Zusammenfassung
Pulmonale Komplikationen gehören zu den häufigsten Problemen der perioperativen Phase. Insb. bei vorbestehender pulmonaler Erkrankung ist das Risiko erhöht. Die Einschätzung von Schweregrad und anästhesiologischer Relevanz der Grunderkrankung ist essenziell für die optimale präoperative Vorbereitung, die Auswahl des Narkoseverfahrens und die perioperative Überwachung des Patienten. Trotz eines generell erhöhten Risikos für pulmonale Komplikationen lässt sich das Risiko durch ein gezieltes perioperatives Management reduzieren. Für allgemeine Informationen zur Prämedikationsvisite siehe auch: Präoperative Evaluation und Aufklärung in der Anästhesiologie.
Screening und Risikoeinschätzung
Für Informationen zur allgemeinen präoperativen Evaluation eines Patienten siehe auch
Risikofaktoren für perioperative pulmonale Komplikationen
Risikofaktoren für perioperative pulmonale Komplikationen | ||
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Patientenabhängig | Eingriffsabhängig | Anästhesieabhängig |
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ARISCAT-Score [1]
- Ziel: Risikoabschätzung perioperativer pulmonaler Komplikationen
- Durchführung: Präoperative Erfassung von 7 objektivierbaren Parametern
- Risiko-Bewertung
- <26 Punkte: Niedriges Risiko
- 26–44 Punkte: Mittleres Risiko
- >44 Punkte: Hohes Risiko
ARISCAT-Score | ||
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Parameter | Befund | Punkte |
Alter | ≤50 Jahre | 0 |
51–80 Jahre | 3 | |
>80 Jahre | 16 | |
Präoperative SpO2 | ≥96% | 0 |
91–95% | 8 | |
≤90% | 24 | |
Atemwegsinfekt im letzten Monat | Nein | 0 |
Ja | 17 | |
Präoperativer Hb-Wert | >10 g/dL | 0 |
≤10 g/dL | 11 | |
Eingriffsort | Peripher | 0 |
Oberbauch | 15 | |
Intrathorakal | 24 | |
OP-Dauer | <2 h | 0 |
2–3 h | 16 | |
>3 h | 23 | |
Notfall-OP | Nein | 0 |
Ja | 8 |
Häufige pulmonale Komplikationen
- Intraoperative Komplikationen
- Postoperative Komplikationen
- Hypoxämische respiratorische Insuffizienz oder hyperkapnische respiratorische Insuffizienz
- Lungenödem
- Atelektase
- Hypoventilation
- Respiratorischer Infekt
- Aspirationspneumonie
- Pleuraerguss
Präoperatives Management
Präoperative Optimierung
- Vormedikation: Medikamente zur Behandlung pulmonaler Vorerkrankungen beibehalten
- Neuverordnung von Medikamenten: Bei Bedarf
- Medikamentöse Prämedikation
- Generell zurückhaltender Einsatz
- Kontraindikation bei ausgeprägter Dyspnoe, Hyperkapnie oder Hypoxie
- Weiteres
- Patient Blood Management
- Atemtraining durch aktive Lungenexpansionsmanöver, bspw. Triflo®
- Behandlung pulmonaler Infekte
Auswahl des Narkoseverfahrens
- Regionalanästhesie-Verfahren bevorzugen : Verfahrenswahl nach geringstmöglicher Invasivität
- Allgemeinanästhesie unter Berücksichtigung der spezifischen Risiken
Intraoperatives Management
Narkoseeinleitung
- Präoxygenierung (3–5 min)
- Lagerung: Oberkörperhochlagerung (25–30°)
- Medikamente
- Hypnotika ohne Histaminfreisetzung wählen: Propofol oder Ketamin
- Lidocain i.v. oder topisch erwägen
- Opioide ohne Histaminfreisetzung wählen
- Muskelrelaxantien mit geringer Histaminfreisetzung bevorzugen: Cis-Atracurium oder Rocuronium
- Atemwegssicherung
- Intubation bei ausreichender Narkosetiefe
- Alternativ: Supraglottische Atemwegssicherung und Verzicht auf Intubation
- Relaxometrie bei Muskelrelaxierung obligat
- Invasive Blutdruckmessung erwägen
Narkoseführung
- Aufrechterhaltung mit Inhalationsanästhetika
- Beatmung
- Hohe Spitzendrücke vermeiden: Pmax <30 mbar
- Tidalvolumen: 6–8 mL/kgKG
- Exspirationszeit anpassen
- Pathologische Kapnografie beachten
- Flüssigkeitstherapie: Optimiertes perioperatives Flüssigkeitsmanagement
Narkoseausleitung
- Sicherstellung der Extubationskriterien
- Erwägung von
- Recruitmentmanöver vor Extubation
- Extubation in Oberkörperhochlagerung (25–30°)
- Extubation des schlafenden Patienten
- Nachbeatmung
- Vermeidung von
- Durchführung siehe auch: Praktisches Vorgehen bei der Extubation
Postoperatives Management
Die Art und Dauer der postoperativen Überwachung muss individuell der Art und Schwere der Vorerkrankung sowie dem Narkoseverlauf angepasst werden.
Aufwachraum
- Analgesie
- Optimal: Regionalanästhesie-Verfahren fortführen bzw. erwägen
- Opioide: Zurückhaltende Dosierung
- NSAR: Zurückhaltende Dosierung
- Siehe auch: Beispielalgorithmus für die Schmerztherapie im Aufwachraum
- Pulmonale Therapie
- Sauerstoffgabe
- Zielwert: Individuelle präoperative Sättigung
- Niedrigstmögliche Sauerstoffmenge
- NIV-Therapie: Bei Bedarf
- Siehe auch: Grundsätze zur NIV bei COPD
- Sauerstoffgabe
- Lagerung
- Optimal: Oberkörperhochlagerung bzw. seitliche Lagerung
- Flache Rückenlage vermeiden
- Monitoring
- Kontinuierliche Pulsoxymetrie
- Bei postoperativ prolongiertem Überwachungsbedarf: Intensiv- bzw. Überwachungsstation erwägen
Stationäre Weiterbetreuung
- Medikamentöse Therapie der pulmonalen Grunderkrankung fortsetzen
- Adäquate Schmerztherapie
- Physiotherapeutische Betreuung
- Frühzeitige Mobilisation
- Intensive Atemtherapie
- Siehe auch: Postoperatives Management auf der Station, Beispielalgorithmus für die Schmerztherapie auf Station
Das Risiko für pulmonale Komplikationen ist in den ersten 72 h postoperativ am höchsten!