Zusammenfassung
Die Keratitis (Hornhautentzündung) geht aufgrund der sensiblen Innervation der Hornhaut (bis auf einige Ausnahmen) mit starken Schmerzen einher. Weitere typische Befunde sind die Rötung des Auges, wässrige oder eitrige Sekretion und ein eingeschränkter Visus. Diagnostisch wegweisend ist neben der Symptomatik die Spaltlampenuntersuchung; ergänzende Maßnahmen (z.B. Abstriche) können bei relevanter Schwere der Befunde notwendig sein. Eine Entzündung der Hornhaut ist immer ernst zu nehmen und je nach Ursache (bakteriell, viral, mykotisch oder nicht-infektiös) suffizient zu therapieren, um Folgeschäden wie Vernarbungen, Trübungen oder gar Perforationen zu vermeiden.
Bakterielle Keratitis
- Epidemiologie: Häufigste Form der Keratitis (ca. 90%)
- Ätiologie
- Meist: Staphylokokken, Streptokokken, Moraxella, Pseudomonas aeruginosa, Proteus mirabilis
- Erhöhtes Risiko bei Tränenwegsstenose bzw. -infektion, Tragen von Kontaktlinsen
- Symptomatik
- Progrediente Schmerzen
- Fremdkörpergefühl
- Eitriges Sekret
- Photophobie
- Gemischte Injektion
- Verlaufsformen
- Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu folgenden Erscheinungsbildern:
- Keratitis punctata superficialis: Punktförmige Läsionen im Hornhautepithel
- (Ring‑)Ulkus: (Ringförmige) Ausbreitung des Erregers in der Hornhaut
- Ulcus corneae serpens („kriechendes“ Ulkus): Eindringen des Erregers ins Hornhautstroma und schnelle „kriechende“ Ausbreitung möglich
- Hypopyon : Exsudation von Leukozyten
- Sonderform: Pseudomonas aeruginosa: Fulminanter Verlauf mit schweren Ulzerationen und Zerstörung der Hornhaut innerhalb kurzer Zeit
- Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu folgenden Erscheinungsbildern:
- Therapie
- Lokaltherapie mit Breitband-Antibiotikum (z.B. Kombination aus Ofloxacin-Augentropfen, Gentamicin-Augentropfen, Erythromycin), z.B. stündliche Gabe, je nach Stadium
- Therapeutische Mydriasis
- Ggf. chirurgisch bei ausgeprägtem Befund oder (drohender) Perforation:
- Deckung mit Bindehaut oder Amnionmembran (Plazentagewebe)
- Keratoplastik à chaud
- Komplikationen
- Hornhautdestruktion bis hin zur Perforation
- Vernarbungen der Hornhaut (bis hin zum Leukom )
- Gefäßeinsprossung in die Hornhaut
- Erhöhung des intraokularen Drucks, ggf. Erniedrigung des intraokularen Drucks in der Akutphase
- Intraokulare Beteiligung
Aufgrund der Perforationsgefahr ist eine bakterielle Keratitis als ophthalmologischer Notfall zu behandeln!
Glucocorticoide sind bei bakterieller Keratitis kontraindiziert!
Virale Keratitis
Herpes-simplex-Keratitis
- Ätiologie: Infektion durch reaktivierte Herpes-simplex-Viren aus dem Ganglion trigeminale
- Formen: Drei klinische Erscheinungsbilder der Herpes-simplex-Keratitis sind anhand der betroffenen Ebene zu unterscheiden
Keratitis dendritica (epitheliale Keratitis)
- Symptomatik: Schmerzen, Fremdkörpergefühl und Photophobie
- Befunde
- Oberflächliche bäumchenartige Erosionen der Hornhaut
- Durch Anfärbung mit Fluoreszein gut sichtbar
- Herabgesetzte Sensibilität der Hornhaut
- Therapie: Lokale Gabe von Aciclovir
Glucocorticoide sind bei der Keratitis dendritica kontraindiziert!
Keratitis herpetica interstitialis (stromale Keratitis)
- Symptomatik: Sehverschlechterung und Schmerzen
- Befunde
- Infiltration des Hornhautstromas (schießscheibenartige zentrale Infiltration) bei intaktem Epithel
- Häufig Endothelbeschläge
- Therapie: Lokale und systemische Gabe von Aciclovir, topische Glucocorticoidgabe
Keratitis disciformis (endotheliale Keratitis)
- Pathophysiologie: Infektion des Endothels durch Herpesviren im Kammerwasser
- Symptomatik: Verschwommenes Sehen, keine Schmerzen
- Befunde
- Scheibenförmige Hornhauttrübung und intaktes Epithel
- Zellen in Vorderkammer und Endothelbeschläge
- Sektorförmiger Verlust des Pigmentblattes der Iris
- Anteriore Uveitis mit Iritis und Trabekulitis
- Komplikationen: Sekundärglaukom
- Therapie: Lokale und systemische Gabe von Aciclovir, topische Glucocorticoidgabe
Herpes-zoster-Keratitis (Zoster ophthalmicus)
- Ätiologie: Reaktivierte Herpes-zoster-Viren (Befall des 1. Astes des N. trigeminus = N. ophthalmicus)
- Symptomatik
- Keratitis
- Evtl. intraokulare Entzündung
- Im Innervationsbereich des N. ophthalmicus (Stirn, Nasenrücken und -spitze): Hauteffloreszenzen, Anaesthesia dolorosa (reduzierte Oberflächensensibilität bei gleichzeitig starken Schmerzen)
- Therapie: Lokale und/oder systemische virostatische Therapie mit Aciclovir
- Weitere Informationen: Siehe Herpes zoster
Adenoviren
Mykotische Keratitis
- Ätiologie
- Häufig Aspergillus und Candida albicans
- Okulare Verletzungen durch pilzhaltige Materialien (z.B. Holz)
- Erhöhtes Risiko durch Anwendung von Glucocorticoiden und Antibiotika
- Symptomatik
- Häufig schmerzarmer, langsamer Verlauf, sonst wie bakterielle Keratitis
- Weißliche Stromainfiltrate mit Satellitenläsionen
- Therapie
- Antimykotika wie Natamycin, Nystatin, Amphotericin B
- Bei therapierefraktären Befunden → Keratoplastik à chaud
Akanthamöbenkeratitis
- Ätiologie: Infektion durch frei lebende Amöben
- Charakteristika
- Eher seltenes Krankheitsbild
- Häufig bereits Verläufe über Wochen mit frustranen antibiotischen Therapieversuchen
- Meist Kontaktlinsenträger
- Symptomatik
- Starke Schmerzen
- Lichtscheu
- Tränenträufeln
- Visusabnahme
- Diagnostik
- Hornhautringabszess
- Nachweis meist schwierig
- Sicherer histologischer Nachweis von Amöbenzysten in Hornhautexzidat
- Immunfluoreszenz häufig ohne Ergebnis
- Nachweis von Amöbenzysten im konfokalen Hornhautmikroskop
- Mikrobiologische Untersuchung der Kontaktlinsen zur Erregersuche
- Therapie
- Konservativ: Intensive Lokaltherapie
- Chirurgisch: Ggf. Keratoplastik à chaud
Nicht-infektiöse Keratitis
Keratitis e lagophthalmo
- Definition: Keratitis durch mangelnden Lidschluss und daraus resultierender Trockenheit der Hornhaut
- Ätiologie: Meist durch Schädigung des N. facialis, z.B. durch einen Schlaganfall
Keratitis neuroparalytica
- Definition: Keratitis durch Sensibilitätsverlust der Hornhaut durch Lähmung des 1. Trigeminusastes
- Ätiologie
- Verletzung des Nerven
- Tumoren im Bereich des Nervenverlaufs
- Chronische Herpesinfektionen
Keratoconjunctivitis photoelectrica (Keratitis photoelectrica)
- Definition: Schädigung des Hornhautepithels durch starke Einstrahlung von ultraviolettem Licht mit ausgeprägter Schmerzsymptomatik
- Ätiologie
- Schweißen ohne Schutzbrille
- Im Rahmen künstlicher Hautbräunung (Solarium)
- Hohe UV-Strahlung im Hochgebirge
- Pathophysiologie
- Die Epithelschädigung ist zunächst oft asymptomatisch: Nekrose der Hornhautepithelzellen→ Entzündungsreaktion, Ödem und Abstoßung der Epithelzellen, nach einer Latenz von ca. 6-8 Stunden kommt es zu Symptomen
- Symptomatik
- Starke Schmerzen
- Fremdkörpergefühl
- Blepharospasmus
- Tränenträufeln
- Minderung der Sehschärfe
- Diagnostik
- Beidseits multiple, feinfleckige, oberflächliche, fluoreszeinpositive Hornhautepitheldefekte (Keratitis superficialis punctata)
- Konjunktivale Gefäßinjektion
- Therapie
- Aufklärung
- Antibiotische Augensalbe
- Ruhigstellung
- Benetzung der Hornhautoberfläche (bspw. Dexpanthenol-haltige Augensalbe)
- Orale Analgetika
- Verlauf
- Meist vollständige Abheilung nach 24–48 Stunden
- Infektionsgefahr
Applikation von anästhesierenden Augentropfen nur zur Diagnostik! Auf keinen Fall zur Schmerztherapie einsetzen, da ein unsachgemäßer Gebrauch zu Epithelschäden führen kann und durch Aufhebung des schützenden Hornhautreflexes weitere Verletzungen der Hornhaut leicht möglich sind!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- H16.-: Keratitis
- H16.0: Ulcus corneae
- Ulkus: marginal, mit Hypopyon, perforiert, ringförmig, zentral, o.n.A.
- Ulcus corneae rodens [Mooren]
- H16.1: Sonstige oberflächliche Keratitis ohne Konjunktivitis
- Keratitis: areolaris, filiformis, nummularis, punctata superficialis, stellata, Streifen-
- Photokeratitis, Schneeblindheit
- H16.2: Keratokonjunktivitis
- Keratoconjunctivitis: neuroparalytica, phlyctaenulosa, durch Exposition, o.n.A.
- Oberflächliche Keratitis mit Konjunktivitis, Ophthalmia nodosa
- H16.3: Interstitielle und tiefe Keratitis
- H16.4: Neovaskularisation der Hornhaut
- Obliterationen von Hornhautgefäßen [ghost vessels], Pannus
- H16.8: Sonstige Formen der Keratitis
- H16.9: Keratitis, nicht näher bezeichnet
- H16.0: Ulcus corneae
- H19.-*: Affektionen der Sklera und der Hornhaut bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- H19.0*: Skleritis und Episkleritis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Skleritis bei Zoster (B02.3†), Syphilitische Episkleritis (A52.7†), Tuberkulöse Episkleritis (A18.5†)
- H19.1*: Keratitis und Keratokonjunktivitis durch Herpesviren (B00.5†)
- Keratitis dendritica und disciformis
- H19.2*: Keratitis und Keratokonjunktivitis bei sonstigen anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
- Keratitis und Keratokonjunktivitis (interstitiell) bei: Akanthamöbiasis (B60.1†), Masern (B05.8†), Syphilis (A50.3†), Tuberkulose (A18.5†), Zoster (B02.3†), Keratoconjunctivitis epidemica (B30.0†)
- H19.3*: Keratitis und Keratokonjunktivitis bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
- H19.8*: Sonstige Affektionen der Sklera und der Hornhaut bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Keratokonus bei Down-Syndrom (Q90.-†)
- H19.0*: Skleritis und Episkleritis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- A18.-: Tuberkulose sonstiger Organe
- A18.5: Tuberkulose des Auges
- Tuberkulöse: interstitielle Keratitis† (H19.2*), Keratokonjunktivitis (interstitiell) (phlyktänulär)† (H19.2*), Chorioretinitis† (H32.0*), Episkleritis† (H19.0*), Iridozyklitis† (H22.0*)
- Exklusive: Lupus vulgaris des Augenlides (A18.4)
- A18.5: Tuberkulose des Auges
- A50.-: Syphilis connata
- A50.3: Konnatale spätsyphilitische Augenkrankheit
- Konnatale spätsyphilitische: Augenkrankheit, anderenorts nicht klassifiziert† (H58.8*), interstitielle Keratitis† (H19.2*)
- Exklusive: Hutchinson-Trias (A50.5)
- A50.3: Konnatale spätsyphilitische Augenkrankheit
- B00.-: Infektionen durch Herpesviren [Herpes simplex]
- B02.-: Zoster [Herpes zoster]
- B05.-: Masern
- B30.-: Viruskonjunktivitis
- B30.0†: Keratokonjunktivitis durch Adenoviren (H19.2*)
- B30.8†: Sonstige Konjunktivitis durch Viren (H13.1*)
- Newcastle-Keratokonjunktivitis
- B60.-: Sonstige Protozoenkrankheiten, anderenorts nicht klassifiziert
- B60.1: Akanthamöbiasis
- Keratokonjunktivitis durch Akanthamöben† (H19.2*), Konjunktivitis durch Akanthamöben† (H13.1*)
- B60.1: Akanthamöbiasis
- M35.-: Sonstige Krankheiten mit Systembeteiligung des Bindegewebes
- M35.0: Sicca-Syndrom [Sjögren-Syndrom]
- Sjögren-Syndrom mit: Keratokonjunktivitis† (H19.3*), Lungenbeteiligung† (J99.1*), Myopathie† (G73.7*), tubulointerstitieller Nierenkrankheit† (N16.4*)
- Exklusive: Trockenes Auge (H04.1)
- M35.0: Sicca-Syndrom [Sjögren-Syndrom]
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.