Zusammenfassung
Der plötzliche Säuglingstod (SIDS) tritt unvermittelt aus völliger Gesundheit heraus auf und ereignet sich meist im Schlaf. Ätiologisch vermutet man ein Zusammenspiel aus individueller Vulnerabilität und kritischer Entwicklungsphase. Zudem wurden mehrere Risikofaktoren identifiziert (z.B. Schlaf in Bauchlage, Nikotinexposition und Überwärmung). Eltern sollten spätestens zu den Vorsorgeuntersuchungen (U2) über mögliche Präventionsmaßnahmen aufgeklärt werden. Da differenzialdiagnostisch eine Kindesmisshandlung mit Todesfolge ausgeschlossen werden muss, sollte eine rechtsmedizinische Untersuchung erfolgen.
Definition
- Unerwartetes und rasches Versterben von Neugeborenen und Säuglingen im 1. Lebensjahr
- Ausschlussdiagnose (siehe: SIDS-Diagnostik)
Epidemiologie
Ätiologie
- Multifaktoriell, nicht abschließend geklärt
- Triple-Risk-Hypothese: Zusammenspiel aus
- Gesteigerter Vulnerabilität [5]
- Kritischer Entwicklungsphase
- Externen Risikofaktoren
- Genetische Polymorphismen: Zusammenhang vermutet für
- Kardiale Ionenkanäle
- Serotonin-Transportproteine
- Autonomes Nervensystem
- Inflammationssystem
Beeinflussbare (externe) Risikofaktoren
- Schlafen in Seiten- oder Bauchlage
- Unsichere Schlafumgebung
- Co-Sleeping
- Überwärmung
- Nikotinexposition vor oder nach der Geburt
Nicht beeinflussbare Risikofaktoren
- Frühgeburtlichkeit
- Niedriges Geburtsgewicht und intrauterine Wachstumsretardierung
- Männliches Geschlecht [4]
- Junges Alter der Mutter
- Plötzlicher Säuglingstod eines Geschwisterkindes
Ursächlich ist vermutlich eine Kombination aus individueller Vulnerabilität, kritischer Entwicklungsphase und externen Triggerfaktoren!
Fast alle Fälle des plötzlichen Säuglingstodes ereignen sich im Schlaf!
Verlaufs- und Sonderformen
Sudden unexpected postnatal Collapse (SUPC) [4][6][7]
- Definition
- Neugeborene ≥35. Schwangerschaftswoche
- Unauffällige postnatale Anpassung des Neugeborenen (5-Minuten-APGAR ≥7)
- Unerwarteter Kollaps innerhalb der ersten 7 Lebenstage
- Tödlicher Verlauf (ca. 50% der Fälle) oder Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Betreuung
- Inzidenz
- 2,6–19/100.000 Lebendgeburten [6]
- Spezifische Risikofaktoren
- Verlegung der Atemwege (z.B. durch die mütterliche Brust beim Bonding in Bauchlage)
- Erstgebärende
- Prognose
- Letaler Verlauf bei ca. 50%
- Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie bei ca. 75% der Überlebenden
- Neurologische Defizite bei ca. 50% der Überlebenden
- Differenzialdiagnosen
- Prävention
- Engmaschige Betreuung der Familie im Kreißsaal für mind. 2 Stunden nach der Geburt
- Sicherer Haut-zu-Haut-Kontakt (inkl. Anleitung der Eltern)
- Mutter
- Aufrechte Position in 45°
- Kontinuierliche Beobachtung des kindlichen Gesichts ermöglichen
- Neugeborene
- Bauchlage mit zusätzlicher Aufsichtsperson
- Seitliche Kopflage
- Freie Nasenatmung
- Ausreichende Wärmezufuhr
- Mutter
- Eltern für Warnsymptome sensibilisieren und ermutigen, sich bei Bedarf Hilfe zu holen
- Beachtung der allgemeinen SIDS-Prophylaxe
Die ersten Stunden und Tage nach der Geburt stellen eine besonders kritische Phase dar!
Die Eltern sollten bei der sicheren Positionierung des Neugeborenen angeleitet und für Warnsymptome sensibilisiert werden!
Themenverwandte Ereignisse ohne Korrelation zu SIDS
Der Begriff „ALTE“ suggeriert fälschlicherweise eine Korrelation zum SIDS und wurde durch „BRUE“ ersetzt!
Diagnostik
- Ausführliche Schwangerschafts-/Familien-/Patientenanamnese
- Evaluation der genauen Todesumstände
- Durchführung einer umfassenden rechtsmedizinischen Untersuchung [3][4]
- Bei Obduktion definitionsgemäß keine erkennbare Todesursache feststellbar
- Charakteristische Befunde bei
- Äußerer Leichenschau
- Altersgerecht entwickelter Säugling
- Meist unauffälliger Pflege- und Ernährungszustand
- Hinweise auf vermehrtes Schwitzen [3]
- Hinweise auf Erbrechen in der Sterbephase
- Weißlich-schaumiges Sekret vor oder in den Atemwegen
- Innerer Leichenschau
- Intrathorakale petechiale Blutungen
- Lungenödem
- Biochemische und strukturelle Zeichen einer chronischen leichtgradigen Hypoxie
- Äußerer Leichenschau
Praktisches Vorgehen nach einem plötzlichen Säuglingstod [3]
- Ärzt:innen, die den Tod feststellen, sollten diesen als unklar einstufen
- Polizei oder Staatsanwaltschaft muss umgehend informiert werden
- Bis zum Eintreffen der Polizei keine Veränderungen am Leichnam oder der Umgebung vornehmen
- Durchführung einer Obduktion empfehlen
- Staatsanwaltschaft: Entscheidet über das weitere Vorgehen
- Obduktion: Aus medizinischer Sicht immer notwendig
- Ausschluss einer nicht-natürlichen Todesart: Insb. durch Kindesmisshandlung mit Todesfolge [3]
- Ausschluss einer natürlichen Todesart
- Gewissheit für die Eltern
- Obduktion: Aus medizinischer Sicht immer notwendig
Da differenzialdiagnostisch eine Kindesmisshandlung mit Todesfolge in Betracht kommt, sind eine sorgfältige Diagnostik und Dokumentation obligat!
Der plötzliche Säuglingstod sollte immer als unklare Todesart eingestuft und die Polizei informiert werden!
Differenzialdiagnosen
- Infektiöses Geschehen (z.B. Pneumonie, RSV-Bronchiolitis, Pertussis, Sepsis)
- Kongenitale oder genetische Erkrankungen (z.B. angeborene Herzfehler, Long-QT-Syndrom)
- Unfall (z.B. Strangulation, Ersticken)
- Kindesmisshandlung mit Todesfolge (z.B. nicht-akzidentelles Schädel-Hirn-Trauma)
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Beginn einer pädiatrischen Reanimation, falls sichere Todeszeichen fehlen
- Keine Reanimation bei sicheren Todeszeichen
Prävention
Empfehlungen zum sicheren Schlaf
- Rückenlage : Replatzierung nach eigenständigem Drehen nicht notwendig
- Eigenes Babybett im Elternschlafzimmer
- Feste Unterlage ohne Erhöhung
- Schlafsack in geeigneter Größe
- Freie Luftzirkulation im Babybett
- Rauchfreie Umgebung des Kindes
- Schnuller zum Einschlafen anbieten
- Vermeidung von
- Überwärmung
- Festem Einwickeln des Säuglings (sog. „Pucken“)
- Freien Objekten im Bett (z.B. Kissen, Decken oder Kuscheltiere)
Schlaf in Rückenlage hat den größten Einfluss auf die Reduktion des SIDS-Risikos!
Allgemeine Empfehlungen
Die Maßnahmen zur SIDS-Prävention sollten allen Eltern erklärt und durch ein Merkblatt [10][11] verdeutlicht werden! Sie gelten für das gesamte 1. Lebensjahr!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- R95.-: Plötzlicher Kindstod vor Vollendung des ersten Lebensjahres
- R96.-0: Plötzlicher ungeklärter Tod (Kindstod) nach Vollendung des ersten Lebensjahres
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.