Zusammenfassung
Die nicht-infektiöse Konjunktivitis kann verschiedene Ursachen haben, bspw. toxisch, autoimmun oder reizbedingt. Neben den klassischen Konjunktivitis-Symptomen (Rötung, Fremdkörpergefühl, Photophobie, Jucken/Brennen, vermehrte Sekretion) können einige Formen zu progredienten Hornhautschäden und Erblindung führen. Die allergische Konjunktivitis ist eine wichtige Form der nicht-infektiösen Konjunktivitis und wird in einem eigenen Kapitel dargestellt.
Bei Verdacht auf eine nicht-infektiöse Konjunktivitis sollte immer eine ophthalmologische Abklärung erfolgen. Die Therapie erfolgt entsprechend der Ursache und kann zusätzlich zu benetzenden Augentropfen die Gabe von Glucocorticoiden und Immunsuppressiva erforderlich machen.
Übersicht
Formen der nicht-infektiösen Konjunktivitis
- Sekundäre Konjunktivitis, bspw. durch physikalische oder toxische Einflüsse
- Beteiligung der Konjunktiven im Rahmen von systemischen Krankheiten
- Entzündliche Affektionen aufgrund einer Fehlfunktion der Augenanhangsgebilde (z.B. Dysfunktion der Meibom-Drüsen)
- Allergische Konjunktivitis
Sekundäre Konjunktivitis
- Physikalische Reizung (Trauma, Staub, Rauch, Zugluft, UV-Licht, Fremdkörper) oder Mitbeteiligung bei anderen okulären Erkrankungen (z.B. bei Blepharitis, Uveitis oder Keratitis)
- Toxische Reizung, bspw. durch Chemikalien oder Augentropfen
- Grunderkrankungen, bspw. Benetzungs- oder Tränenabflussstörungen
- Keratitis
Nicht-infektiöse Formen der Konjunktivitis können durch bakterielle Superinfektion in eine eitrige Konjunktivitis übergehen!
Keratoconjunctivitis sicca
Definition
Die Keratoconjunctivitis sicca ist eine multifaktorielle Erkrankung von Tränenfilm und Augenoberfläche. Neben reversiblen Sehstörungen und Fremdkörpergefühl kann es im Verlauf zu einer irreversiblen Schädigung der Augenoberfläche kommen. Sie kann als eigenes Krankheitsbild sowie in Folge vieler Oberflächenerkrankungen des Auges auftreten.
Epidemiologie [1]
- Prävalenz: Ca. 15% der Gesamtbevölkerung
- Alter: Häufig im Alter zwischen 40–50 Jahre [2], zunehmende Prävalenz mit steigendem Alter
- Geschlecht: ♀ > ♂ [2]
- Prävalenz der Meibom-Drüsen-Dysfunktion: Ca. 60–70% der 40-Jährigen
Formen [1]
- Hyposekretorische Form: Störungen der wässrig-muzinösen Tränenfilmanteile
- Hyperevaporative Form: Störungen der Lipidanteile der Tränenflüssigkeit (z.B. Blepharitis)
- Kombination aus beiden
Ätiologie [3]
- Mögliche Einflussfaktoren auf die Keratoconjunctivitis sicca
- Umweltfaktoren (bspw. Rauch, Ozon, Trockenheit, Klimaanlagen, Bildschirmarbeit)
- Erkrankungen des Auges
- Meibom-Drüsen-Dysfunktion (häufigste Ursache)
- Störungen der Lidstellung
- Hornhautoperationen
- Allergien
- Hormonstörungen
- Schilddrüsenerkrankungen (endokrine Orbitopathie)
- Androgenmangel
- Östrogentherapie
- Diabetes mellitus
- Immunologische und Autoimmunerkrankungen
- Sjögren-Syndrom
- Rheumatologische Erkrankungen
- Kollagenosen
- Sarkoidose
- Graft-versus-Host-Disease
- Dermatologische Erkrankungen
- Medikamente (bspw. Antihistaminika, Psychopharmaka, Betablocker)
- Radiatio des Kopfes
- Vitamin-A-Mangel (Xerophthalmie)
Pathophysiologie [3]
- Reduktion der Lipidphase durch Meibom-Drüsen-Dysfunktion (häufigste Ursache)
- Häufig Assoziation mit Blepharitis (Lidrandentzündung)
- Verringerte Mucinschicht durch Reduktion der Becherzellen
- Umweltfaktoren
- Chronische konjunktivale Erkrankungen
- Reduktion der wässrigen Phase durch Erkrankung der Tränendrüse
- Meist immunologische oder degenerative Ursachen
- Gestörte Regulation der Tränenfilmproduktion durch
- Androgenmangel
- Östrogentherapie
- Vermehrte Verdunstung des Tränenfilms durch
- Verminderte Frequenz des Lidschlags (bspw. durch Lesen, Bildschirmarbeit)
- Umweltfaktoren (bspw. Rauch, Ozon, Trockenheit, Klimaanlagen)
Klinik [1]
- Fremdkörpergefühl
- Brennen
- Rötung
- Lidrandrötung („müde Augen“)
- Intermittierendes Verschwommensehen
- Klebriges Sekret, insb. morgens
- Hornhautschädigung bis hin zum Visusverlust
Diagnostik [1][3]
- Klinik und Anamnese
- Bestimmung der Sehschärfe
- Inspektion der Haut von Gesicht und Lidern
- Ektropionieren
-
Spaltlampenuntersuchung
- Fluoreszein-Anfärbung
- Punktförmige Epithelläsionen der Hornhaut (Keratitis superficialis punctata sog. „Hornhautstippung“)
- Im Verlauf Ablösen des Epithels in fadenförmigen Strängen (Filamenten) und Anhaften an der Hornhaut (sog. Keratitis filiformis) [2]
- Fluoreszein-Anfärbung
- Schirmer-I-Test pathologisch
- Verkürzte Tränenfilmaufrisszeit (Break-Up-Time = BUT)
- Lidkantenparallele konjunktivale Falten (LIPCOF), insb. am temporalen Unterlid
- LIPCOF 0: Keine
- LIPCOF 1 und 2: Kleine konjunktivale Falten, kleiner als Tränenmeniskus
- LIPCOF 3: Konjunktivale Falten überragen Tränenmeniskus
- LIPCOF 4: Konjunktivale Falten überragen Lidkante
- Erweiterte Diagnostik
- Prüfung der Hornhautsensibilität
- Schirmer-II-Test
- Anfärben der Augenoberfläche mittels Lissamingrün oder Bengalrosa (1%ig)
- Transillumination der Meibom-Drüsen (Meibografie)
- Impressionszytologie
- Mikrobiologischer oder zytologischer Abstrich
- Tränenwegsspülung
- Laboruntersuchung entsprechend der Verdachtsdiagnose
Therapie [1]
- Allgemeine Maßnahmen
- Vermeidung von auslösenden Faktoren
- Korrektur von Fehlsichtigkeit, Schielstellung oder Lidfehlstellungen
- Lidrandpflege, Wärmeapplikation und Massage
- Tränenwegsokklusion
- Physikalischer Schutz vor Austrocknung (Brille mit Seitenschutz oder Uhrglasverband)
- Bei massiven Schmerzen und/oder Hornhautschäden: Therapeutische Kontaktlinsen
- Ggf. Eröffnung verschlossener Meibom-Drüsen durch Sondierung
- Medikamentöse Therapie
- (Konservierungsmittelfreie) Tränenersatzmittel (1. Wahl)
- Mögliche Wirkstoffe sind z.B. Polyvinylalkohol, Polyvinylpyrrolidon, Zellulosederivate, Hyaluronsäure, Carbomere, Mucinanaloga, Osmoprotektiva, Elektrolyt-Substitutionen und lipidhaltige Stoffe
- Bei massiven Beschwerden
- Bei Superinfektion: Antibiotika-Augentropfen
- Bei Persistenz trotz Tränenersatzmittel: Cyclosporin-A-Augentropfen
- Bei Keratinisierung von Augenoberflächenepithel: Vitamin-A-Säure-Augentropfen oder -salbe
- Bei Systemerkrankungen (z.B. Sjögren-Syndrom): Ggf. systemisch Glucocorticoide und/oder Immunsuppressiva
- (Konservierungsmittelfreie) Tränenersatzmittel (1. Wahl)
Augentropfen sollten immer konservierungsmittelfrei sein, da Konservierungsmittel die Symptomatik verschlechtern können!
Prognose
- Abhängig von der Ausprägung der Hornhautschädigung, bei starken Hornhautdefekten irreversibler Visusverlust
Okuläres Schleimhautpemphigoid
Definition
- Autoimmunerkrankung mit progredienter, vernarbender chronischer Konjunktivitis
- Im späteren Verlauf
- Zunehmende Schrumpfung der Bindehaut bis zur kompletten Bewegungsunfähigkeit des Augapfels
- Mögliche Beteiligung der Hornhaut mit Ulzerationen, Vernarbungen und schließlich Erblindung
- Viele Synonyme
Epidemiologie
- Inzidenz: Ca. 1/1.000.000 Einwohner in Deutschland, eine hohe Dunkelziffer wird vermutet [4]
- Alter: Meist >60 Jahre, in jedem Alter möglich [5]
- Geschlecht: ♀ > ♂ (1,6:1) [4]
Ätiologie und Pathogenese [4]
- Autoimmunerkrankung mit nur teilweise geklärtem Pathomechanismus
- Genetische Prädisposition und „epitope spreading“: Demaskierung von körpereigenen Strukturen durch vorausgehende inflammatorische Prozesse → Aktivierung von B- und T-Zellen mit Ausschüttung proteolytischer Enzyme und Zytokine sowie Produktion von Antikörpern gegen Proteine der Basalmembran → Anlagerung von Immunkomplexen entlang der epithelialen Basalmembran der Bindehaut und anderer Schleimhäute → Adhäsionsstörung zwischen Epidermis und Dermis → Subepitheliale Blasenbildung
- Siehe auch: Benignes Schleimhautpemphigoid
Symptomatik [2][5][6]
- Oft einseitiger Beginn, schubweiser Verlauf meist beidseitig
- Beteiligung anderer Schleimhäute des Körpers möglich
- Chronische Konjunktivitis mit schwerer Keratoconjunctivitis sicca : Konjunktivale Injektion , Irritation, Brennen, Fremdkörpergefühl, Photophobie, Tränenträufeln, schleimige Sekretion
- Progrediente Bindehautvernarbung und -schrumpfung
- Symblepharon
- Lidfehlstellungen, insb. Entropium, Trichiasis
- Hornhautläsionen bis zum Hornhautulkus, korneale Neovaskularisationen
- Endstadium: Eingemauerter Bulbus und Hornhautnarben bis zur Erblindung
Diagnostik [5]
- Anamnese
- Bestimmung der Sehschärfe
- Ektropionieren
- Spaltlampenuntersuchung
- Biopsie: Immunkomplexe entlang der epithelialen Basalmembran
- Nachweis von Antikörpern gegen die Basalmembran der Bindehaut und anderer Schleimhäute
Therapie [2][5]
- Die Behandlung sollte durch Spezialisten erfolgen!
- Allgemeine Maßnahmen
- Lidrandpflege
- Bei massiven Schmerzen und/oder Hornhautschäden: Therapeutische Kontaktlinsen
- Tränenwegsokklusion
- Physikalischer Schutz vor Austrocknung (Brille mit Seitenschutz oder Uhrglasverband)
- Medikamentöse Therapie
- (Konservierungsmittelfreie) Tränenersatzmittel
- Mögliche Wirkstoffe sind z.B. Polyvinylalkohol, Polyvinylpyrrolidon, Zellulosederivate, Hyaluronsäure, Carbomere, Mucinanaloga, Osmoprotektiva, Elektrolyt-Substitutionen und lipidhaltige Stoffe
- Glucocorticoid-Augentropfen (bspw. Prednisolon)
- Ggf. Serum-Augentropfen
- Bei Superinfektion: Antibiotika-Augentropfen
- Bei Keratinisierung von Augenoberflächenepithel: Vitamin-A-Säure 0,01% Augentropfen oder -salbe
-
Immunsuppressiva systemisch, bspw. Methotrexat oder Mycophenolatmofetil (1. Wahl) [2]
- oder Prednison, Ciclosporin A, Azathioprin, i.v. Immunglobuline
- oder Cyclophosphamid oder Biologika (nur bei sehr schweren Verläufen)
- (Konservierungsmittelfreie) Tränenersatzmittel
- Chirurgische Therapie
- Korrektur von Lidfehlstellungen
- Keratoplastik bei dichten Hornhautnarben
Chirurgische Eingriffe und die lokale Therapie mit Glucocorticoiden können die Progredienz der Erkrankung nicht beeinflussen; eine langfristige immunsuppressive Therapie kann den Prozess aufhalten!
Prognose [5]
- Häufig irreversible Visusminderung
Differenzialdiagnosen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- H10.-: Konjunktivitis
- Exklusive: Keratokonjunktivitis (H16.2)
- H10.2: Sonstige akute Konjunktivitis
- H10.3: Akute Konjunktivitis, nicht näher bezeichnet
- Exklusive: Ophthalmia neonatorum o.n.A. (P39.1)
- H10.4: Chronische Konjunktivitis
- H10.5: Blepharokonjunktivitis
- H10.8: Sonstige Konjunktivitis
- H10.9: Konjunktivitis, nicht näher bezeichnet
- H13.-*: Affektionen der Konjunktiva bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- H13.2*: Konjunktivitis bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
- H13.3*: Okuläres Pemphigoid (L12.-†)
- H13.8*: Sonstige Affektionen der Konjunktiva bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- M35.-: Sonstige Krankheiten mit Systembeteiligung des Bindegewebes
- M35.0: Sicca-Syndrom [Sjögren-Syndrom]
- Sjögren-Syndrom mit: Keratokonjunktivitis† (H19.3*), Lungenbeteiligung† (J99.1*), Myopathie† (G73.7*), tubulointerstitieller Nierenkrankheit† (N16.4*)
- Exklusive: Trockenes Auge (H04.1)
- M35.0: Sicca-Syndrom [Sjögren-Syndrom]
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.