Zusammenfassung
Die Radioiodtherapie (RIT) ist eine nicht-invasive Methode der Nuklearmedizin zur Destruktion von Schilddrüsengewebe. Dies liegt darin begründet, dass die Schilddrüse als einziges Organ größere Mengen Iod aufnimmt und speichert. Das nicht-gespeicherte Iod wird über den Urin ausgeschieden. Verwendet wird das radioaktive 131I, das über Betastrahlung zur lokalen Zelldestruktion führt sowie über Gammastrahlung diagnostische Wertigkeit besitzt.
Die Radioiodtherapie wird zur definitiven Behandlung einer Hyperthyreose, einer Struma sowie ergänzend zur Therapie der differenzierten Schilddrüsenkarzinome eingesetzt. Bei benignen Schilddrüsenerkrankungen muss vor Therapiebeginn ein Radioiodtest durchgeführt werden, um die individuelle Dosis des 131-Iods zu evaluieren. Zusätzlich ist eine Iodkarenz und das Pausieren einer eventuellen thyreostatischen Medikation erforderlich. Bei malignen Schilddrüsenerkrankungen wird die Radioiodtherapie als adjuvante Behandlung nach Thyreoidektomie genutzt.
Indikation
- Zur Strumaverkleinerung: Kleine bis mittelgroße Struma (mit/ohne funktionelle Autonomie)
-
Morbus Basedow [1]
- Persistenz der Hyperthyreose nach 6–12 Monaten medikamentöser Therapie
- Rezidive nach medikamentöser Therapie
- Schilddrüsenautonomie
- Differenziertes Schilddrüsenkarzinom [2]
- Adjuvante ablative Radioiodtherapie
- Alle differenzierten Schilddrüsenkarzinome >1 cm nach totaler Thyreoidektomie
- Ggf. auch beim papillären Schilddrüsenkarzinom ≤1 cm nach totaler Thyreoidektomie und bei Vorhandensein weiterer Risikofaktoren
- Lokalrezidive, lokoregionäre Lymphknotenmetastasen, Fernmetastasen (insb. pulmonale), inoperable/ nicht komplett zu resezierende Tumore
- Ggf. kurative oder palliative Therapie bei Nachweis von erhöhten Thyreoglobulinwerten (>10 ng/mL) und fehlendem Tumorkorrelat in der Szintigrafie oder anderer Bildgebung
- Adjuvante ablative Radioiodtherapie
Für die Indikation zur Radioiodtherapie sprechen generell folgende Kriterien: Kein Malignomverdacht, keine großen Raumforderungen, Vor-OPs an der Schilddrüse!
Kontraindikation
Absolute Kontraindikationen
- Schwangerschaft/Stillzeit
- Verdacht auf Schilddrüsenkarzinom
Relative Kontraindikationen [2]
- Höhergradige Knochenmarksdepression
- Eingeschränkte Lungenfunktion
- Funktionseinschränkung der Speicheldrüsen mit erheblicher Xerostomie
- Spinale oder zerebrale Metastasen, von denen die Gefahr progredienter Kompressionssymptome unter Radioiodtherapie ausgeht
Es werden die wichtigsten Kontraindikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Technischer Hintergrund
- Prinzip: Verwendung von radioaktivem 131Iodid (Gamma- und Betastrahler) als Radiopharmakon
- Gammastrahlung: Diagnostische Nutzung
- Betastrahlung: Therapeutische Nutzung
- Wirkungseintritt: I.d.R. nach 2–3 Monaten
Ablauf/Durchführung
Allgemeine Maßnahmen [1][2]
- Iodkarenz: Aufnahme größerer Iodmengen (z.B. Röntgen-Kontrastmittel) blockiert die weitere Iodaufnahme (Wolff-Chaikoff-Effekt), der Effekt einer Radioiodtherapie beruht aber auf einer intakten und effektiven Iodaufnahme!
- Iodarme Diät: 2–4 Wochen vor Radioiodtherapie und Radioiodtest
- Iodhaltiges Röntgenkontrastmittel: Radioiodtherapie frühestens 8 Wochen nach letzter KM-Gabe
- Sonderfall Amiodaron: Bis zu 12 Monate Karenz notwendig aufgrund eines sehr hohen Iodgehalts
- Ausschluss einer Schwangerschaft: Akut als Schwangerschaftstest, bezüglich der Familienplanung gilt
- Verhütung einer Schwangerschaft
- Nach Behandlung benigner Erkrankungen: 4 Monate Verhütung einer Schwangerschaft für beide Geschlechter empfohlen
- Nach Behandlung maligner Erkrankungen: Insb. im Rahmen einer Radioiodtherapie von Metastasen wird bei Frauen eine Verhütung für 6–12 Monate, bei Männern für 4 Monate empfohlen
- Stillzeit: Abstillen 8 Wochen vor Radioiodtherapie
- Kryokonservierung von Spermatozoen bzw. Eizellen: Bei hochdosierten Ablationskonzepten erwägen und in die Beratung aufnehmen
- Verhütung einer Schwangerschaft
- Harninkontinenz: Abklären und optimal behandeln, wenn im Vorfeld bekannt (Umgebungskontamination ↓)
Die allgemeinen Maßnahmen sind bei jeglicher Form der Radioiodtherapie zu beachten!
Radioiodtest [3]
- Indikation: Vor Radioiodtherapie zur Bestimmung der individuell erforderlichen Dosis des Radiopharmakons
- Erlaubt prätherapeutisch Messung der Retention des gespeicherten Iodanteils („Radioiod-Uptake“) und der effektiven Halbwertszeit
- Durchführung: Möglichst 2 Wochen vor der geplanten Radioiodtherapie, ambulante Durchführung
- Gabe geringer Mengen eines Iodisotops p.o. (Kapsel, i.d.R. 131I, evtl. 123I), Messung mit Gammakamera/Sonde
Radioiodtherapie bei Hyperthyreose und Strumaverkleinerung [1][4]
Vorbereitung
- Bei manifester Hyperthyreose
- Thyreostatische Therapie: Erzielung einer euthyreoten Stoffwechsellage
- Absetzen der Thyreostatika: 2–3 Tage vor Radioiodtest oder Radioiodtherapie, da diese die Radioiod-Pharmakokinetik beeinflussen
- Wiederaufname der thyreostatischen Therapie: 3–5 Tage nach 131I-Gabe bis zum Wirkungseintritt der Radioiodtherapie
- Bei Autonomie: Supprimierung des TSH-Wertes erforderlich (<0,3 mU/L) → Geringe Iodaufnahme in nicht-autonome Areale
- Bei euthyreoter Struma: Keine vorherige Einnahme von Schilddrüsen-Medikamenten erforderlich
Durchführung
- Stationäre Einzeitbehandlung unter Einhaltung der Strahlenschutzmaßnahmen
- Perorale Gabe (Kapsel oder Flüssigkeit): Mind. 4 h vor und 1 h nach Gabe nüchtern bleiben
- Dosis je nach Therapiekonzept
- Funktionsoptimiert vs. ablativ , siehe auch: Hyperthyreose
- Tägliche Messungen zur Bestimmung von Uptake und effektiver Halbwertszeit
- Bei zu niedriger Herddosis → Nachtherapie (weitere Therapiekapsel, möglichst nach 2–3 Tagen)
- Reduktion der Strahlenbelastung der Harnblase: Ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Harnblasenentleerung in den ersten 24 h nach Therapiebeginn
- Entlassungsfähigkeit: Bei einer Dosisleistung von ≤3,5 μSv/h in einem Abstand von 2 m
- Sonderfall: Endokrine Orbitopathie (EO) im Rahmen eines Morbus Basedow
- Gefahr der Manifestation oder Verschlechterung einer EO, daher Operation einer Radioiodtherapie vorziehen, siehe auch: Endokrine Orbitopathie
- Falls Radioiodtherapie unumgänglich: Glucocorticoidgabe für 4–6 Wochen
- Bei vorbestehender EO: Glucorticoide ab Beginn der Radioiodtherapie
- In schweren Fällen (z.B. Exazerbation) höhere Glucocorticoid-Dosis
- Fakultative prophylaktische Gabe ohne vorbestehende EO : Niedrigere Glucocorticoid-Dosis ab Beginn der Radioiodtherapie
Nachsorge
- Kontrolle der Schilddrüsenfunktionswerte: Alle 2–3 Wochen
- Bei Morbus Basedow: Fortführen der thyreostatischen Medikation bis zum Wirkungseintritt der Radioiodtherapie
- Ggf. frühzeitge Kombination mit Levothyroxin
- Alleinige L-Thyroxin-Substitution ab vollständigem Wirkungseintritt der Radioiodtherapie
- Bei Autonomie: Absetzen einer TSH-supprimierenden Levothyroxin-Medikation
- Bei Eintritt einer Hypothyreose: L-Thyroxin-Substitution [4]
- Bei Morbus Basedow: Fortführen der thyreostatischen Medikation bis zum Wirkungseintritt der Radioiodtherapie
- Kontrolle beim Nuklearmediziner: Nach 3–6 Monaten
- Klinik, Schilddrüsenwerte, Sonografie, ggf. Szintigrafie
- Bei Persistenz einer Hyperthyreose und sonografisch relevantem Volumen → Ggf. erneute Radioiodtherapie
Radioiodtherapie bei Schilddrüsenkarzinom [2][3]
Vorbereitung
- Zunächst totale Thyreoidektomie mit lokaler Lymphadenektomie
- Auf einen szintigrafischen Nachweis von postoperativ verbliebenem Restschilddrüsengewebe wird zunehmend verzichtet
- Anwendung der prätherapeutischen, quantitativen Szintigrafie in Ausnahmen, z.B. zur Detektion iodspeichernder Lymphknotenmetastasen
- Verwendung von 131I-Standardaktivitäten (1–3,7 GBq bzw. 4–11 GBq bei Lokalrezidiven/ Metastasen/ inoperablen Tumoren)
- Voraussetzung ist ein hohes basales TSH von >30 mU/L (also keine supprimierende Thyroxinbehandlung), damit das Radioiod in ausreichendem Maße von der Restschilddrüse aufgenommen wird
- Hormonkarenz nach Thyreoidektomie, Erreichen des TSH-Zielspiegels nach 2–3 Wochen
- Bei postoperativ bereits begonnener L-Thyroxin-Substitution (z.B. bei zeitlich versetzt geplanter Radioiodtherapie): Zielspiegel wird 4–5 Wochen nach Absetzen von L-Thyroxin erreicht
- Alternativ: Gabe von rekombinantem humanem TSH (rhTSH) bei fortgeführter L-Thyroxin-Substitution, i.m.-Injektionen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen
Durchführung
- Kontrolle des Thyreoglobulin-Spiegels
- Bei Schilddrüsenhormonkarenz und Hypothyreose: Unmittelbar vor Gabe der 131I-Therapiekapsel
- Bei Gabe von rhTSH: 3–5 Tage nach der zweiten Injektion von rhTSH
- Durchführung wie bei Hyperthyreose, siehe oben
- 131I- Ganzkörperszintigrafie + SPECT/CT zum Staging vor Entlassung
- Entlassung frühestens 72 h nach Applikation
Nachsorge
- Nach 4–12 Monaten: Thyreoglobulin als Tumormarker und 131I-Ganzkörperszintigrafie zum Ausschluss iodspeichernder Metastasen
- Wiederanstieg des Thyreoglobulins als Hinweis auf Rezidiv/Metastasen
- Ggf. Bestimmung von Thyreoglobulin nach Gabe von rhTSH: Thyreoglobulin sollte dabei <1 ng/mL sein
- L-Thyroxin-Substitution: TSH-Zielwert sollte je nach Risikoprofil im unteren bis leicht suppressiven Normbereich liegen
Prognoseverbesserung durch Radioiodtherapie
- Tumorstadium pT1–3, N0–1a, M0: Bei interdisziplinärem Therapieschema (Thyreoidektomie, ablative Radioiodtherapie und Hormonsubstitution) besteht eine statistische Lebenserwartung der Durchschnittsbevölkerung
- Bei Fernmetastasen: 10-Jahres-Überlebensrate <50%
- Prognoseverbesserung auch bei Fernmetastasen, Lokalrezidiven und inoperablen oder nicht vollständig resezierbaren Tumoren
AMBOSS-Pflegewissen: Radioiodtherapie
Bei der Radioiodtherapie wird den Patient:innen oral radioaktives Iod als Kapsel oder Flüssigkeit verabreicht, um eine lokale Zellzerstörung in der Schilddrüse zu erzielen (andere Organe nehmen Iod nicht in signifikanten Mengen auf). Da die radioaktive Strahlung für die Umwelt als gefährlich eingestuft wird, müssen bestimmte Voraussetzungen und Abläufe eingehalten werden. Die Therapie findet ausschließlich stationär in spezialisierten nuklearmedizinischen Stationen mit Strahlenschutzeinrichtungen statt und der stationäre Aufenthalt dauert i.d.R. 2–12 Tage . Die Behandlung ist zum Schutz des Personals nur bei mobilen, selbstständigen Patient:innen möglich .
Siehe auch:
Pflegerische Maßnahmen
- Tägliche Messung der von den Patient:innen ausgehenden Strahlung: Bis der Grenzwert für eine Entlassung unterschritten wird
- Reduktion der Strahlenbelastung der Harnblase : Ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Harnblasenentleerung in den ersten 24 h nach Therapiebeginn
- Sialadenitis-Prophylaxe : Lutschen von sauren Bonbons, Trinken von Zitronensaft, reichliche Flüssigkeitsaufnahme
- Besuchsverbot während des stationären Aufenthalts : Insb. Pflegefachpersonen sind im Rahmen des Besuchsverbots wichtige Bezugspersonen
- Abfrage von Nebenwirkungen: Bei Auftreten Rücksprache mit ärztlichem Personal sowie Linderung der Nebenwirkungen
- Druckgefühl im Halsbereich
- Verändertes Geschmacksempfinden
- Gastrointestinale Symptome, z.B. Magenschmerzen, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen
- Trockener Mund
Komplikationen
- Frühkomplikationen
- Gastritis
- Sialadenitis → Prophylaxe: Lutschen von sauren Bonbons, Trinken von Zitronensaft, reichliche Flüssigkeitsaufnahme
- (Hypothyreose) → Überwachung, ggf. L-Thyroxin Substitution, siehe auch: Ablauf/Durchführung
- Spätkomplikationen
- Strahlenthyreoiditis
- Eskalationstherapie: Eiskrawatte, Antiphlogistikum, Glucocorticoide
- Sekundärmalignom oder Leukämie (Risiko etwa 1%)
- Sicca-Syndrom mit Mundtrockenheit (Xerostomie)
- Bei (disseminierten) Lungenmetastasen: Lungenfibrose
- Strahlenthyreoiditis
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.