Zusammenfassung
Bei einem Brief resolved unexplained Event (BRUE) handelt es sich um ein kurzes, plötzlich auftretendes und abgeschlossenes Ereignis im Säuglingsalter mit Veränderungen des Hautkolorits, des Atemmusters, des Muskeltonus und/oder des Bewusstseins. Zum Untersuchungszeitpunkt sind die Auffälligkeiten vollständig sistiert. Die Symptome lassen sich nicht durch eine zugrunde liegende Erkrankung erklären. Eine weiterführende Diagnostik ist hauptsächlich bei Hochrisikofällen mit anamnestischen oder klinischen Auffälligkeiten indiziert. Differenzialdiagnostisch kommen u.a. ein gastroösophagealer Reflux, epileptische Anfälle oder ein infektiöses Geschehen in Betracht. Es muss immer die Möglichkeit einer Kindesmisshandlung (bspw. Münchhausen-by-proxy-Syndrom und NASHT) geprüft werden.
Die American Academy of Pediatrics empfiehlt, frühere Terminologien wie ALTE (Apparent Life-threatening Event) oder „Near-missed SIDS“ zu verlassen, da diese fälschlicherweise eine Korrelation zum plötzlichen Säuglingstod bzw. eine erhöhte Mortalität suggerieren.
Definition
- Plötzliches, kurzes (i.d.R. <1 min ) und vollständig beendetes Ereignis im 1. Lebensjahr mit mind. einem der folgenden Symptome [1]
- Zyanose oder Blässe
- Fehlende, abgeflachte oder unregelmäßige Atmung
- Muskuläre Hypo- oder seltener Hypertonie
- Vigilanzstörung
- Anamnestisch und klinisch nicht durch eine zugrunde liegende Erkrankung erklärbar
- Es gibt noch keinen deutschsprachigen Begriff für diese Definition der American Academy of Pediatrics von 2016. Sie findet in der deutschen Literatur jedoch bereits Anwendung. [2]
Beim BRUE handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose!
- Veraltet: Anscheinend lebensbedrohliches Ereignis (ALE) [2]
- Englische Synonyme: Apparent Life-threatening Event (ALTE), Near-missed SIDS
- Definition: Plötzliches, kurzes und für Beobachtende lebensbedrohlich wirkendes Ereignis im 1. Lebensjahr mit mind. einem der folgenden Symptome
- Apnoe
- Zyanose oder Blässe
- Muskuläre Hypo- oder Hypertonie
- Würgen
- Erstickungszeichen
- Durch externe Stimulation oder Reanimation wird das Ereignis erfolgreich beendet
Seit 2016 empfiehlt die American Academy of Pediatrics, „ALTE“ durch „BRUE“ zu ersetzen! [1]
Epidemiologie
-
Inzidenz mit ALTE-Definition: Ca. 2/1.000 Lebendgeburten [2]
- Keine Veränderung durch SIDS-Prophylaxe [3]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Einteilung nach Risikoprofil
- Risiko für eine schwere Grunderkrankung oder ein erneutes Ereignis [1]
- Niedrig (alle Kriterien müssen zutreffen)
- Aktuelles Alter >60 Lebenstage
- Gestationsalter bei Geburt ≥32 SSW
- Aktuelles Reifealter ≥45 SSW
- Dauer des Ereignisses <1 min
- Keine Notwendigkeit einer Reanimation durch medizinisches Personal
- Keine Auffälligkeiten in der Anamnese oder klinischen Untersuchung
- Erstes Ereignis dieser Art
- Hoch: Alle übrigen Neugeborenen oder Säuglinge mit BRUE
- Niedrig (alle Kriterien müssen zutreffen)
Diagnostik
Ausführliche Anamnese [1]
- Vor dem Ereignis
- Auffindesituation
- Zeitlicher Abstand zur letzten Mahlzeit
- Während des Ereignisses
- Symptomatik inkl. Atemmuster, Hautkolorit, Muskeltonus, Bewusstseinszustand und möglicher Begleitsymptome
- Dauer der Symptomatik
- Mögliche Maßnahmen bzw. Interventionen
- Nach dem Ereignis
- Rasches oder langsames Sistieren
- Dauer bis zur vollständigen Symptomfreiheit
- Hinweise auf Kindesmisshandlung
- Unplausible oder inkonstante Anamnese
- Auffällig häufige Konsultationen von Ärzt:innen
- Wiederholte Ereignisse in Gegenwart derselben Person
- Siehe auch: Red Flags für Münchhausen-by-proxy-Syndrom
- Siehe auch: Plausibilitätsprüfung bei V.a. Kindesmisshandlung
- Patientenanamnese
- BRUE in der Vorgeschichte
- Kürzliche Infektionen, Unfälle oder sonstige Erkrankungen
- Impfung <48 h
- Frühkindliche Entwicklung und Vorerkrankungen
- Stillanamnese
- Schwangerschaftsanamnese
- Familienanamnese
- Geschwister mit BRUE oder SIDS
- Plötzliche Todesfälle (z.B. plötzlicher Herztod)
- Familiäre Erkrankungen
- Sozialanamnese
Eine ausführliche Anamnese ist zur Eingrenzung möglicher Differenzialdiagnosen obligat und sollte mit der Person erfolgen, die die Episode selbst beobachtet hat!
Ausführliche körperliche Untersuchung [1]
- Besonderheiten bei V.a. BRUE
- Allgemein
- Interaktion der Eltern mit dem Kind
- Altersentsprechender Ernährungs- und Pflegezustand
- Hinweise auf Fehlbildungen bzw. Stigmata
- Haut
- Hautkolorit und Perfusion
-
Hämatome
- Siehe auch: Prädilektionsstellen körperlicher Misshandlung
- Kopfbereich
- Kopfform, Palpation der Fontanellen
- Verlegte Nasenatmung
- Hämatome oder Verletzungen
- Thorax
- Genitalbereich
- Extremitäten
- Neurologisch
- Wachsamkeit bzw. Reaktion auf Ansprache
- Muskeltonus bzw. Spontanmotorik
- Pupillenreaktion und Reflexstatus
- Sonstiges
- Perzentilengerechtes Wachstum
- Vitalparameter
- Allgemein
Es sollte eine umfassende körperliche Untersuchung am vollständig entkleideten Neugeborenen bzw. Säugling erfolgen!
Weiterführende Diagnostik
- Niedrigrisiko: Restriktives Vorgehen empfohlen [1]
- 12-Kanal-EKG
- Kurzzeitige Überwachung mit Pulsoxymetrie
- Ggf. Pertussis-Schnelltest
- Hochrisiko: Diagnostik individuell erweitern (ggf. stationäre Aufnahme) [4]
- Apparative Diagnostik
- 12-Kanal-EKG
- Pulsoxymetrie ≥4 h
- Ggf. (Schlaf‑)EEG
- Labordiagnostik
- BZ, BGA inkl. Lactat, Hkt, CRP
- Neugeborenenscreening
- Virale Erregerdiagnostik
- Mitbeurteilungen
- Beurteilung der Füttersituation
- Sozialdienst
- Ggf. fachspezifische Konsile
- Bei V.a. Kindesmisshandlung
- Mitbeurteilung durch weitere Fachkraft bzgl. Missbrauch
- Ggf. cMRT oder Röntgen-Skelettscreening
- Bei wiederholten unklaren Ereignissen
- Ggf. Heimmonitorversorgung mit Speicherfunktion [5]
- Apparative Diagnostik
Akutmaßnahmen
- Stimulation
- Ansprache
- Manuelle Stimulation
- Säugling hochnehmen
- Gesicht anpusten (Atemreflex auslösen)
- Ausschluss von Ursachen, die ggf. akut behoben werden können
-
Fremdkörperaspiration
- Enoral nach Fremdkörper suchen
- Siehe auch: Notfallmanagement der Fremdkörperaspiration
-
Epileptischer Anfall
- Fieberkrampf oder afebrile epileptische Anfälle
- Siehe auch: Akutes Vorgehen während eines epileptischen Anfalls beim Kind
- Apnoe-Bradykardie-Syndrom (bei ehemaligen Frühgeborenen)
- Hypoglykämie
- Affektkrampf
-
Fremdkörperaspiration
- Reanimation
- Siehe auch: Reanimation von Neugeborenen
- Siehe auch: Reanimation von Neugeborenen - AMBOSS-SOP
Differenzialdiagnosen
Häufige Differenzialdiagnosen des BRUE | ||
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Klinische oder anamnestische Befunde | Mögliche Differenzialdiagnosen | |
Gastrointestinal |
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Infektiös |
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Neurologisch |
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Respiratorisch |
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Kardial |
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Metabolisch |
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Traumatisch |
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Kindesmisshandlung |
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Sonstiges |
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Letztlich kann der kausale Zusammenhang dieser Differenzialdiagnosen nur bestätigt bzw. ausgeschlossen werden, wenn während der Diagnostik (z.B. Monitorüberwachung) ein typisches Ereignis auftritt!
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Kein erhöhtes Sterberisiko nach BRUE [5]
- Erhöhtes Wiederholungsrisiko ≤4 Wochen nach dem Erstereignis [2]
BRUE ist nicht mit einem erhöhten Sterberisiko assoziiert!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- R06.8-: Sonstige und nicht näher bezeichnete Störungen der Atmung
- Exkl.: Apnoe beim Neugeborenen (P28.4), Schlafapnoe (G47.3‑), Schlafapnoe beim Neugeborenen (primär) (P28.3)
- R06.80: Akutes lebensbedrohliches Ereignis im Säuglingsalter
- R06.88: Sonstige und nicht näher bezeichnete Störungen der Atmung
- Apnoe o.n.A.
- Erstickungsgefühl
- Respiratorische Affektkrämpfe
- Seufzen
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.