Zusammenfassung
Bei der häufig vorkommenden, eher unterdiagnostizierten allergischen Konjunktivitis zeigen sich neben den klassischen okulären Symptomen (Rötung, Fremdkörpergefühl, Jucken und vermehrte Sekretion) häufig allergische Begleitsymptome wie Niesen und Juckreiz von Nase, Ohren und/oder Rachen. Die Diagnosestellung erfolgt klinisch und kann durch eine Allergietestung der Haut oder im Blut verifiziert werden. Neben einer Allergenkarenz kommen therapeutisch insb. lokale Antihistaminika oder Mastzellstabilisatoren zum Einsatz.
Ätiologie
- Allergische Genese
- Assoziiert mit Prädisposition für Atopie (atopisches Ekzem, Asthma bronchiale)
Pathophysiologie
- Hohe Dichte an Mastzellen in Lid und Konjunktiva → hohe Reaktivitätsbereitschaft
- Eye-Associated Lymphoid Tissue (EALT): Lymphatisches Gewebe von Tränendrüse über Bindehaut bis Tränenkanal → Erkennen von Antigenen und Aktivieren von Effektorzellen
- Conjunctiva-Associated Lymphoid Tissue (CALT): Lymphatisches Gewebe der Bindehaut, insb. im Bereich des oberen Tarsus
- Bei Fehlregulation → überschießende Reaktion
- Nach Sensibilisierungsphase bei Erstkontakt mit dem Allergen lange Latenzphase möglich
- Typ-I-IgE-vermittelte Reaktion: Mastzelldegranulation und Mediatorenfreisetzung
- Konjunktivale Epithel- und Becherzellen: Mechanische Barriere und Erregerabwehr durch Ausbilden von Oberflächenmolekülen (aktive Beteiligung an immunvermittelten Reaktionen)
Übersicht
Fünf klinische Formen der allergischen Konjunktivitis
- Saisonale allergische Konjunktivitis (SAC)
- Perenniale Konjunktivitis (PAC)
- Keratokonjunktivitis vernalis (VKC)
- Atopische Keratokonjunktivitis (AKC)
- Gigantopapilläre Konjunktivitis (GPC)
SAC, PAC und GPC sind subjektiv störend, führen aber i.d.R. nicht zu Folgeschäden, während VKC und AKC durch Beteiligung der Hornhaut zu irreversibler Visusminderung führen können. Die Differenzierung kann meist klinisch in Kombination mit der Anamnese erfolgen.
Differenzierung der allergietypischen Symptome
- Ohne Hornhautbeteiligung
- Ohne Kontaktlinse
- Dauer <4 Wochen, Symptome <4×/Woche: Saisonale allergische Konjunktivitis (SAC)
- Dauer ≥4 Wochen, Symptome ≥4×/Woche: Perenniale Konjunktivitis (PAC)
- Mit Kontaktlinse: Gigantopapilläre Konjunktivitis (GPK)
- Ohne Kontaktlinse
- Mit Hornhautbeteiligung
Allergische Formen der Konjunktivitis können durch bakterielle Superinfektion in eine eitrige Konjunktivitis übergehen!
Saisonale allergische Konjunktivitis (SAC) und perenniale Konjunktivitis (PAC)
Definition
- Saisonale allergische Konjunktivitis (SAC) = Klassische allergische Konjunktivitis durch saisonale Allergene, insb. Pollen und Schimmelpilzsporen (auch: „Heuschnupfenkonjunktivitis“) mit Auftreten im Zeitraum von Frühling bis Herbst und Abklingen über die Wintermonate
- Perenniale Konjunktivitis (PAC) = Ganzjährige allergische Konjunktivitis, häufig durch (zusätzliche) Allergie gegen Hausstaubmilben und/oder Tierhaare
Epidemiologie
- Saisonale allergische Konjunktivitis (SAC)
- Inzidenz: Ca. 15–20% aller allergischen Konjunktivitiden (häufigste)
- Altersgipfel: Kindesalter und 17–34 J.
- Perenniale Konjunktivitis (PAC): Keine Daten vorhanden
Ätiologie
- Genetische Prädisposition
- Meist Umweltallergene auslösend
Klinik
- Juckreiz
- Rötung, Brennen, Augentränen
- Chemosis (Bindehautödem) der Konjunktiva
- Ggf. klare Sekretion, im Verlauf oft mukopurulent
- Keine Beteiligung von Lidern oder Hornhaut
- Rhinoconjunctivitis allergica („Heuschnupfen“): Kombination von Konjunktivitis und Rhinitis (häufig!)
Diagnostik
- Klinik und Anamnese meist ausreichend (Kontaktlinsen, Verwendung von Augentropfen, bekannte Allergien, stattgehabte Reaktionen, Familienanamnese)
- Ektropionieren (Umschlagen) des Ober- und Unterlides
- Ggf. Allergietestung zur Differenzierung auslösender Antigene (siehe auch: Allergische Erkrankungen)
- Ggf. Untersuchung der Tränenflüssigkeit: Nachweis und Messung von Eosinophilen, Neutrophilen, Gesamt-IgE, Histamin, Tryptase, Eosinophil Cationic Protein
Therapie
- Allergenkarenz
- Medikamentöse Therapie
- (Konservierungsmittelfreie) Tränenersatzmittel („Auswascheffekt“)
- Lokale Antihistaminika
- und/oder Mastzellstabilisatoren, bspw. Cromoglicinsäure
- Nicht empfohlen werden okuläre Glucocorticoide, NSAR oder Vasokonstriktoren
- Ggf. systemische Antihistaminika .
- Kinder <30 kg
- Kinder >30 kg und Erwachsene
- Bei Rhinoconjunctivitis allergica ggf.
- Nasale Antihistaminika (bei Naselaufen)
- Nasale Corticosteroide (bei verlegter Nasenatmung)
- Kinder 3–12 J.
- Kinder >12 J. und Erwachsene
- Nasale Kombinationspräparate aus Antihistaminika und Glucocorticoiden (bei Naselaufen und verlegter Nasenatmung)
- Siehe auch: Nasale Antihistaminika und Steroide
- Bei bakterieller Superinfektion: ggf. antibiotische Augentropfen, siehe: Therapeutisches Vorgehen bei Konjunktivitis
- Allergen-Immuntherapie (AIT)
- Voraussetzung: Eindeutiger Nachweis des auslösenden Allergens
- Indikation: „Befürchteter Etagenwechsel“ (Entwicklung asthmatischer Beschwerden)
Bei Patienten mit allergischer Disposition bieten sich konservierungsmittelfreie Augentropfen in einzelnen Phiolen an, die über 24 h aufgebraucht werden können!
Prognose
- Meist keine Komplikationen, folgenloser selbstlimitierender Verlauf
Keratokonjunktivitis vernalis (VKC)
Definition
Die Keratokonjunktivitis vernalis (VKC) ist eine beidseitige, rezidivierende, allergische Bindehautentzündung, die schubweise im Frühling auftritt (sog. „Frühjahrskatarrh“) und häufig mit einer Hornhautschädigung einhergeht.
Epidemiologie
- Inzidenz: In Mitteleuropa ca. 0,1–1% aller Augenkrankheiten (selten)
- Altersgipfel: 80–95% im Kindes- und Jugendalter
- Geschlechterverhältnis: Präpubertär ♂ > ♀ (3:1), dann 1:1
Ätiologie
- Genetische Prädisposition
- Assoziiert mit Atopie (atopisches Ekzem, Asthma bronchiale)
- Eher saisonale Allergene
- TH2-Aktivierung, genaue Pathogenese nicht geklärt
Klinik
- Beidseitige rezidivierende Konjunktivitis
- Juckreiz
- Zähes muköses Sekret, insb. morgens
- Photophobie bis zum Blepharospasmus
- Unterformen
- Tarsale Form: Riesenpapillen (siehe: Diagnostik)
- Limbusbetonte Form: Schwellung im Übergangsbereich von Konjunktiva und Hornhaut mit Ödem, Hyperämie und „Trantas-Flecken“
Diagnostik
- Klinik und Anamnese meist ausreichend (Kontaktlinsen, Verwendung von Augentropfen, bekannte Allergien, stattgehabte Reaktionen, Familienanamnese)
- Doppeltes Ektropionieren: Riesenpapillen (>1 mm Durchmesser), insb. im oberen Tarsalbereich
- Ggf. Untersuchung der Tränenflüssigkeit: Nachweis und Messung von Eosinophilen, Neutrophilen, Gesamt-IgE, Histamin, Tryptase, Eosinophil Cationic Protein
- Ggf. Biopsie oder Scraping der Bindehaut (sehr invasiv): Nachweis von Eosinophilen, Neutrophilen
- Ggf. Allergietestung zur Differenzierung auslösender Antigene (siehe auch: Allergische Erkrankungen)
Therapie
- Karenz: Meiden von auslösenden Allergenen bzw. Reizen
- Medikamentöse Therapie: Antihistaminika, Mastzellstabilisatoren und Glucocorticoide lokal, ggf. systemisch
- Bei leichtem Verlauf
- Lokale Antihistaminika
- und/oder Mastzellstabilisatoren
- Bei schwerem Verlauf zusätzlich
- Lokale Glucocorticoide, z.B. Dexamethason 0,1%
- Lokale Glucocorticoide sollten insgesamt sehr zurückhaltend und nur kurzfristig eingesetzt werden, da sie zu einem Sekundärglaukom und Katarakt führen können
- oder lokale Calcineurininhibitoren (bspw. Cyclosporin A, Tacrolimus)
- und/oder systemische Antihistaminika .
- Kinder <30 kg
- Kinder >30 kg und Erwachsene
- und/oder systemische Glucocorticoide
- Lokale Glucocorticoide, z.B. Dexamethason 0,1%
- Bei leichtem Verlauf
- Allergen-Immuntherapie (AIT): Bisher nur wenige Erfahrungen bei der VKC
Bei Patienten mit allergischer Disposition bieten sich konservierungsmittelfreie Augentropfen in einzelnen Phiolen an, die über 24 h aufgebraucht werden können!
Komplikationen
- Hornhautbeteiligung mit Epithelerosion und funktionellen Störungen, insb. schmerzlosen Ulzera (sog. „Schildulkus“ oder „Vernalis-Plaque“)
Prognose
- Ohne Hornhautbeteiligung: gute Prognose mit selbstlimitierendem Verlauf und folgenloser Abheilung
- Bei Hornhautbeteiligung: irreversible Visusminderung möglich
- Katarakt infolge langjähriger Steroideinwirkung bedenken
Atopische Keratokonjunktivitis (AKC)
Definition
Die atopische Keratokonjunktivitis (AKC) ist eine allergische Bindehautentzündung, die immer mit einem atopischen Ekzem vergesellschaftet ist und mit einer Hornhautbeteiligung einhergehen kann.
Epidemiologie
- Auftreten: Meist 20–50 J. , insb. im jungen Erwachsenenalter
Ätiologie
- Genetische Prädisposition
- Obligates Kriterium: Atopisches Ekzem
- Umweltallergene
- TH2-Aktivierung, genaue Pathogenese nicht geklärt
Klinik
- Hautbeteiligung: Gesicht, insb. Lider
- Konjunktivitis: Beidseitig, chronisch, insb. im Bereich der inferioren Fornix und der palpebralen Konjunktiva
- Juckreiz, Brennen, Rötung
- Chemosis
- Ggf. Riesenpapillen
- Zähes muköses Sekret, insb. morgens
- Im Verlauf Fibrose und Vernarbung, ggf. Symblepharon
- Hornhautbeteiligung: In 50–70%
- Keratitis punctata: oberflächliche Entzündung mit Mikrozysten
- Ggf. Pannusbildung mit Neovaskularisation und Ulzera
Diagnostik
- Klinik und Anamnese meist ausreichend (Kontaktlinsen, Verwendung von Augentropfen, bekannte Allergien, stattgehabte Reaktionen, Familienanamnese)
- Ektropionieren (Umschlagen) des Ober- und Unterlides
- Ggf. Untersuchung der Tränenflüssigkeit: Nachweis und Messung von Eosinophilen, Neutrophilen, Histamin, Tryptase, Eosinophil Cationic Protein
- Ggf. Biopsie oder Scraping der Bindehaut (sehr invasiv): Nachweis von Eosinophilen, Neutrophilen
- Ggf. Allergietestung zur Differenzierung auslösender Antigene (siehe auch: Allergische Erkrankungen)
Therapie
- Karenz: Meiden von auslösenden Allergenen bzw. Reizen
- Medikamentöse Therapie (siehe: VKC)
- Ggf. zusätzlich systemische Calcineurininhibitoren (bspw. Cyclosporin A, Tacrolimus)
- Allergen-Immuntherapie (AIT): Bisher nur wenige Erfahrungen bei der AKC
- Ggf. chirurgische Therapie der Hornhautläsionen
Bei Patienten mit allergischer Disposition bieten sich konservierungsmittelfreie Augentropfen in einzelnen Phiolen an, die über 24 h aufgebraucht werden können!
Komplikationen
- Mikrobielle Superinfektion (20% HSV )
- Keratokonus (bis zu 16%)
- Subkapsuläre Katarakte (ca. 10%)
Prognose
- Bei chronischen Verläufen problematisch, abhängig vom Ausmaß der Hornhautbeteiligung, irreversible Visusminderung möglich
- Schlechtere Prognose bei Symptombeginn in frühem Lebensalter
- Katarakt infolge langjähriger Steroideinwirkung bedenken
Gigantopapilläre Konjunktivitis (GPC)
Definition
Die gigantopapilläre Konjunktivitis (GPC) ist eine Bindehautentzündung aus dem immunologisch-allergischen Formenkreis, die häufig mit dem Tragen von Kontaktlinsen einhergeht und zu der Ausbildung von Riesenpapillen führt.
Epidemiologie und Ätiologie
- Nachweis von Mastzellen und Eosinophilen im Bindehautstroma, erhöhte Dichte der CD4-positiven T-Lymphozyten, genaue Pathogenese nicht geklärt
- Assoziiert mit Veränderungen infolge des Tragens von Kontaktlinsen: Etwa 5–10% aller Träger von weichen und etwa 5% von harten Kontaktlinsen betroffen
- Wahrscheinlich sind Lipid- und Proteinablagerungen auslösend
- Lange Tragezeiten von Kontaktlinsen begünstigen die GPC
- Seltener wurden entsprechende Symptome auch im Zusammenhang mit Hornhautnähten und Augenprothesen nachgewiesen
Klinik
- Riesenpapillen an der tarsalen Bindehaut des Oberlids
- Juckreiz und zähes muköses Sekret, insb. beim Entfernen der Kontaktlinse
- Kontaktlinsen werden nicht oder nur kurz toleriert
- Chemosis, Hyperämie und Epitheldefekte im Sinne einer allergischen Konjunktivitis
Diagnostik
- Klinik und Anamnese meist ausreichend
- Ektropionieren (Umschlagen) des Ober- und Unterlides
- Weiterführende Diagnostik bei persistierender Symptomatik
Therapie
- Karenz (Kontaktlinsenpause für mind. 2 Wochen)
- Akute medikamentöse Therapie
- Lokale konservierungsmittelfreie Antihistaminika
- und/oder Mastzellstabilisatoren
- Langfristige Maßnahmen
- Verwenden von Pflegemitteln ohne Konservierungsstoffe (z.B. AOSept®, Easysept®, Oxysept Comfort®)
- Ggf. Wechsel des Kontaktlinsenmaterials
- Hygienemaßnahmen
- Verkürzte Tragezeit
- Striktes Beachten der Linsen- und Pflegemittelhaltbarkeit
- (Konservierungsmittelfreie) Tränenersatzmittel („Auswascheffekt“)
Bei Patienten mit allergischer Disposition bieten sich konservierungsmittelfreie Augentropfen in einzelnen Phiolen an, die über 24 h aufgebraucht werden können!
Prognose
- Meist folgenlose Abheilung
- Bei ca. 50% aller Patienten mit Kontaktlinsen kann durch entsprechende Maßnahmen ein weiteres Tragen der Kontaktlinsen ermöglicht werden
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- H10.-: Konjunktivitis
- Exklusive: Keratokonjunktivitis (H16.2)
- H10.0: Mukopurulente Konjunktivitis
- H10.1: Akute allergische Konjunktivitis
- H10.2: Sonstige akute Konjunktivitis
- H10.3: Akute Konjunktivitis, nicht näher bezeichnet
- Exklusive: Ophthalmia neonatorum o.n.A. (P39.1)
- H10.4: Chronische Konjunktivitis
- H10.5: Blepharokonjunktivitis
- H10.8: Sonstige Konjunktivitis
- H10.9: Konjunktivitis, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.