Zusammenfassung
Die distale Radiusfraktur (Radiusfraktur bis 3 cm proximal des radiokarpalen Gelenks) ist eine der häufigsten Frakturen des Menschen. Verletzungsmechanismus ist meist ein Sturz auf die abstützende, extendierte Hand, die dabei eine Extensionsfraktur („Colles-Fraktur“) erleidet. Andere wichtige Formen der Radiusfraktur sind die Flexionsfraktur („Smith-Fraktur“) und die Radiustrümmerfraktur.
Dislozierte Frakturen werden i.d.R. in der Notaufnahme reponiert und durch einen retinierenden Unterarmstützverband ruhiggestellt. Um langfristige Schäden zu vermeiden, sollte eine anatomische Reposition mit Beachtung der physiologischen radioulnaren und palmaren Inklination (radiol.: „Böhler-Winkel“) angestrebt werden. Weitere Repositionsversuche (Nachrepositionen) sollten nicht durchgeführt werden, da sonst das Risiko für die Entwicklung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) ansteigt. Ist also der Versuch der geschlossenen Reposition insuffizient oder erweist sich die Fraktur als instabil, werden operative Verfahren angewendet wie bspw. die Plattenosteosynthese oder K-Draht-Osteosynthese. Aufgrund des Unfallmechanismus und der anatomischen Nähe können Begleitverletzungen des Handgelenks auftreten (wie bspw. eine Kahnbeinfraktur oder SL-Bandruptur), welche undiagnostiziert und unbehandelt zu persistierenden Beschwerden und dem Auftreten einer karpalen Arthrose führen können.
Epidemiologie
- Inzidenz [1][2]
Alters- und geschlechtsabhängige Verteilung der Inzidenz der distalen Radiusfraktur [3][4] | ||
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Lebensalter | Inzidenz pro 100.000 | |
Frauen | Männer | |
>35 Jahre | 368 | 90 |
60–69 Jahre | 258 | 55 |
70–79 Jahre | 353 | 52 |
80–89 Jahre | 387 | 57 |
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Unfälle [4]
- <40 Jahren: Meist Hochenergietrauma
- >40 Jahre: Meist Niedrigenergietrauma
- Risikofaktoren [4]
- Hohes Serumphosphat
- Vorangegangene Stürze
- Kognitive Einschränkungen, insb. bei Lebensalter >75 Jahre
- Einnahme von Corticosteroiden und/oder SSRI bei Männern
- Reduzierte Knochendichte des distalen Radius (durch Schonung und/oder Osteoporose [5])
Klassifikation
Einteilung nach Unfallhergang
- Extensionsfrakturen: Sturz auf die extendierte Hand (typische Abstützbewegung)
- Colles-Fraktur (Fraktur loco typico): Dislokation des distalen Fragments nach dorso-radial
- Barton-Fraktur: Partiell-artikuläre distale Radiusextensionsfraktur mit dorsalem Kantenfragment
- Flexionsfrakturen: Sturz auf die flektierte Hand
- Smith-Fraktur: Dislokation des distalen Fragments nach palmar und radial
- Reversed-Barton-Fraktur: Partiell-artikuläre Radiusflexionsfraktur mit palmarem Kantenfragment
- Kompressionsfraktur: Vertikale Krafteinwirkung auf das Handgelenk
- Die-Punch-Fraktur: Intraartikuläre distale Radiusfraktur mit Sprengung der intermediären, krafttragenden Säule im Bereich der Fossa lunata radii (siehe auch: Dreisäulenmodell nach Rikli)
- Sonstige Frakturen
- Chauffeur-Fraktur
- Unfallmechanismus: Direktes Trauma oder forcierte Extension mit Radialabduktion
- Intraartikuläre distale Radiusfraktur mit Absplittern des Proc. styloideus radii als keilförmiges Fragment
- Chauffeur-Fraktur
Radiusfrakturen bis 3 cm proximal des radiokarpalen Gelenks werden als distale Radiusfrakturen bezeichnet! [4]
AO-Klassifikation
AO-Klassifikation der distalen Unterarmfrakturen (Regio 23) nach Müller
AO-Klassifikation der distalen Unterarmfrakturen (Regio 23) nach Müller | |
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Frakturtyp | Komplexität |
A - Extraartikuläre Fraktur |
|
B - Partiell-artikuläre Fraktur |
|
C - Artikuläre Fraktur |
|
Überarbeitete AO-Klassifikation der distalen Radiusfrakturen (Regio 2R3) - Stand 2018 [6]
- Wichtigste Änderung gegenüber der o.g. Vorgängerversion
- Separate Kodierung von Radius (R) und Ulna (U)
- Neue Definition von A1: Fraktur des Proc. styloideus radii (ohne Gelenkbeteiligung )
Pathophysiologie
Anatomie des Handgelenks
- Besonderheit der distalen Radiusfraktur: Potentiell zwei Gelenke betroffen
- Radiokarpalgelenk: Zwei Gelenkflächen am distalen Radius (Fossa scaphoidea radii und Fossa lunata radii) → Extension/Flexion und Radial-/Ulnarabduktion
- Distales Radioulnargelenk (DRUG): Incisura ulnaris radii als radiale Gelenkfläche → Pro-/Supination
Biomechanik des Handgelenks
- Dreisäulenmodell nach Rikli et al. (2003) [5][7][8]
- Radiale Säule: Verlauf durch Proc. styloideus radii und Fossa scaphoidea → Stabilisierende Funktion, nur wenig Kraftübertragung von Carpus auf Unterarm
- Intermediäre Säule: Verlauf durch Fossa lunata und Incisura ulnaris radii → Hauptsächliche Kraftübertragung
- Ulnare Säule: Verlauf durch Ulna und Discus ulnocarpalis (TFCC) → Fixe Drehachse für Radius, teilweise Kraftübertragung von Carpus auf Unterarm
Begleitverletzungen [4][5][9]
- Karpale Begleitverletzungen
- Fraktur oder Luxation der Handwurzelknochen
- Bandverletzungen
- Sonstige Begleitverletzungen
- Abrissfraktur des Proc. styloideus ulnae
- Verletzungen des ulnaren Bandkomplexes oder des distalen Radioulnargelenks
- Frakturen des Radiusköpfchens
- Nerven-, Gefäß-, Sehnenverletzungen
Aufgrund des ähnlichen Traumamechanismus treten karpale Verletzungen häufig in Kombination mit der distalen Radiusfraktur auf!
Symptomatik
- Allgemeine klinische Frakturzeichen, bspw.
- Schwellung der Weichteile mit Druckschmerz
- Schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Handgelenk
- Sensibilitätsstörungen
- Fehlstellung der Hand
- Bei Extensionsfrakturen nach dorso-radial [5][10][11]
- Bei Flexionsfrakturen nach palmar
Präklinisches Management
- Anamnese und körperliche Untersuchung
- Bspw. nach SAMPLE-Schema mit Fokus auf Unfallhergang (Stellung des Handgelenks beim Sturz)
- Typische Symptome mit Schwellung und Druckschmerz des Handgelenks (siehe auch: Distale Radiusfraktur - Symptome/Klinik)
- Venöser Zugang und Monitoring (Pulsoxymetrie, Blutdruck, EKG)
- Schmerzadaptierte Analgesie
- Bei leichten Schmerzen bspw. mit Paracetamol
- Bei starken Schmerzen bspw. mit Piritramid
- Prophylaxe und Behandlung einer opioidinduzierten Übelkeit bspw. mit Dimenhydrinat
- Weitere Maßnahmen
- Steriles Verbinden offener Wunden
- Hochlagerung und Kühlung der betroffenen Extremität
- Ggf. Reposition
- Dokumentation: pDMS, erfolgte Maßnahmen, Arbeitsunfall (falls zutreffend)
- Transport: Ruhigstellung mittels Unterarmschiene, bspw. gepolsterte, röntgendurchlässige Alu-Schiene (Sam Splint®)
Vorgehen in der Notaufnahme
- Ersteinschätzung der Situation: Übergabe durch das Rettungspersonal
- Anamnese und körperliche Untersuchung
- Notfallanamnese (bspw. nach dem SAMPLE-Schema)
- Unfallhergang
- Bei vermutetem Arbeitsunfall: Meldung an die gesetzliche Unfallversicherung bzw. Vorstellung in BG-Ambulanz
- Kurzer Bodycheck zur Untersuchung auf Begleitverletzungen
- Venöser Zugang und ggf. Blutentnahme
- Monitoring nach Opioidgabe (Pulsoxymetrie, Blutdruck und EKG)
- Schmerzadaptierte Analgesie: Unter Berücksichtigung bereits erhaltener Analgesie und Analgosedierung
- Bei vorheriger Opioidgabe: Bspw. Paracetamol
- Bildgebung: Röntgen des Handgelenks in 2 Ebenen
- Weitere therapeutische Maßnahmen
- Indikation für Notfalloperation: Verletzung von großen Gefäße oder Nerven, nicht reponierbare Luxation oder Dislokation, offene Fraktur oder ausgeprägte Weichteilverletzungen, Kompartmentsyndrom
- Keine Indikation für eine Notfalloperation: Anlage eines Stützverbandes (bspw. Unterarmgips, -cast oder -schiene) mit ggf. vorheriger geschlossener Reposition
- Zur Durchführung der Reposition mit passender Analgesie siehe auch: Geschlossene Reposition der distalen Radiusfraktur
- Indikation für eine Notfalloperation: Frühzeitige Verständigung des OP-Teams und OP-Vorbereitung (siehe auch: Operative Therapie der distalen Radiusfraktur)
- Keine Indikation für eine Notfalloperation: Anlage eines Stützverbandes (bspw. Unterarmgips, -cast oder -schiene) mit ggf. vorheriger geschlossener Reposition
- Bei offener Fraktur
- Antibiotikaprophylaxe [12]
- Bei offener Fraktur Grad I–II (Klassifikation nach Gustilo/Anderson): Bspw. Cefuroxim
- Bei offener Fraktur Grad III (Klassifikation nach Gustilo/Anderson): Bspw. Ampicillin/Sulbactam
- Schnelle Antibiotikagabe wichtiger als Débridement [4]
- Tetanusschutz: Je nach Impfstatus auffrischen (siehe: Impfschema bei Verletzungen)
- Antibiotikaprophylaxe [12]
- Indikation für Notfalloperation: Verletzung von großen Gefäße oder Nerven, nicht reponierbare Luxation oder Dislokation, offene Fraktur oder ausgeprägte Weichteilverletzungen, Kompartmentsyndrom
Bei Verletzungen der oberen Extremität ist ein Anschwellen der Hand und Finger zu erwarten. Daher sollten Ringe an der betroffenen Seite abgelegt werden bzw. müssen im Notfall aufgesägt werden!
Diagnostik
Anamnese [4]
- Allgemeinzustand und systemische Vorerkrankungen
- Allergien und Medikamenteneinnahme
- Chronische Vorerkrankungen
- Tumorerkrankungen
- Knochenstoffwechsel- oder Gefäßerkrankungen
- Infektionen
- Vorerkrankungen der betroffenen Extremität
Klinische Untersuchung
- Untersuchung auf klinische Frakturzeichen
- Überprüfung der pDMS
- Palpation
- Druckschmerz im Bereich des distalen Radius, der distalen Ulna oder des distalen Radioulnargelenks
- Bei Begleitverletzungen
- Druckschmerz im Bereich der Tabatière: Hinweis auf eine begleitende Kahnbeinfraktur
- Druckschmerz im Bereich des Radiuskopfes: Hinweis auf eine Beteiligung des Radiuskopfes oder -halses
- Druckschmerz im Bereich der Ossa metacarpalia oder Phalangen: Hinweis auf eine Beteiligung der Hand
- Funktionsprüfung: Beweglichkeit im Handgelenk und den angrenzenden Gelenken
Die Untersuchung richtet sich nach der Ausprägung der Symptome, wobei offensichtliche Frakturen nicht unnötig manipuliert werden sollten!
Apparative Diagnostik
- Röntgenaufnahme des Handgelenks in zwei Ebenen: p.a./a.p. und streng seitlich
- Nachweis einer (evtl. intraartikulären) Frakturlinie und Beurteilung des Frakturverlaufs (und ggf. einer Trümmerzone)
- Veränderter Böhler-Winkel des distalen Radius [4][5][7][11]
- Radioulnare Inklination/Gelenkflächenneigung (Böhler-I-Winkel) : Normwert ca. 20–25°
- Palmare Inklination/Gelenkflächenneigung (Böhler-II-Winkel) : Normwert ca. 10–15°
- Instabilitätskriterien der distalen Radiusfraktur [4]
- Fraktur der palmaren Gelenkkante
- Dislozierte Kantenfragmente (dorsal oder palmar)
- Relevante Radiusverkürzung mit Trümmerzone
- Relative Verlängerung der Ulna >4 mm
- Basisnahe Fraktur des Proc. styloideus ulnae
- Radio-ulnare Dissoziation
- Kippung des distalen Fragmentes >20° nach palmar oder dorsal
- Radioulnarer Inklinationswinkel <10°
- Redislokation nach Reposition
Beide Böhler-Winkel sollten nach Reposition wieder ein physiologisches Maß erreichen!
Fakultative Diagnostik
- Zusätzliche Röntgenaufnahmen
- Bei V.a. proximale Begleitverletzung: Unterarm mit Ellenbogengelenk in zwei Ebenen
- Bei V.a. Ulna-plus- oder -minus-Variante: a.p.-Aufnahme beider Handgelenke zum Vergleich [13]
- Computertomografie: Feinschicht-CT ohne Kontrastmittel
- Indikation: Präoperativ bei V.a. Kahnbeinfraktur oder bei komplexer Gelenkfraktur
- Befund: Bei Kahnbeinfraktur mögliche Differenzierung zwischen stabil und instabil
- Magnetresonanztomografie
- Indikation: Bei V.a. Läsionen von Bändern bzw. Knorpel oder bei V.a. Kahnbeinfraktur
- Befund: Ligamentäre Läsion, Kahnbeinfraktur
- Arthroskopie
- Indikation
- Bei V.a. SL-Bandruptur oder Verletzungen des TFCC-Komplexes bei verheilter Fraktur
- Bei intraartikulärer Fraktur zur intraoperativen Kontrolle des Repositionsergebnisses
- Bei Verletzung gleichzeitig therapeutische Intervention möglich
- Indikation
Differenzialdiagnosen
- Prellung oder Distorsion
- Schaftfrakturen des Unterarmes
- Parierfraktur
- Pathologische Fraktur
- Aktivierte Handgelenksarthrose (ggf. durch Prellung zusätzlich schmerzhaft)
- Karpale Verletzungen
- Isolierte Verletzung des TFCC
- Luxationsfrakturen mit kompletter Instabilität des distalen Unterarms
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemeine Therapieprinzipien [7]
- Ziele
- Auswahl des Verfahrens: Aufgrund mangelnder Evidenz keine klare Empfehlung zum optimalen Vorgehen (konservativ oder operativ) vorhanden, abhängig von
- Frakturtyp
- Vorerkrankungen und Begleitverletzungen
- Alter und Allgemeinzustand
- Patientenwunsch (funktioneller Anspruch und Erwartungen)
Geschlossene Reposition der distalen Radiusfraktur [7][11][14][15][16]
- Indikation: Alle dislozierten Frakturen, die nicht notfallmäßig operiert werden müssen
- Zeitpunkt: Möglichst frühzeitig
- Vorbereitung
- Patientenaufklärung über Ablauf und Risiken
- Vorbereitung der Analgesie
- Materialien für Anlage des Gipsverbandes
- Mögliche Verfahren zur Analgesie
- Systemische Opioidgabe, bspw. Piritramid
- Bruchspaltanästhesie
- Durchführung: Desinfektion des Handgelenks und steriles Arbeiten → Punktion von dorsal → Aspiration von Frakturhämatom → Injektion eines Lokalanästhetikums , bspw. Bupivacain
- Alternativ in Zusammenarbeit mit der Anästhesie: Regionalanästhesie oder Analgosedierung für nicht-elektive Interventionen
- Durchführung: Zwei Varianten
- Reposition mittels manuellem Zug
- Assistenz fixiert abduzierten Oberarm, 90° Flexion im Ellenbogengelenk, Unterarm liegt flach auf der Unterlage
- Reposition unter Zug an der Hand und Daumendruck auf das distale Radiusfragment
- Reposition unter kontinuierlichem Zug
- Aushängen am sog. Galgen für ca. 15 min
- Rückenlage
- Aufhängung der Hand am Galgen über Fingerextensionshülsen bspw. am 1., 2. und 4. Finger
- Ellenbogen in 90° Flexion
- Anbringen von Extensionsgewichten (ca. 3–6 kg) in der Ellenbeuge
- Reposition durch Daumendruck auf das distale Radiusfragment
- Aushängen am sog. Galgen für ca. 15 min
- Reposition mittels manuellem Zug
- Anlage des fixierenden Unterarmverbandes: Bspw. gespaltener Unterarmgips oder dorsale Schiene
- Patientenlagerung: Sitzen oder Liegen
- Position des Handgelenks im Unterarmverband
- Optimal: Ca. 20–30° Handgelenksextension, keine extremen Positionen [7][15]
- Keine Behinderung des Faustschlusses (d.h. Verband sollte palmar bis an die Beugefalte reichen)
- Dorsal sollte der Verband bis auf Höhe der Fingergrundgelenke reichen
- Initial keine zirkulären, geschlossenen oder rigiden Fixationsverbände!
- Weitere Maßnahmen und Empfehlungen [16]
- Radiologische Stellungskontrolle im fixierenden Verband
- Kontrolle auf Druckstellen, Durchblutung und Nervenfunktion am Folgetag
- Klinische und radiologische Verlaufskontrolle innerhalb der ersten Woche
- Keine sekundäre Nachreposition!
- Kühlen, Schonen, Hochlagern
- Schmerzadaptierte Analgesie mit NSAR
- Sofortige Wiedervorstellung bei Gefühlsstörungen oder Schmerzen
Die Durchführung der Reposition sollte immer unter adäquater Analgesie durchgeführt werden!
Mehrfache Repositionsversuche oder Nachrepositionen sollten unbedingt vermieden werden, da hierdurch das Risiko für ein CRPS ansteigt!
Konservative Therapie
- Indikation
- Setting: Ambulant
- Durchführung
- Aufklärung und Dokumentation über Vorgehen und alternative Therapieverfahren
- Ruhigstellung im fixierenden Unterarmverband für 4–6 Wochen
- Regelmäßige Verlaufs- und Röntgenkontrollen (bspw. nach 1, 3 und 6 Wochen)
- Fortführen der schmerzadaptierten Analgesie
- Physiotherapie
- Eigenständiges Beüben der angrenzenden Gelenke
- Nach Gipsabnahme: Beginn mit Beübung des Handgelenks zur Wiedererlangung von Beweglichkeit, Kraft und Funktion
- Nach ca. 3 Monaten: Uneingeschränkte Sportfähigkeit und Belastbarkeit [17]
Operative Therapie
- Indikation
- Instabile und dislozierte intraartikuläre Fraktur, siehe: Instabilitätskriterien der distalen Radiusfraktur
- Dislozierte Smith-Fraktur
- Offene Frakturen Grad II und III in der Klassifikation nach Gustilo/Anderson
- Geschlossene Frakturen mit Weichteilschaden Grad II und III in der Klassifikation nach Tscherne und Oestern
- Gefäß- und/oder Nervenläsion
- Erfolglose Reposition und/oder Retention einer Fraktur
- Mehrfachverletzungen
- Patientenwunsch
- Setting: Meist stationär für 1–2 Tage
- Verfahren
- Spickdrahtosteosynthese (bspw. bei Kindern)
- Schraubenosteosynthese
- (Winkelstabile) Plattenosteosynthese
- Fixateur externe (bspw. bei Trümmerfrakturen)
- Für weitere Informationen siehe: Operative Therapie der distalen Radiusfraktur
- Nachbehandlung: Je nach Verfahren postoperative Ruhigstellung, bspw. in dorsaler Unterarmgipsschiene
Durchführung der operativen Therapie
OP-Vorbereitungen
- Präoperativ
- Stationäre Aufnahme und Markieren der OP-Seite
- Präoperative Diagnostik
- Individuelle Entscheidung zur Anpassung der Medikation – insb. bei Gerinnungshemmern (siehe auch: Präoperatives Absetzen bzw. Pausieren von Medikamenten)
- Chirurgische Aufklärung
- Allgemeine und spezielle Operationsrisiken (bspw. Nervus-medianus-Läsion)
- Möglichkeit der konservativen Alternative
- Planung des Narkoseverfahrens und entsprechende anästhesiologische Aufklärung
- Im Operationssaal
- Lagerung: Rückenlage mit röntgendurchlässigem Handtisch
- Vorbereiten eines C-Bogens
- Falls Operation mit Blutsperre geplant: Anlegen einer Blutsperremanschette (ggf. zusätzlich Erzeugen einer Blutleere)
- Antibiotikaprophylaxe [12]
- Geschlossene Frakturen und offene Frakturen Grad I–II (Klassifikation nach Gustilo/Anderson): Bspw. Cefuroxim
- Offene Frakturen Grad III (Klassifikation nach Gustilo/Anderson): Bspw. Ampicillin/Sulbactam
Operationsverfahren
K-Draht-Osteosynthese [5][7][18]
- Indikation
- Extraartikuläre Frakturen ohne große Trümmerzone und bei guter Knochenqualität
- Kindliche distale Radiusfrakturen
- Zugang: Geschlossen/perkutan oder über eine Stichinzision
- Durchführung
- Reposition unter Röntgenkontrolle
- Transstyloidale Implantation der K-Drähte (häufig 2) in einem Winkel von ca. 30–45° zur Radiuslängsachse mit Verankerung in der Gegenkortikalis; Drähte sollten leicht divergieren, sich aber nicht auf Ebene des Frakturspalts kreuzen (→ Reduktion der Stabilität)
- Umbiegen und/oder subkutanes Versenken der Drahtenden
- Gipsruhigstellung für 4–6 Wochen
- Spezifische Risiken
- Schädigung des R. superficialis des N. radialis
- Wanderung der Drähte
- Spezifische Nachsorge
- Regelmäßige Wund- bzw. Pinkontrollen (bspw. wöchentlich)
- Materialentfernung nach 4–6 Wochen mit Gipsabnahme
Schraubenosteosynthese [5][7]
- Indikation: Radiusstyloidfrakturen (bspw. Chauffeur-Fraktur)
- Zugang: 2–3 cm lange radiale Längsinzision über Proc. styloideus (palmar oder dorsal des ersten Strecksehnenfaches), auch perkutan möglich
- Durchführung: Vorgehen ähnlich der K-Draht-Osteosynthese, nur dass entweder einer oder beide K-Drähte überbohrt und durch kanülierte Zugschrauben ersetzt werden
- Spezifische Risiken: Schädigung von R. superficialis des N. radialis oder Sehne des M. abductor pollicis longus und des M. extensor pollicis brevis
- Spezifische Nachsorge: Bewegungsstabil → Frühfunktionelle Beübung ohne Belastung, Materialentfernung nach knöcherner Konsolidierung
Winkelstabile oder konventionelle Plattenosteosynthese
Palmar [5][7][11]
- Indikation: Sehr häufig eingesetzt, u.a. für Flexionsfrakturen bis hin zu komplexeren Extensionsfrakturen
- Vorgehen [19][20]
- Supinationsstellung des Unterarms, ggf. Tuchrolle unter das Handgelenk als Repositionshilfe
- Trans-FCR-Zugang : Gerader Schnitt über der Sehne des M. flexor carpi radialis, Spaltung der Fascia antebrachii, Eingehen zwischen Sehne des M. flexor carpi radialis und der A. radialis
- Alternativ medialer Zugang: Gerader Schnitt über der Sehne des M. palmaris longus, Spaltung der Fascia antebrachii, Eingehen zwischen Sehne des M. flexor carpi radialis und M. palmaris longus
- Schonung des M. pronator quadratus: Scharfes Ablösen radial unter Belassung eines radialen Randes zur späteren Refixation [21]
- Darstellung der Fraktur
- Reposition
- Direkt: Manuelle Reposition, ggf. temporäre Fixierung mit K-Drähten, dann Implantation der Platte
- Indirekt: Fixation der Platte mit Schrauben am distalen Gelenkblock, Reposition durch Fixation der Platte an den Schaft (sog. Lift-off-Technik)
- Plattenlage: Distal kein Überstand über palmare Radiuskante (sog. Watershed-Linie) [22]
- Spezifische Risiken
- Kompartmentsyndrom
- Irritationen bis hin zur Ruptur von Beuge- oder Strecksehnen
- Läsion des N. medianus
- Spezifische Nachsorge
- Meist bewegungsstabil → Frühfunktionelle Behandlung ohne Belastung
- Materialentfernung nicht regulär notwendig
Dorsal [5][7][15][20]
- Indikation
- Dorsal betonte Pathologie
- Kompressionsfrakturen (Die-Punch-Frakturen)
- Starke Dislokation (z.T. auch in Kombination mit einer palmaren Plattenosteosynthese notwendig )
- Von palmar nicht reponierbares ulnodorsales Kantenfragment
- Vorgehen
- Dorso-radiale Längsinzision
- Präparation bis auf den Knochen (häufig zwischen dem 3. und 4. Strecksehnenfach) und subperiostales Abheben der restlichen Sehnenfächer ,
- Häufig Verwendung von zwei anatomisch vorgeformten Platten (eine L-förmige dorsal und eine längliche radial – im Querschnitt liegen die Schrauben in einem Winkel von ca. 90° zueinander)
- Ggf. zusätzlich: Denervierung des N. interosseus posterior und prophylaktische Verlagerung der Sehne des M. extensor pollicis longus
- Spezifische Risiken
- Irritation und Ruptur der Strecksehnen
- Häufiger Wundheilungsstörung durch die geringere Weichteildeckung
- Spezifische Nachsorge
- Falls bewegungsstabil → Frühfunktionelle Behandlung ohne Belastung
- Materialentfernung nach knöcherner Konsolidierung (aufgrund der Gefahr der Strecksehnenirritation)
Gelenkübergreifender Fixateur externe [5][7][11]
- Indikation
- Ausgedehnter Weichteilschaden
- Offene oder infizierte Frakturen
- Polytrauma
- Ausgeprägte Trümmerzone
- Durchführung
- Einbringung von je zwei Pins aus dorso-radialer Richtung frakturnah in den distalen Radius und in das Os metacarpale II
- Anbringen der Verbindungselemente
- Reposition erfolgt über Ligamentotaxis und Fixieren des Handgelenks in physiologischer Stellung
- Bei dislozierter Gelenkfraktur: Wiederherstellen der Gelenkfläche durch zusätzliche K-Drähte und/oder Schrauben
- Spezifische Risiken: Metaphysäre Schaftsprengung des Mittelhandknochens bei falscher Technik
- Spezifische Nachsorge: Regelmäßige Kontrolle und Desinfektion der Pin-Eintrittsstellen
Die Anlage eines Fixateur externe kann temporär mit Verfahrenswechsel oder als definitive Versorgung erfolgen!
Bei Bedarf zusätzlich
- Offene Karpaldachspaltung
- Knochenaugmentation/-aufbau
- Therapie von Begleitverletzungen
Nachsorge
Hier das Wichtigste in Kürze. Für detailliertere Informationen siehe auch: Nachsorge in der Orthopädie und Unfallchirurgie und Nachbehandlungsschema bei distaler Radiusfraktur
- Thromboseprophylaxe: Basismaßnahmen wie Frühmobilisation und Bewegungsübungen [23]
- Regelmäßige Wund- und/oder Pinkontrollen
- Schwellungsprophylaxe durch Hochlagerung und Kühlung
- Schmerzadaptierte Analgesie mit NSAR
- Röntgenkontrollen: Intraoperativ und im Verlauf je nach Verfahren (bei K-Draht vor Materialentfernung und ansonsten in der 8. Woche nach Operation)
- Physiotherapie abhängig von der Therapie und der postoperativ erreichten Stabilität [17]
- K-Draht-Osteosynthese und Fixateur externe: Analog zur konservativen Therapie
- Schrauben- und Plattenosteosynthese
- Eigenständiges Beüben der angrenzenden Gelenke
- I.d.R. keine Ruhigstellung und meist ab OP-Tag bewegungsstabil → Aktive und passive Beübung des Handgelenks ohne Belastung
- Ab 4. Woche: Beginn mit Belastungsaufbau
- Ab 8. Woche: Unlimitierte Bewegung und Belastung
- Ab 3. Monat: Uneingeschränkte Sportfähigkeit
- Spezifische Nachsorge mit Art und Dauer der Ruhigstellung sowie Notwendigkeit einer Materialentfernung je nach Verfahren (siehe oben)
Komplikationen
- Allgemeine Komplikationen siehe:
- Spezielle Komplikationen
- Akutes posttraumatisches Karpaltunnelsyndrom
- Sekundäre Dislokation
- Heilung in Fehlstellung [5]
- Sehnenruptur (v.a. Sehne des M. extensor pollicis longus)
- Implantatlockerung/-wanderung/-bruch nach Operation
- Implantatfehllage [4]
- Arthrose
- Instabilität des Handgelenks (v.a. bei übersehenen Begleitverletzungen wie bspw. SL-Bandruptur)
- CRPS (Inzidenz: Ca. 3% aller distalen Radiusfrakturen unabhängig vom gewählten Therapieregime!) [5]
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Nachsorge
Folgende Nachbehandlungsvorschläge basieren auf den Empfehlungen der DGOU [17]. Diese Schemata sind jedoch an den individuellen Heilungsverlauf anzupassen und sollten grundsätzlich auch unter Berücksichtigung von Maßgaben der operierenden Person und/oder klinikinternen Standards erfolgen.
Für das allgemeine postoperative stationäre Management inkl. durchzuführender ärztlicher Verlaufskontrollen sowie für Empfehlungen zur Schmerztherapie und Thromboseprophylaxe siehe: Nachsorge in der Orthopädie und Unfallchirurgie
Nachbehandlungsschema bei intern stabilisierter distaler Radiusfraktur
Phase 1 – Ziel: Wundheilung und Abschwellung
- Tag 1–3 postoperativ: Bewegungsstabilität
- Schmerzarme und abschwellende Lagerung, ggf. unterstützende Hilfsmittel (bspw. Kompressionshandschuh)
- Aktive Bewegung der angrenzenden Gelenke (Schulter, Ellenbogen und Finger)
- Anleitung zum Eigen- und Verhaltenstraining (siehe auch: Allgemeine Verhaltensempfehlungen bei orthopädisch-unfallchirurgischen Erkrankungen)
- Röntgenkontrolle des Handgelenks in 2 Ebenen vor Entlassung
Phase 2 – Ziel: Passive und aktive Beweglichkeit
- Tag 4–Woche 4 postoperativ
- Assistive und aktive Flexion und Extension des Handgelenks im schmerzarmen Bereich
- Aktive Pro-/Supination im schmerzarmen Bereich
- Statisches Muskelaufbautraining
Phase 3 – Ziel: Reintegration in den Alltag
- Woche 5–6 postoperativ: Belastungsstabilität
- Muskelaufbautraining mit individueller Belastungssteigerung bis zur Vollbelastung unter Alltagsbedingungen
- Röntgenkontrolle des Handgelenks in 2 Ebenen vor Übergang zur Trainingsstabilität
Phase 4 - Ziel: Volle Belastbarkeit
- Ab 7. Woche postoperativ
- Übergang zur Trainingsstabilität
- Funktionstraining, ggf. Rehasport und -nachsorge
- Ab 3. Monat postoperativ: Wiederaufnahme des sportartspezifischen Trainings
Distale Radiusfraktur im Kindesalter
- Physiologische Grundlagen: Distaler Fugenschluss zwischen 16. und 19. Lebensjahr [26]
- Korrekturpotenzial von Fehlstellungen
- <10 Jahren: Sehr hoch
- 10–12 Jahre: Abnehmend
- >12 Jahre: Wenig bis keine Spontankorrektur mehr
- Frakturformen/-arten: Wulstfraktur, Grünholzfraktur, Fraktur mit Beteiligung der Epiphyse
- Klassifikation in stabil und instabil
- Klassifikation der Frakturen mit Epiphysenbeteiligung nach Salter-Harris
- Therapie
- Konservativ
- Indikation: Undislozierte, extraartikuläre Frakturen innerhalb der altersabhängigen Toleranzgrenzen
- Durchführung
- Unterarmgips für 3–4 Wochen (altersabhängig): Primär gespalten oder Schiene mit Wechsel nach 7 Tagen auf einen zirkulären Gips
- Möglichkeit der Gipskeilung
- Verhaltensempfehlungen analog zu Erwachsenen
- Operativ
- Indikation: Frakturen außerhalb der Toleranzgrenzen und bei Notfallindikationen (analog zum Erwachsenen)
- Durchführung
- K-Draht-Osteosynthese mit anschließender Ruhigstellung für 4–6 Wochen (Mittel der Wahl)
- Plattenosteosynthese in Ausnahmesituationen
- Fixateur externe bei offener Fraktur oder kritischer Weichteilsituation
- Siehe auch: Operative Therapie der distalen Radiusfraktur
- Konservativ
- Spezifische Komplikation: Wachstumsstörungen
Prävention
- Vermeidung von Unfällen
-
Osteoporoseprophylaxe
- Medikamentöse Prophylaxe
- Körperliches Training
- Adäquate Schutzausrüstung bei Sportarten mit hohem Sturz- und Verletzungsrisiko
- Behandlung von Erkrankungen mit Sturzrisiko
3D-Anatomie
In Kooperation mit Effigos bieten wir dir die Möglichkeit, Anatomie auch in 3D zu erfahren. Die Inhalte sind vielfach auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend. Neben Komplettmodellen bieten wir dir auch sprach- oder textgeführte Exkurse zu einzelnen Themen. In allen Versionen hast du die Möglichkeit mit den Modellen individuell zu interagieren, z.B. durch Schneiden, Zoomen oder Aus- bzw. Einblenden bestimmter Strukturen. Eine Übersicht über alle Inhalte findest du in dem Kapitel Anatomische 3D-Modelle. Die unterschiedlichen Pakete zu den 3D-Modellen findest du im Shop.
3D-Modell
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- S52.-: Fraktur des Unterarmes
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.