Zusammenfassung
Das Marfan-Syndrom ist eine Bindegewebserkrankung mit defekter Mikrofibrillen-Synthese, die autosomal-dominant vererbt wird oder als Neumutation auftritt und zu multiplen pathologischen Veränderungen verschiedener Organsysteme führt. Charakteristisch sind dabei ein Hochwuchs, eine Hyperelastizität der Gelenke sowie Fehlbildungen von Herz und Aorta (insbesondere Aneurysmata, Dissektionen).
Ehlers-Danlos-Syndrome sind eine Gruppe von erblichen Bindegewebserkrankungen, die gekennzeichnet sind durch Veränderungen in der Struktur, Produktion und/oder Verarbeitung von Kollagenen. Charakteristisch sind dabei eine Hypermobilität der Gelenke und eine Hyperelastizität sowie Fragilität der Haut. In der klinischen Praxis ist die Unterscheidung von Hypermobilitäts-Spektrum-Erkrankungen essenziell. Deshalb wurden 2017 Kriterien formuliert, die eine Differenzierung des Phänotyps des hypermobilen Ehlers-Danlos-Syndroms ermöglichen. Zusammen mit molekulargenetischen Markern wurde dann eine neue Klassifikation mit 13 Phänotypen für das Ehlers-Danlos-Syndrom verfasst.
Beide Krankheitsentitäten werden mittels interdisziplinärer symptomadaptierter Therapie der Komplikationen behandelt, während eine kausale Therapie nicht zur Verfügung steht.
Definition
Marfan-Syndrom
Beim Marfan-Syndrom handelt es sich um eine Bindegewebserkrankung mit Defekt der Mikrofibrillen. Die Erkrankung kann autosomal-dominant vererbt werden oder als Neumutation auftreten.
Ehlers-Danlos-Syndrom
Beim Ehlers-Danlos-Syndrom handelt es sich um eine heterogene Gruppe angeborener Störungen der Kollagensynthese und/oder -verarbeitung. [1]
Ätiologie
Marfan-Syndrom
Ursächlich handelt es sich um einen Gendefekt auf dem langen Arm des Chromosom 15. In der Folge kommt es zu einem Defekt der Mikrofibrillen des Bindegewebes.
Ehlers-Danlos-Syndrom
Verschiedene Gendefekte in unterschiedlicher Ausprägung sind Grundlage der dreizehn Untertypen des Ehlers-Danlos-Syndroms. [1]
Klassifikation
Einteilung der Ehlers-Danlos-Syndrome (EDS) (2017) [1] | ||||
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Typ | Hauptkriterien | Betroffene Kollagene bzw. Proteine | Vererbungsmuster | Betroffene Gene |
Klassisches EDS |
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Classical-like EDS |
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Kardiovalvuläres EDS |
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Vaskuläres EDS |
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Hypermobiles EDS |
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Arthrochalasie-EDS |
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Dermatosparaxis-EDS |
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Kyphoskoliotisches EDS |
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Brittle-Cornea-Syndrom |
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Spondylodysplastisches EDS |
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Muskulokontrakturelles EDS |
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Myopathisches EDS |
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Periodontales EDS |
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Symptomatik
Marfan-Syndrom
- Herz- und Gefäßsystem (sehr häufig betroffen)
- Herzklappenfehler
- Aortenaneurysmata/-dissektionen/-ektasien
- Auge
- Insbesondere Lockerung des Halteapparats der Linsen → Linsenluxation, -subluxation, häufig nach temporal-oben
- Kurzsichtigkeit
- Glaukom
- Katarakt
- Netzhautablösung
- Skelettsystem, Muskulatur und äußere Zeichen
- Schnelles Körperwachstum (Hochwuchs)
-
Faziale Auffälligkeiten
- Senkrechte Überentwicklung des Kopfes (Dolichozephalie = Langschädel)
- Enophthalmus
- Lateral abfallende Lidachsen
- Molarhypoplasie
- Retrognathie
- Hyperlaxizität der Gelenke, hoher Gaumen (Gotischer Gaumen)
- Gelenkdislokationen: Bspw. Protrusio acetabuli
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Arachnodaktylie (Spinnenfingrigkeit)
- Steinberg-Zeichen (syn. Daumenzeichen): Legt der Patient den Daumen in die Handfläche und schließt die Hand zur Faust, überragt der eingeschlagene Daumen den ulnaren Handrand
- Walker-Zeichen (syn. Murdoch-Zeichen, Walker-Murdoch-Zeichen, Handgelenkzeichen): Umgreift der Patient mit einer Hand das Handgelenk der anderen Hand, überragt das Endglied des kleinen Fingers das Endglied des Daumens
- Verschmälerte Finger (Madonnenfinger)
- Trichter- oder Kielbrust (Pectus excavatum bzw. carinatum)
- Verformungen der Wirbelsäule (Skoliose, Hyperkyphose)
- Schwach entwickelte Muskulatur (Muskelhypotrophie mit Haltungsschwäche)
- Scapula alata
- Habituelle Luxationen (insb. Patella, Schulter)
- Plattfüße
- Samtartige Haut mit Neigung zu Striae (Dehnungsstreifen)
- Sekundäre Osteoporose
- Sonstige
- Häufigeres Auftreten von Spontanpneumothoraces
- Lumbosakrale Duraektasie
Ehlers-Danlos-Syndrom
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Herz- und Gefäßsystem
- Herzklappenfehler
- Herz-/ Aortenaneurysmata/-dissektionen/-ektasien
- Skelettsystem
- Dermatologisch
- Überdehnbarkeit der Haut
- Hämatomneigung
- Hernien
- Siehe auch: Ehlers-Danlos-Syndrom - Klassifikation mit differenziertem Kriterienkatalog je nach Unterformen
Diagnostik
- Anamnese und klinische Untersuchung [2][3]
- Familiäre und individuelle Anamnese
- Klinische Untersuchung mit Fokus auf Gelenkmobilität und Hautveränderungen
- Neutral-Null-Methode
- Beighton-Score zur Evaluation einer generalisierten Hypermobilität
- Siehe auch: Hauptkriterien der Ehlers-Danlos-Syndrom - Klassifikation
- Klinische Checklisten, siehe auch: Tipps und Links
- Vorgehen
- Untersuchung hinsichtlich der Haupt- und Nebenkriterien [1]
- Klinische Verdachtsdiagnose → Molekulargenetische Untersuchung
- Ggf. weiterführende Untersuchungen, bspw. Echokardiografie
Beighton-Score (1993) [2] | ||
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Befund | Unilateral (Punkte) | Bilateral (Punkte) |
Passive Dorsalextension des Kleinfingers im MCP-Gelenk >90° |
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Passive Apposition des Daumens zum Unterarm |
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Hyperextension des Ellenbogengelenks >10° |
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Hyperextension des Kniegelenks >10° |
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Vorwärtsbeugung des Oberkörpers mit gestreckten Knien, dabei mit den Handflächen den Boden berühren |
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Auswertung: ≥5 Punkte = Hinweis auf generalisierte Gelenkhypermobilität |
Beim klinischen Verdacht auf das Vorliegen eines Ehlers-Danlos-Syndroms sollte eine (molekular‑)genetische Untersuchung zur Bestätigung der Diagnose durchgeführt werden!
Therapie
Marfan-Syndrom
- Keine kausale Therapie verfügbar
- Interdisziplinäre symptomadaptierte Therapie der Komplikationen
- Regelmäßige orthopädische, ophthalmologische und kardiologische Kontrollen
- Betablocker und ggf. kardiochirurgische Therapie (bspw. Ersatz von Aorta ascendens oder descendens)
Ehlers-Danlos-Syndrom
- Keine kausale Therapie verfügbar
- Therapie von Komplikationen (bspw. Hernien, rupturierte Gefäße)
Prognose
- Marfan-Syndrom
- Eingeschränkte Lebenserwartung aufgrund der kardiovaskulären Veränderungen
- Bei rechtzeitiger Diagnose und adäquater Therapie jedoch normale Lebenserwartung möglich
- Ehlers-Danlos-Syndrom
- Milde Ausprägungen mit normaler Lebenserwartung
- Vaskuläre Form mit reduzierter durchschnittlicher Lebenserwartung aufgrund von Gefäßrupturen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- Q87.-: Sonstige näher bezeichnete angeborene Fehlbildungssyndrome mit Beteiligung mehrerer Systeme
- Q87.4: Marfan-Syndrom
- Q79.-: Angeborene Fehlbildungen des Muskel-Skelett-Systems, anderenorts nicht klassifiziert
- Exklusive: Torticollis congenitus (muscularis) (Q68.0)
- Q79.6: Ehlers-Danlos-Syndrom
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.