Zusammenfassung
Die Linse (Lens cristallina) stellt einen wichtigen Bestandteil des optischen Systems des Auges dar. Physiologischerweise ist sie glasklar, bikonvex geformt (Sammellinse) und elastisch. Gemeinsam mit der Hornhaut ist die Linse für die Lichtbrechung und Darstellung eines scharfen Bildes auf der Netzhaut verantwortlich. Durch Zug der Zonulafasern kann ihre Form und damit Brechkraft verändert werden. Diese Akkommodationsfähigkeit führt zu einer variablen Brechkraft zwischen 10 und 20 dpt und gewährleistet ein scharfes Sehen in Nähe und Ferne.
Liegt eine Trübung der Linse (Katarakt) vor, kann das Licht nicht mehr ungehindert auf die Netzhaut fallen und es kommt somit zur Visusminderung. Meist handelt es sich hierbei um einen schleichenden Prozess, der auf eine degenerative Linsenveränderung im höheren Lebensalter zurückzuführen ist. Es kann jedoch beispielsweise auch im Rahmen von Bulbustraumata, Stoffwechselstörungen, Medikamentennebenwirkungen oder kongenitalen Infektionen zur Kataraktbildung kommen. Besteht eine deutliche Beeinträchtigung durch die Trübung, ist in der Regel eine Kataraktoperation mit Entfernung der getrübten Linse und Implantation einer Kunstlinse indiziert. Dies ist die am häufigsten durchgeführte Operation überhaupt und führt oft zu einer deutlichen Zunahme der Lebensqualität.
Epidemiologie
- Sehr häufig, mit steigendem Lebensalter zunehmende Prävalenz
- 65–74 Jahre: 14% der Männer, 24% der Frauen
- Ab 75 Jahre: 39% der Männer, 46% der Frauen
- In den Industrienationen jährlich ca. 6–7 Katarakt-Operationen pro 1000 Einwohner
- Weltweit ca. 20 Millionen Erblindungen durch Katarakt
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
In den Industrienationen ist eine Katarakt am häufigsten senil bedingt! Andere Ursachen sind eher selten!
Einteilung nach Ursachen (Auswahl)
- Kongenitale Katarakte (<1%)
- Vererbte kongenitale Katarakte
- Durch kongenitale Infektionen (Röteln, Hepatitis, Mumps, Toxoplasmose)
- Galaktosämie (reversibel)
- Erworbene Katarakte (>99%)
- Senil (>90%)
- Bei Allgemeinerkrankungen/Syndromen
- Diabetes mellitus
- Niereninsuffizienz (Dialyse)
- Galaktosämie
- Tetanie (Hypokalzämie)
- Myotone Dystrophie
- Morbus Wilson
- Hauterkrankungen
- Trisomie 21 (bereits in früher Kindheit)
- Als Folge okulärer Erkrankungen (Cataracta complicata)
- Heterochromie
- Chronische Uveitis
- Alte Netzhautablösung
- Akutes Glaukom
- Retinopathia pigmentosa
- Vitreoretinale Erkrankungen
- Nach intraokularen Operationen
- Nach Vitrektomie (insbesondere nach Einbringen von Silikonöl)
- Nach filtrierenden Eingriffen bei Glaukom
- Medikamentös induziert
- Glucocorticoide (lokal und systemisch)
- Miotika (Cholinesterasehemmer)
- Vergiftungen
- Traumatisch (Cataracta traumatica)
- Prellungsverletzungen
- Perforationsverletzungen
- Physikalisch bedingt
- Strahlung (Röntgen, radioaktive Strahlung)
- Starkstrom, Blitz
- Infrarotstrahlung (Feuerstar)
- Nachstar
- Trübung von Kapselteilen bei Zustand nach extrakapsulärer Kataraktoperation
Einteilung (der senilen Katarakte) nach Morphologie
- Vordere/hintere Rindenkatarakt (ca. 50%)
- Kernkatarakt (ca. 30%)
- Hintere Schalentrübung (ca. 20%)
- Reife (mature) Katarakt
- Überreife (hypermature) Katarakt
Symptomatik
Allgemeine Symptome
Die Symptome entstehen meist schleichend und hängen stark von Lokalisation und Ursache der Trübung ab. Typische Symptome können sein:
- Sehverschlechterung
- Grau-in-grau-Sehen
- Zunahme des Blendungsempfindens
- Veränderung des Farbensehens
- Monokulare Doppelbilder
- Myopie (bei Kernkatarakt)
- Hyperopie (bei Rindenkatarakt)
Besonderheiten bei kongenitaler Katarakt
Kongenitale Katarakte zeigen in der Regel andere Symptome als erworbene Katarakte. Folgende Symptome sind möglich:
- Leukokorie
- Strabismus
- Nystagmus
- Verzögerung der motorischen Entwicklung
- Deprivationsamblyopie
Verlaufs- und Sonderformen
Reifestadien der senilen Katarakt
- Cataracta incipiens
- Cataracta provecta
- Cataracta intumescens
- Cataracta immatura
- Cataracta matura/hypermatura
Diagnostik
- Untersuchung an der Spaltlampe: Untersuchung der brechenden Medien und des Augenhintergrundes, ggf. in medikamentös induzierter Mydriasis
- Befund: Grau-gelblich-bräunliche Trübung, je nach Lokalisation (Kern, Rinde, subkapsulär) und Ursache der Katarakt
- Untersuchung im regredienten Licht (Trübungen erscheinen dunkel)
- Besonderheiten bei der Cataracta traumatica
- Bei Bulbusprellung: Vordere rosettenförmige Linsentrübung (Kontusionskatarakt)
- Bei perforierenden Linsenverletzungen: Hintere rosettenförmige Linsentrübung
Zum Vergleich: Normalbefund
Therapie
Konservative Therapie
- Keine medikamentöse oder konservative Therapiemöglichkeit bekannt
- Ausnahme: Katarakt bei Galaktosämie → Katarakt durch galactosefreie Diät reversibel
Operative Therapie [1]
- Indikation
- Zur Sehverbesserung bei kataraktbedingten Funktionseinbußen (mit Abstand häufigste Indikation)
- Medizinische Indikation (z.B. bei (drohendem) phakolytischem Glaukom oder bei Augenhintergrunderkrankungen zur klaren Einsehbarkeit des Augenhintergrunds)
- Operationstechniken
- Extrakapsuläre Kataraktextraktion (ECCE, heute Methode der Wahl)
- Eröffnung der vorderen Linsenkapsel → Entfernung des Kerns durch Phakoemulsifikation → Entfernung der Linsenrinde unter Bestehenbleiben der Hinterkapsel und Implantation einer Hinterkammerlinse
- Intrakapsulär (ICCE, ehemals Methode der Wahl)
- Linsenkapsel wird mitentfernt
- Größerer Eingriff
- Bei subluxierten oder luxierten Linsen
- Wahl der Intraokularlinse und Zielrefraktion [1]
- Monofokale Intraokularlinse
- Eine einzige definierte Brechkraft und hohe Abbildungsqualität
- Jegliche Dioptrieneinstellung ist möglich: I.d.R. Einstellung (Zielrefraktion) auf die Ferne (0 Dioptrien, Emmetropie) oder auf die Nähe (je nach Situation z.B. zwischen -2 Dioptrien und -3 Dioptrien, Myopie)
- Multifokale Intraokularlinse
- Mehrere verschiedene Brechkräfte für scharfes Sehen in der Ferne und Nähe
- Abbildungsqualität geringer als bei der monofokalen Intraokularlinse
- Vermehrtes Auftreten von Blendungsphänomenen
- EDOF-Linse (Extended Depth of Focus)
- Kompromiss zwischen beiden oben genannten Linsen
- Abbildungsqualität und Blendungsphänomene liegen jeweils zwischen den beiden o.g. Linsen
- Verbesserte Sehfähigkeit im mittleren Nahbereich durch erhöhte Tiefenschärfe
- I.d.R. zusätzliche Lesebrille benötigt (schwächer als bei monofokaler Intraokularlinse)
- Torische Intraokularlinse
- Gleicht Hornhautverkrümmung (Astigmatismus) aus
- Kann mit jeder der o.g. Linsen kombiniert werden
- Monovision
- Monofokale Intraokularlinse
- Extrakapsuläre Kataraktextraktion (ECCE, heute Methode der Wahl)
- Komplikationen
- Nachstar nach ECCE (ca. 30% der Patienten)
- Zystoides Makulaödem (ca. 1-4%)
- Netzhautablösung (ca. 0,1–3%)
- Dekompensation einer Fuchs-endothelialen Dystrophie
- Verlust des Auges durch expulsive Blutung oder Endophthalmitis in ca. 0,05% der Operationen
Kongenitale Katarakte müssen frühestmöglich operiert werden, um eine Schwachsichtigkeit (Deprivationsamblyopie) zu vermeiden.
Zum Vergleich: Normalbefunde
Komplikationen
- Zunehmender Visusverlust bis zur Erblindung
- Phakolytisches Glaukom
- Deprivationsamblyopie (Schwachsichtigkeit) bei kongenitaler Katarakt
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- H25.-: Cataracta senilis
- Exklusive: Kapsuläres Glaukom mit Pseudoexfoliation der Linsen (H40.1)
- H25.0: Cataracta senilis incipiens
- Cataracta senilis: coronaria, corticalis, punctata
- Senile subkapsuläre Katarakt (anterior) (posterior), Wasserspalten-Speichen-Katarakt
- H25.1: Cataracta nuclearis senilis
- Cataracta brunescens, Linsenkernsklerose
- H25.2: Cataracta senilis, Morgagni-Typ
- Cataracta senilis hypermatura
- H25.8: Sonstige senile Kataraktformen
- Kombinierte Formen der senilen Katarakt
- H25.9: Senile Katarakt, nicht näher bezeichnet
- H26.-: Sonstige Kataraktformen
- Exklusive: Cataracta congenita (Q12.0)
- H26.0: Infantile, juvenile und präsenile Katarakt
- H26.1: Cataracta traumatica
- H26.2: Cataracta complicata
- Glaukomflecken (subkapsulär), Katarakt bei chronischer Iridozyklitis, Katarakt infolge anderer Augenkrankheiten
- H26.3: Arzneimittelinduzierte Katarakt
- H26.4: Cataracta secundaria
- Nachstar, Ringstar nach Soemmering
- H26.8: Sonstige näher bezeichnete Kataraktformen
- H26.9: Katarakt, nicht näher bezeichnet
- H28.-*: Katarakt und sonstige Affektionen der Linse bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- H28.0*: Diabetische Katarakt (E10-E14, vierte Stelle .3†)
- H28.1*: Katarakt bei sonstigen endokrinen, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten
- Katarakt bei Hypoparathyreoidismus (E20.-†)
- Katarakt durch Mangelernährung und Dehydration (E40-E46†)
- H28.2*: Katarakt bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Cataracta myotonica (G71.1†)
- H28.8*: Sonstige Affektionen der Linse bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Q12.-: Angeborene Fehlbildungen der Linse
- Q12.0: Cataracta congenita
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.