Zusammenfassung
Weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) umfasst nach WHO-Definition alle Eingriffe, die „die teilweise oder vollständige Entfernung der äußeren weiblichen Genitalien oder deren Verletzung ohne medizinischen Grund“ zum Ziel haben. FGM ist international als Menschenrechtsverletzung anerkannt und betrifft weltweit mehr als 230 Mio. Frauen und Mädchen in mind. 92 Ländern. In Deutschland leben aktuell schätzungsweise über 104.000 betroffene Frauen und Mädchen. Die Gründe für die Durchführung von FGM sind vielschichtig und die Erklärungsmuster komplex, was die Eliminierung der Praxis erschwert. In Deutschland sind die Durchführung von FGM und Reinfibulation schwere Straftaten.
FGM hat keine gesundheitlichen Vorteile und kann die physiologischen Körperfunktionen einer Frau lebenslang schwer beeinträchtigen. Als Folge sind vielfältige körperliche und psychische Beschwerden sowie Komplikationen beschrieben. Diagnostisch sollte eine ausführliche Anamnese und körperliche Untersuchung von Betroffenen in einem ruhigen und störungsfreien Setting möglichst durch erfahrene Untersucher:innen durchgeführt werden. Therapeutische Maßnahmen umfassen die symptomatische Behandlung von bspw. Infektionen und Schmerzen sowie operative Eingriffe wie Defibulation und Rekonstruktion.
Im geburtshilflichen Setting bedürfen insb. Frauen mit FGM Typ III besonderer Aufmerksamkeit: Um eine vaginale Geburt zu ermöglichen, sollte eine Defibulation möglichst für das 2. Trimenon geplant werden. Eine FGM Typ III stellt alleine keinen Grund für die Entbindung per Sectio caesarea dar.
Dieses Kapitel ist im Rahmen unserer Kooperation mit Ärztinnen der AG Frauengesundheit in der Entwicklungszusammenarbeit (AG FIDE e.V.) entstanden.
- Dr. med. Charlotte von Saldern, Ärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Aufbau und Leitung der gynäkologischen und geburtshilflichen Sprechstunde für Frauen mit FGM in der Universitätsfrauenklinik rechts der Isar der Technischen Universität München und im Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin
- Dr. med. Maryam En-Nosse, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Gründerin des Freiburger Zentrums für Frauen mit Genitalbeschneidung, 1. Vorsitzende der AG FIDE
Definition
- Definition [1][2]
- Alle Formen der partiellen oder kompletten Entfernung des äußeren weiblichen Genitals ohne medizinischen Grund (Menschenrechtsverletzung!)
- Jede sonstige Form der intendierten Verletzung des äußeren weiblichen Genitals ohne medizinischen Grund (Menschenrechtsverletzung!)
- Beteiligte [3]
- I.d.R. traditionelle Beschneiderinnen mit nicht-zweckmäßigem Werkzeug
- Gesundheitspersonal (zunehmende Medikalisierung) [2]
Female Genital Mutilation ist eine Menschenrechtsverletzung! [4]
Durch die zunehmende Medikalisierung von FGM trägt Gesundheitspersonal in einigen Regionen zur Legitimierung der Praxis bei!
Epidemiologie
Weltweit [1][3]
- Prävalenz
- >230 Mio. Frauen/Mädchen in mind. 92 Ländern
- >144 Mio. in Afrika
- >80 Mio. in Asien
- >6 Mio. im Mittleren Osten
- Ca. 1–2 Mio. in kleineren praktizierenden Gruppen weltweit und in Ländern, die Migrantinnen aus Prävalenzländern aufnehmen
- Ca. 4 Mio. Frauen/Mädchen werden jedes Jahr genitalverstümmelt
- Ca. 50% vor dem 5. Lebensjahr
- Ca. 50% im Kleinkind-, Jugend- oder Erwachsenenalter
- >230 Mio. Frauen/Mädchen in mind. 92 Ländern
- Mortalität: Bis zu 25% [1]
Deutschland [5]
- Prävalenz: Insg. ca. 104.000 Frauen und Mädchen , >17.000 Mädchen potenziell gefährdet
FGM ist ein globales Problem!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Soziokulturelle Gründe [1][6]
- Tradition
- Hoher kultureller und wirtschaftlicher Druck in praktizierenden Gemeinschaften durch
- Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit
- Einfluss von FGM auf Heiratsfähigkeit, Brautpreis, gesellschaftliche Stellung und Familienehre
- Gesellschaftlich hoch angesehene und gut verdienende Beschneiderinnen
- Vermeintliche Sicherstellung von Jungfräulichkeit und Treue sowie vermeintlicher Schutz der Frau vor „moralisch inkorrektem Verhalten“
- Initiationsritus
- Schönheitsideal und Symbol der Weiblichkeit
Religiöse Gründe [6][7]
Keine Weltreligion empfiehlt explizit die Durchführung von FGM. Die Vorstellung, damit religiöse Pflichten zu erfüllen, kann jedoch vorherrschen. Dies wird z.T. durch religiöse Autoritäten verbreitet und unterstützt. FGM wird weltweit u.a. von Moslems, Christen, Juden, Animisten und Atheisten praktiziert.
Mythen und pseudomedizinische Gründe [1][6]
- Bessere Hygiene und Gesundheit
- Vermutete Schadhaftigkeit der Klitoris
- Reinheit
- Vermännlichung der Frau durch die Klitoris
- Steigerung der männlichen sexuellen Lust durch FGM
Die Gründe für die Durchführung von FGM sind vielschichtig und die Erklärungsmuster komplex. Dies erschwert weltweit die Eliminierung der Praxis!
Rechtliches
International [1][8]
- FGM ist international als Menschenrechtsverletzung anerkannt
Deutschland [7]
- FGM verletzt das „Recht auf körperliche Unversehrtheit“ [9]
- FGM und Reinfibulation im In- und Ausland als schwere Körperverletzung strafbar [7]
- Subsidiärer Schutz (positiv beschiedener Asylantrag) bei Bedrohung einer Frau / ihrer Tochter durch FGM im Herkunftsland möglich [7]
Kinderschutz [1][7]
Für weitere Informationen zum Kinderschutz und zur Kindeswohlgefährdung siehe auch: Kinderschutzmedizin.
- Drohende FGM ist Kindeswohlgefährdung
- Bei Verdacht: Umgehende Information des Jugendamts durch Gesundheitspersonal
- Gerichtliche Maßnahmen gegenüber Bezugspersonen möglich
- Einbeziehung Familiengericht: Grenzsperren, Maßnahmen zur Überprüfung der körperlichen Unversehrtheit, ggf. Inobhutnahme
- Zuständigkeit bei stattgehabter FGM: Jugendämter
- Begleitung Betroffener während des Strafverfahrens
- Geltendmachung von Ansprüchen nach Opferentschädigungsgesetz
FGM ist eine Menschenrechtsverletzung!
FGM und Reinfibulation sind nach § 226a StGB schwere Straftaten und müssen auch bei Wunsch der Patientin abgelehnt werden!
Klassifikation
WHO-Klassifikation der FGM-Typen | |
---|---|
Typ | Beschreibung |
Typ I („Klitoridektomie“): Partielle/vollständige Exzision des Praeputium clitoridis und/oder Exzision der Glans clitoridis | |
Typ Ia | Partielle/vollständige Exzision des Praeputium clitoridis |
Typ Ib | Partielle/vollständige Exzision von Praeputium und Glans clitoridis |
Typ II („Exzision“): Partielle/vollständige Exzision der Labia minora und/oder der Labia majora mit/ohne Exzision von Praeputium clitoridis und/oder Glans clitoridis | |
Typ IIa | Partielle/vollständige Exzision der Labia minora |
Typ IIb | Partielle/vollständige Exzision der Labia minora und der Glans clitoridis und/oder Entfernung des Praeputium clitoridis |
Typ IIc | Partielle/vollständige Exzision der Labia majora, der Labia minora und der Glans clitoridis und/oder des Praeputium clitoridis |
Typ III („Infibulation“): Partielle/vollständige Exzision und Zusammenfügen der Labia minora und/oder Labia majora und/oder Exzision des Praeputium und der Glans clitoridis; durch Bildung einer bedeckenden Narbenplatte Verengung des Introitus vaginae | |
Typ IIIa | Zusammenfügen der Wundflächen nach partieller/vollständiger Exzision der Labia minora |
Typ IIIb | Zusammenfügen der Wundflächen nach partieller/vollständiger Exzision der Labia majora |
Typ IV: Alle anderen Arten der Verletzung des weiblichen Genitals aus nicht-medizinischen Gründen, die nicht nach Typ I–III klassifizierbar sind (z.B. durchstechen, einschneiden, verätzen, verbrennen etc.) |
Im Rahmen von FGM wird nur die Glans clitoridis und ggf. ein Teil des Corpus clitoridis entfernt. Der restliche Klitoriskörper, die Crura clitoridis und die Bulbi vestibulorum (Schwellkörper) werden nicht exzidiert!
Symptomatik
Akut [1][2][4][8][10][11]
- Starke Schmerzen
- Hämorrhagie
- Schock
- Verletzung umliegender Strukturen (Urethra, Blase, Perineum, Anus)
-
Infektionen
- Bakteriell: Lokale Infektion, Abszessbildung, urogenitale Infektionen, Sepsis, Tetanus
- Viral: HIV, Hepatitis
- Harnverhalt
- Gewebeschwellung
- Wundheilungsstörungen
- Hämatome, Frakturen oder Luxationen
- Akute Belastungsreaktion
- Tod
Die akuten Komplikationen der FGM stehen u.a. in Zusammenhang mit dem FGM-Typ, dem Alter der Betroffenen bei der Beschneidung, den Fähigkeiten der beschneidenden Person und den Bedingungen, unter denen die Beschneidung stattfindet!
Akute Komplikationen können auch durch eine nicht-sachgemäße Eröffnung der Narbe im häuslichen Umfeld auftreten (bspw. durch Eröffnung der Narbenplatte vor dem ersten Geschlechtsverkehr)!
Chronische Symptome nach FGM [1][2][11][12]
- Narbenbildung im Bereich der Vulva
- Strikturen, Narbenkontrakturen, Narbenschmerzen
- Keloidbildung
- Klitorisneurome
- Retentions- oder Inklusionszysten [8]
- Chronische vulvovaginale Schmerzen
- Vesiko-, urethro- und/oder rektovaginale Fisteln
- Miktionsbeschwerden
- Rezidivierende/chronifizierende (uro‑)genitale Infektionen
- Vulvovaginale Trockenheit, Juckreiz, Brennen
- Sexuelle Funktionsstörungen
- Menstruationsbeschwerden
- Geburtshilfliche Komplikationen
- Sterilität
- Psychische Folgen: PTBS, Angststörungen, Depressionen
FGM hat i.d.R. gravierende körperliche und/oder psychische Folgen, welche die betroffenen Frauen häufig ein Leben lang beeinträchtigen!
Diagnostik
Allgemeines [1][4][8][13]
- Setting
- Ausreichend Zeit, ruhige und störungsfreie Umgebung
- Geeignete Ausrüstung
- Ggf. kultursensible Dolmetscherin
- Kommunikation
- Angemessene und sensible Terminologie
- Kulturelle Awareness und Respekt, kein Urteilen
Anamnese [4][8][13]
- Ausführliche gynäkologische Anamnese
- Grund der Vorstellung, akute und chronische Symptome bei FGM
- Spezifische Anamnese mit Frage nach Operationen/FGM
- Ggf. Sozialanamnese inkl. Herkunft und ggf. Fluchtgeschichte
- Ggf. Sexual- und geburtshilfliche Anamnese
- Ggf. Familienanamnese
- Aufklärung und Patientinneneinverständnis über geplante Untersuchung
Untersuchung [1][4][8][13][14]
- Gynäkologische Untersuchung
- Sorgfältige Inspektion und Palpation des äußeren Genitals
- Ggf. Sonografie
- Bilddokumentation mittels Foto oder Zeichnung
- Erläuterung des Befundes mithilfe von Modellen/Zeichnungen
- Ggf. Labordiagnostik, z.B.
Bei der gynäkologischen Anamnese sollten mögliche FGM-bedingte Symptome gezielt abgefragt werden, da betroffene Frauen Symptome häufig nicht mit ihrer FGM in Verbindung bringen!
Bei Frauen mit FGM Typ III ist eine gynäkologische Untersuchung i.d.R. erst nach einer Defibulation möglich. Dies ist in Bezug auf die Krebs- und Schwangerschaftsvorsorge sowie die peripartale Betreuung zu berücksichtigen!
Ein FGM Typ Ia oder IV ist nicht immer augenscheinlich und kann leicht übersehen werden. Für die Diagnosestellung ist im Zweifelsfall die Anamnese wegweisend!
Differenzialdiagnosen
- Anatomische Normvarianten [13]
- Genitale Fehlbildungen
- Labiensynechien und Adhäsionen zwischen Labia minora, Praeputium und Glans clitoridis
- Lichen sclerosus
- Genitales Trauma
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Konservative Therapie [4]
- Bei vulvovaginalen Schmerzen: Analgetische Salben (z.B. Lidocainsalbe ), Vermeiden von Reibung im Genitalbereich
- Bei rezidivierenden urogenitalen Infektionen: Ggf. antibiotische oder antimykotische Therapie
Jede Form von FGM rechtfertigt bei körperlichen und/oder psychischen Beschwerden die Indikation zur medizinischen Therapie!
Bei rezidivierenden oder chronischen urogenitalen Infektionen sollte bei FGM Typ III immer auch die Notwendigkeit einer Defibulation und ggf. Rekonstruktion evaluiert werden!
Operative Therapie
Defibulation [1][8][15]
- Definition: Eröffnung der Narbenplatte bei FGM Typ III mit Freilegung des Vaginaleingangs und der Urethraöffnung
- Indikationen
- Beschwerden durch Rückstau von Urin und Menstruationsblut
- Rezidivierende urogenitale Infektionen
- Dyspareunie oder Apareunie
- Schwangerschaft mit Wunsch nach vaginaler Entbindung
- Wunsch der Betroffenen
- Vorbereitung
- Ausführliche Anamnese und Aufklärung
- Bevorzugt in Lokal- oder Regionalanästhesie
- Praktische Durchführung
- Vor Beginn des Eingriffs: Auftragen einer lokalanästhetischen Creme im Operationsgebiet
- Steinschnittlagerung, Desinfektion des OP-Gebietes (ggf. Spüldesinfektion der Narbenhinterwand mit einer Knopfkanüle oder Blasenspritze) und steriles Abdecken
- Fächerförmige Infiltration der Narbe mit Lokalanästhesie
- Einzeichnen der Medianlinie für die Schnittführung
- Sondieren (der Narbenplatte) mittels stumpfer Klemme/Overholt/Finger und überprüfen, ob hinter der Narbe Adhäsionen vorliegen (z.B. in Richtung des Meatus urethrae)
- Anheben der Narbe und vorsichtiges, schrittweises Eröffnen der Narbe in der Medianlinie (von kaudal nach kranial) mit der Schere oder dem Skalpell, bis der Meatus urethrae externus sichtbar wird
- Anlage eines Blasenkatheters zur Sicherung des Meatus urethrae externus
- Fortführen der medianen Eröffnung bis ca. 1–1,5 cm kranial des Meatus urethrae externus
- Spannungsfreier Wundverschluss der beidseits lateralen Wundflächen mit resorbierbarem Nahtmaterial mittels Einzelknopfnähten oder fortlaufender intrakutaner Naht
- Applikation von Fettsalbe, Fettgaze oder östrogenhaltiger Salbe zur Vermeidung von Adhäsionen, ggf. Entfernung des Blasenkatheters
Wenn die Klitorisglans entfernt ist, sollte bei der Defibulation die Narbe nicht zu weit nach kranial eröffnet werden, um eine Verletzung des Klitorisstumpfes zu vermeiden!
Die Defibulation muss von einer Rekonstruktion unterschieden werden!
Rekonstruktion [8][14][15][16][17]
- Definition: Wiederherstellung der anatomischen Strukturen (Klitoris, Labien) und ihrer Funktionen
- Indikationen
- Psychische Beschwerden
- Körperliche Beschwerden und Symptome bei FGM
- Methoden
- Bergung des Klitorisstumpfes nach Thabet oder Foldès
- Mikrochirurgische Rekonstruktion von Klitorisspitze, Präputium und ggf. der Labia minora und/oder majora nach O’Dey
- Vulva: „AoP-Lappen“ (Perforatorlappen des R. anterior der A. obturatoria)
- Präputium clitoridis: „Omega-Domed“-Lappen („OD-Lappen“: Halbkreisförmiger Transpositionslappen mit zwei lateralen, Z-Plastiken)
- Neue Klitorisspitze: „NMCS-Procedure“ (Bergung, mikrochirurgische Neurotisierung und Formung des Klitorisstumpfes [„Neoglans“] mittels Capping der Tunica albuginea )
Mithilfe von rekonstruktiven Operationstechniken kann eine Normalität von Form und Funktion der Vulva weitestgehend wiederhergestellt werden!
Nachsorge
- Postoperatives Management
- Adäquate Analgesie
- Adhäsionsprophylaxe nach Defibulation
- Mehrmals tägliche Applikation östrogenhaltiger Salbe
- Mehrmals tägliches Spreizen der Labien
- Nach Rekonstruktion
- Druckentlastung des OP-Gebietes im Liegen und Sitzen
- Lokale antiseptische und antiinfektive Wundpflege
- Ggf. Antibiose und Thromboseprophylaxe
- Follow-up-Untersuchungen
- Z.n. Defibulation: Kontrolle nach 1 und 6 Wochen
- Z.n. Rekonstruktion: 3x in den ersten 3 Monaten (individuell), nach 6 und 12 Monaten
- Längerfristige Unterstützung
- Ggf. psychotherapeutische und sexualmedizinische Anbindung
- Ggf. Selbsthilfegruppen
Prävention
- Schutzbrief der Bundesregierung gegen weibliche Genitalverstümmelung (siehe Tipps & Links)
- Aufklärungs- und Communityarbeit im In- und Ausland
- Vernetzung
Bei Eltern aus einem FGM-Prävalenzland sollte nach der Geburt eines weiblichen Neugeborenen vorsichtig und auf angemessene Art und Weise die Einstellung und Absicht bzgl. FGM evaluiert werden. Bei V.a. drohende FGM (Kindeswohlgefährdung) muss das Jugendamt informiert werden!
Besondere Patientengruppen
Schwangere Patientinnen mit FGM [13]
- Planung der Geburt: Vorstellung von Patientinnen mit FGM möglichst in einer Klinik mit diesbezüglicher Expertise
- Planung einer Defibulation (FGM Typ III)
- Im zweiten Trimenon (bevorzugter Zeitpunkt)
- Gute Planbarkeit, Anwesenheit von spezialisiertem Personal
- Schnellstmögliche Verbesserung FGM-bedingter somatischer Beschwerden
- Ermöglichung adäquater gynäkologischer/geburtshilflicher Diagnostik bereits in der Schwangerschaft
- Wundheilung zum Zeitpunkt der Geburt abgeschlossen
- Wunsch nach postpartaler Reinfibulation möglicherweise geringer
- Während der Eröffnungsperiode der Geburt
- Vermeidung einer Operation in der Schwangerschaft
- Ermöglichung geburtshilflicher Diagnostik während der Geburt
- Im zweiten Trimenon (bevorzugter Zeitpunkt)
- Keine postpartale Reinfibulation!
Eine Defibulation in der Schwangerschaft sollte möglichst nicht im ersten Trimenon durchgeführt werden, um zu vermeiden, dass ein Spontanabort mit der Defibulation in Verbindung gebracht wird!
Um eine vaginale Geburt zu ermöglichen, sollte eine Defibulation für das zweite Trimenon geplant werden. Auf Wunsch der Patientin kann sie auch während der Eröffnungsperiode der Geburt durchgeführt werden!
Eine Defibulation kann auch im Rahmen einer Sectio caesarea erfolgen, falls sich geburtshilflich die Indikation zur Entbindung per Sectio caesarea ergibt.
Eine FGM Typ III stellt alleine keinen Grund für eine Entbindung per Sectio caesarea dar!
Kinder [1]
- Allgemein: Betreuung, wenn möglich, im multidisziplinären Team (Gynäkologie, Pädiatrie, Psychologie, Soziale Arbeit)
- Anamnese: Eigen- und Fremdanamnese
- Untersuchung der Vulva
- Auf der Untersuchungsliege oder dem Schoß der Eltern
- Traktions- oder Separationsmethode
- Keine vaginale Untersuchung!
Unterschiede in der Anatomie einer präpubertären im Vergleich zur postpubertären Vulva sind zu berücksichtigen: Unterentwickelte Labia minora können wie FGM imponieren!
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
Z91.7-: Weibliche Genitalverstümmelung in der Eigenanamnese
- Z91.70: Weibliche Genitalverstümmelung in der Eigenanamnese, Typ nicht näher bezeichnet
- Female genital mutilation [FGM], Typ nicht näher bezeichnet
- Weibliche Genitalverstümmelung, plastisch korrigiert
- Weibliche Genitalverstümmelung o.n.A.
- Z91.71: Weibliche Genitalverstümmelung in der Eigenanamnese, Typ 1
- Teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut
- Female genital mutilation [FGM], type 1
- Z91.72: Weibliche Genitalverstümmelung in der Eigenanamnese, Typ 2
- Teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris und der inneren Schamlippen mit oder ohne Beschneidung der äußeren Schamlippen
- Female genital mutilation [FGM], type 2
- Z91.73: Weibliche Genitalverstümmelung in der Eigenanamnese, Typ 3
- Verengung der Vaginalöffnung mit Herstellung eines bedeckenden, narbigen Hautverschlusses nach Entfernen der inneren und/oder äußeren Schamlippen durch Zusammenheften oder -nähen der Wundränder, mit oder ohne Entfernung der Klitoris [Infibulation]
- Female genital mutilation [FGM], type 3
- Z91.74: Weibliche Genitalverstümmelung in der Eigenanamnese, Typ 4
- Alle schädigenden Eingriffe, die nicht den Typen 1 bis 3 der Genitalverstümmelung zuzuordnen sind, die weiblichen Genitalien verletzen und keinem medizinischen Zweck dienen, z.B. Einstechen, Durchbohren, Einschneiden, Ausschaben, Ausbrennen, Verätzen oder Dehnen
- Female genital mutilation [FGM], type 4
Veränderungen nach sonstigen medizinischen, kosmetischen oder ästhetischen Eingriffen (inkl. Tattoos und Piercings) werden nicht als “Weibliche Genitalverstümmelung” kodiert.
Für die Kodierung von Defibulation und Rekonstruktion sind bislang keine FGM-spezifischen OPS-Ziffern vorhanden. [8]
Da bei alleiniger Kodierung von Z-Diagnosen von den Krankenkassen i.d.R. keine Versichertenpauschale bezahlt wird, ist für eine Abrechnung die Kodierung einer weiteren Diagnose notwendig.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.