Zusammenfassung
Die Kehlkopflähmung ist eine Parese der äußeren und inneren Kehlkopfmuskeln. Eine dabei auftretende Stimmbandfehlstellung ist häufig die Folge einer iatrogenen Schädigung des Nervus laryngeus recurrens, bspw. nach einer Operation der Schilddrüse. Eine einseitige Rekurrensparese führt zur Paramedianstellung der Stimmlippe mit Dysphonie und wird zunächst meist durch logopädisches Stimmtraining therapiert. Anders verhält es sich bei einer akuten beidseitigen Rekurrensparese, die sich durch Luftnot äußert und häufig eine Notfall-Tracheotomie erforderlich macht.
Ätiologie
Der N. vagus (X. Hirnnerv) entspringt dem mittleren Teil des Ncl. ambiguus und innerviert motorisch und sensibel die gesamte Kehlkopfmuskulatur, den kaudalen Teil des M. constrictor pharyngis und den Ösophagus. Weiterhin enthält er vegetative und sekretorische Fasern für den GI-Trakt. Der N. vagus gibt in Höhe des Ganglion inferius den N. laryngeus superior und im weiteren Verlauf den N. laryngeus inferior ab.
Parese des N. laryngeus inferior (N. recurrens) [1]
-
Iatrogen/postoperativ nach
- Schilddrüsenoperation
- Lobektomie bei Bronchialkarzinom mit Ausräumung der Lymphknoten im aortopulmonalen Winkel
- Wirbelsäulenchirurgie
- Mediastinoskopie und Aortenchirurgie
- Malignome des Halsbereiches (Schilddrüsenkarzinome, Bronchialkarzinome, Ösophaguskarzinome, Larynxkarzinome) und Gehirn
- Aortenaneurysma
- Schädigung der Mm. vocales als mögliche Komplikation einer Laryngitis
- Infektion mit Viren (HSV, VZV, EBV) oder Bakterien (Borrelien)
- Neurologische Erkrankungen (Multiple Sklerose, amyotrophe Lateralsklerose, Schlaganfall, Polyneuropathie)
- Traumatische Aryknorpelluxation, z.B. bei Intubation (sehr selten)
- Interarytaenoidfibrose , Krikoarytaenoidankylose
- Idiopathisch
Parese des N. laryngeus superior [1]
- Isolierte Schädigung selten
- Meist nach Schilddrüsenchirurgie
Symptomatik
Parese des N. laryngeus superior [1][2]
- Anatomische Grundlagen
- Motorische Innervation (R. externus) des M. cricothyroideus (einziger äußerer Kehlkopfmuskel)
- Sensible Innervation (R. internus) des supraglottischen Raums und der Glottis mitsamt den Stimmlippen
- Klinik: Dysphonie bei hohen Tönen, Dysphagie möglich
- Laryngoskopie: Schlaffe Stimmlippe der betroffenen Seite (aufgrund mangelnder Grobspannung), Stimmlippen sind normal beweglich
Parese des N. laryngeus inferior (= N. recurrens)
- Anatomische Grundlagen
- Endast des N. recurrens
- Der rechte N. laryngeus recurrens verläuft um die A. subclavia dextra und der dickere, linke N. laryngeus recurrens um den Aortenbogen
- Motorische Versorgung der inneren Kehlkopfmuskeln: M. cricoarytenoideus posterior (Posticus), M. cricoarytenoideus lateralis, M. vocalis (mediale Anteile des M. thyroarytenoideus), M. thyroarytenoideus, M. arytenoideus obliquus et transversus
- Sensible Innervation der subglottischen Schleimhaut
- Einseitige Rekurrensparese
- Klinik: Heiserkeit, Dysphagie/Aspiration, keine Atemnot
- Laryngoskopie: Ipsilaterale Paramedianstellung der Stimmlippe
- Beidseitige Rekurrensparese
- Klinik: Atemnot, inspiratorischer Stridor, Dysphagie/Aspiration, kaum Heiserkeit
- Laryngoskopie: Paramedianstellung beider Stimmlippen
Sonderformen
- Internusschwäche
- Definition: Beidseitige Schwäche der Mm. vocales
- Klinik: Dysphonie insb. in hohen Frequenzen
- Laryngoskopie: Ungenügender Stimmlippenverschluss mit länglichem, ovalem Stimmlippenspalt in Phonationsstellung
- Transversusschwäche
- Definition: Beidseitige Schwäche des M. arytenoideus transversus
- Klinik: Geringe Dysphonie
- Laryngoskopie: Dorsaler dreieckiger Spalt der Stimmlippen im Bereich der Aryknorpel
Der N. recurrens versorgt den einzigen Stimmritzenöffner (M. cricoarytenoideus posterior = Posticus). Hieraus resultiert auch die führende Klinik bei Beeinträchtigung des Nerven!
Die zahlreichen Axone im N. recurrens, die sowohl Adduktoren als auch Abduktoren innervieren, unterliegen keiner erkennbaren Faserordnung, sodass bei einer Schädigung ein nicht vorhersagbares Muster an Funktionseinschränkungen resultiert!
Komplette Parese des N. vagus (= Nn. laryngeus superior et inferior)
- Klinik: Dysphonie, meist stärker ausgeprägt
- Laryngoskopie: Stimmlippe steht häufig weiter lateral und ist stärker exkaviert (= Intermediärstellung)
Diagnostik
Basisdiagnostik [1][2]
- Anamnese: Vorgeschichte bzgl. Trauma, OP, plötzlicher vs. schleichender Beginn, Infekte
- Klinische Untersuchung: Lupenlaryngoskopie (siehe auch: Symptome/Klinik) und Stroboskopie
- Sonografie Hals mit Fokus auf Schilddrüse
- CT-Hals und -Thorax mit Kontrastmittel (von der Schädelbasis bis zum oberen Mediastinum): Aufgrund iodhaltigen Kontrastmittels nur bei unauffälligem Sonografiebefund der Schilddrüse
Weiterführende Diagnostik [1][2]
- Panendoskopie in Intubationsnarkose
- MRT-Kopf zum Ausschluss von Raumforderungen supranukleär bzw. nukleär und insb. bei V.a. Glomus-jugulare-Tumor
- Videoendoskopie nach FEES-Methode zur Dysphagie-/Aspirationsdiagnostik
- Ggf. Borrelien-Serologie bei klinischem Infektionsverdacht
- Differenzierte Elektromyografie der einzelnen Kehlkopfmuskeln zur genaueren Einschätzung des Schädigungsgrades und der Prognose
Therapie
Einseitige Rekurrensparese [1][2][3]
- Intensive logopädische Stimmtherapie: Möglichst frühzeitig beginnen
- Spontane Rückbildung der Heiserkeit möglich
- Unterstützende Behandlung mit neuromuskulärer Elektrostimulation
- Operative Verfahren
- Ziel: Operative Medialverlagerung der paretischen Stimmlippe mittels resorbierbarer oder nicht-resorbierbarer Materialien
- Inneres Verfahren
- Indikation: Persistierende Heiserkeit über 3–6 Monate, ggf. auch frühzeitig
- Endoskopische/phonochirurgische Medialisierung/Augmentation der Stimmlippe mittels körpereigenen Fettes, Hyaluronsäure, Gelatine, Kollagen, Calcium-Hydroxylapatit oder flüssigen Silikons
- Injektion der Substanz in den Bereich seitlich der Stimmlippe, meistens in den M. vocalis
- Volumen meist 0,2–0,5 mL
- Bei Hoffnung auf eine spontane Erholung werden initial resorbierbare Substanzen verwendet
- Äußeres Verfahren
- Indikation
- Bei starker Außenrotation des Aryknorpels und weit lateral stehendem Proc. vocalis
- Glottisschlussinsuffizienz ≥3 mm
- Bei persistierender Heiserkeit nach 12 Monaten
- Mittels Thyreoplastik: Medialisierung der Stimmlippe mit körpereigenem Knorpel, vorgefertigten Implantaten (z.B. nach Montgomery oder eine Titanspange nach Friedrich) oder individuell angefertigten Silikonkeilen bzw. Gore-Tex-Streifen
- Längerfristiger Effekt im Vergleich zur Injektionsmedialisierung! [3]
- Indikation
Keine operative Medialisierung bei verengter Glottis!
Beidseitige Rekurrensparese
- Primäre bzw. temporäre Verfahren
- Temporäre Tracheotomie: Meist erforderlich, oft notfallmäßig (zum operativen Ablauf siehe: Tracheotomie)
- Im absoluten Notfall kann eine Koniotomie notwendig sein (siehe auch: Koniotomie - AMBOSS-SOP)
- Meist ausreichend Zeit, um eine klassische, chirurgische Tracheotomie durchzuführen
- Temporäre reversible Laterofixation (alternativ): Lateralisation/Seitenverlagerung der Stimmlippe mit Lichtenberger-Naht, bei der mit zwei Fäden eine oder beide Stimmlippen vorübergehend zur Seite gezogen werden
- Temporäre Tracheotomie: Meist erforderlich, oft notfallmäßig (zum operativen Ablauf siehe: Tracheotomie)
- Sekundäre bzw. permanente Verfahren
- Glottiserweiternde Eingriffe: Bei ausbleibender Nervenerholung nach etwa 12 Monaten
- Resektion von Teilen der posterioren Stimmlippe (posteriore transverse Chordektomie) und/oder
- Mediale bzw. totale Arytenoidektomie mit dem CO2-Laser
- Glottiserweiternde Eingriffe: Bei ausbleibender Nervenerholung nach etwa 12 Monaten
- Neuartiger Therapieansatz mittels Neurostimulator/Larynxschrittmacher in Studien möglich
Tracheotomie
Allgemeines [2][4][5][6]
- Definition: Eröffnung der Luftröhre („Luftröhrenschnitt“) auf plastisch-chirurgische (= klassische Tracheotomie) oder dilatative (= Punktionstracheotomie) Weise
- Vorteile der plastisch-chirurgischen Tracheotomie
- Erheblich vereinfachter Kanülenwechsel
- Erleichterte Tracheobronchialtoilette
- Reduziertes Risiko der Gefäßarrosion
- Seltener Spontanverschluss bei nicht getragener Kanüle
- Vorteile der dilatativen Punktionstracheotomie
- Geringere Trauma- und Infektinzidenz
- Weniger Spätkomplikationen
- Schneller und kostengünstiger durchführbar
- Zügiger spontaner Verschluss nach Dekanülierung
- Kontraindikationen der dilatativen Punktionstracheotomie
- Notfall
- Gerinnungsstörung
- Unklare anatomische Verhältnisse
- Dauerhafte Tracheotomie erforderlich
- Durchführung in Lokalanästhesie oder Intubationsnarkose möglich
- Präoperativ Laborkontrolle der Blutgerinnung
Präoperativ sollte ein hochstehender Truncus brachiocephalicus (bzw. V. brachiocephalica) sowie eine große Struma multinodosa mittels Palpation oder Bildgebung antizipiert werden!
Plastisch-chirurgische Tracheotomie [2][4][5]
OP-Vorbereitung
- Rückenlage mit Kopfreklination
- Infiltrationsinjektion von Lokalanästhetikum, 5–10 mL mit verdünntem Adrenalinzusatz, zwischen Schildknorpel und Jugulum, auch in die Tiefe
- Steriles Abwaschen und Abdecken des OP-Gebietes
- Anatomische Landmarken einzeichnen: Prominentia laryngea, Cartilago cricoidea, Jugulum sowie Clavicula beidseitig
- Sichtvisier für Operateure
Operatives Vorgehen zur plastisch-chirurgischen Tracheostoma-Anlage
- Zugang: Rechtshänder stehen rechts vom Patienten
- Horizontaler Hautschnitt zwischen Jugulum und Schildknorpel
- Subkutanes Fettgewebe sowie Lamina superficialis der Halsfaszie durchtrennen
- Darstellung der Trachea und Präparation der Schilddrüse
- Linea alba darstellen, mittlere Halsfaszie spalten und Mm. sternohyoidei bzw. sternothyroidei auseinanderdrängen
- Schilddrüsenisthmus darstellen und vom Ringknorpel ablösen
- Durchtrennung des Isthmus nach fortlaufender Umstechung der beiden lateralen Schilddrüsenstümpfe
- Tracheotomie
- Horizontale Inzision der Tracheavorderwand zwischen 1. und 2. Trachealspange
- Seitlich-vertikale Trachealinzision beidseits zur Anlage eines kaudal gestielten „U-Lappens" aus der Tracheavorderwand (sog. Björk-Lappen)
- Variante: „Visierlappentracheotomie“, falls die Tracheotomie nur für wenige Tage benötigt wird
- Horizontale Inzision der Tracheavorderwand ohne seitlich-vertikale Inzisionen
- Mukokutane Anastomose zwischen mobilisierter Halshaut und kranialer sowie kaudaler Trachealspange
- Tracheostomaanlage: Epithelialisierung mittels mukokutaner Anastomose zu allen Seiten
- Ggf. zusätzliche adaptierende Hautnähte lateral notwendig
- Einführung der Beatmungskanüle unter Schutz des Björk-Lappen mittels Spekulum
Bei Verlagerung der Trachea durch Raumforderungen sollte operativ stets eine Orientierung am Larynx erfolgen, insb. mit Darstellung des Ringknorpelbogens, um hiervon palpierend die Trachea aufzusuchen!
Nachsorge
- Beatmungsverhältnisse nach Kanülierung überprüfen
- Erster Kanülenwechsel nach ca. 3–5 Tagen
- Fadenzug nach etwa 10 Tagen
- Keine standardmäßige antibiotische Therapie
Dilatative Punktionstracheotomie [7] [6]
OP-Vorbereitung
- Rückenlage mit Kopfreklination
- Infiltrationsinjektion von Lokalanästhetikum, 5-10 mL mit verdünntem Adrenalinzusatz, zwischen Schildknorpel und Jugulum, auch in die Tiefe
- Steriles Abwaschen und Abdecken des OP-Gebietes
- Einleitung einer Allgemeinanästhesie mit sequenzieller Gabe Analgetikum → Hypnotikum → Muskelrelaxans
Operatives Vorgehen zur dilatativen Tracheotomie
Vorgehen nach Ciaglia
- Bronchoskopisch kontrollierte, mittige Punktion der Trachea mit Punktionskanüle unter Aspiration ca. 1–2 cm oberhalb der Fossa jugularis
- Seldinger-Draht einführen und Kanüle entfernen
- Präformation und Dilatation des Punktionskanals mit mehreren größer werdenden Dilatatoren nacheinander
- Trachealkanüle über die Drahtschiene in die Trachea einbringen
Durch Eindrücken der Tracheavorderwand in das Lumen mit den Dilatatoren kann es zur lebensgefährlichen Verletzung der Tracheahinterwand kommen!
Die Punktionssets unterscheiden sich zum Teil erheblich in der Handhabung und müssen dem Anwender vor ihrem Einsatz bekannt sein!
Alternatives Vorgehen nach Fantoni
- Vorteil: Verhinderung einer Verletzung der Tracheahinterwand und geringere Trachealstenose
- Anwendung: Insb. bei Kindern und Jugendlichen, da aufgrund der höheren Elastizität der Trachea ein größeres Risiko für eine Verletzung der Tracheahinterwand besteht
- Vorgehen: Translaryngeale retrograde Punktionstracheotomie
- Punktion der Trachea von außen und retrogrades Einbringen eines Führungsdrahtes Richtung oral unter fiberoptischer Sicht
- Befestigung eines speziellen konischen Dilatators mitsamt Trachealkanüle am Führungsdraht, Zurückziehen Richtung Larynx und translaryngeales Durchziehen
- Rotation intratracheal um 180° und orthograde Replatzierung
Nachsorge
- Beatmungsverhältnisse nach Kanülierung überprüfen
- Erster Kanülenwechsel nach ca. 7 Tagen in Intubationsbereitschaft
- Wechsel der Trachealkanüle über Tube Exchanger
Komplikationen und Risiken
- Intra- und postoperative Blutung bei Verletzung der großen Halsgefäße, v.a. im Jugulum oder aus der Schilddrüse
- Arrosion der Tracheawand durch Trachealkanüle mit Gefäßarrosion
- Emphysem, Pneumothorax
- Infektion, Mediastinitis, ösophagotracheale Fistel
- Trachealstenose
- Akzidentelle Dekanülierung, nachfolgend Verschluss des Tracheostomas durch Verschiebung prätrachealer Schichten (Kulissenphänomen)
- Anosmie und Geschmacksstörung aufgrund direkter Luftströmung bei Inspiration in Trachea und Lunge
- Verlust der Reinigungs- und Anfeuchtungsfunktion der oberen Atemwege
Eine akzidentelle Dekanülierung kann insb. in den ersten Wochen zu einem kulissenartigen Verschluss des Tracheostomas führen!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- J38.-: Krankheiten der Stimmlippen und des Kehlkopfes, anderenorts nicht klassifiziert
- J38.0-: Lähmung der Stimmlippen und des Kehlkopfes
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.
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