Zusammenfassung
Infektassoziierte Glomerulonephritiden umfassen alle entzündlichen Erkrankungen der Glomeruli, die in Zusammenhang mit (meist bakteriellen) Infektionen auftreten und durch eine Ablagerung von Immunkomplexen im Glomerulum gekennzeichnet sind. Bei Kindern handelt es sich zumeist um postinfektiöse Glomerulonephritiden, die mit einer Latenz von wenigen Wochen nach einer Infektion auftreten und i.d.R. selbstlimitierend verlaufen (am häufigsten: Poststreptokokken-Glomerulonephritis). Bei Erwachsenen hingegen sind parainfektiöse Glomerulonephritiden am häufigsten, die während einer bestehenden Infektion (bspw. Endokarditis) auftreten und i.d.R. Personen mit schweren Vorerkrankungen betreffen.
Klinisch können infektassoziierte Glomerulonephritiden mit einem nephritischen Syndrom einhergehen (Hypertonie, Hämaturie, Ödeme), begleitet von grippalen Beschwerden. Auch asymptomatische Verläufe sind möglich. Die Diagnose kann meist klinisch gestellt werden. Während bei der postinfektiösen Glomerulonephritis aufgrund ihres oft selbstlimitierenden Verlaufs die symptomatische Therapie im Vordergrund steht, ist bei der parainfektiösen Glomerulonephritis die Behandlung der zugrunde liegenden Infektion entscheidend.
Definition
- Infektassoziierte Glomerulonephritis: Immunkomplexnephritis als Folge einer (meist bakteriellen) Infektion
- Postinfektiöse Glomerulonephritis: Mit zeitlicher Latenz zum Infekt, z.B. Poststreptokokken-Glomerulonephritis
- Parainfektiöse Glomerulonephritis: Während einer bestehenden Infektion, z.B. bakterieller Endokarditis
Epidemiologie
- Postinfektiöse Glomerulonephritis
- Meist Kinder (4–12 Jahre) betroffen
- Poststreptokokken-Glomerulonephritis im Globalen Norden nur noch selten
- Parainfektiöse Glomerulonephritis
- Vorwiegend ältere Patient:innen mit schweren Grunderkrankungen betroffen (z.B. Diabetes mellitus, Alkoholabusus, Immunsuppression, Personen mit einliegenden Shunts)
- In Deutschland zunehmend als Folge von Infektionen mit Staphylokokken und gramnegativen Erregern
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Häufigster Auslöser: Bakterielle Infektionen
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Bei Kindern eher Streptokokken (Poststreptokokken-Glomerulonephritis)
- 1–3 Wochen nach Infekt der oberen Atemwege (z.B. Angina tonsillaris, Pharyngitis)
- 3–6 Wochen nach Weichteilinfektion (z.B. Erysipel, Impetigo contagiosa)
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Bei Erwachsenen eher Staphylokokken und gramnegative Erreger (parainfektiös)
- Chronische Weichteilinfektionen, katheterassoziiert, Endokarditis, Infektionen von Liquorshunts
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Bei Kindern eher Streptokokken (Poststreptokokken-Glomerulonephritis)
Pathophysiologie
- Ablagerung von Immunkomplexen im Glomerulum
- Aktivierung des Komplementsystems
- Einwanderung von Leukozyten, Bildung großer subepithelialer Immunkomplexablagerungen (sog. Humps) und zellvermittelte Schädigung des Glomerulums
- In der Folge Entstehung eines nephritischen Syndroms
Der Verlauf von postinfektiöser und parainfektiöser Glomerulonephritis ist zwar verschieden, beiden Krankheitsbildern liegt jedoch die gleiche Pathophysiologie zugrunde!
Symptomatik
- Postinfektiöse Glomerulonephritis (meist Poststreptokokken-Glomerulonephritis)
- Symptombeginn: Typischerweise 1–3 Wochen nach Infektion der oberen Atemwege bzw. 3–6 Wochen nach Weichteilinfektion
- Akutes nephritisches Syndrom
- Ödeme (inkl. Lungen- und Hirnödem! )
- Hypertonie
- Oligurische akute Nierenschädigung + ggf. mit Hämaturie
- Ggf. schäumender Urin durch Proteinurie
- Systemische Symptome (in 50% der Fälle):
- Grippale Symptome
- Übelkeit
- Appetitlosigkeit
- Ggf. Flankenschmerzen durch Nierenkapselschmerz
- Asymptomatischer Verlauf möglich!
- Parainfektiöse Glomerulonephritis
- Ähnlich der postinfektiösen Glomerulonephritis
- Verlauf insgesamt variabler
- Systemischer Verlauf mit Vaskulitis möglich
- Selten Verlauf als rapid-progrediente Glomerulonephritis
Diagnostik
- Anamnese: Grunderkrankungen und vorausgegangene oder akute Infektionen, Fremdmaterial (bspw. Katheter, Shunts)
- Körperliche Untersuchung: Insb. Prüfung auf (Lungen‑)Ödeme, Inspektion von Haut- und Weichteilen, Blutdruckmessung
- Blutuntersuchung
- Nierenretentionsparameter: Passager leicht erhöht
- Komplement C3, C4 und CH50 ↓
- Serologien: ASL-Titer und ADB-Titer ggf. ↑ bei Poststreptokokken-Glomerulonephritis
- Routinelaboruntersuchung
- Erregersuche bei V.a. parainfektiöse Glomerulonephritis (insb. Blutkulturen)
- Kryoglobuline und Rheumafaktor ggf. leicht erhöht
- Bei älteren Patient:innen ggf. zusätzlich Virus-Serologien (Hepatitis B und C, HIV), ANCA, ANA, Bestimmung von Leichtketten im Serum
- Urindiagnostik
- Urinstix: Hämaturie, leichte Proteinurie , ggf. Leukozyturie
- Urinsediment: Erythrozytenzylinder (i.d.R. beweisend für eine Glomerulonephritis)
- Ggf. quantitative Proteinbestimmung im 24-h-Sammelurin oder Spontanurin
- Sonografie: Ggf. vergrößerte Nieren, Ausschluss anderer Nierenerkrankungen
- Nierenbiopsie
- Nicht erforderlich, wenn Anamnese und klinisches Bild typisch
- Bei untypischen Verläufen und/oder starkem Anstieg der Retentionsparameter empfohlen → Ausschluss anderer glomerulärer Erkrankungen, insb. rapid-progrediente Glomerulonephritis und membranoproliferative Glomerulonephritis
Pathologie
- Typisches Bild: Diffuse endokapilläre exsudative Glomerulonephritis
- Lichtmikroskopisch: Glomeruläre Hyperzellularität durch Infiltrate von eingewanderten neutrophilen Granulozyten und Proliferation von glomerulären Zellen
- Immunfluoreszenz bzw. elektronenmikroskopisch: Subepitheliale granuläre Immunkomplexablagerungen (sog. Humps) und Komplementablagerungen
- Weitere Manifestationsform: Immunkomplex-vermittelte membranoproliferative Glomerulonephritis (IC-MPGN)
- Selten Übergang in eine intra-/extrakapilläre Glomerulonephritis (rapid-progressive Glomerulonephritis)
Therapie
- Postinfektiöse (Poststreptokokken‑)Glomerulonephritis
- Erkrankung i.d.R. selbstlimitierend, daher supportive Therapie
- Bei Ödemen: Flüssigkeits-/Salzrestriktion (<5 g/Tag) und Diuretika
- Bei Hypertonie: ACE-Hemmer oder AT1-Blocker
- Regelmäßige Kontrollen der Retentionswerte, Elektrolyte und des Blutdrucks
- Bei fortbestehendem Streptokokken-Nachweis ggf. antibiotische Therapie [1]
- In seltenen Fällen evtl. kurzzeitig Steroid-Gabe
- Erkrankung i.d.R. selbstlimitierend, daher supportive Therapie
- Parainfektiöse Glomerulonephritis
- Im Vordergrund steht die Fokussuche und Therapie der zugrunde liegenden Infektion
Komplikationen
- Verlauf als rapid-progrediente Glomerulonephritis (nephrologischer Notfall!)
- Epileptische Anfälle und Bewusstseinsstörungen bei Hirnödem
- Hypertensiver Notfall mit Lungenödem
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Postinfektiöse Glomerulonephritis
- Meist innerhalb von 6 Wochen Normalisierung von Nierenfunktion und Komplementfaktoren
- Proteinurie und Hämaturie können 6–12 Monate persistieren (Verlaufskontrollen)
- Bei Kindern in >90% vollständige Ausheilung
- Parainfektiöse Glomerulonephritis: Prognose schlechter, insb. bei starker Proteinurie, schwerer Nierenfunktionsstörung und/oder Verlauf als rapid-progressive Glomerulonephritis
Prävention
- Es gibt aktuell keine Evidenz, dass eine antibiotische Therapie bei Infektionen mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A zu einem reduzierten Auftreten von Poststreptokokken-Glomerulonephritiden führt
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 188-2021-3/3: Neue KDIGO-Leitlinie zur Glomerulonephritis
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- N08.-:* Glomeruläre Krankheiten bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- N08.0*: Glomeruläre Krankheiten bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.