Zusammenfassung
Das Vaginalkarzinom ist eine seltene Erkrankung und präsentiert sich vorwiegend in der zweiten Lebenshälfte. Risikofaktoren sind u.a. eine HPV-Infektion, Z.n. Zervix- oder Vulvakarzinom und ein Lichen sclerosus. Klinische Zeichen eines Vaginalkarzinoms sind vaginale Blutungen, fleischwasserfarbener Fluor und in späteren Stadien Druckgefühl und Dysurie. Die Diagnosestellung erfolgt histologisch über eine Gewebeprobe aus dem auffälligen Areal. Die Einteilung des Vaginalkarzinoms erfolgt anhand der FIGO- und TNM-Klassifikation und richtet sich nach Infiltrationstiefe und Miteinbeziehung anliegender Organe. In der Therapie des Stadium I stehen operative Verfahren (lokale radikale Exzision, radikale Kolpektomie, Hysterektomie) im Vordergrund, während in fortgeschrittenen Stadien eine Radio-/Chemotherapie eingesetzt wird. Die Prognose ist insg. schlecht.
Epidemiologie
- Inzidenz: Insg. selten [1][2]
- 0,4–1,2/100.000 Frauen
- Alter: Meist ältere Frauen (>50% der Fälle ≥70. Lebensjahr) [3]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Risikofaktoren [1][4]
- Infektion mit HPV, insb. High-Risk-Typen 16 und 18
- Wechselnde Geschlechtspartner:innen
- Früher erster Geschlechtsverkehr
- (Z.n.) Zervixkarzinom, Vulvakarzinom oder CIN, VIN
- Lichen sclerosus
- Tabakrauchen
- Z.n. Radiatio im Beckenbereich
- Langzeitanwendung von Vaginalpessaren [3]
Präkanzerose: Vaginale intraepitheliale Neoplasie (VaIN)
- Inzidenz: 0,2–0,3/100.000 Frauen
Klassifikation der vaginalen intraepithelialen Neoplasie (VaIN) [3] | ||||||
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WHO/ISSVD 2014 (neu) | ||||||
WHO 2003 (alt) |
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Beschreibung |
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Status Präkanzerose |
- Progressionsrate: 2–5%
- Therapie: Biopsie zum Ausschluss eines invasiven Karzinoms, danach operative Entfernung (individuelle Entscheidung , Kombinationen möglich)
- Therapie nach Stadium
- LSIL: Beobachtung, in Ausnahmefällen
- Laservaporisation/lokale Exzision oder
- Imiquimod lokal oder 5-FU (Off-Label Use)
- HSIL (je nach Lokalisation und Stadium)
- Laservaporisation oder lokale Exzision
- Skinning-Kolpektomie
- Laser Skinning Excision
- Partielle/totale Kolpektomie
- Radiatio
- LSIL: Beobachtung, in Ausnahmefällen
- Methoden (operative Entfernung)
- Erstdiagnose: Laservaporisation
-
Rezidiv/invasives Karzinom: Lokale Exzision (Laser, Skalpell oder Elektroschlinge)
- Siehe auch: Therapie bei Vaginalkarzinom
- Therapie nach Stadium
- Nachsorge: Regelmäßige Kontrollen (lebenslang) aufgrund hoher Rezidivraten
Pathologie
Vaginalmetastasen von anderen Tumoren (Zervixkarzinom, Vulvakarzinom, Endometriumkarzinom, Rektumkarzinom) sind weitaus häufiger als primäre Vaginalkarzinome!
- Histologie des primären Vaginalkarzinoms [3]
- >95% Plattenepithelkarzinome
- <5% Adenokarzinome
- <1% Maligne Melanome
- Extrem selten: Adenoide Basalzellkarzinome, neuroendokrine Karzinome
- Lokalisation: Meistens im hinteren oberen Drittel der Vagina
- Histopathologischer Befundbericht
Klassifikation
- Bei Infiltration der Portio: Wertung als Zervixkarzinom [4]
- Bei Infiltration der Vulva: Wertung als Vulvakarzinom
Klassifikation des Vaginalkarzinoms [3] | ||
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TNM-Klassifikation | FIGO-Stadium | Beschreibung |
T0 | — |
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Tis | — |
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T1: Tumor ist auf Vagina begrenzt | ||
T1a | I | |
T1b | ||
T2: Tumor infiltriert paravaginales Gewebe | ||
T2a | II | |
T2b | ||
T3: Tumor erreicht die Beckenwand | ||
T1–T3, N1 | III |
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T3, N0, M0 |
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T4: Tumor infiltriert andere Organe | ||
T4 | IVA | |
Fernmetastasen | ||
M1 (jedes T und N) | IVB |
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Symptomatik
- Unspezifische Symptome [1]
- In späteren Stadien
- Druckgefühl
- Dysurie, erschwertes Wasserlassen, Dyspareunie
- Stuhlunregelmäßigkeiten
- Ggf. blumenkohlartiger Tumor
Diagnostik
Die Diagnosestellung erfolgt klinisch, zytologisch und kolposkopisch inkl. histopathologischer Untersuchung aller suspekten Läsionen.
Erstdiagnostik des Vaginalkarzinoms [1][3][4]
- Gynäkologische Anamnese, insb. mit Erstellung eines Risikoprofils
- Gynäkologische Untersuchung, inkl.
- Inspektion der gesamten Anogenitalregion (mögliche Multizentrizität beachten!) [2]
- Spekulumeinstellung mit Pap-Abstrich, ggf. HPV-Test
- Rektovaginale bimanuelle gynäkologische Tastuntersuchung
-
Differenzialkolposkopie mit Vulvoskopie und
- Essigsäureprobe und Schiller-Iod-Probe
- Histologische Probeentnahme aller auffälligen Stellen
Staginguntersuchungen bei gesichertem Vaginalkarzinom
- Bei allen Tumoren
- Gynäkologische Untersuchung mit Inspektion der gesamten Anogenitalregion
- Genaue Bestimmung von Lokalisation, Ausdehnung, Größe und Infiltrationstiefe des Tumors mittels Differenzialkolposkopie und histologischer Probeentnahme (siehe auch: Pathologie des Vaginalkarzinoms)
- Beurteilung der Nachbarorgane mittels TVUS und gynäkologischer Tastuntersuchung
- Zystoskopie, Rektoskopie (ggf. mit Analsonografie)
- Sonografie der Leisten, ggf. Aspirationszytologie
- Bei Tumoren ab FIGO II zusätzlich
- Vor Exenteration: PET-CT zum sicheren Ausschluss von Fernmetastasen
Da die Diagnose histopathologisch gestellt wird, sollten alle suspekten Läsionen einer histopathologischen Untersuchung unterzogen werden!
Therapie
Jede Patientin mit Vaginalkarzinom muss in einer interdisziplinären Tumorkonferenz vorgestellt und in einem zertifizierten Zentrum therapiert werden. [3]
Therapie des Primärtumors [1][2][4]
FIGO I
Bei unwahrscheinlicher R0-Resektion sollte eine primäre Radio(chemo)therapie erfolgen. [3]
- Kleine Tumoren: Radikale lokale Exzision
- Große Tumoren: Partielle oder komplette Kolpektomie und ggf. radikale Hysterektomie (insb. bei Tumoren im oberen Vaginaldrittel)
FIGO II–IV
- Primäre Radio(chemo)therapie [3]
- Radiotherapie: Brachytherapie, ggf. in Kombination mit perkutaner Therapie
- Entscheidend: Ausreichende Strahlendosis
- Chemotherapie: Cisplatin ± 5-Fluoruracil oder Mitomycin ± 5-Fluoruracil
- Radiotherapie: Brachytherapie, ggf. in Kombination mit perkutaner Therapie
- Operative Therapie bei
- Strahlenresistentem Tumor (bspw. Sarkom oder Melanom)
- Möglicher R0-Resektion
- Zusätzlich adjuvante Radio(chemo)therapie bei
- R1/R2-Resektion des Primärtumors
- Inguinalen Lymphknotenmetastasen
- Pelvinen Metastasen beidseits
- Vordere/hintere Exenteration: Einzelfallentscheidung in Stadium IV, bspw. bei massiver Ausbreitung in andere Organe
Lymphknotendiagnostik und -therapie
Es wird angenommen, dass das Risiko für eine lympathische Metastasierung ab einer Infiltrationstiefe >1 mm ansteigt (analog zum Vulvakarzinom). Die sichere Zuordnung der Lymphabflussrichtung in Bezug zum Sitz des Primärtumors ist aufgrund der ausgeprägten lymphatischen Anastomosen in dem Bereich nicht möglich!
- Operative Therapie: Indikationen [3]
- Methoden
- Sentinel-Lymphonodektomie [3]
- Systematische Lymphonodektomie (inguinal und/oder pelvin, anorektal und ggf. paraaortal) [3]
- Debulking (selektive Entfernung vergrößerter Lymphknoten) [3]
- Alternative: Primäre Radio(chemo)therapie [3]
Nachsorge
- Analog zur Nachsorge des Vulvakarzinoms
Rezidive [3]
- Prävalenz: 90% der Rezidive treten in den ersten fünf Jahren nach der Primärerkrankung auf
- Ca. 25% lokales/lokoregionäres Rezidiv
- Diagnostik: Erneute Diagnostik beim Vaginalkarzinom
- Therapie: Individuelle Entscheidung in interdisziplinärer Tumorkonferenz
- Operative Therapie
- Radiotherapie
- Radio(chemo)therapie
- Palliative und supportive Therapie
Prognose
Prävention
- Primärprävention [3]
- HPV-Impfung
- Abstinenz vom Tabakrauchen
- Verwendung von Barrieretüchern und Kondomen (jedoch lediglich Reduktion der Infektionsrate)
- Sekundärprävention: Zervixkarzinom-Früherkennung (Pap-Abstrich), bzw. Ko-Test (ab 35 Jahren) [3]
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- C52: Bösartige Neubildung der Vagina
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.