Zusammenfassung
Das Kurzdarmsyndrom ist ein Darmversagen, das infolge einer Resektion von Darmabschnitten (insb. des Dünndarms) entsteht. Die Resektion von Dickdarm und Ileozäkalklappe ist weniger ausschlaggebend, sondern eher zusätzlich erschwerend für die Symptomatik. Postoperativ zeichnet sich das Kurzdarmsyndrom durch einen dreiphasigen Verlauf (Hypersekretions-, Adaptations- und Stabilisierungsphase) aus. In der Hypersekretionsphase ist v.a. der Flüssigkeitsverlust durch die starke Diarrhö kritisch und kann zu schwerer Dehydratation mit prärenalem Nierenversagen führen. Während der Adaptationsphase regeneriert der Restdarm und gewinnt nach und nach an Funktion zurück. Erst in der letzten Phase (bis zu 2 Jahre nach dem Eingriff) wird das volle Ausmaß der möglichen Regeneration erreicht und eine stabile ernährungstechnische Einstellung möglich. Insb. auf Mangelerscheinungen (z.B. Mangel an fettlöslichen Vitaminen) infolge der Malassimilation muss geachtet werden. Eine lebenslange Substitution entsprechender Vitamine, Spurenelemente oder Nährstoffe kann notwendig sein.
Definition
Es existieren sehr viele und uneinheitliche Definitionen bzw. Abgrenzungen der Begriffe „Kurzdarmsyndrom“, „Darmversagen“, „Darminsuffizienz“ etc. Hier dargestellt ist die Definition in Anlehnung an die S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. in Zusammenarbeit mit der AKE, der GESKES und der DGVS 2014. [1]
- Darmversagen: Störung der Flüssigkeits-, Energie- und/oder Nährstoffbilanz des Körpers in Folge einer verminderten resorptiven Darmkapazität
- Kurzdarmsyndrom: Darmversagen infolge einer Darmresektion (insb. des Dünndarms)
Ätiologie
- Meist Resektionen im Rahmen von
- Chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen
- Malignomen
- Darmnekrosen bei Mesenterialischämie
- Chronischer Strahlenenteritis
- Abdominaltraumen
- Pädiatrie: Dünndarmvolvuli
Klassifikation
- Einteilung nach Messing anhand der postoperativen Anatomie [2]
- Typ 1: Endständiges Ileostoma
- Typ 2: Jejunokolische Anastomose (Ileozäkalklappe nicht erhalten)
- Typ 3: Jejunoileokolische Anastomose (Ileozäkalklappe erhalten)
- Einteilung nach Funktion [1][3]
- Typ 1: Selbstlimitierendes Darmversagen → Kurzzeitige parenterale Ernährung
- Typ 2: Darmversagen mit schwerwiegenden postoperativen Komplikationen (z.B. Sepsis oder SIRS) und Stoffwechselentgleisungen → Multidisziplinäre Behandlung mit parenteraler Ernährung
- Typ 3: Chronisches Darmversagen mit dauerhafter parenteraler Ernährung (gemischt parenteral/oral oder vollständig)
Symptomatik
Allgemein
- Wässrige Diarrhö mit der Gefahr der Dehydratation
- Steatorrhö
- Flatulenz, Meteorismus
- Dyspepsie
- Sekundäre Lactoseintoleranz
- Mangelsymptome der Malassimilation, in Abhängigkeit des resezierten Darmabschnitts
Phasen der intestinalen Adaptation [1][3][4]
Phase | Zeitraum | Charakteristika | Therapeutisches Regime |
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Hypersekretionsphase |
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Adaptationsphase |
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Erhaltungs- und Stabilisierungsphase |
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Schwere der Symptomatik abhängig vom entfernten Darmabschnitt [1][3]
- Ungünstig: Resektion des Ileums
- Günstig: Erhalt von Kolon und Ileozäkalklappe
Die Symptomatik ändert sich im Verlauf durch Adaptation und Regeneration des Restdarms! Grunderkrankungen (z.B. Morbus Crohn) können diese Restfunktion limitieren!
Diagnostik
- Diagnosestellung: I.d.R. klinisch + OP-Bericht (insb. Dokumentation des OP-Situs mit Restdarmlänge!)
- Stationäres Monitoring
- Bilanzierung von Ein- und Ausfuhr
- Regelmäßige Laborkontrollen: Insb. Elektrolyte, Glucose, Nierenfunktionsparameter, CRP
- Körpergewicht
- Ambulantes Monitoring
- Ernährungsanamnese und Körpergewicht
- Beurteilung des Volumenstatus (hypo-/normo-/hypervoläm)
- Labor
- Klinische Chemie: Elektrolyte, Glucose, Nieren- und Leberfunktionsparameter, CRP (mind. alle 3 Monate)
- Vitaminspiegel und Spurenelemente (alle 6–12 Monate)
- Knochendichtemessung (jährlich)
- Ggf. Überprüfung von Sonden oder Kathetern
Therapie
Das Therapieregime wird in Abhängigkeit von der intestinalen Adaptation angepasst. Siehe auch: Phasen der intestinalen Adaptation
- Ernährung
- Präoperativ: Ausgleich einer bestehenden Mangelernährung
- Ernährungstherapie (ggf. ergänzende oder komplett künstliche Ernährung, siehe auch: Enterale Ernährung und parenterale Ernährung)
- Ernährungsberatung und Patientenschulung
- Substitution von Vitaminen, Mineralstoffen und anderen Nahrungsbestandteilen je nach reseziertem Darmabschnitt
- Medikamentös [1]
- Hemmung vermehrter Magensäureproduktion
- Therapie der Diarrhö
- Antidiarrhoika: Bspw. Loperamid
- Bei chologener Diarrhö: Colestyramin (siehe auch: Gallensäureverlustsyndrom)
- Weitere medikamentöse Therapieoptionen mit geringer Evidenz
- Verbesserung der Diarrhö: Clonidin, Somatostatin/Somatostatin-Analoga
- Verbesserung der Fettabsorption: Substitution von Pankreasenzymen
- Förderung der Schleimhautadaptation: Wachstumshormone wie Teduglutid (GLP-2-Analogon) [5]
- Chirurgisch
- Chirurgische Optimierung der Resorptionskapazität, bspw. durch Wiederherstellung der Darmkontinuität oder Aufheben blinder Schlingen
- Dünndarmtransplantation [3][5]
- Indikation: Benigne Grunderkrankungen mit Komplikationen (z.B. bei IFALD ) oder Versagen einer dauerhaften parenteralen Ernährung (z.B. Verschluss von mehr als 2 zentralen Venen der oberen Thoraxapertur bzw. typischen zentralen Zugangswegen)
- Durchführung und Indikationsstellung in Transplantationszentren
Bei Intensivpatienten soll frühzeitig mit einer bevorzugt enteralen Ernährung begonnen werden. (DGIM - Klug entscheiden in der internistischen Intensivmedizin)
Komplikationen
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Bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarms
- Verschlechterung der Absorption mit Flatulenz, Meteorismus
- Auftreten von Infektionen bis hin zu Sepsis
- D-Lactatazidose
- Cholelithiasis, Nephrolithiasis, chronische Nierenerkrankung
- Thrombophilie
- Gerinnungsstörungen
- Osteopathie, Osteoporose
-
Nebenwirkungen dauerhafter parenteraler Ernährung, insb.
- Infektionen
- Thrombose zentraler Zugänge
- Leberfunktionsstörungen bis hin zur Leberzirrhose (IFALD = „intestinal failure associated liver disease“) [1]
Neben dem Ausmaß der Malabsorption stellen die Komplikationen der parenteralen Ernährung (insb. Infektionen und Thrombosen) die prognoselimitierenden Faktoren des Kurzdarmsyndroms dar! [6]
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.