Zusammenfassung
Schilddrüsenkarzinome lassen sich in verschiedene Subtypen unterteilen, die sich hinsichtlich der Behandlungsoptionen, Metastasierungswege und Prognose deutlich unterscheiden. So gibt es differenzierte (papilläre, follikuläre), medulläre und anaplastische Karzinome. Risikofaktoren zur Entstehung können ionisierende Strahlung und genetische Faktoren sein. In den meisten Fällen ist erst sehr spät im Krankheitsverlauf mit dem Auftreten von Beschwerden zu rechnen, der Früherkennung kommt somit ein großer Wert zu. Vor allem bildgebende Verfahren spielen dabei eine Rolle. Malignomverdacht ist z.B. bei einem sonografisch echoarmen Knoten gegeben, der sich szintigrafisch kalt darstellt. Bei Schilddrüsenkarzinomen ist i.d.R. eine vollständige Thyreoidektomie indiziert. Weitere Diagnostik- und Therapieoptionen hängen vom Subtyp ab. Nach Schilddrüsenentfernung sollte eine Schilddrüsenhormontherapie erfolgen, um die physiologische Hormonausschüttung zu substituieren und zusätzlich den Wachstumsreiz auf etwaige Metastasen zu minimieren.
Epidemiologie
- Inzidenz: ♀ > ♂
- ♀ 8,7/100.000 pro Jahr; ♂ 3,5/100.000 pro Jahr
- In den letzten Jahrzehnten weltweiter Anstieg der Inzidenzrate der differenzierten (v.a. papillären) Schilddrüsenkarzinome bei konstanter Sterberate
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Genetische Faktoren (v.a. beim medullären Karzinom)
- Ionisierende Strahlung, siehe auch: Iodgabe bei einem schweren nuklearen Zwischenfall
- Evtl. Hashimoto-Thyreoiditis [1]
Klassifikation
Histologische Klassifikation der Schilddrüsentumoren (nach WHO 2004)
- Allgemeine Klassifikation: Erfasst alle Schilddrüsentumoren [2] , in der Gruppe der Karzinome werden unterschieden
- Ursprung in den Zellen des Follikelepithels
- Ursprung in den parafollikulären C-Zellen: Medulläres Schilddrüsenkarzinom
- Mischformen: Können Eigenschaften beider Zellreihen aufweisen
Die Einteilung in differenzierte vs. undifferenzierte Karzinome ist für die weitere therapeutische und prognostische Einschätzung von grundlegender Bedeutung!
Überblick über die häufigsten Schilddrüsenkarzinome
Überblick über die häufigsten Schilddrüsenkarzinome | |||||
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Karzinom | Differenzierungsgrad des Tumorgewebes | Ausgangsgewebe | Charakteristika | Häufigkeit | Altersgipfel |
Papilläres Schilddrüsenkarzinom |
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Follikuläres Schilddrüsenkarzinom |
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Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom |
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Medulläres Schilddrüsenkarzinom (C-Zell-Karzinom) | — |
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Gleiche Silbenzahl: „pa-pil-lär“ → „lym-pho-gen“; „fol-li-ku-lär“ → „hä-ma-to-gen“!
Zum Vergleich: Normalbefunde
TNM-Klassifikation der Schilddrüsenkarzinome [3]
Die 8. Auflage der TNM-Klassifikation der Schilddrüsenkarzinome umfasst alle Formen, insb. nunmehr auch die undifferenzierten/anaplastischen Schilddrüsenkarzinome .
TNM-Klassifikation der Schilddrüsenkarzinome | |
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TNM | Ausdehnung |
T1 | Begrenzt auf Schilddrüse: Ausdehnung <2 cm (T1a: ≤1 cm, T1b: 1–2 cm) |
T2 | Begrenzt auf Schilddrüse: Ausdehnung 2–4 cm |
T3 | T3a: Begrenzt auf Schilddrüse: Ausdehnung >4 cm T3b: Extrathyreoidale Ausbreitung, begrenzt auf die infrahyale Muskulatur |
T4 | Infiltration jenseits der Schilddrüse (T4a: Kapselüberschreitend , T4b: Ausgedehnt organübergreifend ) |
N1 | Befall regionärer Lymphknoten (N1a: Prä- oder paratracheale, prälaryngeale oder (vordere) mediastinale Lymphknoten, N1b: Zervikale oder retropharyngeale Lymphknoten) |
M1 | Hämatogene Metastasen oder Befall nicht-regionärer Lymphknoten |
Symptomatik
- Kaum Frühsymptome: Ggf. derber, schmerzloser Strumaknoten
- Okkulte Schilddrüsenkarzinome: Ca. 50% der differenzierten Schilddrüsenkarzinome werden als reine Zufallsbefunde entdeckt
- Spätsymptome
- Dysphagie
- Heiserkeit (Rekurrensparese)
- Horner-Trias
- Obere Einflussstauung
- Stridor
- Lymphknotenvergrößerung zervikal bzw. supraklavikulär
- Medulläres Schilddrüsenkarzinom: Bei fortgeschrittenen Erkrankungen Symptome infolge exzessiver Hormonsekretion
- Calcitonin: Diarrhö, Flush-Symptomatik
- Paraneoplastische Sekretion anderer Hormone durch Karzinomzellen
Nur 25% aller sonografisch entdeckten Schilddrüsenkarzinome waren zuvor klinisch auffällig!
Stadien
Stadieneinteilung der AJCC (American Joint Committee on Cancer) [3][4][5]
Papilläre und follikuläre Schilddrüsenkarzinome bei ≥55. LJ
Stadieneinteilung der papillären und follikulären Schilddrüsenkarzinome bei ≥55-Jährigen | |
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Stadium | TNM |
I | T1, N0/NX, M0 und T2, N0, M0 |
II | T1, N1, M0 oder |
III | T4a, Nx, M0 |
IV | IV A: T4b, jedes N, M0 |
- Sonderfall: Papilläres Mikrokarzinom (≤1 cm, pT1a N0 M0) geht nicht in diese Stadieneinteilung ein
- Zu beachtende prognoserelevante Faktoren
- Positiver BRAF(B-Raf Protoonkogen)-Mutationsstatus: Prognostisch ungünstiges Merkmal beim papillären Schilddrüsenkarzinom, aggressiverer Verlauf
- Infiltrationstiefe und Gefäßinvasion: Minimal invasives vs. breit invasives follikuläres Schilddrüsenkarzinom
Papilläre und follikuläre Schilddrüsenkarzinome bei <55. LJ
Stadieneinteilung der papillären und follikulären Schilddrüsenkarzinome bei <55-Jährigen | |
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Stadium | TNM |
I | Alle T, alle N, M0 |
II | Alle T, alle N, M1 |
Medulläres Schilddrüsenkarzinom
Stadieneinteilung des medullären Schilddrüsenkarzinoms | |
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Stadium | TNM |
I | T1, N0, M0 |
II | T2, N0, M0 |
III | T1, N1a, M0 |
IV | Ab T4 oder N1b oder M1 |
Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom
- Unabhängig vom Alter immer Stadium IV
Das papilläre Mikrokarzinom geht aufgrund seiner äußerst guten Prognose nicht in die AJCC-Stadieneinteilung des Schilddrüsenkarzinoms ein!
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
- Bei der körperlichen Untersuchung i.d.R. nicht auffällig
- Bei fortgeschrittenen Karzinomen: Derbe, schmerzlose Knoten, wobei nur große Knoten tastbar sind
- Siehe auch: Red Flags bei Struma
Klinische Chemie
- Tumormarker
- Thyreoglobulin (Tumormarker): Zur Verlaufskontrolle des follikulären und papillären Schilddrüsenkarzinoms nach Thyreoidektomie
- Bestätigung des Testergebnisses [6][7]
- Thyreoglobulin-Antikörper-Messung
- Thyreoglobulin-Wiederfindung: Zugabe von Thyreoglobulin zur Patientenprobe und erneute Bestimmung
- Bestätigung des Testergebnisses [6][7]
- Calcitonin: Zur Diagnostik und Verlaufskontrolle des medullären Schilddrüsenkarzinoms
- Medulläre Schilddrüsenkarzinome zeigen oftmals auch eine CEA- und Chromogranin-A-Erhöhung (erhärtet in unklaren Fällen den Verdacht)
- Thyreoglobulin (Tumormarker): Zur Verlaufskontrolle des follikulären und papillären Schilddrüsenkarzinoms nach Thyreoidektomie
- Schilddrüsenfunktionsparameter
Schilddrüsensonografie
- Auffällige Befunde: Siehe auch Malignitätskriterien von Schilddrüsenknoten
- Suspekt sind unregelmäßig begrenzte, echoarme Schilddrüsenherde , die größer als 1 cm sind
- Eine normale Echogenität schließt ein Karzinom nicht aus!
- Malignome zeigen häufig Mikroverkalkungen
- Suspekt sind unregelmäßig begrenzte, echoarme Schilddrüsenherde , die größer als 1 cm sind
Ein Ultraschallscreening auf Schilddrüsenveränderungen bei älteren Menschen soll nicht durchgeführt werden (DGIM - Klug entscheiden in der Endokrinologie).
Schilddrüsenszintigrafie
- Auffällige Befunde: Nachweis nicht-speichernder und damit malignomverdächtiger „kalter“ Knoten
Weitere Diagnostik
- Interventionell
- Feinnadelpunktion mit Aspirationszytologie bei sonografischem bzw. szintigrafischem Karzinomverdacht
- Bei unklarer Biopsie: Meist Empfehlung zur Operation
- Staging
- Röntgen-Thorax
- Abdomensonografie
- CT/MRT Hals
- Insb. bei klinischem Verdacht: Knochenszintigrafie, CT Thorax, CT/MRT Abdomen
- Bei medullärem Schilddrüsenkarzinom
- Genanalyse auf Punktmutation im RET-Protoonkogen
- Familienscreening/genetische Beratung
Ein sonografisch echoarmer und szintigrafisch kalter Knoten ist hochverdächtig!
Pathologie
Psammomkörperchen
- Morphologie: Verkalkung mit lamellärer konzentrischer Schichtung
- Vorkommen
- Auftreten beim papillären Schilddrüsenkarzinom (Nachweis im Schilddrüsengewebe ist immer malignomsuspekt)
- U.a. auch beim Ovarialkarzinom , Meningeom
Für weitere Bilder zur Histopathologie sowie für die histologische Klassifikation und TNM-Klassifikation siehe: Klassifikation der Schilddrüsenkarzinome
Zum Vergleich: Normalbefunde
Differenzialdiagnosen
- Schilddrüsenzyste: Sonografischer Nachweis
- Häufig dorsale Schallverstärkung
- Echofreie rundliche oder ovale Raumforderung
- Relativ häufig und i.d.R. harmlos
- Riedel-Thyreoiditis
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Therapiegrundsätze
- Bei allen Schilddrüsenkarzinomen
- Primär operative Resektion
- Ggf. adjuvante Therapie
- Bei Inoperabilität oder Progress und Metastasierung unter o.g. Maßnahmen: Palliative Chemotherapie bzw. Tyrosinkinaseinhibitoren
- Medulläres Schilddrüsenkarzinom
- Rote-Hand-Brief zu Caprelsa® (Vandetanib): Keine Anwendung bei fehlender oder unbekannter RET-Mutation [8]
- Tyrosinkinaseinhibitoren , bspw. Cabozantinib bei Erwachsenen oder Vandetanib bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ≥5 Jahren
- Medulläres Schilddrüsenkarzinom
- Siehe auch: Schilddrüsenchirurgie, Radioiodtherapie
Operative Therapie des Schilddrüsenkarzinoms [9]
Differenzierte Schilddrüsenkarzinome
- OP-Verfahren nach Befund
- Hemithyreoidektomie indiziert bei
- Einseitigem kleinen Befund und
- Sonografisch keine suspekten Lymphknoten
- Thyreoidektomie indiziert bei Vorliegen eines der folgenden Faktoren
- Beidseitiger oder großer Befund
- Alter >55 Jahre
- Männliches Geschlecht
- Multiple Herde
- Genetische Prädisposition bzw. BRAF-Onkogen-Nachweis
- Kapselinfiltration oder aggressive Varianten
- Zusätzliche Lymphknotendissektion indiziert bei Vorliegen eines der folgenden Faktoren
- V.a. Lymphknotenbefall
- T3-Tumor
- Aggressive Varianten
- Hemithyreoidektomie indiziert bei
- Adjuvante Radioiodtherapie [10]
- Prognose siehe: Schilddrüsenkarzinom - Prognose
Gering differenziertes Schilddrüsenkarzinom
- OP-Verfahren: Radikale Thyreoidektomie mit modifizierter radikaler Neck Dissection
- Adjuvante Therapie
- Externe Strahlentherapie
- Versuch einer Radioiodtherapie
- Ggf. Tyrosinkinaseinhibitoren
- Prognose siehe: Schilddrüsenkarzinom - Prognose
Medulläres Schilddrüsenkarzinom
- OP-Verfahren: Radikale Thyreoidektomie mit modifizierter radikaler Neck Dissection
- Adjuvante Therapie (bspw. Tyrosinkinaseinhibitoren oder RET-Inhibitoren): Bei ungenügendem Abfall des Calcitonins
- Prognose siehe: Schilddrüsenkarzinom - Prognose
Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom
- OP-Verfahren: Radikale Thyreoidektomie mit modifizierter radikaler Neck Dissection und ggf. Tumordebulking
- Adjuvante Therapie
- Indikation: Stadien >R1 oder M1
- Präparate: Bspw. antiangiogenetische und antiproliferative Multikinaseinhibitoren plus Immuncheckpoint-Inhibitoren
- Prognose siehe: Schilddrüsenkarzinom - Prognose
Nach jeder Schilddrüsenresektion ist der Schilddrüsenfunktionsstatus zu überprüfen und ggf. eine postoperative L-Thyroxin-Substitution zur Rezidivprophylaxe einzuleiten!
Radioiodtherapie [7][11][12]
- Therapieprinzip: Destruktion von Iod-aufnehmendem Schilddrüsenrestgewebe bzw. Metastasen, i.d.R. mit 131Iod
- Wirksam nur bei differenzierten Schilddrüsenkarzinomen
- Nach Radioiodtherapie: L-Thyroxin-Substitution mit dem Ziel einer TSH-Supprimierung → Reduktion der Wachstumsstimulation von ggf. nicht erfasstem minimalen Malignomgewebe
- Radioiodresistenz
- Definition: Ausbleibende Radioiodaufnahme des Tumors oder der Metastasen bzw. Tumorpersistenz oder Progress innerhalb von 12–18 Monaten nach Applikation einer therapeutischen Radioioddosis
- Epidemiologie: Ca. 30% der Patient:innen mit metastasierten differenzierten Schilddrüsenkarzinomen
- Ätiologie: Verlust der Expression oder defekte Membranverankerung des Natrium/Iodid-Symporters
- Vorgehen
- Ausschöpfen chirurgischer Möglichkeiten
- Ggf. stereotaktische Bestrahlung, Chemo- oder Radioembolisation
- Molekular gezielte Therapien
- Prognose: Deutlich schlechtere 10-Jahres-Überlebensrate von nur ca. 10% bei fernmetastasierten und radioiodresistenten differenzierten Schilddrüsenkarzinomen
- Siehe auch: Radioiodtherapie bei Schilddrüsenkarzinom
Nachsorge
- Differenzierte Schilddrüsenkarzinome: Nach Kombinationstherapie
- Kontrolle der Schilddrüsenfunktionswerte unter L-Thyroxin-Substitution
- Bestimmung des Tumormarkers: Thyreoglobulin (bzw. Calcitonin beim medullären Karzinom)
- Schilddrüsensonografie
- Bei V.a. Rezidiv: Weitere Bildgebung, insb. beim papillären/follikulären Malignom mittels 123Iod- oder 131Iod-Szintigrafie unter Pausierung der Schilddrüsenhormontherapie
- Siehe auch: Radioiodtherapie bei Schilddrüsenkarzinom
Prognose
Prognose der Schilddrüsenkarzinome | |
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Karzinomform | 10-Jahres-Überlebensrate |
Papilläres Schilddrüsenkarzinom |
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Follikuläres Schilddrüsenkarzinom |
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Medulläres Schilddrüsenkarzinom |
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Anaplastisches Schilddrüsenkarzinom |
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Patienteninformationen
- Gutartige Schilddrüsenknoten
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Schilddrüsenkarzinom
Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- C73: Bösartige Neubildung der Schilddrüse
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.