Zusammenfassung
Die kindliche Humerusfraktur ist eine vergleichsweise häufige Verletzung, die typischerweise nach einem Sturz bei Sport- bzw. Freizeitaktivitäten auftritt. Nach Lokalisation werden proximale, Schaft- und distale Frakturen unterschieden, wobei letztere die häufigste Form darstellen. Klinisch kommt es v.a. zu allgemeinen Frakturzeichen wie lokalem (Druck‑)Schmerz, Hämatom oder Schwellung; durch eine begleitende Schädigung von Nerven und Gefäßen können jedoch auch motorische und/oder sensible Ausfälle, sowie Durchblutungsstörungen im Bereich der betroffenen Extremität auftreten. Die Diagnosestellung ist i.d.R. verlässlich anhand von Anamnese und körperlicher Untersuchung sowie einer Bildgebung mittels konventioneller Röntgenaufnahme möglich.
Die Therapie wird maßgeblich vom Alter des verletzten Kindes und der Lokalisation der Fraktur beeinflusst. Insgesamt ist bei einem Großteil der kindlichen Humerusfrakturen eine konservative Behandlung möglich. Eine operative Versorgung ist bspw. bei offenen oder stark dislozierten Frakturen erforderlich. Zu den möglichen Komplikationen zählen neben einem Kompartmentsyndrom bspw. Wachstumsstörungen, sowie bleibende Bewegungs- und Funktionseinschränkungen.
Epidemiologie
Epidemiologie der kindlichen Humerusfraktur [1] | ||||||
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Fraktur | Inzidenz | Anteil aller Frakturen | Geschlechterverhältnis | |||
0–4 Jahre | 5–9 Jahre | 10–14 Jahre | 15–19 Jahre | |||
Proximale Humerusfraktur | 1 | 6 | 14 | 7 | 3,1% | ♂ > ♀ |
Humerusschaftfraktur | 4 | 5 | 8 | 6 | 2,5% | |
Distale Humerusfraktur | 39 | 102 | 36 | 9 | 19,8% |
Die distale Humerusfraktur ist die häufigste Form der kindlichen Humerusfraktur und macht einen Großteil aller Frakturen des Kindesalters aus!
Die Inzidenz kindlicher Humerusfrakturen hat zwischen den Jahren 2002 und 2017 kontinuierlich abgenommen!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Typische Ursache: Sturz bei Sport- bzw. Freizeitaktivitäten
- Seltenere Ursachen
- Geburtstrauma
- Kindesmisshandlung [5]
- Hochenergie- bzw. Polytrauma
- Pathologische Fraktur
- Mechanismen
- Meist indirektes Trauma (Sturz auf den ausgestreckten Arm)
- Seltener direktes Trauma (unmittelbare Krafteinwirkung auf den Oberarm)
Eine Humerusfraktur ist im Kindesalter meist Folge eines Sturzes bei Sport- bzw. Freizeitaktivitäten!
Bei kindlichen Frakturen sollte stets eine Kindesmisshandlung als mögliche Ursache bedacht werden!
Klassifikation
- Grundsätzliche Einteilung
- Proximale Humerusfrakturen
- Humerusschaftfraktur
- Distale Humerusfraktur
- Für die gebräuchlichsten Klassifikationen in Abhängigkeit von der Lokalisation siehe:
- Für weitere relevante Klassifikationen siehe auch:
- AO-Klassifikation für kindliche Frakturen der langen Röhrenknochen
- LiLa-Klassifikation für kindliche Frakturen der langen Röhrenknochen
- Klassifikation der Epiphysenfrakturen nach Salter-Harris und Aitken
- Klassifikation nach Gustilo/Anderson für offene Frakturen
Proximale Humerusfraktur
AO-Klassifikation [6]
Epiphysäre Fraktur
AO-Klassifikation der proximalen epiphysären Humerusfraktur im Kindesalter (Regio 11-E) | |
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Typ | Komplexität |
/1 - Epiphysiolyse |
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/2 - Epiphysiolyse mit metaphysärem Keil | |
/3 - Epiphysäre Fraktur | |
/4 - Epi-/metaphysäre Fraktur | |
/8 - Intraartikuläre Flake-Fraktur |
Metaphysäre Fraktur
AO-Klassifikation der proximalen metaphysären Humerusfraktur im Kindesalter (Regio 11-M) | |
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Typ | Komplexität |
/2 - Torusfraktur |
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/3 - Komplette Fraktur |
Klassifikation nach Neer und Horwitz [7]
Klassifikation der proximalen Humerusfraktur im Kindesalter nach Neer und Horwitz | |
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Typ | Dislokation |
I | <5 mm |
II | <⅓ Schaftbreite |
III | ⅓ – ⅔ Schaftbreite |
IV | >⅔ Schaftbreite |
Zur Einteilung der proximalen Humerusfraktur im Kindesalter wird im klinischen Alltag häufig die Klassifikation nach Neer und Horwitz genutzt!
Humerusschaftfraktur
AO-Klassifikation [6]
AO-Klassifikation der kindlichen diaphysären Humerusfraktur (Regio 12-D) | |
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Typ | Komplexität |
/4 - Transverse Fraktur | |
/5 - Schräg- oder Spiralfraktur |
Distale Humerusfraktur
AO-Klassifikation [6]
Metaphysäre Fraktur
AO-Klassifikation der distalen metaphysären Humerusfraktur im Kindesalter (Regio 13-M) | |
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Typ | Komplexität |
/3 - Inkomplette Fraktur, nicht disloziert |
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/3 - Inkomplette Fraktur, disloziert |
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/3 - Komplette Fraktur, mit Kontakt |
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/3 - Komplette Fraktur, ohne Kontakt |
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/7 - Avulsionsfraktur |
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Epiphysäre Fraktur
AO-Klassifikation der distalen epiphysären Humerusfraktur im Kindesalter (Regio 13-E) | |
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Typ | Komplexität |
/1 - Epiphysiolyse |
|
/2 - Epiphysiolyse mit metaphysärem Keil |
|
/3 - Epiphysäre Fraktur | |
/4 - Epi-/metaphysäre Fraktur | |
/7 - Avulsionsfraktur |
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/8 - Intraartikuläre Flake-Fraktur |
Klassifikation nach Lutz von Laer [8]
Klassifikation der distalen Humerusfraktur im Kindesalter nach Lutz von Laer | |
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Typ | Dislokation |
I |
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II |
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III |
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IV |
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Zur Einteilung der distalen Humerusfraktur im Kindesalter wird im klinischen Alltag häufig die Klassifikation nach Lutz von Laer genutzt!
Klassifikation nach Baumann [9]
Klassifikation der distalen Humerusfraktur im Kindesalter nach Baumann | |
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Typ | Dislokation |
I |
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II |
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III |
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Klassifikation nach Gartland [10]
Klassifikation der distalen Humerusfraktur im Kindesalter nach Gartland | |
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Typ | Dislokation |
I |
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II |
|
III |
|
Symptomatik
- Allgemeine Frakturzeichen, bspw.
- Lokaler (Druck‑)Schmerz
- Hämatom, Schwellung
- Sichtbare Fehlstellung
- Krepitation bei Bewegung
- Bewegungseinschränkung
- Schonhaltung
- Motorische und/oder sensible Ausfälle durch Nervenläsion
- Durchblutungsstörungen durch Gefäßläsion (insb. der A. brachialis)
Bei einer Humerusfraktur kommt es häufig zu einer begleitenden Schädigung von Nerven und Gefäßen (bspw. durch Einklemmung im Frakturspalt, mechanische Kompression oder direktes Trauma)!
Vorgehen in der Notaufnahme
- Analgesie bzw. Analgosedierung
- Verwendung einer visuellen Analogskala zur Beurteilung des Schmerzes sinnvoll
- Inadäquate Analgesie erschwert weitere Behandlung und kann Langzeitfolgen hervorrufen
- Bei leichten Schmerzen: Nicht-Opioid-Analgetika, bspw.
- Bei starken Schmerzen: Opioide, bspw.
- Piritramid i.v. oder i.m. [17]
- Fentanyl i.v. oder intranasal [18]
- Bei starken Schmerzen und ausgeprägter Angst bzw. Unruhe: Esketamin und Midazolam i.v. oder intranasal [18]
- Grundversorgung offener Wunden
- Entfernung grober Verschmutzung
- Wundabstrich vor erster Antibiotikagabe
- Steriles Abdecken der Wunden
- Überprüfung der Tetanus-Impfindikation (siehe: Tetanus-Impfschema bei Verletzungen)
- Ruhigstellung des Oberarms
- Proximale Humerusfraktur: Gilchrist-Verband
- Humerusschaftfraktur und distale Humerusfraktur: Dorsale Oberarmschiene, gespaltener Oberarmgips oder Vakuumschiene
Viele Wirkstoffe zur Analgesie bzw. Analgosedierung (bspw. Fentanyl, Esketamin oder Midazolam) können über einen speziellen Zerstäuber auch intranasal verabreicht werden! Dem Kind kann so der Stress einer Venenpunktion zunächst erspart bleiben!
Durch die Ruhigstellung des Oberarms sollten keine weiteren Schmerzen zugefügt werden! Im Anschluss an die Maßnahme ist eine erneute pDMS-Überprüfung erforderlich!
Diagnostik
Anamnese und körperliche Untersuchung
- Eigen- bzw. Fremdanamnese: Fokus auf
- Unfallhergang bzw. Verletzungsmechanismus
- Vorerkrankungen, Medikation und Allergien
- Körperliche Untersuchung: Nach Möglichkeit im Beisein eines Elternteils
pDMS-Überprüfung bei kindlicher Humerusfraktur | |
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Aspekt | Untersuchung |
Durchblutung |
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Motorik |
|
Sensibilität |
Für die orientierende neurologische Untersuchung kann das Kind bspw. gebeten werden, „Schere, Stein, Papier“ mit der Hand vorzumachen!
Bildgebende Diagnostik
Konventionelle Röntgenaufnahme [3][7][19][20][21]
- Indikation: Standardverfahren zur bildgebenden Diagnostik bei kindlicher Humerusfraktur
- Durchführung: Aufnahme in 2 Ebenen
- Proximale Humerusfraktur: a.p. und Y-Aufnahme des Schultergelenkes
- Humerusschaftfraktur: a.p. und laterale Aufnahme
- Distale Humerusfraktur: a.p. und laterale Aufnahme des Ellenbogengelenkes
- Besonderheiten
- Bei unklarer Lokalisation: Keine Übersichtsaufnahme, sondern ggf. mehrere fokussierte Bilder
- Röntgen der Gegenseite nur in begründeten Ausnahmefällen erforderlich
Bei eindeutiger OP-Indikation kann präoperativ auf die zweite Ebene verzichtet werden!
Exkurs: Radiologische Hilfslinien und Gradeinteilung [3][7][19][22]
- Stoeren-Linie (Radius-Capitulum-Achse)
- Hilfslinie zur Erkennung einer Radiusköpfchenluxation
- Verlängerung der Längsachse des körpernahen Radiusschaftes
- Normalerweise Zentrum des Capitulum humeri kreuzend
- Rogers-Linie (Humerusschaftachse, vordere Humeruslinie)
- Hilfslinie zur Erkennung einer Abkippung des distalen Humerus
- Tangentiale entlang der vorderen Humeruskortikalis
- Normale Abkippung zwischen 30 und 40° nach anterior
- Kreuzung des Capitulum humeri
- Normalerweise im mittleren/distalen Drittel
- Bei Antekurvationsfehlstellung im vorderen Drittel
- Bei Rekurvationsfehlstellung weit distal oder außerhalb
- Hilfslinie zur Erkennung einer Abkippung des distalen Humerus
- Tragewinkel (Ellenbogenwinkel)
- Baumann-Winkel
- Winkel zwischen Humeruslängsachse und Epiphysenachse des Condylus lateralis
- Nur bei noch offenen Fugen berechenbar
- Normaler Winkel 70–75°
- Vergrößerung als Hinweis auf mediale Impaktion (Fraktur)
- Subtraktion des Baumann-Winkels von 90° = Tragewinkel
- Winkel zwischen Humeruslängsachse und Epiphysenachse des Condylus lateralis
Weitere Verfahren
Weitere bildgebende Diagnostik bei kindlichen Humerusfrakturen | ||
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Verfahren | Typische Indikationen | Mögliche Befunde |
Sonografie [23][24][25] |
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CT [2][20][21] |
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MRT [20][21][26][27] |
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CT und MRT sind keine Standarduntersuchungen bei der kindlichen Humerusfraktur und sollten nur bei speziellen Fragestellungen zum Einsatz kommen!
Therapie
Die Therapie der kindlichen Humerusfraktur ist abhängig von der Lokalisation, dem Dislokationsgrad sowie dem Lebensalter.
Für die gemeinsame initiale Versorgung siehe:
- Kindliche Humerusfraktur - Erstmaßnahmen in der Notaufnahme
- Kindliche Humerusfraktur - Perioperatives Management
Für das weitere therapeutische Vorgehen in Abhängigkeit von der Lokalisation siehe:
Proximale Humerusfraktur
Konservative Therapie [2][23][28][29]
- Indikation
- Fraktur Typ I und II der Klassifikation nach Neer und Horwitz
- Fraktur Typ III und IV der Klassifikation nach Neer und Horwitz nach individueller Indikationsstellung
- Vorgehen
- Reposition in Analgosedierung oder kurzer Allgemeinanästhesie
- Ruhigstellung im Gilchrist- oder Desault-Verband für 2–3 Wochen
- Verlaufskontrolle: Konventionelle Röntgenaufnahme oder Sonografie
- Stabile Frakturen: Keine Kontrolle notwendig
- Tag 0: Diagnosestellung
- Tag 7: Stellungskontrolle
- Tag 21: Konsolidierung
- Nachbehandlung: Eigenmobilisation nach erfolgter Ruhigstellung
Ein Großteil der kindlichen proximalen Humerusfrakturen kann konservativ behandelt werden!
Operative Therapie [2][23][28][29]
- Indikation
- Fraktur Typ III und VI der Klassifikation nach Neer und Horwitz
- Überschreitung der altersspezifischen Korrekturgrenzen
- <5 Jahren: Achsabweichung >60°; Dislokation >1 Schaftbreite
- 5–12 Jahre: Achsabweichung >40°; Dislokation >⅔ Schaftbreite
- >12 Jahre: Achsabweichung >30°; Dislokation >½ Schaftbreite
- Pathologische Fraktur oder begleitende Plexusläsion
- Kinder >12 Jahre (geringes Korrekturpotenzial bei abgeschlossenem Längenwachstum)
- Vorgehen
- Geschlossene Reposition und intramedulläre Nagelung (ESIN)
- OP-Lagerung: Rückenlage, betroffener Arm auf Armtisch ausgelagert
- Osteosynthese: Meist zwei radial distal-metaphysär eingebrachte Nägel (Verankerung im Humeruskopf mit Überschreiten der Wachstumsfuge)
- Geschlossene Reposition und perkutane K-Draht-Osteosynthese
- Geschlossene Reposition und intramedulläre Nagelung (ESIN)
- Verlaufskontrolle: Konventionelle Röntgenaufnahme
- Tag 0: Intraoperative Abschlusskontrolle
- Tag 28: Konsolidierung
- Vor Implantatentfernung
- Nachbehandlung
- Bei intramedullärer Nagelung (ESIN)
- Selbstmobilisierung bei Sportkarenz, keine axiale Belastung bis zur Implantatentfernung
- Implantatentfernung nach 12 Wochen
- Bei K-Draht-Osteosynthese
- Ruhigstellung im Gilchrist- oder Desault Verband für 2–3 Wochen
- Implantatentfernung nach 4 Wochen
- Bei intramedullärer Nagelung (ESIN)
Bei Weichteilinterposition ist ggf. eine offene Reposition erforderlich!
Humerusschaftfraktur
Konservative Therapie [4][30][31]
- Indikation
- Wenig dislozierte Fraktur (Varus-/Valgusfehlstellung ≤20–30° und Ante-/Rekurvation ≤20°)
- Fraktur beim Neugeborenen
- Vorgehen
- Reposition in Analgosedierung oder kurzer Allgemeinanästhesie
- Ruhigstellung in Oberarmgipsschiene mit Schulter- und Ellenbogeneinschluss (sog. Coaptation Splint) für 2 Wochen
- Im Anschluss Wechsel auf Oberarm-Brace für weitere 2–4 Wochen möglich
- Verlaufskontrolle: Konventionelle Röntgenaufnahme
- Tag 0: Diagnosestellung
- Tag 7: Stellungskontrolle
- Tag 28: Konsolidierung
- Nachbehandlung: Eigenmobilisation nach erfolgter Ruhigstellung
Unabhängig vom Dislokationsgrad heilen fast alle Humerusschaftfrakturen bei Neugeborenen konservativ aus!
Operative Therapie [4][30][31]
- Indikation
- Überschreiten der altersspezifischen Korrekturgrenzen
- <5 Jahren: Ante-/Rekurvation >70°, Varusfehlstellung >30°
- 5–12 Jahre: Ante-/Rekurvation >40–70°, Varusfehlstellung >30°
- >12 Jahre: Ante-/Rekurvation >40°, Varusfehlstellung >30°, Dislokation >½ Schaftbreite
- Bilaterale Verletzung oder ipsilaterale Unterarmverletzung
- Zusätzliche suprakondyläre Humerusfraktur (sog. Floating Elbow)
- Überschreiten der altersspezifischen Korrekturgrenzen
- Vorgehen
- Geschlossene Reposition und intramedulläre Nagelung (ESIN)
- Offene Reposition und Plattenosteosynthese
- Geschlossene oder offene Reposition und Anlage eines Fixateur externe
- Verlaufskontrolle: Konventionelle Röntgenaufnahme
- Tag 0: Intraoperative Abschlusskontrolle
- Tag 28: Konsolidierung
- Vor Implantatentfernung
- Nachbehandlung
- Bei intramedullärer Nagelung (ESIN) bzw. Plattenosteosynthese
- Selbstmobilisierung bei Sportkarenz, keine axiale Belastung bis zur Konsolidierung
- Implantatentfernung nach 12 Wochen
- Bei Fixateur externe: Abhängig von Weichteilschaden und Konsolidierung
- Bei intramedullärer Nagelung (ESIN) bzw. Plattenosteosynthese
Distale Humerusfraktur
Suprakondyläre Fraktur [21][22][32]
Konservative Therapie
- Indikation
- Fraktur Typ I der Klassifikation nach Lutz von Laer
- Fraktur Typ II der Klassifikation nach Lutz von Laer nach individueller Indikationsstellung
- Vorgehen
- Reposition in Analgosedierung oder kurzer Allgemeinanästhesie
- Ruhigstellung im (zunächst gespaltenen) Oberarmgips oder mittels Blount-Schlinge für 4 Wochen
- Verlaufskontrolle: Konventionelle Röntgenaufnahme
- Tag 0: Diagnosestellung
- Tag 2–3: Stellungskontrolle nach Reposition
- Tag 7: Stellungskontrolle
- Tag 28: Konsolidierung
- Nachbehandlung: Eigenmobilisation nach erfolgter Ruhigstellung
Operative Therapie
- Indikation
- Fraktur Typ III und IV der Klassifikation nach Lutz von Laer
- Mehrfragmentfraktur oder sekundär dislozierte Fraktur
- Weichteilinterposition (Periost, Gefäß-Nerven-Bündel)
- Vorgehen
- Geschlossene Reposition und K-Draht-Osteosynthese
- Geschlossene Reposition und deszendierende intramedulläre Nagelung (ESIN)
- Bei Repositionshindernis oder Verletzung des Gefäß-Nerven-Bündels: Offene Reposition und K-Draht-Osteosynthese
- Bei knöcherner Trümmerzone oder großem Weichteilschaden: Ggf. Anlage eines Fixateur externe
- Verlaufskontrolle: Konventionelle Röntgenaufnahme
- Tag 0: Intraoperative Abschlusskontrolle
- Tag 7: Stellungskontrolle
- Tag 28: Konsolidierung
- Vor Implantatentfernung
- Nachbehandlung
- Bei K-Draht-Osteosynthese
- Ruhigstellung des Oberarms für im (zunächst gespaltenen) Castverband
- Implantatentfernung und Eigenmobilisation nach 4 Wochen
- Bei intramedullärer Nagelung (ESIN)
- Ruhigstellung des Oberarms bis zur Abschwellung im gespaltenen Castverband
- Eigenmobilisation nach erfolgter Ruhigstellung
- Implantatentfernung nach 8–12 Wochen
- Bei Fixateur externe: Abhängig von Weichteilschaden und Konsolidierung
- Bei K-Draht-Osteosynthese
Epikondyläre Frakturen [20][32][33]
Konservative Therapie
- Indikation
- Unvollständiger Abriss
- Dehiszenz ≤5 mm
- Vorgehen: Ruhigstellung im (zunächst gespaltenen) Oberarmgips für 4 Wochen
- Verlaufskontrolle
- Tag 0: Diagnosestellung
- Tag 4–7: Stellungskontrolle
- Tag 28: Konsolidierung
- Nachbehandlung: Eigenmobilisation nach erfolgter Ruhigstellung
Operative Therapie
- Indikation
- Vorgehen: Offene Reposition und Osteosynthese mit Schraube (bei kleinen Fragmenten ggf. mit K-Drähten)
- Verlaufskontrolle
- Tag 0: Intraoperative Abschlusskontrolle
- Tag 7: Stellungskontrolle
- Tag 28: Konsolidierung
- Vor Implantatentfernung
- Nachbehandlung
- 3–4 Wochen Ruhigstellung im (zunächst gespaltenen) Oberarmgips
- Eigenmobilisation nach erfolgter Ruhigstellung (bei Sportkarenz, ohne axiale Belastung)
- Implantatentfernung nach 6–12 Wochen
Condylus-radialis-Fraktur [20][32][33]
Konservative Therapie
- Indikation: Inkomplette oder stabile Fraktur
- Vorgehen: (Zunächst gespaltener) Oberarmgips für 4 Wochen
- Verlaufskontrolle
- Tag 0: Diagnosestellung
- Tag 4–5: Stellungskontrolle
- Tag 28: Konsolidierung
- Nachbehandlung: Eigenmobilisation nach erfolgter Ruhigstellung
Operative Therapie
- Indikation
- Dehiszenz >2 mm
- Gelenkstufe
- Vorgehen
- Geschlossene Reposition und Osteosynthese mit Schrauben oder K-Drähten
- Offene Reposition und Osteosynthese mit Schrauben oder ggf. K-Drähten
- Verlaufskontrolle
- Tag 0: Intraoperative Abschlusskontrolle
- Tag 7: Stellungskontrolle
- Tag 28: Konsolidierung
- Vor Implantatentfernung
- Nachbehandlung
- Ruhigstellung im (zunächst gespaltenen) Oberarmcast für 4 Wochen
- Implantatentfernung nach 6–12 Wochen
Transkondyläre Fraktur [20][33]
Konservative Therapie
- Indikation
- Stabile Fraktur
- Frakturspalt ≤2 mm
- Vorgehen: Ruhigstellung im (zunächst gespaltenen) Oberarmcast für 4–6 Wochen
- Verlaufskontrolle
- Tag 0: Diagnosestellung
- Tag 4–5: Stellungskontrolle
- Tag 28: Konsolidierung
- Nachbehandlung: Eigenmobilisation nach erfolgter Ruhigstellung
Operative Therapie
- Indikation
- Instabile Fraktur
- (Sekundäre) Dislokation
- Frakturspalt >2 mm
- Vorgehen
- Kinder <10 Jahren: Geschlossene oder offene Reposition und K-Draht-Osteosynthese
- Kinder >10 Jahre: Offene Reposition und Platten-/Schraubenosteosynthese
- Verlaufskontrolle
- Tag 0: Intraoperative Abschlusskontrolle
- Tag 7: Stellungskontrolle
- Tag 28: Konsolidierung
- Vor Implantatentfernung
- Nachbehandlung
- Ruhigstellung im (zunächst gespaltenen) Oberarmcast für 4 Wochen
- Implantatentfernung nach 6–12 Wochen
Perioperatives Management
Für das allgemeine perioperative Management bei Kindern siehe: Grundlagen der Kinderanästhesie
- Dringlichkeit des operativen Eingriffs [34]
- Sehr hoch (unmittelbare Versorgung): Offene Fraktur, (drohender) Gefäß-Nerven-Schaden, (drohendes) Kompartmentsyndrom
- Hoch (Versorgung innerhalb ≤6 h): Stark dislozierte Fraktur
- Mäßig (Versorgung innerhalb von 6–12 h): Leicht dislozierte Fraktur
- Niedrig (elektive Versorgung): Gescheiterter konservativer Therapieversuch bzw. Implantatentfernung
- Perioperative Antibiotikaprophylaxe [35]
- Bei geschlossener Fraktur nur in Ausnahmefällen erforderlich
- Bei offener Fraktur: Cephalosporin der 2. Generation, bspw. Cefuroxim [36][37]
- Postoperative Analgesie [22]
- Basisanalgesie mit Nicht-Opioid-Analgetika für 3–5 Tage, siehe:
- Ibuprofen im Kindes- und Jugendalter
- Paracetamol im Kindes- und Jugendalter
- Zusätzliche Gabe von Opioiden (ggf. mittels PCIA) nach individueller Indikationsstellung
- Hoher Schmerzmittelbedarf kann auf Komplikationen hinweisen
- Basisanalgesie mit Nicht-Opioid-Analgetika für 3–5 Tage, siehe:
Ein hoher postoperativer Schmerzmittelbedarf kann auf das Vorliegen einer Ischämie oder eines Kompartmentsyndroms hinweisen!
Komplikationen
Allgemeine Komplikationen
- Gefäß- und Nervenverletzung
- Kompartmentsyndrom
- Wachstumsstörung bei Verletzung der Epiphysenfuge
- Bleibende Bewegungs- und Funktionseinschränkung
Postoperative Komplikationen
- Implantatversagen oder -dislokation
- Weichteilirritation über dem Implantat
- Wundheilungsstörung
- Pseudarthrose
- Siehe auch: Komplikationen nach Osteosynthese
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- S42.-: Fraktur im Bereich der Schulter und des Oberarmes
- S42.2-: Fraktur des proximalen Endes des Humerus
- S42.20: Teil nicht näher bezeichnet
- S42.21: Kopf
- Proximale Epiphyse
- Humeruskopffraktur mit zwei bis vier Fragmenten
- S42.22: Collum chirurgicum
- S42.23: Collum anatomicum
- S42.24: Tuberculum majus
- S42.29: Sonstige und multiple T eile
- S42.3: Fraktur des Humerusschaftes
- S42.4-: Fraktur des distalen Endes des Humerus
- Exklusive: Fraktur des Ellenbogens o.n.A. (S52.00)
- S42.40: Teil nicht näher bezeichnet
- S42.7: Multiple Frakturen der Clavicula, der Scapula und des Humerus
- S42.2-: Fraktur des proximalen Endes des Humerus
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.