Zusammenfassung
Die Rapid-progressive Glomerulonephritis (RPGN) ist eine seltene, aggressive Verlaufsform der Glomerulonephritis, die durch einen raschen Nierenfunktionsverlust gekennzeichnet ist und einen nephrologischen Notfall darstellt! Eine Vielzahl von Erkrankungen (insb. aus dem autoimmunen Formenkreis) können der RPGN zugrunde liegen – am häufigsten wird die RPGN ausgelöst durch ANCA-assoziierte Vaskulitiden. Klinisch steht ein nephritisches Syndrom im Vordergrund mit GFR-Verminderung, Hämaturie und Hypertonie. Treten zusätzlich pulmonale Symptome wie Hämoptysen auf, sollte an ein pulmorenales Syndrom gedacht werden.
Zur Diagnosestellung sind der Nachweis eines raschen Kreatininanstiegs sowie ein nephritisches Sediment entscheidend, zur Diagnosesicherung, Klassifikation und Prognoseeinschätzung sollte immer eine Nierenbiopsie erfolgen. Typischer histopathologischer Befund hierbei ist eine sog. Halbmondbildung. Zur ätiologischen Einordnung ist oftmals die Serologie wegweisend (Nachweis von ANCA oder Antikörpern gegen die glomeruläre Basalmembran). Der frühzeitige Beginn einer immunsuppressiven Therapie ist prognosebestimmend.
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Definition
- Rapid-progressive Glomerulonephritis (RPGN): Seltene, aggressive Verlaufsform der Glomerulonephritis, der verschiedene Erkrankungen zugrunde liegen können und die charakterisiert ist durch:
- Klinisch: Rascher Verlust der Nierenfunktion (GFR-Abfall) innerhalb von Wochen bis Monaten
- Histologisch: Extrakapilläre Proliferation mit Halbmondbildung
Die Rapid-progressive Glomerulonephritis kann durch verschiedene Erkrankungen ausgelöst werden und stellt stets einen nephrologischen Notfall dar!
Klassifikation
Die Einteilung der RPGN erfolgt anhand der immunhistologischen Befunde.
RPGN ohne immunhistologische Veränderungen am Glomerulum („pauci-immun“)
- Charakterisierung: Häufigste Form der RPGN, zurückzuführen auf ANCA-assoziierte Vaskulitiden
- Häufigkeit: ca. 70% der RPGN [2]
- Ätiologie: ANCA-assoziierte Vaskulitiden
RPGN mit granulären glomerulären Immunkomplexablagerungen
- Charakterisierung: Schwerste Verlaufsform einer Immunkomplexnephritis, die wiederum durch eine Vielzahl von Erkrankungen ausgelöst werden kann
- Häufigkeit: Alle Formen zusammen ca. 20% der RPGN [2]
- Ätiologie: Erkrankungen, die mit Immunkomplexbildung einhergehen
- Mögliche Verlaufsform von
- Infektassoziierten Glomerulonephritiden
- Systemischen Autoimmunerkrankungen mit Nierenbeteiligung
- Idiopathische RPGN
- Mögliche Verlaufsform von
RPGN mit linearer glomerulärer Ablagerung von Anti-GBM-Antikörpern
- Charakterisierung: Serologisch nachweisbare Anti-GBM-Antikörper führen zu linearen glomerulären Ablagerungen von Immunglobulinen
- Häufigkeit: Unter 10% der RPGN [2]
- Formen
- Ohne Lungenbeteiligung
- Mit Lungenbeteiligung: Goodpasture-Syndrom
Pathophysiologie
- Initiale Pathophysiologie aufgrund der Vielzahl an Ursachen sehr variabel
- Gemeinsame Endstrecke der verschiedenen Formen
- Proliferation von Epithelzellen + Einwanderung von hämatopoetischen Zellen und Fibroblasten in den Bowman-Kapsel-Raum infolge von Rissen in der glomerulären Basalmembran → Extrakapilläre Proliferation mit Halbmondbildung → Zunächst (teil‑)reversible Verringerung der GFR
- Im Verlauf fibrotische Umwandlung der zellulären Halbmonde → Irreversible Schädigung und Nierenfunktionsverlust
Symptomatik
Es gibt keine spezifischen Symptome einer RPGN. Sie kann als nephritisches Syndrom verlaufen, das weitere klinische Bild hängt jedoch wesentlich von der ursächlichen Grunderkrankung ab.
- Mögliche Symptome der RPGN
- I.d.R. Verlauf als nephritisches Syndrom
- Oligurie bis Anurie, Ödeme
- Meist Hypertonie
- Ggf. pulmonale Symptome wie Hämoptysen, siehe: Pulmorenales Syndrom
- Unspezifische Allgemeinsymptome wie Abgeschlagenheit
- I.d.R. Verlauf als nephritisches Syndrom
- Symptome häufiger Grunderkrankungen
- Arthralgien, Myalgien, Raynaud-Symptomatik, Bauchschmerzen, Uveitis, Sinusitis, Rhinitis bei Vaskulitiden
- Exantheme oder Purpura
Bei klinischem Verdacht auf eine RPGN sollte immer eine zügige Abklärung erfolgen!
Verlaufsform: Pulmorenales Syndrom
- Definition: Im Rahmen von Autoimmunerkrankungen auftretende Kombination aus Glomerulonephritis (meist als RPGN) und pulmonaler Manifestation (diffuse hämorrhagische Alveolitis)
- Ätiologie: u.a.
- ANCA-assoziierte Vaskulitiden
- Goodpasture-Syndrom [3][4]
- Definition: Autoimmunerkrankung durch Antikörper gegen die glomeruläre Basalmembran (Anti-GBM-Antikörper), die sich aufgrund einer Antigenverwandtschaft auch gegen die alveoläre Basalmembran richten → Pulmonale und renale Symptome
- Epidemiologie: Sehr seltene Erkrankung, vorwiegend ♂ <40 Jahre betroffen
- Kollagenosen (insb. Lupus erythematodes)
- Thrombotische Mikroangiopathie
- Klinisches Bild
- Häufig B-Symptomatik und weitere Allgemeinsymptome
- Pulmonal: Husten, Dyspnoe, Hämoptysen bis zu ausgeprägten Lungenblutungen, im Verlauf respiratorische Insuffizienz möglich
- Renal: Siehe Klinisches Bild der RPGN
- Diagnostik: Siehe RPGN - Diagnostik
- Therapie: Abhängig von der Grunderkrankung, siehe auch: RPGN - Therapie
Diagnostik
Anamnese
- Verlauf von Blutdruck, Gewicht, evtl. Ödemen, Urin- und Trinkmenge
- Hinweise auf Urämie?
- Vorausgegangener Infekt?
- Medikamenteneinnahme
- Vorerkrankungen [5]
- Begleitsymptome hinweisend auf mögliche Grunderkrankungen
- Allgemeinsymptome: Fieber, Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit, Arthralgien
- Hämoptysen
- Blutiger Schnupfen, rezidivierende Entzündungen der Nasennebenhöhlen
- Hauterscheinungen (vaskulitische Hautveränderungen, Schmetterlingserythem, palpable Purpura)
- Augensymptome wie trockenes Auge, Konjunktivitis, Sehstörungen bei retinaler Vaskulitis
Körperliche Untersuchung
Internistische Basisuntersuchung mit Schwerpunkt auf
- Ödeme, Körpergewicht
- Blutdruckmessung
- Urämiezeichen
- Inspektion von Haut und Schleimhäuten
Labordiagnostik
- Blutuntersuchung
- Allgemein
- Zur ätiologischen Zuordnung
- (Auto‑)Immundiagnostik
-
cANCA/pANCA: Hinweis auf ANCA-assoziierte RPGN
- Gezielte Bestimmung von Anti-PR3- und Anti-MPO-Antikörpern [6]
- ANA
- Anti-GBM-Antikörper: Spezifisch für eine Anti-GBM-Antikörper-assoziierte RPGN
- Komplementfaktor
-
cANCA/pANCA: Hinweis auf ANCA-assoziierte RPGN
- Infektionsserologie
- (Auto‑)Immundiagnostik
- Urinuntersuchung
- Urinstatus: Urinteststreifen, Protein-Kreatinin- und Albumin-Kreatinin-Verhältnis
- Urinsediment: „Aktives“, nephritisches Sediment mit Akanthozyten, Erythrozytenzylindern
Ein rascher GFR-Abfall in Kombination mit einem nephritischen Sediment (Akanthozyten, Erythrozytenzylinder) sollte immer an eine RPGN denken lassen!
Die immunologische Diagnostik ist zur Einordnung der Ätiologie oftmals wegweisend!
Nierenbiopsie
- Indikation: Zur Diagnosesicherung, ätiologischen Einordnung und Einschätzung der Prognose immer erforderlich (außer bei Kontraindikationen)
- Befunde
- Leitbefund: Fokal-proliferative, nekrotisierende Glomerulonephritis mit „Halbmondbildung“ = Extrakapilläre Zellproliferation im Bowman-Kapsel-Raum, die das Glomerulum verdrängt
- Immunhistologie und Elektronenmikroskopie
- Pauci-immune (ANCA-assoziierte) RPGN: Keine oder nur wenige Immunglobulinablagerungen, Läsionen betreffen nicht alle Glomeruli und nicht alle Abschnitte eines Glomerulums
- Anti-GBM-Antikörper-assoziierte RPGN: Lineare Ablagerung von Immunglobulinen entlang der glomerulären Basalmembran
- Immunkomplex-assoziierte RPGN: Je nach Ursache unterschiedliches Muster an Immunglobulinablagerungen
Bei einem raschen Kreatininanstieg sollte nach Ausschluss extrarenaler Ursachen immer an eine RPGN gedacht werden! Sehr häufig ist eine Nierenbiopsie erforderlich!
Therapie
- Medikamentös: I.d.R. Immunsuppression
- Basistherapie i.d.R. mit Methylprednisolon (meist als Bolusgabe)
- Zusätzlich ggf. Cyclophosphamid oder Rituximab
- Weitere therapeutische Maßnahmen
- Ggf. Plasmapherese
Ein rascher Therapiebeginn ist entscheidend: „Zeit ist Nierenfunktion“!
Prognose
- Allgemein: Unbehandelt in 80% terminale Niereninsuffizienz binnen eines Jahres [1]
- Genaue Prognose abhängig von der Ursache der RPGN
- Beste Prognose bei postinfektiöser Glomerulonephritis
- Bei ANCA-assoziierten Vaskulitiden abhängig vom Ausmaß des histologischen Befalls
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 270-2023-1/3: IgA-Nephropathie – Applaus für eine neue Therapieoption?
- Studientelegramm 188-2021-3/3: Neue KDIGO-Leitlinie zur Glomerulonephritis
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AMBOSS-Podcast zum Thema
Nierenerkrankungen: Vom U-Stix zur Diagnose (Juni 2024)
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Rapid-progressive Glomerulonephritis (RPGN)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- M31.-: Sonstige nekrotisierende Vaskulopathien
- M31.0: Hypersensitivitätsangiitis
- N01.-: Rapid-progressives nephritisches Syndrom
- Inklusive: Rapid-progressiv: glomeruläre Krankheit, Glomerulonephritis, Nephritis
- Exklusive: Nephritisches Syndrom o.n.A. (N05.‑)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.