Zusammenfassung
Das Reizdarmsyndrom (engl. „irritable bowel syndrome“, IBS) ist ein sehr häufiges Krankheitsbild. Klinisch liegen unspezifische Veränderungen des Stuhlgangs (Diarrhö und/oder Obstipation) und abdominelle Beschwerden (diffuse Schmerzen, Druckgefühl) vor. Für die Diagnosestellung müssen die Symptome länger als drei Monate anhalten und zu einer relevanten Beeinträchtigung der Lebensqualität führen. Da das Reizdarmsyndrom eine Ausschlussdiagnose ist, müssen andere, insb. schwerwiegende Erkrankungen als Ursache zügig abgeklärt werden. Die Therapie richtet sich nach der individuellen Symptomausprägung und kann aus medikamentösen und/oder nicht-medikamentösen Maßnahmen bestehen.
Epidemiologie
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Pathophysiologie
Die zugrunde liegende Pathophysiologie ist noch nicht gänzlich verstanden. Zu den relevanten Faktoren zählen: [1]
- (Epi‑)Genetik
- Darm-Hirn-Achse
- Verändertes Darmmikrobiom
- Antibiotikatherapie
- Intestinale Entzündungen
- Psychische Faktoren, insb. Stress
Symptomatik
- Diffuse Bauchschmerzen im gesamten Magen-Darm-Trakt möglich
- Druck- und Völlegefühl nach den Mahlzeiten, Blähungen
-
Obstipation, Diarrhö
- Dünnflüssige, häufige Darmentleerungen
- Ggf. mit Schleimbeimengungen
- Stuhldrang, Gefühl der unvollständigen Darmentleerung
- Besserung des abdominellen Druck- und Völlegefühls nach Darmentleerung
- Schafskotartige Stühle
Warnhinweise, die gegen das Reizdarmsyndrom sprechen, sind nächtliche Diarrhö, Fieber, Blut im Stuhl und Gewichtsverlust (siehe: Red Flags bei Durchfall)!
Diagnostik
Die Diagnose eines Reizdarmsyndroms ergibt sich primär durch den Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen des Reizdarmsyndroms. [1]
- Obligate Basisdiagnostik [1]
- Ausführliche Anamnese, inkl. Triggerfaktoren und psychosoziale Anamnese
- Körperliche Untersuchung, inkl. digital-rektaler Untersuchung
- Abdomensonografie
- Gynäkologische Untersuchung
- Blutuntersuchung, inkl. Zöliakie-Antikörper (bspw. Anti-tTG-AK)
- Stuhluntersuchung
- Entzündungsmarker (bspw. Calprotectin)
- Erregerdiagnostik (bspw. Giardia intestinalis)
- Zusätzliche Untersuchungen (je nach individueller Symptomausprägung)
- Ileokoloskopie (bei Diarrhö: Stufenbiopsien)
- ÖGD (mit Duodenalbiopsien)
- Funktionstests, bspw. H2-Atemtest
- Bildgebende Verfahren, bspw. CT-Abdomen (u.a. zum Ausschluss eines Ogilvie-Syndroms)
- Bei Hinweis auf Nahrungsmittelunverträglichkeit (inkl. Histaminunverträglichkeit)
- Zöliakie und Weizenallergie ausschließen
- Ernährungs-Symptomtagebuch führen
- Ggf. probatorische Eliminationsdiät, gefolgt von gezielter Re-Exposition
- Diagnosestellung nach aktueller S3-Leitlinie: Alle folgenden Punkte müssen erfüllt sein
- Es bestehen chronische, länger als drei Monate anhaltende, darmbezogene Beschwerden (bspw. Bauchschmerzen, Blähungen), die i.d.R. mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen
- Es liegt aufgrund der Symptome eine relevante Beeinträchtigung der Lebensqualität vor
- Es liegen keine für andere Krankheitsbilder charakteristischen Veränderungen vor, die die Symptomatik erklären könnten
- Rom-IV-Kriterien [1]
- Symptombeginn vor >6 Monaten
- Rezidivierende Bauchschmerzen (durchschnittlich mind. 1× wöchentlich innerhalb der letzten 3 Monate) plus
- Mind. 2 der folgenden Kriterien
- Zusammenhang zur Defäkation
- Assoziiert mit veränderter Stuhlfrequenz
- Assoziiert mit veränderter Stuhlkonsistenz/-form
Das Reizdarmsyndrom ist eine Ausschlussdiagnose! Insb. schwerwiegende Krankheiten müssen möglichst früh und sicher differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden!
Red Flags bei Durchfall sind besonders zu beachten, da sie auf schwerwiegende Diagnosen hinweisen und eine schnellstmögliche Diagnostik und/oder Behandlung erfordern!
Nach gesicherter Diagnose sollten zusätzliche Untersuchungen nur bei klarer Indikation (bspw. neue Symptome) erfolgen, um Überdiagnostik zu vermeiden! [1]
Differenzialdiagnosen
- Zöliakie
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
- Malignome (bspw. kolorektales Karzinom, Ovarialkarzinom)
- Gynäkologische Erkrankungen (bspw. Ovarialzysten)
- Mikroskopische Kolitis
- Intestinale Ischämie
- Morbus Hirschsprung
- Siehe auch:
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Die Therapieauswahl richtet sich nach der individuellen Symptomatik und besteht oft aus unterschiedlichen Maßnahmen (multimodale Behandlung).
- Keine Standardtherapie verfügbar
- Therapieauswahl entsprechend der individuellen Symptomausprägung
- Jede Maßnahme als Therapieversuch betrachten
- Bei Nicht-Ansprechen: Therapieversuch beenden
- Psychoedukation, inkl. Aufklärung über
- „Echtheit“ der Beschwerden
- Möglichkeiten der Beschwerdelinderung (bspw. Stressreduktion)
- Normale Lebenserwartung (kein erhöhtes Risiko für andere somatische Erkrankungen)
- Ernährung und Probiotika
- Ernährungsempfehlungen nicht einheitlich vorhanden
- Low-FODMAP-Diät [2]: Bei Dominanz von
- Probiotika (Arzneizubereitungen mit lebenden Mikroorganismen): Auswahl des passenden Stamms je nach Symptomatik [1]
- Phytotherapeutika, bspw. Pfefferminzöl
- Medikamentöse Therapie
- I.d.R. symptomorientiert (siehe auch: Symptomorientierte Behandlung des Reizdarmsyndroms)
- Ggf. kurzfristig Spasmolytika bei Schmerzen, bspw. Mebeverin
- Unterscheidung zwischen
- Obstipationsprädominanz (siehe auch: Obstipation - Therapie)
- Diarrhöprädominanz (siehe auch: Diarrhö - Therapie)
- Wechselndem, gemischtem Stuhlverhalten
- Nicht-medikamentöse Therapie
- Körperliche Bewegung, Sport
- Entspannungsverfahren, Yoga
- Internetbasierte Interventionen
- Ggf. psychotherapeutische Verfahren, bspw.
Symptomorientierte Behandlung des Reizdarmsyndroms (Erwachsene) [1][3] | |||
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Hauptsymptom | Gängige Substanzen (Auswahl) | Substanzgruppe | Anmerkungen |
Bauchschmerzen/-krämpfe |
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Durchfall |
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Obstipation |
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Patienteninformationen
- Reizdarmsyndrom von gesundheitsinformation.de
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- K58.-: Reizdarmsyndrom
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.