Zusammenfassung
Als Struma wird jede Schilddrüsenvergrößerung bezeichnet, unabhängig von Ätiologie und Stoffwechsellage der Schilddrüse. Die häufigste Ursache einer Struma ist der Iodmangel. Aufgrund der verminderten Aufnahme von Iod (z.B. durch zu wenig Fischprodukte) kommt es, teilweise endemisch, zu einer Hyperplasie der Thyreozyten und einer konsekutiven Vergrößerung des Organs. Die körperliche Untersuchung ist bei der Diagnostik der Struma wegweisend, weitere apparative Verfahren werden bei bestimmten Verdachtsdiagnosen ergänzt. Während die euthyreote Struma ohne Autonomie auf die Gabe von Iodid ggf. in Kombination mit Levothyroxin sehr gut anspricht (Regredienz der Struma), findet bei großen Strumen bzw. Schilddrüsenautonomie die Radioiodtherapie Anwendung. Bei strumabedingter Komprimierung von relevanten Strukturen des Halses oder Malignitätsverdacht sind operative Verfahren indiziert.
Epidemiologie
- Prävalenz: >30% im Nordosten Deutschlands (SHIP-Studie), in Mittel- und Süddeutschland geringere Prävalenz [1]
- Geschlecht: ♀ > ♂ (4:1) [2]
- Sporadische Struma: Bezeichnung für das Auftreten einer Struma außerhalb von Iodmangelgebieten, in denen die allgemeine Struma-Prävalenz <10% beträgt
- Situativer Iodmangel: Auslöser insb. bei Frauen im Rahmen von Pubertät, Schwangerschaft und Klimakterium aufgrund des steigenden Schilddrüsenhormonbedarfs
Deutschland ist ein Struma-Endemiegebiet!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Genetische Prädisposition und Iodmangel: Häufigste Ursache
- Selenmangel
- Zystenbildung
- Thyreoidale Ursachen
- Autoimmune Schilddrüsenerkrankungen
- Schilddrüsenkarzinome bzw. andere Schilddrüsentumoren (benigne, maligne) und Metastasen
- Thyreoiditis de Quervain
- Riedel-Struma
- Medikamenteninduzierte Schilddrüsenfunktionsstörungen (insb. Lithium, Thyreostatika)
- Extrathyreoidale Ursachen (selten)
- Erhöhte TSH-Produktion (Hypophysentumor, paraneoplastisch)
- Erhöhte IGF-Produktion (Akromegalie)
- Enzymdefekte oder periphere Resistenz gegen Schilddrüsenhormone
Die Struma ist keine eigenständige Erkrankung, sondern ein Befund der Schilddrüsenvergrößerung – bei jeder Erstdiagnose einer Struma muss daher die Ätiologie abgeklärt werden!
Klassifikation
Morphologie und Topografie
- Erhöhtes Schilddrüsenvolumen: ♀: Schilddrüsenvolumen >18 mL; ♂: Schilddrüsenvolumen >25 mL
- Siehe auch Schilddrüsensonografie
- Eutope Struma
- Struma diffusa: Vergrößerung ohne Knotenbildung, häufig euthyreote Stoffwechsellage
- Struma nodosa: Struma mit einem oder mehreren abgrenzbaren Knoten
- Struma uninodosa: Singulärer Knoten
- Struma multinodosa: Multiple Knoten
- Dystope Struma: Lokalisation intrathorakal oder am Zungengrund
Schilddrüsenfunktion
- Euthyreote Struma: TSH, fT3 und fT4 im Normbereich
- Hyperthyreote Struma
- Hypothyreote Struma
Symptomatik
Klinische Symptome
- In den allermeisten Fällen asymptomatisch!
- Sichtbarkeit und Tastbarkeit: Sichtbar ab ca. 40 mL, siehe: Struma-Grade nach WHO-Einteilung
- Subklinische Symptomatik: Zervikales Enge- und Globusgefühl
- Bei Schilddrüsenfunktionsstörung: Entsprechend einer Hypothyreose bzw. einer Hyperthyreose
- Bei Verdrängung: I.d.R. nur bei Extremformen
- Ösophageale bzw. tracheale Kompression: Dysphagie bzw. Stridor und Dyspnoe
- Rekurrensparese: Ggf. Heiserkeit
- Phrenikusparese: Zwerchfellhochstand
- Horner-Syndrom: Bei Kompression des zervikalen sympathischen Grenzstranges
- Thrombose der V. jugularis interna, obere Einflussstauung als Extremform
Stadien
Struma-Grade nach WHO-Einteilung
- Grad 0: Vergrößerung der Schilddrüse weder sicht- noch tastbar; Feststellung nur sonografisch möglich
- Grad 1: Vergrößerung tastbar
- Grad 1a: Tastbar und auch bei Reklination des Kopfes nicht sichtbar
- Grad 1b: Tastbar und nur bei Reklination des Kopfes sichtbar
- Grad 2: Sichtbar auch ohne Reklination des Kopfes
- Grad 3: Bereits lokale Komplikationen (Behinderung von Atmung oder Blutzirkulation)
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
- Siehe: Struma-Grade nach WHO-Einteilung
- Red Flags bei Struma: Bei Nachweis folgender Zeichen in der klinischen Untersuchung steigt das Risiko für eine maligne Ursache der Struma [3]
- Tasten von harten, unregelmäßig geformten und schlecht bzw. nicht verschieblicher Knoten
- Insb. zusätzliche Heiserkeit und Verdrängungssymptome
- Tasten vergrößerter Halslymphknoten
- Tastbare Struma bei männlichen Patienten
- Bestrahlung der Halsregion im Kindes- und Jugendalter (bspw. bei Hodgkin-Lymphom)
- Jugendliches (<16) bzw. hohes Alter (>60) der Patienten
- Positive Familienanamnese bezüglich Schilddrüsenkarzinomen (z.B. MEN2)
- Tasten von harten, unregelmäßig geformten und schlecht bzw. nicht verschieblicher Knoten
Labordiagnostik [2]
- Schilddrüsenfunktion: Bestimmung von TSH, ggf. fT3 und fT4
- Bei Tumorverdacht: Calcitonin und Thyreoglobulin als Tumormarker
Tumormarker-Erhöhungen sprechen alleinstehend keinesfalls für einen sicheren Tumornachweis – eine entsprechende Aufklärung des Patienten ist wichtig!
Schilddrüsen-Sonografie
- Indikation: Screening auf Raumforderungen („Schilddrüsenknoten“), dabei morphologische Einordnung der Struma (siehe Klassifikation)
- Bei Struma nodosa: Weitere differenzialdiagnostische Abklärung malignitätsverdächtiger Knoten (siehe Schilddrüsenkarzinom)
- Bei Struma diffusa: Ggf. Ergänzung mit farbkodierter Duplexsonografie zur Analyse des Durchblutungsmusters (z.B. gesteigerte Durchblutung bei Morbus Basedow)
- Malignitätskriterien von Schilddrüsenknoten
- Solide echoarme Knoten
- Mikrokalzifikationen
- Intranoduläre Vaskularisationsmuster
- Unscharfe Randbegrenzung, fehlendes Halo
- Bei Malignitätsverdacht und kaltem Knoten in der Schilddrüsenszintigrafie: Feinnadelbiopsie bzw. Operation und nachträgliche histologische Sicherung der Diagnose; siehe auch: Diagnostik des Schilddrüsenkarzinoms
- Elastografie: Verminderte Komprimierbarkeit aufgrund von Gewebeveränderungen bei Schilddrüsenmalignomen
Schilddrüsenszintigrafie
- Indikation: Szintigrafie mit dem Radiopharmakon Technetium zur Detektion von autonomen Arealen (hohe Anreicherung, warmer Knoten) bzw. kalten Knoten (keine Anreicherung)
- Bei Struma nodosa (unabhängig von der Iodversorgung): Insb. zur Detektion kalter Knoten mit Malignitätspotenzial
- In Deutschland als Iodmangelgebiet: Basisszintigrafie zum Ausschluss autonomer Areale bei allen Knoten >10 mm empfohlen, unabhängig vom TSH-Wert
- Folgeuntersuchungen
- Suppressionsszintigrafie: Bei Nachweis eines warmen Knotens und Euthyreose zur Demaskierung echter autonomer Areale
- Schilddrüsenszintigrafie mit 123I: Bei Verdacht auf Ektopie bzw. bei retrosternaler Struma
Weitere radiologische Diagnostik [4]
- CT ohne Kontrastmittel /MRT bei
- V.a. retroviszerale, retrosternale oder intrathorakale Strumaanteile
- Trachealverlagerung oder -einengung
- Lokal infiltrativen Prozessen
Nach einer CT mit Kontrastmittel ist eine Schilddrüsenszintigrafie 3 Monate lang nicht verwertbar!
Zur Verhinderung einer kontrastmittelinduzierten Hyperthyreose ist streng auf die Prophylaxe vor Gabe iodhaltiger Kontrastmittel zu achten!
Differenzialdiagnosen
Schilddrüsenerkrankungen
Entzündlich-infektiologische Ursachen [2]
- Zervikale Lymphadenitis
- Halslymphknotentuberkulose
- Katzenkratzkrankheit
- HIV-Erstinfektion
- Mononucleosis infectiosa
- Sarkoidose
- Subkutane Abszesse in der Halsregion
Neoplasien
- Lymphome
- Speicheldrüsentumoren
- Lungenkarzinome mit Ausbreitung in die Zervikalregion
- Larynxtumoren
- Sarkome
- Metastasen anderer maligner Tumoren, bspw. Mamma-, Magen- oder Lungenkarzinom
Angeborene Erkrankungen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemeine Therapieprinzipien
- Bei euthyreoter Struma ohne Knoten (Struma diffusa)
- Iodid-Monotherapie vor allem bei Kindern und Jugendlichen Mittel der 1. Wahl
-
Iodid- und Levothyroxin-Kombinationstherapie, bei erwachsenen Patienten zu bevorzugen
- Weitere Indikationen: Auch bei Struma nodosa möglich, sofern eine Schilddrüsenautonomie ausgeschlossen ist
- Therapie der Wahl auch in der Schwangerschaft
- Relative Kontraindikation: Bei älteren bzw. kardial vorerkrankten Patienten aufgrund der Gefahr einer iatrogenen Hyperthyreose (Risiko für Osteoporose, kardiovaskuläre Ereignisse!)
- Einsatz von Präparaten mit Iodid und L-Thyroxin im Verhältnis 2:1
- Bei Volumenabnahme über 12–18 Monate: Deeskalation auf Iodid-Monotherapie möglich
- Weitere Indikationen: Auch bei Struma nodosa möglich, sofern eine Schilddrüsenautonomie ausgeschlossen ist
- Bei hyperthyreoter Struma siehe: Therapie der Hyperthyreose
- Bei hypothyreoter Struma siehe: Therapie der Hypothyreose
- Nicht mehr empfohlen: TSH-suppressive Therapie, Monotherapie mit Levothyroxin
Alternative „Watchful Waiting“ [5]
- Indikation: Bei klinisch asymptomatischer Struma und nach Ausschluss von
- Schilddrüsenfunktionsstörung
- Malignitätsverdächtiger Schilddrüsenknoten
- Kompressionssymptomen
- Therapieprinzip: Kontrollen des Schilddrüsenvolumens und der Funktion sowie Vergleich der Knoten bzgl. Anzahl und Morphologie bei Struma nodosa alle 6–18 Monate
Radioiodtherapie
- Indikation: Große benigne Strumen (100–300 mL) bzw. nachgewiesene Schilddrüsenautonomie in der Struma-Abklärung
- Alternative zur Schilddrüsenchirurgie
- Effekt: Im Vergleich zur medikamentösen Therapie effektivere Volumenreduktion
- Wiederholung im Falle einer unzureichenden Volumenreduktion möglich
- Mögliche negative Folgen: Entwicklung einer Hypothyreose, Neuauftreten autoimmuner Schilddrüsenerkrankungen
- Siehe auch: Radioiodtherapie, Hyperthyreose
Operative Therapie
- Indikation
- Malignitätsverdacht
- Retrosternale oder mediastinale Struma
- Kompressionssymptome
- Siehe auch: Schilddrüsenchirurgie
Für die Struma-Behandlung bestehen leider keine schlüssigen evidenzbasierten Konzepte – daher sind regelmäßige Kontrollen essenziell, um insb. das Auftreten von Schilddrüsenfunktionsstörungen, Schilddrüsenautonomien und Schilddrüsenkarzinomen nicht zu verpassen!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- E01.-: Jodmangelbedingte Schilddrüsenkrankheiten und verwandte Zustände
- Exklusive: Angeborenes Jodmangelsyndrom (E00.‑), Subklinische Jodmangel-Hypothyreose (E02)
- E01.0: Jodmangelbedingte diffuse Struma (endemisch)
- E01.1: Jodmangelbedingte mehrknotige Struma (endemisch)
- Jodmangelbedingte knotige Struma
- E01.2: Jodmangelbedingte Struma (endemisch), nicht näher bezeichnet
- Endemische Struma o.n.A.
- E01.8: Sonstige jodmangelbedingte Schilddrüsenkrankheiten und verwandte Zustände
- Erworbene Jodmangel-Hypothyreose o.n.A.
- E02: Subklinische Jodmangel-Hypothyreose
- E04.-: Sonstige nichttoxische Struma
- Exklusive: Jodmangelbedingte Struma (E00–E02), Struma congenita: diffus (E03.0), parenchymatös (E03.0), o.n.A. (E03.0)
- E04.0: Nichttoxische diffuse Struma
- Struma, nichttoxisch:
- diffusa (colloides)
- simplex
- Struma, nichttoxisch:
- E04.1: Nichttoxischer solitärer Schilddrüsenknoten
- Nichttoxische einknotige Struma
- Schilddrüsenknoten (zystisch) o.n.A.
- Struma nodosa colloides (cystica)
- E04.2: Nichttoxische mehrknotige Struma
- Mehrknotige (zystische) Struma o.n.A.
- Zystische Struma o.n.A.
- E04.8: Sonstige näher bezeichnete nichttoxische Struma
- E04.9: Nichttoxische Struma, nicht näher bezeichnet
- Struma nodosa (nichttoxisch) o.n.A.
- Struma o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.