Zusammenfassung
Unter Hyperparathyreoidismus (HPT) werden alle Erkrankungen zusammengefasst, die mit einem erhöhten Spiegel von Parathormon (PTH) einhergehen. PTH wird in den Nebenschilddrüsen gebildet und führt zu einem Anstieg des Calciumspiegels im Serum. Die Diagnose eines HPT wird laborchemisch gestellt, weitere Untersuchungen dienen der Differenzialdiagnostik und dem Ausschluss von Folgeschäden.
Am häufigsten ist der primäre HPT, der auf Adenome oder Hyperplasien der Nebenschilddrüsen zurückzuführen ist und zu einer Hyperkalzämie führt. Diese kann verschiedene, teils unspezifische Symptome hervorrufen (Müdigkeit, Nierensteine, vermehrte Knochenbrüchigkeit und depressive Verstimmungen) oder auch völlig asymptomatisch bleiben. Therapie der Wahl ist die Entfernung der Nebenschilddrüsen.
Kommt es infolge einer Hypokalzämie oder einer Hyperphosphatämie reaktiv zu einem PTH-Anstieg, handelt es sich um einen sekundären HPT. Besteht dieser über einen langen Zeitraum, kann auch hier eine Autonomie der Nebenschilddrüsen entstehen und sich somit ein sog. tertiärer HPT entwickeln. Dem sekundären und tertiären HPT liegt in den meisten Fällen eine chronische Niereninsuffizienz zugrunde, die hauptsächlich über einen Mangel an aktivem Vitamin D und eine renale Phosphatretention einen PTH-Anstieg bewirkt. In diesem Fall steht die Therapie der Grunderkrankung im Vordergrund und eine frühzeitige Substitution von Vitamin D.
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Definition
Unter Hyperparathyreoidismus werden alle Erkrankungen zusammengefasst, die mit einem erhöhten Spiegel von Parathormon (PTH) einhergehen. Dabei werden unterschieden:
- Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT): Erhöhter PTH-Spiegel durch eine autonome Überfunktion der Nebenschilddrüsen
- Sekundärer Hyperparathyreoidismus (sHPT): Reaktiv erhöhte PTH-Sekretion durch erniedrigte Calcium- und/oder erhöhte Phosphatspiegel
- Tertiärer Hyperparathyreoidismus (tHPT): Autonome Überproduktion von PTH infolge einer langjährigen Überstimulierung der Nebenschilddrüsen im Rahmen eines sekundären Hyperparathyreoidismus
Epidemiologie
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Primärer Hyperparathyreoidismus [1][2]
- Adenome der Nebenschilddrüsen (ca. 85%)
- Meist solitär, seltener multipel
- Hyperplasien der Nebenschilddrüsen (ca. 15%)
- Selten
- Karzinome der Nebenschilddrüsen, MEN-Syndrome
- Radiogen induzierter HPT, Lithium-induziert [2]
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
- Renale Genese: Folge einer chronischen Nierenschädigung
- Nicht-renale Genese: Mangel an Calcium und/oder aktivem Vitamin D durch
- Verminderte Aufnahme: Malassimilation, Cholestase
- Verminderte Bildung/Aktivierung von Vitamin D3: Leberzirrhose, mangelnde Sonnenlichtexposition
Tertiärer Hyperparathyreoidismus
- Folge eines langjährigen, unbehandelten sekundären Hyperparathyreoidismus
Pathophysiologie
Physiologische Grundlagen
- Physiologische Stimulation der PTH-Sekretion
- Wirkung von PTH: Anstieg des Serumcalciums
- Für weiterführende Informationen siehe: Calcium- und Phosphathaushalt
Primärer Hyperparathyreoidismus
- Autonome Produktion von PTH in Adenom
- PTH-Produktion entkoppelt von Calciumserumspiegeln → Pathologische Hyperkalzämie
- Symptome: Primär durch Hyperkalzämie verursacht
- Bspw. Muskelschwäche, Übelkeit, Polyurie
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
- Reaktive Erhöhung der PTH-Produktion in den Nebenschilddrüsen
-
PTH-Produktion durch Hypokalzämie und/oder Hyperphosphatämie
- Wichtigste Ursache: Chronische Nierenerkrankungen
- Verringerte glomeruläre Filtration → Phosphatretention → Gesteigerte PTH-Sekretion
- Verminderte Aktivierung von Vitamin D in der Niere
- In der Folge Hypokalzämie → Gesteigerte PTH-Sekretion
- Wichtigste Ursache: Chronische Nierenerkrankungen
-
PTH-Produktion durch Hypokalzämie und/oder Hyperphosphatämie
- Symptome: Hauptsächlich durch Wirkung an den Knochen
- PTH↑ → Aktivierung von Osteoklasten → Reduktion der Knochendichte
Tertiärer Hyperparathyreoidismus
- Autonome Produktion von PTH in hyperplastischen Nebenschilddrüsen
- Langjähriger, unbehandelter sekundärer Hyperparathyreoidismus → Hyperplasie der Nebenschilddrüsen mit autonomer PTH-Produktion → Ähnliche Erscheinungsform und Laborkonstellation (Hyperkalzämie und PTH-Erhöhung) wie bei primärem Hyperparathyreoidismus
- Symptome: Insb. durch Kombination von Hyperphosphatämie und Hyperkalzämie
- Kalzifikationen
Beim primären Hyperparathyreoidismus kann eine Hyperplasie der Nebenschilddrüse die Ursache sein. Beim sekundären Hyperparathyreoidismus entsteht sie hingegen reaktiv!
Symptomatik
Primärer und tertiärer Hyperparathyreoidismus
- Meist asymptomatisch/unspezifisch
- Symptome einer Hyperkalzämie
- Niere
- Nephrolithiasis , selten: Nephrokalzinose
- Polyurie, Polydipsie
- Gastrointestinaltrakt
- Seltener: Ulcus ventriculi/duodeni , Pankreatitis, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Obstipation
- Psyche [5]
- Depressive Verstimmung bis hin zur manifesten Depression
- Psychotische Symptomatik
- Neuromuskulär: Proximale Muskelschwäche, Muskelatrophie
- Kardiovaskuläres System: Gefäßkalzifizierung durch erhöhte Calcium- und Phosphatspiegel
- Selten: Hyperkalzämische Krise
- Niere
- Folgen des erhöhten PTH-Spiegels
- Bewegungsapparat
- Knochen- und Gelenkschmerzen
- Verringerung der Knochendichte (Osteopenie) mit Frakturneigung
- Chondrokalzinose
- Osteolysen, bspw. Akroosteolysen an den Fingerknochen
- Bewegungsapparat
- Zusätzlich beim tertiären Hyperparathyreoidismus: Symptome der Grunderkrankung, insb. einer chronischen Nierenerkrankung
„Stein-, Bein- und Magenpein und ein bisschen traurig sein“!
Der Großteil der Betroffenen mit pHPT ist asymptomatisch oder hat nur unspezifische Beschwerden (Müdigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit)!
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
- Symptome einer möglichen Grunderkrankung (z.B. chronische Niereninsuffizienz), ansonsten meist asymptomatisch
- Ggf. diffuse Knochenschmerzen, Spontanfrakturen
- Pruritus
Ein sekundärer HPT führt nur in 5–10% der Fälle zu Beschwerden!
Diagnostik
Labor [2]
Indikation [6]
- Ein (primärer) Hyperparathyreoidismus sollte differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden bei:
- Nachgewiesener oder vermuteter Hyperkalzämie
- Auftreten von Nierensteinen
- Fragilitätsfrakturen
- Auffälligkeiten im Röntgen als Zufallsbefund
- Diffuse Osteopenie, Verkalkungen des Gelenkknorpels
- Subperiostale Resorptionslakunen: Zeigen sich frühzeitig an den Phalangen der Hand (Akroosteolysen)
- Osteodystrophia cystica generalisata von Recklinghausen (eingeblutete Resorptionszysten = braune Tumoren) eher selten
- Schädel: Verlust der normalen Dreischichtung der Schädelkalotte, granuläre Zeichnung (sog. „Pfeffer-und-Salz“-Schädel)
- Der V.a. einen sHPT oder tHPT ergibt sich i.d.R. aus der Grunderkrankung
Durchführung
- Zur Diagnosestellung
- Zur Differenzialdiagnostik
- Phosphat
- Alkalische Phosphatase
- Vitamin D3
- Kreatinin, GFR
- Ggf. Calcium-Kreatinin-Quotient im Urin
Die Diagnose eines Hyperparathyreoidismus wird laborchemisch gestellt!
Beurteilung
Überblick der Laborparameter beim Hyperparathyreoidismus | ||||
---|---|---|---|---|
Alkalische Phosphatase | Parathormon (PTH) | |||
Primärer Hyperparathyreoidismus | ↑ | ↓ | ↑ | ↑ |
n/↓ | n/↑ | ↑ | ↑ | |
Tertiärer Hyperparathyreoidismus | ↑ | ↑ | ↑ | ↑ |
- Für weitere Differenzialdiagnosen siehe: Laborkonstellation Knochenerkrankungen
Während beim primären (und tertiären) Hyperparathyreoidismus eine Erhöhung des Calciums im Serum zu erwarten ist, zeichnet sich der sekundäre Hyperparathyreoidismus häufig durch eine Hypokalzämie aus!
Weiterführende Diagnostik
- Beurteilung der Nebenschilddrüsen [1]
- Indikation: Zur Adenomsuche bei pHPT mit geplanter Nebenschilddrüsen-Resektion
- Ziel: Detektion möglicher Adenome zur fokussierteren Auswahl des OP-Zugangs
- Verfahren
- Sonografie der Halsregion
- Ggf. nuklearmedizinische Verfahren (SPECT oder PET/CT)
- Sonografie der Nieren: Zum Ausschluss von Nierensteinen und Nephrokalzinose
- Osteodensitometrie (DXA): Zur Beurteilung der Knochendichte, insb. bei weiteren Risikofaktoren für eine Osteoporose [2]
- Je nach Grunderkrankung ggf. weitere Diagnostik (siehe auch: Chronische Niereninsuffizienz)
Therapie
Therapie des primären Hyperparathyreoidismus
- Operativ[2]
- Ziel: Entfernung der Nebenschilddrüsen (total oder nur adenomatös vergrößerte Anteile) und somit Heilung der Erkrankung
- Indikationen
- Bei symptomatischem pHPT immer (wenn möglich)
- Bei asymptomatischem pHPT i.d.R. Operation empfohlen [2][4]
- Methode: Partielle oder totale Parathyreoidektomie
- Konservativ [1]
- Indikation: I.d.R. nur bei Kontraindikationen für ein operatives Vorgehen
- Allgemein
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr
- Vermeidung von Thiaziddiuretika
- Ggf. Osteoporosetherapie mit Bisphosphonaten oder Denosumab
- Ausreichende Zufuhr von Vitamin D und Calcium
- Bei Vitamin-D-Mangel vorsichtige Substitution (max. 1.000 IE/Tag) unter regelmäßiger Laborkontrolle
- Spezifisch: Calcimimetikum Cinacalcet
Die operative Entfernung der Nebenschilddrüsen ist die einzige kurative Therapieoption beim pHPT!
Therapie des sekundären und tertiären Hyperparathyreoidismus[8]
- Behandlung der (meist renalen) Grunderkrankung
- Frühzeitige Therapie des sHPT entscheidend, um Entwicklung eines tHPT zu vermeiden, hierzu:
- Bei bekannter Niereninsuffizienz frühzeitig Gabe von Vitamin D3 (Cholecalciferol)
- Bei stark fortgeschrittener Niereninsuffizienz Substitution von aktivem Vitamin D3 (Calcitriol)
- CAVE: Engmaschige Überwachung mit Kontrolle von Calcium, Phosphat und PTH alle 2 Wochen (insb. bei Gabe von Calcitriol)
- Ggf. Cinacalcet
- Ggf. totale Parathyreoidektomie mit Autotransplantation von Nebenschilddrüsengewebe
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 43-2018-1/3: Therapie des sekundären Hyperparathyreoidismus: Neue Medikamente, aber alte Fragen
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Hyperparathyreoidismus
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- E21.-: Hyperparathyreoidismus und sonstige Krankheiten der Nebenschilddrüse
- Exklusive: Osteomalazie: im Erwachsenenalter (M83.‑), im Kindes- und Jugendalter (E55.0)
- E21.0: Primärer Hyperparathyreoidismus
- Hyperplasie der Nebenschilddrüse
- Osteodystrophia fibrosa cystica generalisata [von-Recklinghausen-Krankheit des Knochens]
- E21.1: Sekundärer Hyperparathyreoidismus, anderenorts nicht klassifiziert
- Exklusive: Sekundärer Hyperparathyreoidismus renalen Ursprungs (N25.8)
- E21.2: Sonstiger Hyperparathyreoidismus
- Tertiärer Hyperparathyreoidismus
- Exklusive: Familiäre hypokalziurische Hyperkalziämie (E83.58)
- E21.3: Hyperparathyreoidismus, nicht näher bezeichnet
- E21.4: Sonstige näher bezeichnete Krankheiten der Nebenschilddrüse
- E21.5: Krankheit der Nebenschilddrüse, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.