Zusammenfassung
Morbus Dupuytren bezeichnet eine idiopathische Fibrosierung v.a. der Palmaraponeurose. Daraus folgt ein oft beidhändiges Extensionsdefizit, was insb. die Finger IV und V betrifft. Es handelt sich um eine chronische Erkrankung mit individuell unterschiedlichem Verlauf (ggf. progressiv bis hin zur Beugekontraktur der betroffenen Finger). Weltweit wird die Prävalenz auf ca. 8% beziffert. Zahlreiche Risikofaktoren können Entstehung, Schwere und Verlauf der Erkrankung begünstigen. Diskutiert werden u.a. eine familiäre Disposition sowie Vorerkrankungen, bspw. Diabetes mellitus. Die Diagnose wird klinisch gestellt. Beschwerden oder Bewegungseinschränkungen können mit verschiedenen Therapieoptionen behandelt werden – allerdings sind konservative Verfahren langfristig meist wenig wirksam, sodass im Verlauf häufig auf ein chirurgisches Verfahren gewechselt wird. Durch die Pathophysiologie der Erkrankung sind Rezidive die Norm.
Ektope Manifestationen der Erkrankung sind bspw. der Morbus Ledderhose oder die Induratio penis plastica.
Epidemiologie
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Generell: Genaue Ätiologie unklar [1][3][4]
- Diskutierte Risikofaktoren
- Genetische Disposition
- Diabetes mellitus, v.a. Typ 1
- Alkoholabusus, Nikotinabusus
- Wiederholte Mikrotraumata, bspw. Arbeiten mit vibrierenden Werkzeugen
- Lebererkrankungen
- Epilepsie
- Dupuytren-Diathese [2][5]
- Prädisposition für schnelle Progression
- Höhere Wahrscheinlichkeit für Rezidiv
- Faktoren
- Erstmanifestation <50 Jahre
- Ektope Manifestationen
- Positive Familienanamnese
- Bilaterales Auftreten
Klassifikation
Klassifikation nach Tubiana [6] | ||
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Stadium | Extensionsdefizit der Finger II–V | Abduktionsausmaß des Daumens |
0 | 0°, keine Fibrosen | >45°, keine Fibrosen |
N | 0°, tastbare Knötchen | >45°, tastbare Knötchen |
1 | 0°–45° | 31°–45° |
2 | 46°–90° | 16°–30° |
3 | 91°–135° | 0°–15° |
4 | >135° | — |
Pathophysiologie
Pathophysiologie
- Pathomechanismus: Proliferation von Fibroblasten und Entstehung von Myofibroblasten mit abnormer Funktion [6]
- Produktion von Wachstumsfaktoren und Zytokinen (insb. TGF-β), welche die Kollagenbiosynthese beeinflussen [8]
- Myofibroblasten enthalten Aktin-Alpha-2 (ACTA2, „alpha smooth muscle actin“) [6]
- Vermehrte Bildung von Kollagen Typ III und extrazellulärer Matrix
- Mögliche Ursachen [3][7][9]
- Wiederholte Mikrotraumata → Veränderte inflammatorische Antwort
- Lokale Hypämie bzw. Hypoxie → Produktion von freien Radikalen [8]
- Genetische Disposition → Dysregulation von Transkriptionsfaktoren
Die genaue Pathogenese ist unklar, kennzeichnend sind die Bildung von dysfunktionalen Myofibroblasten sowie der Umbau von Kollagen Typ I zu Typ III!
Pathoanatomie [10]
- Phasenhafter Verlauf [3][6]
- Proliferative Phase
- Entstehung von Knoten
- Keine Bewegungseinschränkung
- Kollagen Typ III: >35%
- Rückbildungsphase
- Entstehung von tastbaren Strängen
- Beginnende Kontraktur
- Kollagen Typ III: 20–35%
- Residualphase
- Rückbildung der Knoten, Stränge bleiben bestehen
- Zunehmende Beugekontraktur
- Kollagen Typ III: <20%
- Proliferative Phase
- Hypothese [3][7]
- Entstehung aus faszialen Strukturen (sog. intrinsische Entstehung)
- Befallsmuster evtl. abhängig von Belastungs- oder Bewegungsausmaß
Symptomatik
Morbus Dupuytren
- Hautveränderungen
- Hautverdickung
- Einziehungen über der distalen Hohlhandfalte
- Entstehung von Knoten und Strängen, meist beginnend im Bereich der Palmaraponeurose
-
Zunehmende Beugekontraktur der Fingergelenke
- Hauptsächlich Finger IV und V betroffen
- Häufig beidseitig
- Schmerzen evtl. bei Irritation von Gefäßen und Nerven
- Individuell sehr unterschiedlicher Verlauf
Ektope Manifestationen [11][12][13]
- Knuckle Pads (Dorsale Fingerknöchelpolster, Garrod-Knoten)
- Beschreibung: Schmerzlose Schwellungen streckseitig über den proximalen Interphalangealgelenken (PIP) der Finger
- Differenzialdiagnosen: Arthrose, Weichteiltophus bei chronischer Gicht, Gottron-Papeln
- Therapie: Operative Entfernung möglich
- Morbus Ledderhose
- Beschreibung: Analoges Krankheitsbild am Fuß
- Symptome/Klinik: Knoten- und Strangbildung im Bereich der Plantaraponeurose
- Therapie: Konservative und operative Behandlung möglich
- Induratio penis plastica (Peyronie-Krankheit)
- Beschreibung: Vernarbung der Tunica albuginea mit Ausbildung von fibrotischen Plaques
- Symptome/Klinik: Penisverkrümmung (meist nach dorsal), ggf. Schmerzen bei Erektion, ggf. Dyspareunie und erektile Dysfunktion
- Therapie: Keine etablierte kausale Therapie vorhanden , selten spontane Rückbildung
Diagnostik
Anamnese
- Beschwerdebild
- Vorerkrankungen und Medikation
- Unfall oder Voroperation
- Familienanamnese
- Ektope Manifestation
- Risikofaktoren, bspw. Berufsanamnese, Substanzabusus
Körperliche Untersuchung [6][14]
- Inspektion und Palpation
- Veränderungen der Haut
- Narben
- Tastbare Knoten oder Stränge
- Vorhandene Infektionen oder Mykosen
- Sensibilität
- Durchblutung
- Bewegungsausmaß [9]
- Extension, Flexion und Ab-/Adduktion der Finger
- Hueston's Tabletop Test [15]
- Extensionsdefizit, siehe auch: Klassifikation nach Tubiana
Morbus Dupuytren ist eine klinische Diagnose!
Apparative Diagnostik
- Konventionelle Röntgenaufnahme
- Präoperativ sinnvoll
- Betroffener Finger in zwei Ebenen
- Sonografie [16]
- Diagnosesicherung in frühen Stadien
- Unterstützung der Therapie
Differenzialdiagnosen
- Tendovaginitis
- Tendovaginitis stenosans [6]
- Rheumatoide Arthritis
- Arthrose
- Ganglion
- Weichteiltumor [6]
- Narbenkontraktur
- Hyperkeratose
- Epitheloidsarkom
- Ulnarisparese
- Kamptodaktylie
- Ätiologie: Unklar, wahrscheinlich kongenital
- Symptome/Klinik
- Manifestation bei Geburt oder in der Wachstumsphase
- Beugekontraktur der PIP-Gelenke mit kompensatorischer Überstreckung der Metakarpophalangealgelenke
- Diagnostik: Deformierung des PIP-Gelenks im Röntgenbild
- Therapie: Operative Behandlung ab einem Extensionsdefizit ≥40°
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Therapeutische Grundsätze [9][17]
- Individuelles Vorgehen, abhängig bspw. von
- Anamnese und Nebenerkrankungen
- Zielen und Wünschen
- Akzeptanz der funktionellen Beeinträchtigung
- Stadienhaftes Vorgehen
- Prognosefaktor: Dupuytren-Diathese
- Nur symptomatische Behandlung möglich
- Komplikationsrate steigt bei Rezidiveingriffen
- Keine Evidenz hinsichtlich der Nachbehandlung
- Therapiebeginn: Bei progressivem Verlauf idealerweise nicht zu spät [14]
Konservatives Vorgehen [6][14][18]
- Orthesenbehandlung
- Indikation: Fibrosierung ohne ausgeprägtes Extensionsdefizit
- Vorgehen: Anpassung eines gepolsterten, druckverteilenden Handschuhs mit Fingern in Extensionsstellung
- Prognose: Keine Aussage möglich, unklare Studienlage, kein evidenzbasiertes Vorgehen
- Ergotherapie
- Indikation: Fibrosierung ohne ausgeprägtes Extensionsdefizit und postoperativ
- Vorgehen: Meist in Kombination mit Orthesenbehandlung
- Prognose: Keine Aussage möglich, unklare Studienlage, kein evidenzbasiertes Vorgehen
- Medikamentöse Behandlung
- Indikation: Fibrosierung ohne ausgeprägtes Extensionsdefizit
- Vorgehen: Unterschiedliche Versuche, bspw. mit Corticosteroid-Injektion oder Vitamin-E-Gabe
- Prognose: Keine Aussage möglich, unklare Studienlage, kein evidenzbasiertes Vorgehen
- Strahlentherapie [19]
- Indikation: Fibrosierung oder adjuvant postoperativ (individuelle Risikoabschätzung!)
- Vorgehen: Unterschiedliche Fraktionierungsschemata mit 21–30 Gy
- Prognose: Kurzfristig gute Wirksamkeit in frühen Stadien, keine evidenzbasierten Daten zur adjuvanten Therapie vorhanden
- Nebenwirkungen: Lokale Hautreaktion, kanzerogen
- Kollagenase-Injektion
- Indikation: Fibrosierung mit ausgeprägtem Extensionsdefizit (in Deutschland nicht verfügbar)
- Vorgehen: Injektion von Kollagenase (gewonnen aus Clostridium histolyticum)
- Prognose: Gute initiale Wirksamkeit, hohe Rezidivrate [20]
- Nebenwirkungen: Hautatrophie, Hautnekrose, Beugesehnenruptur
Operatives Vorgehen [3][6][7][14][21]
- Perkutane Nadelfasziotomie
- Indikation: Fibrosierung mit Strangbildung
- Vorgehen: Perkutane Durchtrennung von Strängen mit einer Nadel
- Prognose: Kurzfristig gute Wirksamkeit, hohe Progress- und Rezidivrate
- Nebenwirkungen: Neurovaskuläre Schäden, Hautdefekt, CRPS, Beugesehnenruptur (selten)
- Fasziektomie
- Indikation: Schmerzhafte Fibrosierung mit oder ohne Extensionsdefizit
- Vorgehen: Offene Entfernung von Knoten und Strängen
- Prognose: Gute initiale Wirksamkeit bei ggf. länger dauernder Wundheilung und Narbenbildung, hohe Rezidivrate
- Nebenwirkungen: Wundheilungsstörung bis hin zur Hautnekrose, Narbenbildung, neurovaskuläre Schäden, Bewegungs-/Funktionseinschränkung, CRPS
- Dermatofasziotomie
- Indikation: Fibrosierung mit ausgeprägtem Extensionsdefizit oder aggressivem Verlauf, Rezidive
- Vorgehen: Offene Resektion von Knoten, Strängen, subkutanem Fettgewebe und Haut, Deckung mit Vollhauttransplantat
- Prognose: Gute Wirksamkeit bei erhöhter Rate von Nebenwirkungen
- Nebenwirkungen: Lange Rehabilitation, palmares Taubheitsgefühl, Narbenbildung, CRPS
- Amputation
- Ultima Ratio bei Fibrosierung mit stark ausgeprägtem Extensionsdefizit
- Vorgehen: Offene Amputation und Deckung
- Prognose: Gute Wirksamkeit bei Verlust des entsprechenden Fingers
- Nebenwirkungen: Phantomschmerzen, Wundheilungsstörung, Funktionseinschränkung, CRPS
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- M72.-: Fibromatosen
- Exklusive: Retroperitoneale Fibrose (D48.3)
- M72.0: Fibromatose der Palmarfaszie [Dupuytren-Kontraktur]
- M72.1: Fingerknöchelpolster [Knuckle pads]
- M72.2: Fibromatose der Plantarfaszie [Ledderhose-Kontraktur]
- Fasciitis plantaris
- N48.-: Sonstige Krankheiten des Penis
Lokalisation der Muskel-Skelett-Beteiligung
- 0 Mehrere Lokalisationen
- 1 Schulterregion
- 2 Oberarm
- 3 Unterarm
- 4 Hand
- 5 Beckenregion und Oberschenkel
- 6 Unterschenkel
- 7 Knöchel und Fuß
- 8 Sonstige
- 9 Nicht näher bezeichnete Lokalisation
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.