Zusammenfassung
Beim Status epilepticus handelt es sich um einen nicht selbstlimitierend verlaufenden epileptischen Anfall bzw. mehrere in kurzem Zeitraum auftretende, nicht komplett reversible epileptische Anfälle. Prinzipiell können alle Anfallsformen in einen Status epilepticus übergehen. Wegen der drohenden Schädigung von Neuronen handelt es sich um einen neurologischen Notfall, der einer umgehenden Therapie bedarf.
Zum Notfallmanagement des Status epilepticus: Status epilepticus - AMBOSS-SOP
Definition
- Klinische Situationen, die einen Status epilepticus definieren [1][2]
- ≥5 min anhaltender bilateraler oder generalisierter tonisch-klonischer Anfall oder
- ≥10 min anhaltender fokaler Anfall (mit oder ohne Bewusstseinsstörung) bzw. Absence oder
- Rezidivierende epileptische Anfälle in kurzer Abfolge, ohne eine vollständige Remission zwischen den Anfällen
- Bei fehlendem Ansprechen auf die Therapiemaßnahmen lassen sich weiterhin unterscheiden [3][4]
- Refraktärer Status epilepticus: Klinisch oder elektroenzephalografisch persistierender Status epilepticus trotz ausreichend hoch dosierter Gabe eines Benzodiazepins und intravenöser Anfallssuppressiva
- Suprarefraktärer Status epilepticus: Trotz kontinuierlicher Narkosetherapie klinisch oder elektroenzephalografisch persistierender Status epilepticus
Epidemiologie
- Inzidenz: 10–30 Fälle/100.000 Personen pro Jahr [5]
- Häufigkeitsgipfel: Höheres Lebensalter
- Kinder und Jugendliche [6]
- Inzidenz: Ca. 40 Fälle/100.000 Kinder und Jugendliche pro Jahr
- Häufigkeitsgipfel: Innerhalb der ersten Lebensjahre
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Ein Status epilepticus kann bei einem bekannten Epilepsiesyndrom, als Erstmanifestation einer Epilepsie oder als Ausdruck einer zerebralen oder systemischen Erkrankung auftreten.
- Auswahl ätiologischer Faktoren [5]
- Unzureichende Anfallssuppressiva-Spiegel
- Zerebrovaskuläre Erkrankungen
- Metabolische Erkrankungen
- Intoxikation oder Entzug (Alkohol, andere Drogen, Medikamente)
- Infektionen des ZNS
- Autoimmunenzephalitiden
- Hypoxische Hirnschädigung
- Hirntumoren
- Elektrolytstörungen (Hyponatriämie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie)
- Schädel-Hirn-Trauma
Klassifikation
Die Klassifikation dient vor allem der Kommunikation und der Einschätzung, ob ein erneuter Anfall auf dem gleichen Fokus beruht.
- Einteilung nach Merkmalen aus vier Kategorien
- Semiologie
- Ätiologie
- EEG-Korrelate
- Alter
- Möglichst nach allen Kategorien einordnen
1. Kategorie: Semiologie
Einordnung anhand der Kriterien „Motorik“ und „Bewusstseinsstatus“ :
- Mit prominenten motorischen Symptomen
- Konvulsiver SE (CSE; synonym: Bilateral tonisch-klonischer Status epilepticus)
- Generalisierter Beginn
- Fokaler Beginn mit Evolution zum bilateral klonisch-tonischen konvulsiven SE
- Unbekannter Beginn
- Myoklonischer SE
- Fokal motorischer SE
- Wiederholte fokal motorische Anfälle
- Epilepsia partialis continua
- Adversiver SE
- Okuloklonischer SE
- Iktale Parese
- Tonischer SE
- Hyperkinetischer SE
- Konvulsiver SE (CSE; synonym: Bilateral tonisch-klonischer Status epilepticus)
- Ohne prominente motorische Symptome: Nicht-konvulsiver SE (NCSE)
- NCSE mit Koma
- Subtiler Status epilepticus: Sonderform des refraktären, generalisierten NCSE mit elektromechanischer Entkopplung; im EEG zeigt sich daher eine durchgehende epilepsietypische Aktivität, es lässt sich aber keine – oder lediglich eine sehr subtile – muskuläre Aktivität beobachten.
- NCSE ohne Koma
- Generalisiert (Absence-Status)
- Typischer Absence-Status
- Atypischer Absence-Status
- Myoklonischer Absence-Status
- Fokal
- Ohne Bewusstseinsstörung
- Aphasischer SE
- Mit Bewusstseinsstörung
- Unbekannt, ob fokal oder generalisiert
- Autonomer SE
- Generalisiert (Absence-Status)
- NCSE mit Koma
2. Kategorie: Ätiologie
- Bekannt
- Akut
- Im Verlauf nach Akutereignis
- Progressiv
- Im Rahmen eines Epilepsiesyndroms
- Unbekannt
3. Kategorie: EEG-Korrelate
- Fokus-Lokalisation
- Bezeichnung des Musters
- Morphologie
- Zeitabhängige Eigenschaften
- Modulation
- Einfluss einer Medikation auf die EEG-Korrelate
4. Kategorie: Alter
- Neugeborene (≤30 Tage)
- Kleinkinder (>30 Tage bis 2 Jahre)
- Kinder (>2 Jahre bis 12 Jahre)
- Jugendliche und Erwachsene (>12 Jahre bis 59 Jahre)
- Senior:innen (≥60 Jahre)
Pathophysiologie
- Ungleichgewicht zwischen inhibitorischen(↓) und exzitatorischen(↑) Faktoren → Neuronale Hyperexzitabilität → Calciumeinstrom in Neurone → Zellschädigung
- Zerebraler Hypermetabolismus → Blutfluss↑ → Vasogenes Hirnödem
Diagnostik
Diagnosestellung
- Fremdanamnese erheben!
- Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle: Klinische Diagnose
- Bei anderen Formen: Diagnose über Klinik, Fremdanamnese und ggf. EEG-Befund
Weitere Diagnostik
- Bei nicht bekannter Epilepsie
- Bei Status epilepticus mit Bewusstlosigkeit: Notfallmäßige diagnostische Abklärung wie bei einem Koma unklarer Ätiologie
- Siehe: Koma - AMBOSS-SOP
- Bei Status epilepticus ohne Bewusstlosigkeit: Ursachenabklärung wie nach jedem ersten epileptischen Anfall
- Bei Status epilepticus mit Bewusstlosigkeit: Notfallmäßige diagnostische Abklärung wie bei einem Koma unklarer Ätiologie
- Bei bekannter Epilepsie
- Anfallssuppressiva-Spiegel im Serum überprüfen, Abnahme möglichst vor Akuttherapie
- EEG
- Weitere Diagnostik (Labor, Kopfbildgebung, Liquordiagnostik) im Einzelfall
Therapie
Zum Notfallmanagement bei Status epilepticus siehe: Status epilepticus - AMBOSS-SOP
Allgemein
- Ziele
- Unterbrechung des Status epilepticus
- Therapie kausaler Ursachen (wenn möglich)
- Sofortmaßnahmen
- Schutz der betroffenen Person vor Verletzungen (ggf. umlagern, polstern, Gefahrenquellen entfernen)
- Freihalten der Atemwege
- Monitoring der Vitalparameter (Pulsoxymetrie, Blutdruck, EKG)
- Legen mind. eines i.v. Zugangs in anfallssicherer Lage (bspw. in der Mitte des Unterarms, idealerweise nicht in der Ellenbeuge)
- Ggf. O2-Gabe, Atemwegssicherung und kontrollierte Beatmung
Stufenschema zur Therapie des bilateralen oder generalisierten tonisch-klonischen Status epilepticus (des Erwachsenen) [3]
- Stufe 1: Nach 5 min bei bilateralem oder generalisiertem tonisch-klonischen Anfall bzw. nach 10 min bei fokalem Anfall
- Stufe 2: Bei Unwirksamkeit der Maximaldosis des Benzodiazepins und spätestens nach 30 min
- 1. Wahl: I.v. Aufsättigung mit Levetiracetam, Valproat oder Fosphenytoin
- Beachte: Rote-Hand-Brief zu Valproat
- 2. Wahl: I.v. Aufsättigung mit Phenytoin, Phenobarbital oder Lacosamid
- 1. Wahl: I.v. Aufsättigung mit Levetiracetam, Valproat oder Fosphenytoin
- Stufe 3: Bei refraktärem Status epilepticus
- Eskalation auf Intensivstation: Narkotika wie Propofol, Thiopental oder Midazolam , jeweils individuelle Therapieentscheidung
- Stufe 4: Bei suprarefraktärem Status epilepticus
- Weitere intensivmedizinische Eskalation: Ketamin- oder hochdosierte Barbituratnarkose
- In Einzelfällen: Inhalationsnarkose, enterale Anfallssuppressiva, ketogene Diät, Epilepsiechirurgie oder Elektrokonvulsionstherapie
- Für Details (insb. Dosierungen) siehe: Status epilepticus - Medikamentöse Stufentherapie
Der Status bilateraler oder generalisierter tonisch-klonischer Anfälle ist ein lebensbedrohlicher Notfall! Zur Durchbrechung muss das o.g. Stufenschema schnell und in ausreichender Dosierung angewendet werden!
Auch ein fokaler Status epilepticus muss zügig und entschlossen behandelt werden, denn er kann in einen prognostisch ungünstigeren Status epilepticus übergehen. Auch bei einem unzureichend behandelten fokalen Status epilepticus drohen irreversible neuronale Schäden!
Therapie des Status epilepticus im Kindes- und Jugendalter
AMBOSS-Pflegewissen: Status epilepticus
Prinzipiell können alle Anfallsformen in einen Status epilepticus übergehen. Wegen der drohenden Schädigung von Neuronen handelt es sich um einen neurologischen Notfall, der einer umgehenden Therapie bedarf. Die pflegerischen Maßnahmen beinhalten sowohl die pflegerischen Erstmaßnahmen bei epileptischen Anfällen als auch weitere notwendige Notfallmaßnahmen, siehe auch: Status epilepticus - AMBOSS-SOP.
Pflegerische Notfallmaßnahmen bei Status epilepticus
- Pflegerische Erstmaßnahmen bei epileptischen Anfällen beachten
- Monitoring der Vitalparameter: Herzfrequenz, EKG, Atmung, spO2, Blutdruck, Körpertemperatur
- Bereitstellung des Notfallkoffers/-wagens, inkl. Guedel-Tubus und Intubationsmaterial
- Sauerstoffgabe nach ärztlicher Anordnung, i.d.R. 4–6 L/min
- Venösen Zugang (legen lassen) und Blutgasanalyse durchführen (lassen)
- Weitere Medikamentengaben nach ärztlicher Anordnung
Komplikationen
- Entwicklung eines Hirnödems
- Hypoxische Hirnschädigung durch Apnoe
- Kardiopulmonale Dysregulation
- Aspiration
- Folgen exzessiver Muskelarbeit
- Elektrolytstörungen (Hyperkaliämie, Hyponatriämie, Hypo-/Hypermagnesiämie)
- Metabolische Azidose (Lactatazidose) oder/und respiratorische Azidose (Ventilationsstörung)
- Hyperthermie
- Frakturen
- Rhabdomyolyse, akute Nierenschädigung
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Letalität [5][7]
- Etwa 10%
- Abhängig von Ätiologie und Dauer des Status sowie Lebensalter und Komorbiditäten
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Epilepsie
Epilepsie – Teil 1: Ätiologie, Pathophysiologie, Klinik, Diagnostik
Epilepsie – Teil 2: Therapie
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- G41.-: Status epilepticus
- G41.0: Grand-Mal-Status
- Status mit tonisch-klonischen Anfällen
- Exklusive: Epilepsia partialis continua [Kojewnikow-Syndrom] (G40.5)
- G41.1: Petit-Mal-Status
- Absencenstatus
- G41.2: Status epilepticus mit komplexfokalen Anfällen
- G41.8: Sonstiger Status epilepticus
- G41.9: Status epilepticus, nicht näher bezeichnet
- G41.0: Grand-Mal-Status
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.