Zusammenfassung
Neuroendokrine Neoplasien (NEN) sind eine heterogene Gruppe von Neoplasien, deren Zellen sich aus dem Neuroektoderm ableiten. In etwa der Hälfte der Fälle sind die Zellen funktionell aktiv, d.h. sie sezernieren Hormone oder hormonartige Botenstoffe. NEN können grundsätzlich im gesamten Körper auftreten, sie kommen jedoch hauptsächlich im gastroenteropankreatischen (GEP) System vor. Die genaue Ätiologie ist nicht bekannt, das Auftreten erfolgt meist sporadisch. Funktionell nicht-aktive NEN sind häufig asymptomatisch, während funktionell aktive NEN eine Vielzahl unspezifischer gastrointestinaler, metabolischer und autonomer Symptome verursachen können. Ein klassisches Beispiel dafür ist das Karzinoid-Syndrom, welches typischerweise mit Durchfall, abdominellen Krämpfen sowie einer Flush-Symptomatik einhergeht. Die initiale Diagnostik bei klinischem Verdacht auf eine neuroendokrine Neoplasie stützt sich zunächst auf bildgebende Verfahren zur Lokalisierung und, sofern möglich, Gewinnung von Gewebeproben für die histologische Diagnosesicherung. Daneben werden in der Labordiagnostik insb. zur Verlaufskontrolle Chromogranin A sowie ggf. verschiedene weitere Marker bestimmt. Im Rahmen der bildgebenden Verfahren eignet sich dazu insb. die Bestimmung der Somatostatinrezeptor-Dichte per PET-CT. Die einzig kurative Therapie besteht in der R0-Resektion des Primarius, ggf. inkl. aller seiner Metastasen, was leider oft nicht mehr möglich ist. Zur symptomatischen bzw. antiproliferativen Therapie werden u.a. Somatostatin-Analoga, Interferon-α und Chemotherapeutika eingesetzt. Darüber hinaus stehen interventionell-radiologische und nuklearmedizinische Verfahren zur Verfügung. Insg. ist die Überlebensrate in den letzten Jahren gestiegen, es wurden 5-Jahres-Überlebensraten von bis zu 80% verzeichnet.
Dieses Kapitel behandelt die neuroendokrinen Neoplasien des gastroenteropankreatischen Systems (GEP-NEN). Die in der Lunge auftretenden neuroendokrinen Neoplasien werden im Rahmen des kleinzelligen Lungenkarzinoms besprochen.
Du möchtest diesen Artikel lieber hören als lesen? Wir haben ihn für dich im Rahmen unserer studentischen AMBOSS-Audio-Reihe vertont. Den Link findest du am Kapitelende in der Sektion “Tipps & Links".
DGVS-Leitlinie in AMBOSS
Definition
Die Terminologie bzgl. neuroendokriner Neoplasien hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder stark verändert und entsprechende Diskussionen um eine Vereinheitlichung dauern nach wie vor an. Die hier genannten Definitionen bilden den Stand des WHO-Vorschlags von 2017 ab. [1][2]
- Neuroendokrine Neoplasien (NEN): Heterogene, potenziell maligne Gruppe von Tumoren, die von neuroendokrinen Zellen ausgehen und in allen Organen vorkommen können.
- Funktionelle (aktive) NEN: Setzen Hormone bzw. hormonähnliche Stoffe oder Neurotransmitter frei und können dadurch spezifische klinische Symptome verursachen
- Nicht-funktionelle (inaktive) NEN: Setzen keine Hormone bzw. hormonähnliche Stoffe oder Neurotransmitter frei. Klinisch werden sie v.a. durch zunehmende Raumforderungen , Perforationen oder Blutungen apparent.
- Neuroendokriner Tumor (NET): NEN mit insg. (noch) guter Gewebsdifferenzierung
- Neuroendokrines Karzinom (NEC): NEN mit insg. schlechter Gewebsdifferenzierung
- Veraltet: Karzinoid
Obwohl NET und NEC unter dem Überbegriff „neuroendokrine Neoplasie“ (NEN) zusammengefasst werden, handelt es sich um biologisch separate Entitäten!
Übersicht neuroendokriner Neoplasien
Gastroenteropankreatische neuroendokrine Neoplasien (GEP-NEN) [3][4]
- Häufigkeit: Etwa 70% aller NEN
- Entitäten (Auswahl) [5]
Beispiele weiterer neuroendokriner Neoplasien
- NEN der Lunge: Etwa 25% aller NEN (siehe auch Kleinzelliges Lungenkarzinom)
- Phäochromozytome der Nebennieren
- Paragangliome
- Medulläres Schilddrüsenkarzinom
- Hypophysenadenom
Epidemiologie
Beispiele verschiedener Inzidenzen neuroendokriner Neoplasien [3][6][7] | |
---|---|
Nach Tumor-Entität | |
NET insg. | ∼ 2–4/100.000 |
Gastrinom | ∼ 0,05–0,15/100.000 |
Insulinom | ∼ 0,1–3/100.000 |
VIPom | ∼ 0,05–0,2/100.000 |
Glucagonom | ∼ 0,01–0,1/100.000 |
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Allgemein
- Genaue Ätiologie unbekannt
- Entstehung aus Stammzellen des neuroendokrinen Systems
- Genetik [3]
- Auftreten meist sporadisch
- Genetische Assoziation mit hereditären Syndromen, z.B.
Klassifikation
Allgemein
Die Einteilung der NEN erfolgt anhand der
- Gewebsdifferenzierung (Grading): Beurteilung anhand der WHO-Klassifikation
- Ausbreitung des Tumors (Staging): Beurteilung anhand der ENETS- bzw. der AJCC/UICC-Klassifikation
Grading [8]
- Die histopathologische Untersuchung soll nach aktuellen DGVS-Leitlinien folgende Mindestangaben enthalten
- Histologische Klassifikation: Neuroendokriner Tumor (NET) oder neuroendokrines Karzinom (NEC)
- Differenzierungsgrad: Gut oder schlecht differenziert
- Proliferationsbasiertes Grading mit Angabe des Ki67-Index : Quantifizierung der proliferativen Aktivität
- Details zu den genannten histopathologischen Kriterien werden unter Histopathologisches Grading einer NEN dargestellt
WHO-Klassifikation GEP-NEN (2017) [1][2][9][10]
Typ | Differenzierung | Grad | Ki67-Index | Mitoserate | |
---|---|---|---|---|---|
Neuroendokriner Tumor (NET) | Gut differenziert | G1 | <3% | ≤2 pro 10 HPF | |
G2 | 3–20% | 2–20 pro 10 HPF | |||
G3 | >20% | >20 pro 10 HPF | |||
Schlecht differenziert | G3 | kleinzellig | >20% | >20 pro 10 HPF | |
großzellig | |||||
Gemischte neuroendokrine/nicht neuroendokrine Neoplasie („mixed neuroendocrine-nonneuroendocrine neoplasm“, MiNEN) | |||||
Hyperplastische und präneoplastische Läsion |
Staging
Die TNM-Klassifikation und die Stadieneinteilung gelten für gut differenzierte NET des Gastrointestinaltraktes sowie des Pankreas. Schlecht differenzierte NEC werden entsprechend den Kriterien für Karzinome der jeweiligen Lokalisation klassifiziert. [11]
TNM-Klassifikation der ENETS [12] [10] [13]
Ausdehnung | |
---|---|
Magen | |
Tx | Primärtumor nicht beurteilbar |
T0 | Primärtumor nicht nachweisbar |
Tis | In-situ-Tumor/Dysplasie (Durchmesser <0,5 mm) |
T1 | Invasion von Lamina propria oder Submukosa und Durchmesser <1 cm |
T2 | Invasion der Muscularis propria oder Subserosa oder Durchmesser >1 cm |
T3 | Durchbruch der Serosa |
T4 | Invasion von benachbarten Organen |
Pankreas | |
Tx | Primärtumor nicht beurteilbar |
T0 | Primärtumor nicht nachweisbar |
T1 | beschränkt auf das Pankreas, Größe <2 cm |
T2 | beschränkt auf das Pankreas, Größe 2–4 cm |
T3 | beschränkt auf das Pankreas, Größe >4 cm oder mit Invasion von Duodenum oder Gallengang |
T4 | Infiltration großer Gefäße (Truncus coeliacus oder Mesenterica superior) oder eines der folgenden Organe: Magen, Milz, Kolon, Nebenniere |
Duodenum | |
Tx | Primärtumor nicht beurteilbar |
T0 | Primärtumor nicht nachweisbar |
T1 | Invasion von Mukosa oder Submukosa und Durchmesser <1 cm |
T2 | Invasion der Muscularis propria oder Durchmesser >1 cm |
T3 | Invasion von Pankreas, Retroperitoneum oder Subserosa |
T4 | Invasion von Peritoneum oder anderen Organen |
Ileum | |
Tx | Primärtumor nicht beurteilbar |
T0 | Primärtumor nicht nachweisbar |
T1 | Invasion von Mukosa oder Submukosa und Durchmesser ≤1 cm |
T2 | Invasion der Muscularis propria oder Durchmesser >1 cm |
T3 | Invasion von Subserosa |
T4 | Invasion von Peritoneum oder umgebender Organe |
Appendix | |
Tx | Primärtumor nicht beurteilbar |
T0 | Primärtumor nicht nachweisbar |
T1 | Durchmesser <1 cm, Invasion von Submukosa oder Muscularis propria |
T2 | Durchmesser <2 cm, Invasion von Submukosa oder Muscularis propria und/oder minimale (<3 mm) Invasion der Subserosa/Mesoappendix |
T3 | Durchmesser >2 cm und/oder ausgedehnte (>3 mm) Invasion von Subserosa/Mesoappendix |
T4 | Invasion von Peritoneum oder umgebender Organe |
Kolon und Rektum | |
Tx | Primärtumor nicht beurteilbar |
T0 | Primärtumor nicht nachweisbar |
T1 | Invasion von Mukosa oder Submukosa
|
T2 | Invasion der Muscularis propria oder Durchmesser >2 cm |
T3 | Invasion von Subserosa, perikolischem oder perirektalem Fettgewebe |
T4 | Invasion umgebender Organe oder Perforation der Serosa |
Alle Lokalisationen | |
Nx | Regionäre Lymphknoten nicht beurteilbar |
N0 | Keine Lymphknotenmetastasen |
N1 | Lymphknotenmetastasen |
Fernmetastasen | |
M0 | Keine Fernmetastasen |
M1 | Fernmetastasen |
UICC-Stadien
Pathophysiologie
- Funktionell aktive Tumoren: Abnormale, absolute Steigerung der jeweiligen hormonellen Sekretion . Dies kann sowohl zu lokalen Läsionen (bspw. Ulzerationen beim Gastrinom) als auch zu systemischen Effekten (bspw. autonome und neurologische Störungen beim Insulinom) führen
- Alle Tumoren: Ggf. lokale mechanische Effekte (bspw. Verdrängung von Organen oder Leitungsbahnen durch die Tumormasse)
Die spezifischen pathophysiologischen Mechanismen und die daraus resultierenden spezifischen Symptome werden im Rahmen der einzelnen Tumor-Entitäten besprochen.
Symptomatik
Allgemein [3]
- Nicht-funktionell aktive NEN: Ca. 50% der Patienten
- Häufig asymptomatisch
- Symptome durch lokales Wachstum, bspw.:
- Stenosierung des betroffenen Darmabschnitts (z.B. unspezifische abdominelle Beschwerden bis hin zum Ileus)
- Ikterus aufgrund einer Kompression des Ductus choledochus bei einem NET der Ampulle
- Funktionelle aktive NEN: Ca. 50% der Patienten
- Häufig unspezifische Beschwerden
- Gastrointestinal
- Diarrhö
- Bauchschmerzen
- Blähungen
- Appetitlosigkeit
- Flush-Symptomatik mit Tachykardien sowie Blutdruckschwankungen
- Atemnot, ggf. Bronchospasmen
- Hypo- oder Hyperglykämien
- Gastrointestinal
- Häufig unspezifische Beschwerden
Viele der unspezifischen Symptome können auch bei anderen Erkrankungen (bspw. Reizdarm-Syndrom, Morbus Crohn, Asthma, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Ulcus ventriculi) vorkommen! Daher sollte immer eine gründliche differenzialdiagnostische Abklärung erfolgen!
Übersicht der häufigsten Leitsymptome
Sezerniertes Hormon | Leitsymptome | |
---|---|---|
(Klassisches) Karzinoid-Syndrom |
| |
Insulinom |
| |
VIPom |
| |
Glucagonom |
| |
Somatostatinom |
| |
GHRHom | ||
ACTHom |
Karzinoid-Syndrom
Karzinoid-Syndrom [3][8]
- Definition: Symptomkomplex aufgrund von Freisetzung großer Mengen von insb. Serotonin, Tachykininen, Bradykininen und Histaminen v.a. durch NEN des Dünndarms
- Epidemiologie
- Pathophysiologie: Normalerweise tritt das Karzinoid-Syndrom erst nach einer hepatischen Metastasierung auf
- Serotonin: Kontraktion der glatten Muskelzellen → Diarrhö, Koliken und Malabsorption
- Histamin und Bradykinin: Vasodilatierende Eigenschaften → Flush-Symptomatik
- Klinik
- Leitsymptome
- Weitere Symptome
- Darmwandischämie
- Abdominelle Schmerzen nach Nahrungsaufnahme
- Karzinoid-Herzerkrankung
- Labordiagnostik
- 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES) : Bestimmung im 24-h-Sammelurin
- Durchführung: Zweifachmessung empfohlen, da intraindividuelle Schwankungen der 5-HIES-Ausscheidung möglich sind
- Interpretation [14]
- Normwert: 2–9 mg/24-h-Sammelurin
- Karzinoid-Syndrom wahrscheinlich: >15 mg/24-h-Sammelurin (bzw. >78 μmol/24-h-Sammelurin)
- NT-proBNP: Bestimmung im Serum
- 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES) : Bestimmung im 24-h-Sammelurin
- Bildgebung
- Echokardiografie: Zum Ausschluss einer Karzinoid-Herzerkrankung
- CT bzw. MRT: Raffung des Mesenteriums („Desmoplastische Reaktion“ ) durch autokrine Freisetzung von Tumorprodukten
- Je nach Lokalisation ggf. weitere Diagnostik
- Therapie: Siehe Symptomkontrolle bei Hypersekretionssyndromen
Karzinoid-Herzerkrankung
- Definition: Rechtskardial betonte Endokardfibrosierung als Folge eines Karzinoid-Syndroms
- Häufigkeit: Bei ca. 40–50% der Patienten mit Karzinoid-Syndrom
- Folgen
- Klinik: Symptome der Rechtsherzinsuffizienz
Aufgrund der unspezifischen Symptomatik des Karzinoid-Syndroms wird der Hormonüberschuss häufig erst diagnostiziert, wenn der NET bereits metastasiert ist oder eine fortgeschrittene Herzinsuffizenz vorliegt!
Diagnostik
Das genaue diagnostische Vorgehen hängt zu einem gewissen Grad von der jeweiligen Tumor-Entität bzw. deren Lokalisation ab. Hier werden allgemeine Prinzipien und Vorgehensweisen beschrieben. Details und Besonderheiten hinsichtlich einzelner Entitäten und/oder Lokalisationen werden, soweit vorhanden, in den entsprechenden Detailsektionen dargestellt.
Allgemein
- Initiale Diagnostik bei V.a. neuroendokrinen Tumor
- Labordiagnostik
- Bildgebende Diagnostik
- Diagnosesicherung: Histopathologische Diagnostik von Biopsien
- Spezifischere Diagnostik: Siehe Sektionen zu den jeweiligen NEN-Entitäten
Labordiagnostik [3][8]
Generelle Tumormarker
- Chromogranin A: Wichtigster allgemeiner Tumormarker sowohl bei hormonaktiven als auch hormoninaktiven NEN
- Indikation
- Bestimmung zur Verlaufskontrolle und Therapiesteuerung bei allen histologisch gesicherten NET
- NICHT zur Diagnosestellung!
- Durchführung: Bestimmung im Serum bei Erstdiagnose und im Verlauf
- Unspezifische Chromogranin-A-Erhöhung: Bspw. durch
- Therapie mit PPI
- Durchfallerkrankungen
- Gastritis
- Helicobacter-pylori-assoziiert
- Chronisch atrophisch
- Nieren- und Herzinsuffizienz
- Indikation
- Neuronenspezifische Enolase (NSE)
Übersicht spezifischer Laborparameter
Verdachtsdiagnose | Laborparameter |
---|---|
NET des Jejunums bzw. Ileums | |
Insulinom | |
Duodenale NET | |
Glucagonom | |
GHRHom | |
Somatostatinom | |
Bei unbekanntem Primarius | |
MANEC |
Bildgebende Verfahren
- Indikation: Tumor- bzw. Metastasenlokalisation
- Verfahren
- Sonografie des Abdomens (insb. auch kontrastmittelverstärkt)
- Endosonografie: Zur Beurteilung der Eindringtiefe bei NET des Magens, Duodenums, Pankreas und Rektums
- Kontrastmittel-CT oder -MRT des Abdomens
- Indikation
- Primärdiagnostik von abdominellen NEN bzw. Metastasen
- Empfehlung: Kombination mit einer funktionellen nuklearmedizinischen Untersuchung, siehe auch Gallium68-DOTATATE-PET-CT
- Besonderheiten
- Lebermetastasen: Besser mittels MRT nachzuweisen
- Indikation
- SSR-PET-CT : Bildgebung zur Detektion von Somatostatinrezeptor-exprimierenden NET und ggf. Metastasen
- Somatostatin-Rezeptorszintigrafie („Octreotid-Scan“) : Wird zunehmend aufgrund der höheren diagnostischen Genauigkeit von der Gallium68-DOTATATE-PET-CT abgelöst
- Indikation: Zusätzlich zum CT/MRT des Abdomens, falls die Durchführung eines kombinierten Gallium68-DOTATATE-PET-CT nicht möglich ist
Histopathologische Diagnostik
- Immunhistochemische Analyse
- Nachweis von Biomarkern: Goldstandard zur Diagnosesicherung eines NET
- Für weitere Informationen siehe Histopathologische Diagnosestellung einer NEN
Pathologie
Die genaue (histo‑)pathologische Untersuchung hängt zu einem gewissen Grad von der jeweiligen Tumor-Entität bzw. deren Lokalisation ab. Hier werden allgemeine Prinzipien und Vorgehensweisen beschrieben. Details und Besonderheiten hinsichtlich einzelner Entitäten und/oder Lokalisationen werden, sofern vorhanden, in den entsprechenden Detailsektionen dargestellt.
Morphologie [15][16]
Makroskopie
- Meist submuköse Lokalisation
- Schleimhautdecke bleibt meist lange intakt
- Oft Ausbildung polypoider Läsionen
- Ausbreitung: Infiltration der Muscularis propria mit zunächst lymphogener und dann auch hämatogener Metastasierung
- Relativ feste (dichte) Läsionen mit gelblich-bräunlicher Schnittfläche
Mikroskopie
- Beurteilung der Gewebsdifferenzierung
- Gut: Monomorphe Zellen mit reichlich Zellplasma und lobulären/trabekulären soliden Anteilen
- Schlecht: Überwiegend kleinzellig
- Gewebsarchitektur: Nest-, strang- oder schichtartige Ansammlungen der Zellverbände
Histopathologische Diagnosestellung einer NEN [8]
- Entnahme der Gewebeproben: Operativ/endoskopisch oder sonografisch/CT-gesteuert
- Immunhistochemie
- Primäre neuroendokrine Marker
- Chromogranin A (CgA)
- Synaptophysin
- Optional:
- Somatostatin-Rezeptor 2A (SSTR2A): Quantifizierung der membranösen Expression
- Bestimmung spezifischer Transkriptionsfaktoren, Hormone und biogener Amine (z.B. pankreatisches Polypeptid), je nach individueller klinischer Konstellation
- Primäre neuroendokrine Marker
Die histopathologische Untersuchung ist der Goldstandard zur Diagnosesicherung bei V.a. NEN!
Histopathologisches Grading einer NEN
- Entscheidende Kriterien zur Prognose der Dignität [15]
- Proliferative Aktivität: Erfassung der Tumorzellen, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zellteilung (Proliferation) befinden durch immunhistochemische Bestimmung des Ki67-Index im Schnittpräparat [17]
- Durchmesser
- Gewebeinvasion
- Gefäßinvasion
- Beurteilung der Gewebsdifferenzierung → Siehe Abschnitt „Mikroskopie“
Funktionell nicht-aktive Tumoren können histopathologisch nicht von funktionell-aktiven Tumoren unterschieden werden!
Therapie
Das genaue therapeutische Vorgehen hängt zu einem gewissen Grad von der jeweiligen Tumor-Entität bzw. deren Lokalisation ab. Hier werden allgemeine Prinzipien und Vorgehensweisen beschrieben. Details und Besonderheiten hinsichtlich einzelner Entitäten und/oder Lokalisationen werden in den entsprechenden Detailsektionen dargestellt.
Allgemeines [8][18]
- Chirurgische bzw. endoskopische Resektion des Tumors (R0-Resektion): Einzige kurative Therapie
- Da bereits bei Diagnosestellung schon in ca. der Hälfte der Fälle diagnostizierbare Metastasen vorliegen, ist dies allerdings oft nicht mehr möglich
- Maßnahmen zur Symptomkontrolle und antiproliferativen Therapie
- Medikamente (bspw. Somatostatin-Analoga)
- Interventionell-radiologische Verfahren (insb. Radioembolisation)
- Nuklearmedizinische Verfahren (insb. PRRT)
- Chirurgisches Debulking
- Bei Patienten in fortgeschrittenem Alter und/oder mit signifikanten Komorbiditäten: In Einzelfällen kann von den sonstigen therapeutischen Empfehlungen abgewichen werden (bspw. konservative Therapie oder minimal-invasives Vorgehen statt onkologischer Resektion)
Therapeutische Entscheidungen sollten bei neuroendokrinen Tumoren/Karzinomen grundsätzlich interdisziplinär getroffen werden!
Die vollständige chirurgische bzw. endoskopische Resektion ist die einzige kurative Therapieoption bei neuroendokrinen Tumoren/Karzinomen des gastroenteropankreatischen Systems!
Chirurgische und endoskopische Therapie [8]
Endoskopische Therapie
Techniken
- Zangenbiopsie
- Schlingenresektion
-
Endoskopische Mukosaresektion (EMR)
- In konventioneller Technik
- In modifizierter Technik
- Kappentechnik (EMR-C)
- Ligaturtechnik (EMR-L)
- Endoskopische Mukosaresektion nach zirkumferentieller Inzision (EMR-CMI)
- Endoskopische Submukosadissektion (ESD)
- Neuere Verfahren
- Resektion nach Applikation eines Over-the-Scope-Clips (OTSC)
- Endoskopische Vollwandresektion (FTRD)
Chirurgische Therapie [8]
Behandlung des Primarius
- Resektion des Primarius: Kann auch bei Vorliegen von nicht-kurativ resektablen Metastasen oder zur Prophylaxe von Komplikationen (bspw. Ileus) erwogen werden
- Debulking-Operation: Kann erwogen werden, wenn der Primarius bspw. durch physikalische Eigenschaften bzw. seine anatomische Position oder durch seine Stoffwechselaktivität erhebliche Komplikationen verursacht
Vorgehen bei Metastasierung
- Bei NET G1/G2
- Lebermetastasen
- Chirurgische Resektion: Methode der Wahl
- Beurteilung der Resektabilität anhand der ENETS-TNM-Klassifikation
- Resektion aller vollständig entfernbar erscheinenden Metastasen
- Entscheidung für 1- bzw. 2-zeitiges Vorgehen: Abhängig vom klinischen Allgemeinzustand und den operationstechnischen Umständen
- Bei multifokaler Metastasierung: Bevorzugung parenchymsparender Verfahren
- Lebertransplantation: Zu erwägen bei diffuser Lebermetastasierung (Typ 3 nach ENETS) mit
- Chirurgische Resektion: Methode der Wahl
- Metastasierung in weitere Organe
- Chirurgische Resektion: Indiziert unter folgenden Bedingungen
- Erreichen von Tumorfreiheit
- Verhindern/Verminderung signifikanter Komplikationen
- Geringe Morbidität des Eingriffs
- Bei Peritonealmetastasierung: Ggf. Peritonektomie
- Chirurgische Resektion: Indiziert unter folgenden Bedingungen
- Lebermetastasen
- Bei NEN G3
- Lebermetastasen
- Patienten mit NEC: Keine primäre Resektion
- Patienten mit G3-CUP: Resektion solitärer Metastasen in Einzelfällen
- Lebermetastasen
Medikamentöse Therapie [8][19]
Eine medikamentöse Therapie wird bei GEP-NEN nur zur Symptomkontrolle, als antiproliferative Therapie, adjuvant oder zur Behandlung von Metastasen eingesetzt.
Eingesetzte Medikamentenklassen
- Somatostatin-Analoga (SSA):
- Hemmen (ebenso wie endogenes Somatostatin) die Ausschüttung diverser Hormone und Botenstoffe (z.B. Gastrin, Insulin, Serotonin), die bei funktionell aktiven Tumoren einen Großteil der Symptomatik ausmachen, z.B. zur Behandlung eines Karzinoid-Syndroms
- Antiproliferative Wirkung
- Bspw. Octreotid
- Serotonin-Synthesehemmer: Hemmen die Synthese von Serotonin, dessen Wirkung für einen großen Teil der Symptome beim Karzinoid-Syndrom verantwortlich ist
- Interferon-α (IFN-α): Besitzt antiproliferative und antineoplastische Eigenschaften
- Knochenstabilisierende Substanzen: Insb. Bisphosphonate und Anti-RANKL-Antikörper
- Zytostatika: Bspw. Kombinationstherapie mit Streptozotocin + 5-Fluoruracil
- mTor-Inhibitor: Everolimus
- Tyrosinkinase-Inhibitor: Sunitinib
- Radiopharmaka: Radionuklide, z.B. im Rahmen einer PRRT
Allgemeine Therapieschemata
- Karzinoid-Syndrom bzw. generelle Symptomkontrolle bei Hypersekretionssyndromen
- Dauertherapie
- Somatostatin-Analoga (SSA): Erstlinientherapie
- Interferon-α: I.d.R. zusätzlich zu SSA und in vergleichsweise geringer Dosierung
- Serotonin-Synthesehemmer: Zusätzliche Gabe bei SSA-refraktärer Diarrhö im Rahmen eines Karzinoid-Syndroms
- Prä-, peri- und postinterventionelles Management bei nuklearmedizinischer oder interventionell-radiologischer Therapie
- Generell post-therapeutisch: SSA-Dauerinfusion (z.B. Octreotid) zur Symptomkontrolle
- Peri-interventionell bei Radioembolisation: Octreotid-Dauerinfusion zur Prophylaxe einer Karzinoidkrise
- Bei Peptidrezeptor-Radionuklid-Therapie (PRRT)
- Vor einer geplanten PRRT: Absetzen kurzwirksamer Somatostatin-Analoga bzw. von Depot-Präparaten
- Zwischen PRRT-Zyklen: Zur überbrückenden Symptomkontrolle (falls klinisch vertretbar) Wiederaufnahme der Therapie mit langwirksamen SSA
- Dauertherapie
- Antiproliferative Therapie
- Indikationen
- Bei metastasierten/nicht-resektablen, somatostatinrezeptorpositiven NET mit Ki67-Proliferationsindex <10%:
- Bei Dünndarm-NET: SSA-Gabe soll als erste systemische Therapie erfolgen
- Bei gut differenzierten NET des Pankreas mit niedriger/mittlerer hepatischer Tumorlast: SSA-Gabe kann als erste systemische Therapie erfolgen
- Bei gut differenzierten NET des Magens, Duodenums, Kolons oder Rektums mit niedriger/mittlerer Tumorlast: SSA-Gabe kann als erste systemische Therapie erfolgen
- Bei asymptomatischen Patienten mit nicht-resektablen Metastasen eines gut differenzierten NET kann zunächst eine Watch-and-wait-Strategie verfolgt werden.
- Bei metastasierten/nicht-resektablen, somatostatinrezeptorpositiven NET mit Ki67-Proliferationsindex <10%:
- Medikamente
- Somatostatin-Analoga (SSA) [20][21][22][23]
- Interferon-α (IFN-α):
- Everolimus, Sunitinib: Als Zweit- oder Drittlinientherapie
- Sunitinib: Nur bei pankreatischen NEN
- Speziell bei Knochenmetastasierung:
- Bisphosphonate:
- Anti-RANKL-Antikörper:
- Ggf. palliative Chemotherapie: Bspw. Kombination aus Streptozocin und 5-FU
- Indikationen
- Adjuvante Therapie: Bei Patienten mit gut differenziertem, R0/R1-reseziertem NET soll keine adjuvante Therapie erfolgen (mögliche Ausnahmen im Rahmen von Studien oder als Einzelfallentscheidung)
Interventionell-radiologische Therapie [8]
Lokale Ablation
- Prinzip: Direkte physische Abtötung der Tumorzellen durch thermische, nicht-thermisch elektrische oder radioaktive Schädigung
- Indikation: Zur Behandlung von Metastasen (insb. Lebermetastasen), im Allgemeinen kein Einsatz zur Therapie des Primarius
- Verfahren:
- Thermoablative Verfahren
- Irreversible Elektroporation (IRE)
- Lokale Radiotherapie: Bspw. CT-gesteuerte Brachytherapie
Transarterielle Embolisation (TAE) und transarterielle Chemo-Embolisation (TACE)
- Prinzip: Unterbindung der arteriellen Blutversorgung der Tumorzellen bei weitgehender Erhaltung der arteriellen Blutversorgung des gesunden Gewebes, ggf. mit simultaner Chemotherapie
- Indikation:
- Bei symptomatischem NET und multiplen, nicht-resektablen Lebermetastasen
- Bei fortschreitender hepatischer Metastasierung und stabiler extrahepatischer Metastasierung
- Verfahren:
- Transarterielle Embolisation (TAE): Intraluminale Applikation verschiedener Fremdmaterialien (z.B. Metallspiralen oder Kunststoffkügelchen, teilweise auch abbaubare Partikel) [24]
- Transarterielle Chemo-Embolisation (TACE): Applikation embolisierender Partikel (z.B. Lipiodol) in Kombination mit einem Chemotherapeutikum (z.B. Doxorubicin) [25]
Radioembolisation (RE)
- Prinzip: Transarterielle Applikation von Partikeln (welche fest an Betastrahlungsquellen gekoppelt sind) über die Leberarterie → Anreicherung der radioaktiven Partikel innerhalb der Tumorzellen → Abtötung der Tumorzellen
- Indikation
- Nicht-resektable, disseminierte, prognosebestimmende Lebermetastasen: Als Alternative zur TACE/TAE bei G1-/G2-differenzierten NET
- Hormonell aktive NET-Lebermetastasen: Kann zur Symptomlinderung erwogen werden
- Komplikation: Entwicklung einer Radioembolisations-induzierten Lebererkrankung
- Definition: Serum-Bilirubin-Anstieg auf über 3 mg/dL, neu aufgetretener Aszites ohne Zeichen einer Tumorprogression oder einer Gallengangsobstruktion 1–2 Monate nach der RE
- Prophylaxe
- Sequenzielle Therapie der beiden Leberlappen (Abstand ca. 4–6 Wochen)
- Reduktion der Strahlendosis (bis zu 30%)
- Postinterventionelle Applikation von Ursodeoxycholsäure, Steroiden und/oder niedermolekularem Heparin bzw. Pentoxifyllin
- Prophylaxe
- Definition: Serum-Bilirubin-Anstieg auf über 3 mg/dL, neu aufgetretener Aszites ohne Zeichen einer Tumorprogression oder einer Gallengangsobstruktion 1–2 Monate nach der RE
Nuklearmedizinische Therapie
Peptidrezeptor-Radionuklid-Therapie (PRRT)
- Prinzip: Kopplung somatostatinähnlicher Peptide an radioaktive Nuklide → Intravenöse Verabreichung → Selektive Aufnahme in Tumorzellen (via Somatostatin-Rezeptoren) → Abtötung der Tumorzellen
- Indikation: Der Einsatz sollte primär (aber nicht ausschließlich) vom Grad der Somatostatin-Rezeptor-Expression abhängig gemacht werden
- Lebermetastasen eines Dünndarm-NET: Zweitlinientherapie (sofern keine extrahepatischen Metastasen vorliegen, eine hohe Somatostatin-Rezeptor-Exprimierung und ein Progress unter Therapie mit Somatostatin-Analoga besteht)
- Ggf. bei inoperablen, metastasierten NET mit hohem SSR-Besatz auch bei geringer Tumorlast (Oligometastasierung) , insb. bei
- Persistierendem Karzinoid-Syndrom unter SSA-Therapie
- Progress unter SSA-Therapie
- Ggf. in spezifischen klinischen Konstellationen (abhängig von Tumorlast, Metastasierungsstatus, Somatostatin-Rezeptor-Status, Gangbarkeit alternativer Therapieoptionen u.ä.), z.B. bei progressivem Karzinoid-Syndrom unter SSA-Therapie
- Verfahren
- Auswahl des Radiotherapeutikums: Lutetium-177 (Lu-177) sollte im Allgemeinen gegenüber Yttrium-90 (Y-90) bevorzugt werden
I-131-MIBG-Therapie
- Prinzip: Kopplung des noradrenalinähnlichen MIBG an radioaktive Nuklide → Intravenöse Verabreichung → Selektive Aufnahme in Tumorzellen (via vesikulärer Monoamin-Transporter) → Abtötung der Tumorzellen
- Indikation: In Einzelfällen zur Behandlung von metastasierten, inoperablen und progredienten NEN bei Versagen aller anderen Therapieoptionen
PRRT und Radioembolisation sollten bei Patienten mit metastasierten NET nicht als First-Line-Therapie eingesetzt werden!
Eine RE soll weder zeitgleich mit einer PRRT noch mit einer TACE erfolgen! Ein sequenzieller Einsatz ist aber grundsätzlich möglich!
Vor Einleitung einer nuklearmedizinischen Therapie sollte ein Fortschreiten der Erkrankung dokumentiert sein!
Nachsorge
- Indikation: Alle NET (auch nach R0-Resektion und ohne Nachweis von Metastasen)
- Ausnahme: R0-Resektion eines NET der Appendix (pT1, <1 cm ohne Risikofaktoren) mit Appendektomie
- Dauer und Intervalle
- Dauer: Regelmäßig über mind. 10–15 Jahre, ggf. auch lebenslang (insb. bei jungen Pat.)
- Intervalle
- G1: Alle 6–12 Monate
- G2: Alle 6 Monate
- G3: Alle 3 Monate
- Durchführung
- Laborchemie
- Bestimmung jedes Tumormarkers oder Hormon-Parameters (insb. Chromogranin A, 5-HIES), der initial erhöht war
- Bei NEC: Ggf. zusätzliche Bestimmung der NSE
- Bildgebung
- Endoskopische Kontrollen: Nur in speziellen Situationen
- Laborchemie
Die Nachsorge sollte immer in spezialisierten Zentren erfolgen, in denen die regelmäßige Vorstellung bei einem interdisziplinären Tumorboard möglich ist!
Prognose
Allgemein [4][18]
- Hoch variable Krankheitsverläufe
- Wesentliche prognostische Faktoren
- Auftreten von Hormonhypersekretions-Syndromen (z.B. Karzinoid-Syndrom)
- Differenzierungsgrad
- Proliferationsrate
- Größe und Lokalisation des Primärtumors
- TNM-Stadium
- Allgemeine Überlebensrate
- Hängt entscheidend von den o.g. prognostischen Faktoren sowie weiteren Einflussgrößen (bspw. Therapieadhärenz, Erfolg therapeutischer Maßnahmen) ab
- Unter bestimmten Voraussetzungen wurden 5-Jahres-Überlebensraten von bis zu 80% beobachtet
Prognose nach Differenzierungsgrad [4][26]
- Gut differenzierte NET
- Langsame, teils auch benigne Verläufe über Jahrzehnte möglich
- Resektion als kurativer Ansatz (sofern keine Metastasen vorliegen)
- Schlecht differenzierte NET
- Typischerweise kurze Verläufe mit einem frühen Metastasierungsmuster
- Durch gezielte therapeutische Maßnahmen ist eine Verzögerung des Fortschreitens der Erkrankung um Jahre möglich
Insulinom
Für alle GEP-NEN gelten die oben dargestellten Angaben bzgl. der allgemeinen Ätiologie, Klassifikation, Pathophysiologie, Symptomatik, Diagnostik, Pathologie, Therapie, Nachsorge und Prognose neuroendokriner Neoplasien. Im Folgenden werden nur die Details und Besonderheiten des Insulinoms dargestellt.
Allgemein [8][27][28]
- Ätiologie
- Sporadisch auftretend
- Entstehung im Bereich der Langerhans-Inseln
- Assoziation mit MEN1 (in 4% der Fälle)
- Pathomechanismus: Autonome Insulinproduktion der neuroendokrinen Tumorzellen → Spontane Hypoglykämien
- Auftreten
- Ausschließlich im Pankreas
- Meist solitär
- Dignität: In >90% der Fälle benigne
Spezielle Klinik [8][18]
- Whipple-Trias
- 1. Autonome Symptome einer Hypoglykämie bei Nahrungskarenz
- Vegetativ: Schwitzen, Zittern, Heißhunger, Übelkeit
- Neurologisch: Sehstörungen, Kopfschmerzen, Parästhesien, Krämpfe, Verhaltensänderungen
- 2. Erniedrigte Blutzuckerspiegel
- 3. Verschwinden der Symptome nach Glukosegabe
- Sofortiger Effekt nach intravenöser Glucosegabe
- 1. Autonome Symptome einer Hypoglykämie bei Nahrungskarenz
- Ggf. Gewichtszunahme
Spezifische Diagnostik [8]
Labordiagnostik
- Chromogranin A: Die bei NEN generell als Standarddiagnostik durchgeführte Bestimmung von Chromogranin A ist bei der Diagnose eines Insulinoms nicht hilfreich, da die Sensitivität hier nur ca. 73% beträgt und daher viele Insulinome nicht erkannt würden.
- Ausschluss einer Hypoglycaemia factitia : Während einer Hypoglykämie
- Gleichzeitige Bestimmung von Insulin, Proinsulin und C-Peptid
- Ggf. Screening auf Sulfonylharnstoffe oder andere Insulinsekretanaloga in Serum und Urin
Fastentest
- Allgemein: Der Fastentest ist der Goldstandard für die biochemische Diagnose eines Insulinoms.
- Prinzip: Ausbleiben der Insulinsuppression bei abfallenden Blutzuckerwerten
- Durchführung: Messung von Blutzucker, Insulin und C-Peptid in festen zeitlichen Abständen
- Diagnosekriterien für den biochemischen Nachweis eines Insulinoms (nach aktuellen DGVS-Leitlinien)
- Besonders relevante Faktoren im Kontext der Insulinom-Diagnostik
- Reaktion auf Glucagon-Gabe: Typischerweise rascher und starker Anstieg der Serum-Glucosekonzentration
- β-Hydroxybutyrat-Spiegel: Niedrige Hydroxybutyrat-Spiegel (<2,7 mmol/L) weisen, im Zusammenhang mit einer nachgewiesenen Hypoglykämie, auf eine inadäquate autonome Insulinsekretion hin
Weitere Diagnostik
- Bei Vorliegen von Mikroadenomen (Durchmesser <5 mm): Ausschluss einer Insulinomatose durch intensivierte Gewebsaufarbeitung von sowohl tumorsuspektem als auch makroskopisch unauffälligem Pankreasparenchym
- Molekulargenetische Diagnostik: Zum Nachweis/Ausschluss einer MEN1
Differenzialdiagnosen
- Insulinomatose: Multifokale, meist sehr kleine Insulin-sezernierende neuroendokrine Neoplasien
- Hypoglycaemia factitia
- Adulte Nesidioblastose
Spezifische Therapie
Chirurgische Therapie
Allgemein
- Indikation: Alle umschriebenen Insulinome
- Intraoperativer Tumornachweis: Es sollte eine sichere intraoperative Diagnose mittels intraoperativem Ultraschall und der Möglichkeit eines intraoperativen histologischen Gefrierschnitts erfolgen → Keine blinde Resektion von Pankreasgewebe ohne intraoperativen Tumornachweis!
Operatives Vorgehen
- Potenziell benigne solitäre Insulinome : Enukleation oder Pankreasteilresektion
- Bei kapselnahen und kleineren Befunden (<2 cm Durchmesser) mit ausreichendem Abstand zum Pankreasgang : Enukleation des Insulinoms (laparoskopisch oder offen)
- Bei Lokalisation in der Cauda pancreatis bzw. im Corpus pancreatis: Pankreaslinksresektion bzw. Pankreassegmentresektion
- Bei Insulinomen mit Kontakt zum Ductus pancreaticus: Pankreaskopfresektionen, i.d.R. erfolgt eine pyloruserhaltende Pankreaskopfresektion nach Traverso-Longmire (siehe auch: Pankreaschirurgie)
- Potenziell maligne Insulinome : Vollständige Resektion mit formaler Pankreasresektion und Lymphadenektomie
- Maligne Insulinome : Onkologische Resektion des Tumors (z.B. palliative Duodenopankreatektomie) mit entspr. Lymphadenektomie und ggf. Metastasenresektion. Ziel ist eine maximal mögliche Tumorlastreduktion zur Verbesserung der Hypoglykämiesymptomatik
- Bei malignen Insulinomen mit resektablen Fernmetastasen: Komplette Entfernung des Primärtumors und der Metastasen
- Bei malignen Insulinomen mit chirurgisch nicht kurablen Fernmetastasen: Entfernung des Primärtumors und Debulking der Fernmetastasen zur Verbesserung der Hypoglykämiesymptomatik
- Bei V.a. malignes Insulinom und nachgewiesenen Lymphknotenmetastasen: Vollständige Dissektion der peripankreatischen Lymphknoten, des Ligamentum hepatoduodenale sowie der periaortalen Lymphknoten
- Operative Erfolgskontrolle
- Schnellschnittuntersuchung des entfernten Tumors
- Anstieg der Serum-Glucosewerte nach Insulinomentfernung ohne Infusion glucosehaltiger Lösungen
Weitere spezifische Therapie
- Symptomatische Therapie des Hypersekretionssyndroms
- Medikamente
- Diazoxid: Erstlinientherapie zur Symptomkontrolle bei lokal fortgeschrittenem bzw. metastasiertem Insulinom mit rezidivierenden Hypoglykämien
- Greift an der Betazelle supprimierend in die Insulinproduktion ein und stimuliert die Glykogenolyse
- Erhebliches Nebenwirkungspotenzial
- Somatostatin-Analoga: Bspw. Octreotid oder Lanreotid
- Diazoxid: Erstlinientherapie zur Symptomkontrolle bei lokal fortgeschrittenem bzw. metastasiertem Insulinom mit rezidivierenden Hypoglykämien
- Medikamente
Gastrinom
Für alle GEP-NEN gelten die oben dargestellten Angaben bzgl. der allgemeinen Ätiologie, Klassifikation, Pathophysiologie, Symptomatik, Diagnostik, Pathologie, Therapie, Nachsorge und Prognose neuroendokriner Neoplasien. Im Folgenden werden nur die Details und Besonderheiten des Gastrinoms dargestellt.
Allgemeines [18]
- Pathomechanismus: Sekretion von Gastrin durch Tumorzellen → Chronische Hypergastrinämie → Magensäurehypersekretion → Peptische Ulzera in Pankreas, Magen, Duodenum und/oder Jejunum
- Dignität: In ca. 60–70% der Fälle maligne
- Ätiologie
- Überwiegend sporadisch (75% der Fälle)
- Im Rahmen eines MEN1-Syndroms (25% der Fälle)
- Lokalisation
Spezifische Klinik
- Rezidivierende, therapieresistente Ulzera v.a. in Pankreas, Duodenum und (seltener) im Magen
- Gastroösophagealer Reflux
-
Diarrhö (insb. Steatorrhö)
- Ursache: Deaktivierung von Lipasen durch erhöhten Säuregehalt
- Ggf. Symptome eines MEN1-Syndroms
Spezifische Diagnostik [8]
Spezifische Pathologie [8]
- Bei größeren Biopsaten: Intensivierte Aufbereitung des gewonnenen Duodenum-Gewebes
- Spezifischer immunhistochemischer Marker: Gastrin
Spezifische Therapie [8]
- Kurativ
- Ausschließlich chirurgische Resektion, nicht endoskopisch!
- Ziel: Komplett-Resektion des Primarius inkl. einer Lymphadenektomie im sog. Gastrinom-Dreieck [29]
- Ggf. spezielle Verfahren (bspw. Enukleation eines Gastrinoms am Pankreaskopf): Bei sporadischen Gastrinomen abhängig von den anatomischen Verhältnissen
- Symptomatisch
- Protonenpumpeninhibitoren (in initial hoher Dosierung): Bspw. Omeprazol
-
H2-Blocker
- Beachte: Ranitidin nicht mehr indiziert! Siehe: Rote-Hand-Brief zu Ranitidin
- Somatostatin-Analoga
MANEC
- Definition: Sehr seltene, insb. im Gastrointestinaltrakt sowie im Pankreas vorkommender Tumoren, die morphologisch erkennbar aus einer Mischung aus drüsenbildendem epithelialem Gewebe und neuroendokrinem Gewebe bestehen (je mind. 30%). [8][30][31]
- Klassifikation
- „High grade malignant“ MANEC: Adenokarzinom plus wenig differenziertes klein- oder großzelliges neueoendokrines Karzinom (NEC) G3
- „Intermediate grade malignant“ MANEC: Adenokarzinom oder diffuses Siegelringzellkarzinom plus neuroendokriner Tumor (NET) G1/G2 oder Becherzellkarzinoid
- „Low grade malignant“ MANEC: Insb. Becherzellkarzinoid der Appendix
- Diagnostik
- Histopathologische Befundung mit getrennter Beurteilung der neuroendokrinen sowie der Adenokarzinom-Komponente
- Staginguntersuchungen (inkl. histologischer Sicherung) analog zu einem Adenokarzinom der jew. Lokalisation
- Tumormarker: Chromogranin A, NSE, CEA
- Therapie : Orientiert sich an der maligneren (prognostisch führenden) Komponente
- „High grade malignant“ MANEC: Chemotherapie mit Cisplatin plus Etoposid in Analogie zum NEC G3
- „Intermediate grade malignant“ MANEC: Chemotherapie analog zum Adenokarzinom der jew. Lokalisation
- Becherzellkarzinoid der Appendix
- Lokalisiert: Hemikolektomie rechts
- Fernmetastasiert: Therapie analog zum kolorektalen Karzinom
Pankreatische NEN
Für alle GEP-NEN gelten die oben dargestellten Angaben bzgl. der allgemeinen Ätiologie, Klassifikation, Pathophysiologie, Symptomatik, Diagnostik, Pathologie sowie Therapie, Nachsorge und Prognose neuroendokriner Neoplasien. Im Folgenden werden nur die Details und Besonderheiten der NEN des Pankreas dargestellt.
Spezifische Therapie [8]
Chirurgische Therapie
- Indikation zur chirurgischen Resektion: Nicht-funktionell aktive Tumoren >2 cm ohne diffuse Fernmetastasierung
- Technik und Ausmaß der Resektion
- Technik:
- Formale Resektion: I.d.R. bei Tumoren >2 cm oder bei Verdacht auf Lymphknotenmetastasen, bspw. als partielle Pankreatikoduodenektomie
- Atypische Resektion: I.d.R. bei kleineren Tumoren, bspw. als Enukleation
- Systematische prophylaktische Lymphknotendissektion
- Bei formalen Resektionen, wenn ein Lymphknotenbefall gesichert oder wahrscheinlich ist
- Nicht indiziert bei nicht-funktionell aktiven Tumoren ≤2 cm mit potenziell benignem Verhalten sowie prä- und intraoperativ unauffälligen Lymphknoten
- Technik:
Chemotherapie
Erstlinientherapie
- Indikation: Bei hoher hepatischer Tumorlast (>25%), signifikantem Tumorprogress innerhalb von 6 Monaten und/oder G2-NET mit Ki67-Proliferationsindex >10%
- Weitere mögliche Anwendungsfälle:
- Patienten mit hoher Tumorlast und/oder tumorassoziierten Symptomen (auch ohne dokumentierten Tumorprogress)
- Neoadjuvante Therapie zum Downstaging
- Indikation: Bei Patienten mit primär irresektablem Tumor, der durch Rückbildung resektabel wird
- Kein etabliertes Therapiekonzept, nur als individueller Heilversuch
- Weitere mögliche Anwendungsfälle:
- Therapieschemata:
- Standard: Streptozocin plus 5-Fluoruracil
- Alternativ: Capecitabin plus Temozolomid
- Somatostatin-Analoga: Können unter bestimmten Voraussetzungen als Erstlinientherapie eingesetzt werden, bei signifikantem Tumorprogress allerdings zeitnahe Umstellung auf ein anderes Therapieschema nötig
- Therapiedauer: Abhänging von individueller klinischer Situation, im Allgemeinen aber mind. 6 Monate
Zweit- oder Drittlinientherapie
- Everolimus, Sunitinib: Anwendung bei progredienten, nicht-resektablen Tumoren
Gastrische NEN
Für alle GEP-NEN gelten die oben dargestellten Angaben bzgl. der allgemeinen Ätiologie, Klassifikation, Pathophysiologie, Symptomatik, Diagnostik, Pathologie, sowie Therapie Nachsorge und Prognose neuroendokriner Neoplasien. Im Folgenden werden nur die Details und Besonderheiten der NEN des Magens dargestellt.
Spezifische Klassifikation
- Einteilung in gut differenzierte (Typ I–III) und schlecht differenzierte (Typ IV) NEN
- Detaillierte Einteilung: siehe DGVS-NET-Tabelle 3.1
Spezifische Diagnostik
- Typ I: Assoziiert mit chronisch atrophischer Gastritis (CAG)
- Nachweis einer CAG: Bestimmung von Serum-Gastrin und Magensaft-pH
- Falls CAG nachgewiesen: Zusätzliche Bestimmung von :
- Blutbild
- Vitamin B12
- TSH
- Evtl. Anti-Intrinsic-Faktor- und Anti-Parietalzell-Antikörper
- Falls CAG nachgewiesen: Zusätzliche Bestimmung von :
- Nachweis einer CAG: Bestimmung von Serum-Gastrin und Magensaft-pH
- Typ II: Assoziiert mit
- Immunhistochemie: Bestimmung von Gastrin, Serotonin, VMAT2
Spezifische Therapie
- Gut differenzierte gastrische NET Typ I oder II
- <1 cm: Endoskopische Überwachung
- ≥1 cm und <2 cm: Endoskopische Therapie
- >2 cm und Infiltration der Submukosa
- Kein Nachweis lokaler LK-Metastasen:
- Lokale chirurgische Resektion (Wedge-Resektion) oder
- Magenteilresektion
- Prä- oder intraoperativ nachgewiesene Lymphknotenmetastasen: Onkologische Magenresektion (partiell, subtotal oder total) mit Lymphknotendissektion
- Kein Nachweis lokaler LK-Metastasen:
- Gut differenzierte gastrische NET Typ III und IV
- <1 cm: Primär endoskopische Therapie
- ≥1 cm und/oder Bestehen von Risikofaktoren: Primär chirurgische Therapie
- Durchführung der OP analog zum Adenokarzinom des Magens: Subtotale/totale Gastrektomie und systematische Lymphknotendissektion
- Nur bei gastrischen NET Typ III: Falls R0-Situation erreicht wird, kann eine Resektion von Lebermetastasen und des Primärtumors durchgeführt werden
Intestinale NEN
Für alle GEP-NEN gelten die oben dargestellten Angaben bzgl. der allgemeinen Ätiologie, Klassifikation, Pathophysiologie, Symptomatik, Diagnostik, Pathologie, sowie Therapie Nachsorge und Prognose neuroendokriner Neoplasien. Im Folgenden werden nur die die Details und Besonderheiten der NEN des Darms dargestellt.
Spezifische Therapie
NEN des Duodenums
- Endoskopische Therapie
- Indikation:
- Durchführung: Endoskopische Mukosaresektion (EMR)
- Nachsorge: Jährliche endoskopische Kontrollen (nach kurativer endoskopischer Resektion)
- Chirurgische Therapie
- Indikation:
- Durchführung: Resektion des Primarius + ggf. Lymphadenektomie
NEN des Dünndarms
- Chirurgische Resektion: Therapie der Wahl (keine endoskopische Resektion!)
- Onkologische Ileumsegmentresektion mit Lymphadenektomie
- Intraoperative Palpation des gesamten Dünndarms, da häufig multifokaler Befall
- Ziel: Erhaltung der Ileozökalklappe, um Diarrhöen zu vermeiden
- Alternative: Hemikolektomie rechts
- Onkologische Ileumsegmentresektion mit Lymphadenektomie
- Minimal-invasives Vorgehen: Kann erwogen werden, sofern die onkologischen Standards mit einer R0-Resektion erreicht werden können und eine Palpation des gesamten Dünndarms möglich ist
Vor der Operation einer NEN des Dünndarms mit Karzinoidsyndrom sollte, bspw. mittels Echokardiografie, überprüft werden, ob eine Karzinoid-Herzerkrankung vorliegt!
NEN des Kolons
- Endoskopische Therapie
- Chirurgische Therapie: Therapie der Wahl
- Indikation
- Durchführung: Analog zur Resektion eines Kolonkarzinoms
NEN der Appendix
- Chirurgische Therapie
- Appendektomie: NEN <2 cm ohne Risikofaktoren
- Ileozökalresektion bzw. Hemikolektomie rechts: NEN <2 cm mit Risikofaktoren
- Hemikolektomie rechts: NEN >2 cm
NEN des Rektums
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- C16.-: Bösartige Neubildung des Magens
- C17.-: Bösartige Neubildung des Dünndarmes
- C18.-: Bösartige Neubildung des Kolons
- C19-: Bösartige Neubildung am Rektosigmoid, Übergang
- C20-: Bösartige Neubildung des Rektums
- D13.-: Gutartige Neubildung sonstiger und ungenau bezeichneter Teile des Verdauungssystems
- D13.7: Endokriner Drüsenanteil des Pankreas
- Inselzelltumor
- Insulinom
- D13.7: Endokriner Drüsenanteil des Pankreas
- E16.-: Sonstige Störungen der inneren Sekretion des Pankreas
- E16.4: Abnorme Gastrinsekretion
- Hypergastrinämie
- Zollinger-Ellison-Syndrom
- E16.8: Sonstige näher bezeichnete Störungen der inneren Sekretion des Pankreas
- Erhöhte Sekretion von:
- Pankreatischem Polypeptid
- Somatostatin
- Somatotropin-Releasing-Hormon (SRH, GHRH)
- Vasoaktivem gastrointestinalem Polypeptid
- Erhöhte Sekretion von:
- E16.4: Abnorme Gastrinsekretion
- E34.-: Sonstige endokrine Störungen
- E34.0: Karzinoid-Syndrom
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.