung der stabilisierenden Muskulatur, bspw. M. quadratus lumborum, M. psoas und der Hüftaußenrotatoren
- Allgemeine Stärkung der Rücken- und Rumpfmuskulatur
Hypomobile segmentale Dysfunktion der LWS [23]
- Definition: Gerichtete hypomobile Bewegungsstörung in einem oder mehreren Bewegungssegmenten der lumbalen Wirbelsäule
- Ursache: Komplex
- Typische Symptomatik
- Lokale und ggf. ausstrahlende Schmerzen
- Gerichteter Bewegungsschmerz
- Muskelverspannung
- Fokussierte Diagnostik: Palpation [24]
- Processus spinosus: Bauchlage, mit gestrecktem Arm übt die untersuchende Person Druck über den Hypothenar der Hand auf den Processus spinosus aus
- Paravertebrale Muskulatur: Triggerpunkte, Muskelhartspann
- Bewegung zwischen zwei Segmenten bei Flexion und Extension der Wirbelsäule
- Ersttherapie
- Am wichtigsten: Manuelle Therapie, ggf. Osteopathie
- Allgemeine Kräftigung der Rücken- und Rumpfmuskulatur
Prävention
- Regelmäßige Bewegung/sportliche Aktivität, insb. [7][8]
- Kräftigung der Rumpfmuskulatur
- Dehnübungen
- Maßnahmen am Arbeitsplatz, bspw. [25]
- Schulungen zu rückengerechtem Heben
- Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung
- Schulungen/Programme, insb. für besonders gefährdete Berufsgruppen wie bspw. Pflegekräfte [26]
Unter Tipps & Links finden sich verschiedene Übungsprogramme zur Prävention von Rückenschmerzen sowie Programme zur arbeitsbezogenen Prävention!
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Chronische Schmerzen: Wie kläre ich auf? (November 2022)
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Patienteninformationen
- Wirbelgleiten
- Rücken- und Kreuzschmerzen
- Akuter Kreuzschmerz
- Chronische Kreuzschmerzen
- Bewegung bei Kreuzschmerzen
- Bildgebung bei Kreuzschmerzen
- Facettensyndrom
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- M54.-: Rückenschmerzen
- 54.5: Kreuzschmerz
- 54.6: Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule
- Exklusive: Schmerzen durch Bandscheibenschaden
- 54.90: Rückenschmerzen, nicht näher bezeichnet: Mehrere Lokalisationen der Wirbelsäule
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.