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Poliomyelitis

Letzte Aktualisierung: 7.11.2023

Zusammenfassungtoggle arrow icon

Die Poliomyelitis (auch Kinderlähmung genannt) wird klassischerweise durch das Poliovirus verursacht. Früher war sie eine verbreitete und sehr gefürchtete Krankheit im Kindesalter, da sie irreversible Lähmungen bis hin zur Atemlähmung verursachen kann. Durch weltweite Impfungen ist die Poliomyelitis inzwischen nur noch in wenigen Ländern endemisch.

In über 90% der Fälle verläuft eine Poliomyelitisinfektion asymptomatisch. Manifeste Erkrankungen gehen oft nur mit grippeähnlichen Symptomen (abortive Poliomyelitis) einher. In nur etwa 1–2% der Infektionsfälle kommt es zu einer Beteiligung des zentralen Nervensystems mit aseptischer Meningitis oder paralytischer Poliomyelitis. Letztere führt zum charakteristischen Erscheinungsbild der Kinderlähmung, insb. mit einer schlaffen Lähmung der unteren Extremität. Bei ca. 50% der Infektionen kann Jahrzehnte später das Post-Poliomyelitis-Syndrom mit Schwäche und Schmerzen der Muskulatur auftreten.

Eine spezifische Therapie existiert nicht. Der beste Schutz ist die Polio-Impfung mit einem Totimpfstoff (IPV). Die früher verwendeten Lebendimpfstoffe der Schluckimpfung (OPV) sind infolge der seltenen Komplikation einer Impfpoliomyelitis nicht mehr empfohlen. Zudem können die Viren der Lebendimpfung in Bevölkerungen mit niedriger Immunität zirkulieren und mutieren. In den letzten Jahren kam es daher auch zu Erkrankungen durch sog. impfstoffabgeleitete Polioviren.

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Epidemiologietoggle arrow icon

Durch die Verbreitung von Wildpolioviren (WPV) und zirkulierenden impfstoffabgeleiteten Polioviren (cVDPV) besteht insb. in Regionen mit geringer Impfquote die Gefahr von Ausbrüchen!

Zur globalen Eradikation der Polioviren muss die Impfkampagne auch in bereits poliofreien Regionen konsequent fortgesetzt werden!

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Ätiologietoggle arrow icon

Erreger

Übertragung

Polioviren werden fäkal-oral übertragen und im Stuhl bis zu 6 Wochen ausgeschieden!

Die Poliomyelitis kann durch das Wildpoliowildvirus, impfstoffabgeleitete Polioviren sowie als Komplikation einer oralen Schluckimpfung entstehen!

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Pathophysiologietoggle arrow icon

Orale Aufnahme des Erregers → Vermehrung des Virus im Gastrointestinaltrakt → Übertritt in die Blutbahn → Ggf. Befall der grauen Substanz des Rückenmarks (v.a. der Vorderhornzellen) → Destruktion der MotoneuroneParese der betroffenen Muskeln

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Symptomatiktoggle arrow icon

Asymptomatische Infektion (95%) [1]

Poliomyelitis ohne ZNS-Beteiligung: Abortive Poliomyelitis (4–8%)

Poliomyelitis mit ZNS-Beteiligung

Nicht-paralytische Poliomyelitis: Aseptische Meningitis (2–4%)

Paralytische Poliomyelitis (0,1–1%)

  • Klinik
  • Komplikationen
    • Aufsteigende Form mit Zwerchfelllähmung
    • Bulbäre Form mit Hirnstammbeteiligung (selten): Schädigung von zerebralen bzw. vegetativen Nervenzentren (Hirnnerven und Atemzentrum) mit zentraler Atemlähmung, oft letal

Die meisten Infektionen mit dem Poliovirus verlaufen asymptomatisch (95%). Kommt es zu einer klinischen Symptomatik, ist die abortive Poliomyelitis mit folgenloser Ausheilung die häufigste Manifestation!

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Verlaufs- und Sonderformentoggle arrow icon

Impfpoliomyelitis (Vakzineassoziierte paralytische Poliomyelitis, VAPP) [3][5]

  • Definition: Auftreten einer paralytischen Poliomyelitis bei Geimpften oder deren Kontaktperson nach Impfung mit dem Lebend-Schluckimpfstoff (OPV)
  • Häufigkeit: 1–2:1 Million Impfungen mit attenuierten Lebendviren (OPV)
  • Ätiologie: Ausschließlich durch OPV
  • Diagnostik: WHO-Kriterien müssen alle erfüllt sein
    • Lähmungsbeginn bis zu 75 Tage nach Kontakt mit dem OPV-Virus
    • Keine Exposition zu Wildpolioviren (z.B. Aufenthalt in Endemiegebieten)
    • Persistierende Lähmungen 60 Tage nach Lähmungsbeginn
    • Nachweis von Impfviren bei fehlendem Nachweis von Wildpolioviren in Stuhlproben
  • Symptomatik: Nicht von Erkrankung des Wildpoliovirus zu unterscheiden, siehe auch: Symptomatik der Poliomyelitis

Die Impfpoliomyelitis ist eine extrem seltene Komplikation nach der Schluckimpfung!

In Deutschland ist nur noch der Totimpfstoff IPV empfohlen, bei dem kein Risiko für eine Impfpoliomyelitis besteht!

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Diagnostiktoggle arrow icon

  • Bei jedem Verdacht: Direkter Erregernachweis
  • Zu beachten: Diagnostische Sicherung am Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren (NRZ PE) des RKI [6]
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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Therapietoggle arrow icon

  • Keine kausale Therapie
  • Symptomatische Therapie
  • Weitere Therapien je nach Verlaufsform
  • Meist langfristige physiotherapeutische und orthopädische Versorgung notwendig

Es gibt keine kausale Therapie der Poliomyelitis – die beste medizinische Maßnahme ist die präventive Impfung!

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Komplikationentoggle arrow icon

Post-Poliomyelitis-Syndrom (Postpolio-Syndrom, PPS) [7]

  • Kurzbeschreibung: Häufige Folgeerscheinung einer durchgemachten Poliomyelitis-Erkrankung (vermutlich ca. 40% aller infizierten Personen)
    • Genaue Pathogenese unklar!
    • Wahrscheinlich u.a. chronische Überlastung und daraus folgende Degeneration der ursprünglich nicht durch Polio geschädigten Motoneurone
      • Axone nicht geschädigter Motoneurone versorgen denervierte Muskelzellen mit → Bei schweren Erkrankungen: fünf- bis zehnmal mehr Muskelzellen zu versorgen als bei Gesunden → Überlastung und Degeneration → PPS
    • Aktuell keine gesicherten Hinweise auf ein Persistieren der Poliovirusinfektion
  • Klinik [8][9]
    • Auftreten Jahrzehnte nach Erstinfektion
    • Zunahme von Paresen, Muskelschwund, Ermüdungserscheinungen und Schmerzen (auch in vorher nicht betroffenen Muskelpartien)
    • Verzögertes Erwachen aus einer Vollnarkose
    • Verlauf chronisch progredient
  • Relevanz: In Deutschland möglich

Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

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Prognosetoggle arrow icon

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Präventiontoggle arrow icon

Polio-Impfung [1][10]

Nur durch eine flächendeckende Impfung kann die Poliomyelitis eradiziert werden!

Aufgrund der sehr seltenen vakzineassoziierten paralytischen Poliomyelitis nach Impfung mit OPV wird in Deutschland ausschließlich IPV geimpft!

Weitere Präventivmaßnahmen [1]

  • Maßnahmen bei Einzelerkrankungen (auch bei Krankheitsverdacht)
    • Sofortige Krankenhauseinweisung
      • Isolierung (Einzelzimmer bzw. räumliche Trennung, eigene Toilette)
      • Striktes Hygienemanagement, insb. Händewaschen und -desinfektion, auch bei Kontaktpersonen
    • Ausschluss aus Gemeinschaftseinrichtungen bis nach ärztlichem Urteil keine Weiterverbreitung mehr zu befürchten ist
      • Wiederzulassung von Erkrankten bzw. Ausscheidern nur nach Vorliegen von 2 negativen virologischen Kontrolluntersuchungen im Abstand von 7 Tagen
      • Für die Wiederzulassung ist eine mündliche oder schriftliche ärztliche Stellungnahme erforderlich
  • Maßnahmen bei Kontaktpersonen
    • Immer: Postexpositionelle Impfung mit IPV so früh wie möglich (unabhängig vom Impfstatus)
    • Bei Auftreten von Sekundärfällen: Riegelungsimpfungen (mit IPV)
    • Immer bei engen Kontaktpersonen (unabhängig vom Impfstatus): Einmalige Stuhluntersuchung zur Abschätzung des Ausscheiderstatus
      • Poliovirus-Ausscheider: Siehe Maßnahmen bei Einzelerkrankungen
    • Striktes Hygienemanagement, insb. Händewaschen und -desinfektion
    • Vorgehen in Gemeinschaftseinrichtungen
      • Kontaktpersonen mit vollständigem Impfstatus und postexpositioneller Impfung: Kein Ausschluss
      • Ungeimpfte oder unvollständig geimpfte Kontaktpersonen
        • Ausschluss aus Gemeinschaftseinrichtungen
        • Beginnen bzw. Vervollständigen einer Impfserie
        • Wiederzulassung frühestens 1 Woche nach letzter Exposition und 2 negativen Stuhluntersuchungen im Abstand von 24–48 h
  • Maßnahmen bei Polio-Ausbrüchen
    • Riegelungsimpfungen (mit IPV) zur Verhinderung der Infektionsausbreitung
    • Bei größeren Ausbrüchen ggf. Einsatz von OPV
    • Striktes Hygienemanagement, insb. Händewaschen und -desinfektion
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Meldepflichttoggle arrow icon

  • Arztmeldepflicht nach § 6 IfSG
    • Namentliche Meldepflicht bei Verdachts-, Krankheits- oder Todesfällen (als Verdacht gilt jede akute nicht-traumatische schlaffe Lähmung einer Extremität)
  • Labormeldepflicht nach § 7 IfSG

Ein einzelner Fall der Poliomyelitis gilt bereits als Ausbruch und bedarf einer dringenden Meldung an das Gesundheitsamt innerhalb von 24 h! [1]

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Meditrickstoggle arrow icon

In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.

Poliomyelitis

Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).

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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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