Zusammenfassung
Bei der Myasthenia gravis (MG) handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung mit Störung der Signalübertragung an der Synapse zwischen Neuron und Muskel (an der sog. motorischen Endplatte). Hierbei werden die Rezeptoren für Acetylcholin auf der postsynaptischen Seite von Antikörpern blockiert und auch langfristig zerstört, sodass bei wiederholter Reizung die Reizantwort stetig kleiner ausfällt (sog. Dekrement). Das führt bei den Erkrankten zu einer unnatürlichen Ermüdbarkeit der Muskulatur, welche sich erst nach Schonung wieder erholt. Die MG geht oft mit Veränderungen des Thymus einher, eine Thymektomie ist bei vielen Betroffenen sinnvoll. Die symptomatische Therapie mit Cholinesterasehemmern erhöht die Konzentration von Acetylcholin im synaptischen Spalt. Durch Immunsuppressiva kann zusätzlich die Antikörperbildung reduziert werden. Dadurch wird häufig eine Remission erreicht. Eine relativ seltene, aber potenziell tödliche Komplikation der Myasthenia gravis ist die myasthene Krise, bei der es zur abrupten Verschlechterung der Symptomatik kommt.
Epidemiologie
- Inzidenz: 0,25–3,0 Fälle/100.000 Einwohner:innen pro Jahr
- Prävalenz: Etwa 15/100.000 Einwohner:innen [1]
- Geschlecht: ♀ > ♂ (3:2)
- Alter
- In jedem Alter möglich (auch Kinder, 10% der Fälle)
- Zwei Häufigkeitsgipfel
- 30–40 Jahre (mehr Frauen)
- 60–80 Jahre (mehr Männer)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Autoimmunerkrankung: I.d.R. gekennzeichnet durch eine Produktion von Autoantikörpern gegen den postsynaptischen Acetylcholinrezeptor
- Ätiologische Faktoren
- Thymusveränderungen: Thymushyperplasie oder Thymom (Myasthenia gravis als Paraneoplasie) mit (für den Thymus sonst untypischen) Sekundärfollikeln und B-Lymphozyten bei den meisten an Myasthenia gravis erkrankten Personen
- Assoziation mit Autoimmunerkrankungen: Insb. Hashimoto-Thyreoiditis, rheumatoide Arthritis, Sarkoidose, systemischer Lupus erythematodes
- Auftreten nach Stammzelltransplantation: In Einzelfällen als Graft-versus-Host-Krankheit nach hämatoonkologischen Transplantationen von Stammzellen .
Klassifikation
Nach Antikörperserologie
- Seropositive Variante (85% der Fälle)
- Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (Anti-AChR-AK)
- Antikörper gegen die muskelspezifische Rezeptortyrosinkinase (Anti-MuSK-AK)
- Antikörper gegen das LDL Receptor-related Protein 4 (Anti-LRP4-AK)
- Antikörper gegen Agrin (Anti-Agrin-AK)
- Seronegative Variante (15% der Fälle)
Nach klinischer Ausprägung
Einteilung der Myasthenia Gravis Foundation of America (MGFA), modifiziert nach Ossermann | ||
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Form | Schweregrad | Symptome |
Okuläre Myasthenie |
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Generalisierte Myasthenie |
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Nach klinisch-pathogenetischen Gesichtspunkten
- Early-onset Myasthenia gravis (EOMG)
- Relative Häufigkeit: 20%
- Alter: <50 Jahre, insb. Frauen
- Verlauf: Generalisiert
- Autoantikörper: Anti-AChR-AK
- Thymus: Hyperplasie, Thymektomie mit gutem Effekt bei früher Durchführung
- Immuntherapie: Gutes Ansprechen
- Late-onset Myasthenia gravis (LOMG)
- Relative Häufigkeit: 45%
- Alter: ≥50 Jahre, insb. Männer
- Verlauf: Generalisiert
- Autoantikörper: Anti-AChR-AK, Anti-Titin-AK, Anti-RyR-AK
- Thymus: Atrophie
- Immuntherapie: Gutes Ansprechen
- Juvenile Myasthenia gravis (jMG)
- Relative Häufigkeit: 10%
- Alter: Präpubertäre (Alter <11 Jahren) vs. pubertäre Form (11–16 Jahre), insb. Mädchen
- Verlauf: Okulär oder generalisiert
- Autoantikörper: Anti-AChR-AK, Anti-MuSK-AK, Anti-LRP4-AK
- Thymus: Lymphofollikuläre Hyperplasie, Thymektomie ab 13 Jahren (bei jüngeren Kindern nur bei medikamentösem Therapieversagen)
- Immuntherapie: Sehr gutes Ansprechen, Remissionsrate höher als bei Erwachsenen, Therapie wie bei Erwachsenen
- Thymom-assoziierte Myasthenia gravis (TAMG)
- Relative Häufigkeit: 15%
- Alter: Meist im Alter von 40–60 Jahren, beide Geschlechter gleichermaßen betroffen
- Verlauf: Generalisiert
- Autoantikörper: Anti-AChR-AK, Anti-Titin-AK, Anti-RyR-AK, Anti-TRPC2-AK , Anti-IL12-AK , Anti-IFN-α-AK , Anti-IFN-γ-AK
- Thymus: Thymom, Thymektomie notwendig, häufig mit unzureichender Symptombeeinflussung
- Immuntherapie: Schlechteres Ansprechen
- Anti-MuSK-AK-assoziierte Myasthenia gravis (MAMG)
- Relative Häufigkeit: 5%
- Alter: Häufig jüngeres Erkrankungsalter, insb. Frauen
- Verlauf: Generalisiert, Gesichts- und Schlundmuskulatur schwerpunktmäßig betroffen
- Autoantikörper: Anti-MuSK-AK
- Thymus: Unauffällig, Thymektomie nicht indiziert
- Immuntherapie: Schlechteres Ansprechen
- Okuläre Myasthenia gravis (OMG)
- Relative Häufigkeit: 15%
- Alter: Jedes Lebensalter, insb. Frauen
- Verlauf: Okulär
- Autoantikörper: Anti-AChR-AK (50–70%)
- Thymus: Fehlende Daten
- Immuntherapie: Gutes Ansprechen
Pathophysiologie
Autoantikörper → Bindung und Blockade postsynaptischer Acetylcholinrezeptoren → Bei Ausschüttung von Acetylcholin in den synaptischen Spalt abgeschwächte neuromuskuläre Übertragung → Zusätzliche Entleerung (Depletion) der präsynaptischen Acetylcholinspeicher bei repetitiven Reizen → Weitere Abschwächung der neuromuskulären Übertragung (Korrelat: Dekrement im ENG) → Querverbindung von Acetylcholinrezeptoren → Endozytose dieser Acetylcholinrezeptoren → Abnahme der Rezeptordichte → Mittelfristig Destruktion der postsynaptischen ACh-Rezeptoren durch Komplementaktivierung → Langfristig struktureller Umbau der postsynaptischen Membran und Verbreiterung des synaptischen Spaltes
Symptomatik
- Okuläre Muskulatur: Ein- oder beidseitige Ptosis, Diplopie , wechselnde Augenmuskelparesen
- Bulbäre Muskulatur: Dysarthrie, Dysphagie und schlaffe Gesichtszüge (sog. Facies myopathica)
- Skelettmuskulatur
- Proximal betonte Schwäche der Extremitäten
- Häufig Kopfhalteschwäche
- In schweren Fällen Schwäche der Atemhilfsmuskulatur mit Dyspnoe
- Leichte Muskelschmerzen möglich
- Im Verlauf Muskelatrophien
- Klinisches Bild
- Chronologie
- Zuerst meist Doppelbilder sowie Schluck- und Sprechbeschwerden (Ermüdung der äußeren Augenmuskulatur, Lidheber, Kau- und Schlundmuskulatur)
- Später Beteiligung anderer Muskelgruppen
- Erhaltene Sensibilität und Muskeleigenreflexe
- Fluktuation
- Auftreten der Symptome insb. nach wiederholter Beanspruchung
- Zunahme im Tagesverlauf, bei Infekten, während der Menstruation und in Stresssituationen
- Fatigue bei ca. 80%
- Chronologie
Hauptsymptom ist die unnatürliche Ermüdbarkeit der Muskulatur!
Diagnostik
Allgemeines Vorgehen
- Anamnese: Verdachtsdiagnose stellen
- Körperliche Untersuchung: Belastungsabhängige Muskelschwäche objektivieren
- Weiterführende Diagnostik: Diagnose bestätigen
- Pharmakologische Testung
- Labordiagnostik
- Elektrophysiologische Diagnostik
- Bildgebung
Körperliche Untersuchung
Belastungstests
- Ziel: Vorzeitige Ermüdbarkeit der Muskulatur aufdecken und orientierend graduieren
- Okuläre Muskulatur
- Simpson-Test: Provokation einer (meist asymmetrischen) Ptosis beim Aufwärtsblick über eine Minute
- Signe des Cils
- Cover-Test
- Eisbeutel-Test: Verbesserung der myasthenen Symptomatik durch Kälte
- Rumpf- und proximale Extremitätenmuskulatur: Vorzeitiges Absinken gilt als positiver Testbefund
- Armhalteversuch für 240 s
- Beinhalteversuch für 100 s
- Kopfhalteversuch für 120 s
Quantitative Myasthenia Gravis Score (QMG-Score)
- Ziel: Klinischen Befund quantifizieren
- Indikation
- Bei auffälligen Belastungstests
- Ersetzt Besinger-Score
Quantitative Myasthenia Gravis-Score (QMG-Score) [2][3] | ||||
---|---|---|---|---|
Klinischer Befund | Schweregrad (Punkte) | |||
Normal (0) | Leicht (1) | Mittel (2) | Schwer (3) | |
Doppelbilder | 60 s | 11–59 s | 1–10 s | Spontan |
Ptose | 60 s | 11–59 s | 1–10 s | Spontan |
Mimik | Vollständig | Vollständig, abgeschwächt, gegen geringen Widerstand möglich | Vollständig, nicht gegen Widerstand möglich | Unvollständig |
Schlucken | Normal | Geringes Husten oder Räuspern | Husten, Aspiration oder nasale Regurgitation | Nicht möglich (Test nicht empfohlen) |
Dysarthrie | Fehlerfreies Zählen bis 50 | Dysarthrie beim Zählen zwischen 30 und 49 | Dysarthrie beim Zählen zwischen 10 und 29 | Dysarthrie beim Zählen ≤9 |
Armhaltezeit rechts | >240 s | 90–239 s | 10–89 s | 0–9 s |
Armhaltezeit links | >240 s | 90–239 s | 10–89 s | 0–9 s |
FEV1 | ≥80% | 65–79% | 50-64% | <50% |
Handkraft rechts (♂ / ♀) | ≥45 kg / ≥30 kg | 15–44 kg / 10–29 kg | 5–14 kg / 5–9 kg | ≤4 kg |
Handkraft links (♂ / ♀) | ≥35 kg / ≥25 kg | 15–34 kg / 10–24 kg | 5–14 kg / 5–9 kg | ≤4 kg |
Kopfhaltezeit | 120 s | 30–119 s | 1–29 s | 0 s |
Beinhaltezeit rechts | 100 s | 31–99 s | 1–30 s | 0 s |
Beinhaltezeit links | 100 s | 31–99 s | 1–30 s | 0 s |
Auswertung | Gesamtpunktzahl: 0–9 (milde Symptome), 10–16 (moderate Symptome), >16 (schwere myasthene Symptome) |
Besinger-Score (veraltet)
Besinger-Score zur Verlaufsdokumentation des klinischen Befundes | ||||
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Symptomausprägung (Punkte) | Normal (0) | Leicht (1) | Mittel (2) | Schwer (3) |
Armhaltezeit | >180 s | 60–180 s | 10–60 s | <10 s |
Beinhaltezeit | >45 s | 30–45 s | 5–30 s | <5 s |
Kopfhaltezeit | >90 s | 30–90 s | 5–30 s | <5 s |
Vitalkapazität | 4 L (♂), 3 L (♀) | 2,5–4 L (♂), 2–3 L (♀) | 1,5–2,5 L (♂), 1,2–2 L (♀) | |
FEV1 | >90% | 60–90% | 40–60% | <40% |
Kauen/Schlucken | Normal | Ermüdung bei fester Nahrung | Nur weiche Nahrung | Magensonde |
Mimik | Normal | Schwacher Lidschluss | Inkompletter Lidschluss | Keine Mimik |
Zeit bis zum Auftreten von Doppelbildern | >60 s | 10–60 s | 1–10 s | Spontan |
Zeit bis zum Auftreten einer Ptosis | >60 s | 10–60 s | 1–10 s | Spontan |
Berechnung und Auswertung |
|
Pharmakologische Testung
- Testprinzip: Prüfung der Verbesserung einer manifesten myasthenen Symptomatik nach Verabreichung eines Cholinesterasehemmers
- Edrophoniumtest (ehemals Tensilontest )
- Wirkstoff: Edrophoniumchlorid (kurzwirksamer Cholinesterasehemmer)
- Indikation: Standardverfahren bei V.a. Myasthenia gravis
- Durchführung
- Venösen Zugang legen
- Notfallkoffer in Reichweite
- Aufziehen von Edrophoniumchlorid
- Aufziehen von Atropin , Gabe bei Auftreten muskarinerger Nebenwirkungen (Bradykardie, hypotoner Kreislaufreaktion oder Bronchospasmen)
- Gabe einer Testdosis Edrophoniumchlorid (2 mg, entsprechend 2 mL), bei guter Verträglichkeit nach jeweils einer Minute fraktionierte Gabe von 3 mg (entspricht 3 mL) und dann 5 mg (entspricht 5 mL)
- Ggf. Fotodokumentation nach Wirkeintritt
- Effekt: Verbesserung der Symptomatik binnen 30–60 s nach Injektion, sofern eine Störung der neuromuskulären Übertragung vorliegt
- Kontraindikationen: Bradykarde Herzrhythmusstörungen, Asthma bronchiale
- Pyridostigmintest
- Wirkstoff: Pyridostigmin (Cholinesterasehemmer)
- Indikation: Höheres Alter, in ambulanter Praxis, keine Verfügbarkeit von Edrophonium
- Durchführung
- Orale Gabe von Pyridostigmin [2]
- Ggf. Fotodokumentation nach Wirkeintritt
- Effekt: Orale Gabe von Pyridostigmin führt zur Besserung der myasthenen Symptomatik nach 45–60 min
Labordiagnostik
Serologie
- Basisdiagnostik [2]
-
Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (Anti-AChR-AK)
- Positiv bei etwa 50% der Personen mit okulärer Myasthenie
- Positiv bei etwa 90% der Personen mit generalisierter Myasthenie
- Positiv bei fast 100% der Personen mit paraneoplastischer Myasthenie bei Thymom
- Antikörper gegen die muskelspezifische Rezeptortyrosinkinase (Anti-MuSK-AK)
- Antikörper gegen LDL Receptor-related Protein 4 (Anti-LRP4-AK), Antikörper gegen Agrin (Anti-Agrin-AK)
-
Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (Anti-AChR-AK)
- Spezielle Antikörper-Diagnostik
- Antikörper gegen spannungsabhängige Calciumkanäle (Anti-VGCC-AK)
- Antikörper gegen Titin (Anti-Titin-AK)
Sonstige Labordiagnostik
- Routinelabordiagnostik: Kleines Blutbild, CRP, Elektrolyte, Schilddrüsenhormone
- Zusatzdiagnostik
- Differenzialdiagnostische Parameter: Kreatinkinase (CK) bei klinischem V.a. eine Myopathie oder Myositis (siehe auch: Differenzialdiagnosen der Myasthenia gravis)
- Weitere Autoantikörper: Bei klinischem V.a. assoziierte Autoimmunerkrankungen (bspw. Hashimoto-Thyreoditis oder rheumatoide Arthritis)
- Molekulargenetische Diagnostik: Ausschluss eines kongenitalen myasthenen Syndroms (sehr selten)
- Liquordiagnostik: Ausschluss entzündlicher ZNS-Erkrankungen
Elektrophysiologische Diagnostik
- Dekrement-Test
- Reiz- und Ableitungsort: Bspw. N. accessorius (M. trapezius), N. axillaris (M. deltoideus), N. facialis (M. mentalis, M. nasalis oder M. orbicularis oculi)
- Befund: Dekrement
- Durchführung
- Mehrminütige Ruhezeit nach vorheriger muskulärer Beanspruchung
- Fixierung der zu untersuchenden Muskeln
- Repetitive supramaximale Reizung mit 3 Hz, 5–10 Reize
- Ableitung mit Oberflächenelektroden
- Wiederholung bei grenzwertigen Befunden
- Kombination mit Edrophoniumtest möglich
- Befundung: Jedes Dekrement ist als pathologisch anzusehen
- Amplitudenreduktion >8% zwischen der Amplitude der 1. Reizantwort und der niedrigsten Amplitude der 2. bis 5. Reizantworten
- Differenzialdiagnosen bei pathologischem Dekrement
- Einzelfaser-EMG
- Indikation: Insb. bei okulärer Myasthenie und fehlendem Autoantikörper-Nachweis
- Befundung: Erhöhter Jitter als pathologischer Befund feststellbar
Bildgebung
- Indikation: Bei V.a. oder nachgewiesene Myasthenia gravis
- Durchführung: CT oder MRT des Mediastinums mit Kontrastmittel zur Darstellung von Thymusveränderungen
- CT-Befund: I.d.R. solide kontrastmittelaufnehmende Raumforderung im vorderen Mediastinum
- Benignes Thymom
- Homogene, scharf begrenzte runde/ovale Struktur
- I.d.R. solide; selten sind zystische Anteile erkennbar
- Invasives Thymom und Thymuskarzinom
- Unscharf begrenzte Struktur mit Infiltration benachbarter Organe
- Indirekte Zeichen wie Lymphknotenvergrößerung, Pleura- und Perikardverdickungen und Ergussbildung
- Benignes Thymom
- Sonderfälle
Bei klinisch objektivierbarer belastungsabhängiger Muskelschwäche sollte die Diagnose einer Myasthenia gravis durch pharmakologische Testung, Autoantikörperdiagnostik oder Elektrophysiologie bestätigt werden!
Insb. bei isolierten oder schmerzhaften Augenbewegungs- oder Schluckstörungen sowie generalisierter Muskelschwäche sollten Differenzialdiagnosen der Myasthenia gravis abgeklärt werden!
Differenzialdiagnosen
Andere Störungen der neuromuskulären Übertragung
- Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom
- Arzneimittel-induzierte Myasthenie
- Kongenitale myasthene Syndrome
- Botulismus
Myopathien
- Okulopharyngeale Muskeldystrophie (OPMD)
- Chronisch progressive externe Ophthalmoplegie
Myositissyndrome [2]
- Einschlusskörpermyositis
- Dermatomyositis
- Polymyositis
- Weitere Sonderformen der Polymyositis und Dermatomyositis
Motoneuronenerkrankungen
- Amyotrophe Lateralsklerose [2][4]
- Verlaufs- und Sonderformen der amyotrophen Lateralsklerose
Weitere Ursachen von Augenmuskelparesen
- Okuläre Myositis [5]
- Okuläre Symptome bei Multipler Sklerose
- Endokrine Orbitopathie
Affektionen der Hirnnerven III, IV oder VI (bei rein okulären Symptomen)
- Raumforderungen im Verlauf des Nerven
- Tumoren
- Aneurysmen der A. carotis interna
- Sinus-cavernosus-Fistel
- Entzündungen
- Hirnstammischämie
- Guillain-Barré-Syndrom (Variante: Miller-Fisher-Syndrom )
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Andere myasthene Syndrome
Lambert-Eaton-Syndrom (LEMS, Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom)
- Ätiologie
- Paraneoplastisch, insb. (50–80%) bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen, aber auch bei anderen malignen Tumorerkrankungen (etwa Prostatakarzinom, Lymphome)
- Idiopathisch bzw. autoimmun (häufig mit Autoimmunerkrankungen wie einer Hashimoto-Thyreoiditis oder Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises assoziiert)
- Pathophysiologie: Präsynaptische Störung durch pathognomonische Antikörper gegen spannungsabhängige Calciumkanäle (Anti-VGCC-AK) → Verminderte exozytotische Freisetzung von Acetylcholin → Verminderte Konzentration von Acetylcholin im synaptischen Spalt → Geringere Bindung an die intakten postsynaptischen Acetylcholinrezeptoren → Verringerte Muskelaktionspotenziale → Muskuläre Schwäche
- Bildung der Antikörper als Immunreaktion auf die Tumorerkrankung (paraneoplastisch) bzw. aus unbekannter Ursache (idiopathisch)
Klinisches Bild
- Belastungsabhängige proximal-betonte Schwäche der Extremitäten, v.a. nach längeren Ruhephasen, bspw. morgens
- Vegetative Störungen wie Mundtrockenheit, Harnverhalt, Hypohidrosis, erektile Dysfunktion und Obstipation
- Auftreten der myasthenen Symptomatik i.d.R. vor etwaigen Symptomen des auslösenden Tumorleidens
- Abgrenzung zur Myasthenia gravis
- Symptomausbreitung i.d.R. von kaudal nach kranial [2]
- Doppelbilder, Ptose und Schluckstörungen seltener und später im Krankheitsverlauf
- Abgeschwächte Muskeleigenreflexe [6]
Diagnostik
- DELTA-P-Score: Zur Abschätzung des Risikos einer paraneoplastischen Genese des LEMS (pLEMS) [2]
- Kriterien (1 Punkt pro erfülltem Kriterium)
- Bulbäre Beteiligung (Dysarthrie, Dysphagie, Dropped-Head-Syndrom)
- Erektile Dysfunktion (Erectile Dysfunction)
- Gewichtsverlust ≥5% (Loss of Weight)
- Rauchen zum Zeitpunkt der Erkrankung (Tobacco at Onset)
- Alter ≥50 Jahre (Age)
- Karnofsky-Index <70 (Performance in Karnofsky Score)
- Interpretation: Bei ≥3 Punkten Wahrscheinlichkeit für pLEMS >90%
- Kriterien (1 Punkt pro erfülltem Kriterium)
- Labordiagnostik
- Antikörper gegen spannungsabhängige Calciumkanäle (Anti-VGCC-AK): Bei 85% der Patient:innen
- Antikörper gegen den Transkriptionsfaktor SOX1 (Anti-SOX1-AK): Bei 65% der Patient:innen mit paraneoplastischem LEMS, nur bei 5% mit idiopathischem LEMS
- Kein Nachweis von Antikörpern gegen den Acetylcholinrezeptor
- Edrophonium- oder Pyridostigmin-Test: Nicht obligat, häufig negativ
- Dekrementtest
- Befund: Zunächst Amplitudendekrement der Muskelsummenaktionspotenziale bei niederfrequenter Stimulation, dann Amplitudeninkrement nach Willkürkontraktion
- Durchführung
- Supramaximale Einzelstimulation eines peripheren Nerven und Ableitung des Muskelsummenaktionspotenzials vom innervierten Muskel: Erniedrigte Ausgangsamplitude
- Tonische Willkürkontraktion des zu untersuchenden Muskels über einige Sekunden
- Erneute Einzelstimulation: Amplitudeninkrement >60% im Vergleich zur Voruntersuchung (Fazilitierung)
- Auf die schmerzhafte Serienstimulation mit Frequenzen von über 30 Hz (positiver Befund: Amplitudeninkrement) kann i.d.R. verzichtet werden
- Bildgebung
Therapie
- Paraneoplastisches LEMS
- Onkologische Behandlung der Tumorerkrankung (z.B. mit Radiochemotherapie, Operation)
- Symptomatische Therapie mit Amifampridin oder Pyridostigmin (siehe unten)
- Immunsuppressiva: In Einzelfällen bei Syndrompersistenz nach Tumortherapie
- Autoimmunes LEMS
- Amifampridin (3,4-Diaminopyridin): Symptomatische Therapie
- Wirkmechanismus: Blockade spannungsabhängiger Kaliumkanäle → Verlängerung der präsynaptischen Depolarisation → Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration → Verstärkung der Acetylcholinfreisetzung aus präsynaptischen Vesikeln → Steigerung der neuromuskulären Überleitung → Verbesserung der Muskelkraft
- Therapiemonitoring: Regelmäßige EKG-Kontrollen; Nieren- und Leberparameter sowie Blutbild aufgrund des toxischen Potenzials
- Interaktionen: Zahlreiche Wechselwirkungen (insb. Antidepressiva, atypische Antipsychotika, Theophyllin)
- Kontraindikationen
- Epilepsie
- Therapeutisch schwer einstellbares Asthma bronchiale
- Long-QT-Syndrom
- Medikamente mit Möglichkeit einer QT-Zeit-Verlängerung
- Häufige unerwünschte Wirkungen: Parästhesien, gastrointestinale Beschwerden, Schwindel, Hyperhidrosis
- Pyridostigmin: In Einzelfällen symptomatisch wirksam; ggf. Kombination mit Amifampridin sinnvoll
- Immunsuppressive Therapie: Indiziert bei ungenügendem Ansprechen auf Amifampridin
- Kombinationstherapie mit Glucocorticoiden und Azathioprin wie bei Myasthenia gravis
- Andere Immunsuppressiva alternativ zu Azathioprin in Einzelfällen (Off-Label Use, bspw: Mycophenolat-Mofetil, Ciclosporin A, Tacrolimus oder Rituximab)
- Intravenöse Immunglobuline (IVIG): Bei krisenhafter Verschlechterung oder Kontraindikation für andere Immuntherapeutika [2]
- Nicht indiziert: Thymektomie
- Amifampridin (3,4-Diaminopyridin): Symptomatische Therapie
Kongenitale myasthene Syndrome (CMS)
- Definition: Sehr seltene Störungen der prä- oder postsynaptischen neuromuskulären Übertragung infolge verschiedener Gendefekte
- Klinisches Bild
- Leitsymptom: Abnorme Ermüdbarkeit der Muskulatur
- Phänotypisch sehr heterogen
- Diagnose
- Diagnose wird i.d.R. im Säuglings- oder Kindesalter gestellt, Manifestationen im Erwachsenenalter sind selten
- Ausschluss einer Myasthenia gravis (Anti-AChR-AK und Anti-MuSK-AK negativ)
- Elektroneurografie mit repetitiver Stimulation
- Molekulargenetische Diagnostik
- Therapie
- Symptomatisch (Therapieversuche etwa mit Pyridostigmin, 3,4-Diaminopyridin)
- Supportive Therapie je nach klinischem Bild
- Prognose: Heterogen, blande Verläufe mit geringer Schwäche nach starker Belastung bis hin zum Tod im Kleinkindalter
Neonatale Myasthenie
- Definition: Myasthenie bei Neugeborenen infolge des plazentaren Übertritts von Autoantikörpern von an Myasthenie erkrankten Müttern
- Epidemiologie: 10–20% der Schwangerschaften von an Myasthenie erkrankten Frauen
- Klinisches Bild
- Variabel
- Hypotonie, Saugschwäche, Ptosis, respiratorische Insuffizienz
- Therapie
- Neostigmin i.m. (Off-Label Use)
- Ggf. Plasmapherese und/oder maschinelle Beatmung
- Prognose
- Gut, vorübergehende Symptomatik über einige Wochen
- Im Verlauf kein erhöhtes Erkrankungsrisiko
Arzneimittel-induzierte Myasthenie
- Definition: Myasthenie infolge D-Penicillamin- oder Chloroquin-Einnahme
- Therapie
- Absetzen der auslösenden Medikation
- Gutes Ansprechen auf Cholinesterasehemmer
- Prognose: Rückbildung
Therapie
Therapieprinzipien
- Ziel: Bestmögliche Krankheitskontrolle (Remission) und Wiedererlangen bzw. Erhalt der Lebensqualität
- Grundsatz: Multimodale Therapie, vorwiegend ambulant, in enger Abstimmung mit Myastheniezentren
- Therapeutische Optionen
- Symptomatische Therapie: Cholinesterasehemmer
- Verlaufsmodifizierende Therapie (siehe auch: Verlaufsmodifizierende Stufentherapie der Myasthenia gravis)
- Immuntherapie
- Thymektomie
- Interventionstherapie bei schwerer Exazerbationen oder myasthener Krise
Cholinesterasehemmer
- Indikation: Basistherapie bei jeder Form der Myasthenia gravis
- Wirkstoffe: Pyridostigmin, Neostigmin und weitere
- Wirkmechanismus: Reversible Blockade der Acetylcholin-Esterase → Verhinderung des Abbaus von Acetylcholin → Steigerung des Acetylcholin-Angebots im synaptischen Spalt → Verringerung der Muskelschwäche
- Siehe auch: Medikamentöse Therapie der Myasthenia gravis
Cholinesterasehemmer gehören zu den indirekten Parasympathomimetika und können als unerwünschte Wirkung Symptome einer Parasympathikusaktivierung (bspw. Durchfall, Miosis, Bradykardie) hervorrufen – bis hin zur cholinergen Krise bei deutlicher Überdosierung!
Verlaufsmodifizierende Immuntherapie
- Indikation: Bei allen Formen der Myasthenia gravis, da i.d.R. unzureichendes Ansprechen auf Monotherapie mit Cholinesterasehemmern
- Wirkstoffe
- Erstlinientherapie
- Glucocorticoide
- Initialtherapie zur kurz- und mittelfristigen Immunsuppression bei Myasthenia gravis als Mono- oder Kombinationstherapie mit anderen Immuntherapeutika, z.B. mit Azathioprin
- Kombination mit Azathioprin erlaubt i.d.R. Reduktion der Glucocorticoiddosierung
- Azathioprin
- Mittel- und langfristige Immunsuppression als Mono- oder Kombinationstherapie (mit Glucocorticoiden)
- Bei unzureichendem Ansprechen: Umstellung auf antikörperspezifische Immuntherapie erwägen
- Glucocorticoide
- Stufentherapie mit spezifischen Immuntherapeutika je nach Krankheitsaktivität und Antikörperstatus
- Milde/moderate Krankheitsaktivität
- Erstlinientherapie ohne Unterscheidung nach Antikörperstatus
- Eskalationsansatz: Therapiebeginn mit niedrig-potenterem, nebenwirkungsarmem Immuntherapeutikum, bei unzureichender Wirkung ggf. Eskalation
- Hohe Krankheitsaktivität
- Therapiebeginn mit Therapeutikum höherer Wirkeffizienz (bspw. Rituximab )
- Ggf. frühzeitiger Einsatz antikörperspezifischer Immuntherapeutika als Add-on-Therapie, bspw.
- Komplementinhibitoren (bspw. Eculizumab)
- FcRn-Modulatoren (bspw. Efgartigimod alfa)
- Milde/moderate Krankheitsaktivität
- Siehe auch: Verlaufsmodifizierende Stufentherapie der Myasthenia gravis
- Erstlinientherapie
Die Erstlinientherapie der Myasthenia gravis besteht aus Cholinesterasehemmern und einer Immuntherapie mit Glucocorticoiden und/oder Azathioprin!
Maßnahmen vor Beginn einer Immuntherapie
- Ausschluss einer latenten Tuberkulose
- Prüfung des Impfstatus
- Standardimpfungen nach Impfkalender der STIKO
- Abschluss der Impfungen spätestens 4 Wochen vor Therapiebeginn
- Meningokokken-Impfung : Vor Therapie mit Komplementinhibitoren
- Kontrazeption und Kinderwunschberatung, siehe auch: Schwangerschaft und Myasthenie
- Präparatewahl und -dosierung
- Kontraindikationen und Komorbiditäten beachten
- Entscheidungshilfe für die passende Immuntherapie, siehe: Verlaufsmodifizierende Stufentherapie der Myasthenia gravis
- Präparatewechsel innerhalb einer Wirkstoffgruppe nicht empfohlen
- Aufklärung über Off-Label Use vieler Immuntherapeutika schriftlich festhalten
- Anbindung an spezialisierte Myastheniezentren
Hilfsmittel
- Dysarthrie: Logopädie
- Doppelbilder
- Brille mit abwechselnd abgedeckten Gläsern
- Prismenbrille bzw. Prismenfolien
- Mobilität
- Halskrause bei Kopfhalteschwäche
- Bspw. Gehstock, Rollator oder (Elektro‑)Rollstuhl, Treppenlift, Badewannenlift
Sozialmedizinische Aspekte
- Schwerbehindertenausweis: Je nach Grad der Behinderung (GdB) [2]
- Fahreignung [7]
- Führen von Fahrzeugen der Gruppe 1 : Einzelfallentscheidung
- Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 : I.d.R. keine Fahreignung
Medikamentöse Stufentherapie
Übersicht
Verlaufsmodifizierende Stufentherapie der Myasthenia gravis [2] | |||||
---|---|---|---|---|---|
Krankheitsschwere | Okuläre Form | Generalisierte Form | |||
Anti-AChR-AK-positiv | Anti-MuSK-AK-positiv | ||||
Mild – moderat |
| ||||
|
|
|
| ||
Schwer – therapierefraktär |
|
| |||
|
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| |||
Krisenhafte Verschlechterung |
|
|
Mit Ausnahme von Glucocorticoiden und Azathioprin werden die meisten Präparate zur Immunmodulation bei Myasthenia gravis im Off-Label Use eingesetzt!
Die Anti-LRP4-AK-positive und die seronegative Myasthenia gravis werden i.d.R. behandelt wie eine Anti-AChR-AK-positive Myasthenia gravis!
Cholinesterasehemmer
- Indikation: Symptomatische Basistherapie bei jeder Form der Myasthenia gravis
- Kontraindikationen
- Absolut: Mechanische Verschlüsse des Verdauungs- oder Harntraktes, Iritis, Myotonie, Schock
- Relativ: Obstruktive Lungenerkrankungen, bradykarde Herzrhythmusstörungen
- Spezielle Kontraindikationen für Neostigmin: Gabe depolarisierender Muskelrelaxanzien, Hyperthyreose
- Besondere Vorsicht bei Anwendung von Neostigmin: Hypotonie, Kombination mit Betablockern, Morphin-Derivaten und Barbituraten, nach Myokardinfarkt und weiteren (siehe Fachinformation)
- Häufige unerwünschte Wirkungen: Übelkeit, abdominelle Krämpfe, Durchfall, Miosis, Akkommodationsstörungen, Bradykardie und auch vermehrtes Schwitzen
- Überdosierung: Cholinerge Krise
- Schwangerschaft und Stillzeit siehe: Schwangerschaft und Myasthenie
Pyridostigmin
- Verordnung
- Einschleichender Beginn mit Anpassung von Dosis und Dosierungsintervall nach therapeutischem Effekt
- Rein okuläre Myasthenie teilweise mit dauerhaft niedrigeren Dosen behandelbar
- Bei Kindern Dosisanpassung notwendig
- Pyridostigmin p.o. für Kinder ≥1 Monat – 18 Jahre
- Off-Label Use bis zum Alter von 2 Jahren
- Therapiehinweise (orale Therapie)
- Wirkeintritt: Innerhalb von 15–30 min
- Wirkdauer: ca. 3–6 h, abhängig von der körperlichen Aktivität
- Bei Schluckstörung: Einnahme 30–60 min vor den Mahlzeiten
- Bei Magensonde: Als Saft verfügbar (Bspw. Amindan® 12 mg/mL)
- Individueller Bedarf: Situative Veränderungen, etwa bei Infektionen oder in Belastungssituationen
- Retardpräparate: Bei ausgeprägter Schwäche am Morgen ist in Einzelfällen die Einnahme von retardiertem Pyridostigmin am Vorabend sinnvoll
-
Nebenwirkungen
- Zu Therapiebeginn sehr häufig
- Lassen im Verlauf häufig nach
- Äquivalenzdosen beachten: Bei Umstellung der Applikationsform Dosisanpassung erforderlich, z.B. entspricht 1 mg Pyridostigmin i.v. etwa 30 mg p.o.
- Anti-MuSK-AK-positive MG: Vermindertes Ansprechen auf die symptomatische Therapie
Neostigmin [2][8]
- Verordnung
- Neostigmin i.v. (Off-Label Use) als Ersatz für Pyridostigmin i.v. zur parenteralen Akuttherapie, perinatal oder perioperativ
- Bei Kindern Dosisanpassung notwendig
- Gabe i.m. oder s.c. (Off-Label Use)
- Kinder 1 Monat – 6 Jahre
- Kinder und Jugendliche ≥6 Jahre
- Für orale Therapie in Deutschland nicht mehr verfügbar
- Therapiehinweise
- Orientierend für eine Umstellung: Pyridostigmin p.o. auf Neostigmin i.v. im Verhältnis 80:1
- Wirkeintritt innerhalb von 5 min nach i.v. Gabe bzw. 10–30 min nach i.m. Gabe
- Wirkmaximum nach 2–3 h
- Nebenwirkungen vergleichbar mit Pyridostigmin, jedoch häufiger cholinerge Nebenwirkungen
- Kontinuierliches Monitoring aufgrund möglicher Nebenwirkungen obligat
Weitere
- Distigmin [2]
- Selten verwendetes Ausweichpräparat, insb. bei Pyridostigmin-Unverträglichkeit
- Schlechte Steuerbarkeit und Kumulationsgefahr (lange HWZ)
- Ambenoniumchlorid
- Selten verwendetes Ausweichpräparat, insb. bei Pyridostigmin-Unverträglichkeit
- Im Gegensatz zu Pyridostigmin mehr zentralnervöse und weniger muskarinerge Nebenwirkungen
- Edrophoniumchlorid
- Nur für diagnostische Zwecke geeignet (kurze HWZ)
- Für die Therapie nicht zugelassen
Immuntherapeutika
- Indikation
- Mittelfristige oder dauerhafte Immunsuppression bei okulärer und generalisierter Myasthenia gravis
- Als Mono- oder Kombinationstherapie mit weiteren Immuntherapeutika je nach Krankheitsschwere
- Stoßtherapie bei Exazerbation
- Schwangerschaft und Stillzeit siehe: Schwangerschaft und Myasthenie
Glucocorticoide
- Verordnung
- Langsame Eindosierung: Bei milden Verläufen, langsamer Wirkeintritt
- Schnelle Eindosierung: Bei ausgeprägterer Symptomatik ohne schwere bulbäre Symptomatik
- Stoßtherapie: Bei Exazerbation ohne schwere bulbäre Symptomatik
- Therapiehinweise
- Wirkeintritt : Innerhalb von 2 bis 3 Wochen; abschließende Beurteilung des Therapieeffekts nach 6 Monaten
- Insb. bei schneller Eindosierung ist eine passagere Verschlechterung der myasthenen Symptome, gelegentlich bis zu einer myasthenen Krise, innerhalb einer Woche möglich
- Nach gutem Ansprechen vorsichtige Dosisreduktion
- Prophylaxe der Osteoporose und der Ulkuskrankheit bedenken
- Häufige unerwünschte Wirkungen siehe: Glucocorticoid-Nebenwirkungen
Azathioprin
- Verordnung
- Therapiebeginn in höherer Dosierung
- Erhaltungstherapie: Langsame Reduktion von Azathioprin auf niedrigste noch wirksame Dosis
- Therapiehinweise
- Gabe einer Testdosis vor Dauertherapie zum Ausschluss einer Überempfindlichkeitsreaktion
- Ausschluss einer Schwangerschaft vor Therapiebeginn und sichere Kontrazeption unter Therapie und über 6 Monate nach Therapieende
- Regelmäßige dermatologische Vorsorgeuntersuchungen und Sonnenschutz
- Wichtige Interaktionen: Allopurinol, Febuxostat
- Häufige unerwünschte Wirkung: Gastrointestinale Beschwerden, Hepatotoxizität, Knochenmarksuppression mit Leukozytopenie, Anämie und Thrombozytopenie (Blutungen) bis hin zur Panzytopenie
- Therapiekontrolle
-
Großes Blutbild wöchentlich in den ersten beiden Therapiemonaten, monatlich im folgenden halben Jahr und dann vierteljährlich
- Zielgrößen
- Leukozyten 3.500–4.000/μL
- Lymphozyten 600–1.000/μL [2]
- Zielgrößen
- Monatlich Leberparameter , Kreatinin
- Therapieabbruch bei
- Leukozytopenie <3.000/μL
- Granulozytopenie <2.000/μL
- Thrombozytopenie <100.000/μL
- Allergischen Reaktionen
- Aplastischer Anämie
- Schweren Infekten
- Wirklatenz: 6–9 Monate, Wirkung abschließend beurteilbar nach 18–24 Monaten [2]
- Bei unzureichendem Ansprechen: Umstellung auf andere Immunsuppressiva erwägen (Ciclosporin A, Cyclophosphamid, Methotrexat, Mycophenolatmofetil, Rituximab, Tacrolimus)
-
Großes Blutbild wöchentlich in den ersten beiden Therapiemonaten, monatlich im folgenden halben Jahr und dann vierteljährlich
Immuntherapeutika der 2. Wahl [2]
Die nachfolgend dargestellten Therapieoptionen (Off-Label Use) werden bei Unverträglichkeit, unzureichendem Ansprechen auf Azathioprin oder schweren Verlaufsformen in Betracht gezogen. Ihre Anwendung ist eine Einzelfallentscheidung, die spezialisierten Zentren vorbehalten sein sollte.
- Ciclosporin A
- Therapiekontrolle: Spiegelbestimmung , Nierenretentionsparameter und Leberwerte
- Wichtige Nebenwirkungen: (Irreversible) Niereninsuffizienz, opportunistische Infektionen, Myelosuppression, gastrointestinale Beschwerden, Kopfschmerzen, Tremor
- Wirklatenz: 1–3 Monate, Wirkung abschließend beurteilbar nach 6–12 Monaten
- Mycophenolatmofetil (MMF)
- Therapiekontrolle: Spiegelbestimmung , Nierenretentionsparameter
- Wichtige Nebenwirkungen: Gastrointestinale Beschwerden, opportunistische Infektionen, Teratogenität
- Wirklatenz: 2–12 Monate, Wirkung abschließend beurteilbar nach 12–18 Monaten
- Methotrexat (MTX)
- Therapiehinweis: Folsäuresubstitution einen Tag nach Einnahme reduziert Nebenwirkungen von MTX
- Therapiekontrolle: Blutbild, Nierenretentionsparameter, Leberwerte
- Wichtige Nebenwirkungen: Gastrointestinale Beschwerden, Stomatitis, Myelosuppression, opportunistische Infektionen, Teratogenität
- Wirklatenz: 2–6 Monate, Wirkung abschließend beurteilbar nach 6–12 Monaten
- Tacrolimus
- Therapiekontrolle: Spiegelbestimmung , Elektrolyte, Nierenretentionsparameter
- Wichtige Nebenwirkungen: Gastrointestinale Beschwerden, Hyperkaliämie, Hyperglykämie, Tremor, Kopfschmerzen, Nephrotoxizität, Neurotoxizität
- Wirklatenz: 1–3 Monate, Wirkung abschließend beurteilbar nach 6–12 Monaten
- Cyclophosphamid
- Therapiehinweis: Zystitisprophylaxe durch ausreichendes Trinken und Urothelprotektion mit Mesna (Uromitexan®) während und nach Cyclophosphamid-Infusion
- Therapiekontrolle: Blutbild und Nierenretentionsparameter
- Wichtige Nebenwirkungen: Myelosuppression, Zystitis, gastrointestinale Beschwerden, Leber- und Nierenschädigung, Haarausfall, Teratogenität
- Wirklatenz: 2–6 Monate
Intensivierte Immuntherapie der Myasthenia gravis
- Gabe von Komplementinhibitoren, Modulatoren des neonatalen Fc-Rezeptors oder Anti-CD20-Antikörper zusätzlich zur Therapie mit Cholinesterasehemmern und einem anderem Immuntherapeutikum (Add-on-Therapie)
- Anwendung nach Möglichkeit in spezialisierten neurologischen Zentren
Komplementinhibitoren
- Wirkmechanismus: Hemmung der komplementvermittelten Zerstörung der postsynaptischen Acetylcholin-Rezeptoren über Bindung an den Faktor C5 des Komplementsystems
- Allgemeine Hinweise
- Erstgabe unter stationärer Beobachtung
- Infektiologisches Monitoring empfohlen (erhöhte Infektanfälligkeit)
- Vorab Überprüfung des Meningokokken-Impfschutzes obligat
- Bei fehlendem Schutz: Impfung gegen Meningokokken (A, C, Y, W, B) bis spätestens 2 Wochen vor Therapiebeginn oder Antibiotikaprophylaxe
- Wirkstoffe
- Eculizumab [2][9][10]
- Indikationen
- 1. Wahl als Add-on bei Erwachsenen mit therapierefraktärer generalisierter, Anti-AChR-AK-positiver Myasthenia gravis
- Als Add-on bei Erwachsenen mit Anti-LRP4-AK-positiver oder seronegativer Myasthenia gravis zu erwägen (Off-Label Use)
- 2. Wahl als Add-on bei hochaktiver/therapierefraktärer Anti-AChR-AK-positiver juveniler Myasthenia gravis (Off-Label Use)
- Durchführung: Gewichtsadaptierte Loading Dose wöchentlich für 4 Wochen, dann zweiwöchentliche Erhaltungstherapie
- Therapiehinweise
- Sorgfältige Überwachung des Therapieerfolges und Absetzen bei Nicht-Ansprechen nach 3 Monaten
- Therapiekontrolle: Blutbild
- Wirklatenz: 1–4 Wochen, Wirkung abschließend beurteilbar nach 3–6 Monaten
- Indikationen
- Ravulizumab [2][11][12]
- Indikationen
- 1. Wahl als Add-on bei Erwachsenen mit Anti-AChR-AK-positiver generalisierter Myasthenia gravis
- Als Add-on bei Erwachsenen mit Anti-LRP4-AK-positiver oder seronegativer Myasthenia gravis zu erwägen (Off-Label Use)
- 2. Wahl als Add-on bei hochaktiver/therapierefraktärer Anti-AChR-AK-positiver juveniler Myasthenia gravis zu erwägen (Off-Label Use)
- Durchführung: Gewichtsadaptierte Loading Dose, nach 2 Wochen Beginn der 8-wöchentlichen Erhaltungstherapie
- Therapiehinweise
- Wechsel von Eculizumab zu Ravulizumab und umgekehrt aufgrund fehlender Wirksamkeit nicht empfohlen
- Kontrazeption: Für die Dauer der Therapie und mind. 8 Monate danach empfohlen, keine Daten zur Teratogenität
- Applikationsform: Intravenös (Filter notwendig)
- Wichtige Nebenwirkungen: Infektanfälligkeit, gastrointestinale Beschwerden
- Therapiekontrolle: Blutbild
- Wirklatenz: 10 Wochen, Wirkung abschließend beurteilbar nach 3–6 Monaten
- Indikationen
- Zilucoplan [2][13][14]
- Indikation: Add-on-Therapie bei Erwachsenen mit therapierefraktärer generalisierter, Anti-AChR-AK-positiver Myasthenia gravis
- Durchführung: Selbstinjektion mit vorgefertigter Spritze durch Patient:in, gewichtsadaptiert
- Therapiehinweise
- Applikationsform: Subkutane Injektion täglich zur gleichen Zeit
- Wichtige Nebenwirkungen: Infektanfälligkeit, Eosinophilie, erhöhte Pankreasenzyme, Morphea
- Eculizumab [2][9][10]
Modulatoren des neonatalen Fc-Rezeptors (FcRn) [2]
- Wirkmechanismus: Reduziert Gesamt-IgG über Hemmung des neonatalen Fc-Rezeptors
- Allgemeine Hinweise
- Infektiologisches Monitoring empfohlen (erhöhte Infektanfälligkeit)
- Standardimpfungen mind. 4 Wochen vor Therapiebeginn, keine Lebendimpfung unter Therapie, Totimpfstoffe mind. 2 Wochen nach letztem und 4 Wochen vor nächstem Therapiezyklus
- Wirkstoffe
- Efgartigimod alfa [2][15][16]
- Indikation
- 1. Wahl als Add-on bei Erwachsenen mit therapierefraktärer generalisierter, Anti-AChR-AK-positiver Myasthenia gravis
- Als Add-on bei Anti-LRP4-AK-positiver oder seronegativer Myasthenia gravis zu erwägen (Off-Label Use)
- 2. Wahl als Add-on bei hochaktiver/therapierefraktärer Anti-MuSK-AK-positiver Myasthenia gravis zu erwägen (Off-Label Use)
- 2. Wahl als Add-on bei Anti-AChR-AK-positiver juveniler Myasthenia gravis zu erwägen (Off-Label Use)
- Durchführung: Wöchentliche Infusion für 4 Wochen gewichtsadaptiert, danach weitere Zyklen individuell
- Therapiehinweise
- Applikationsform: Intravenös (Filter notwendig)
- Wichtige Nebenwirkungen: Infektionen, Kopfschmerzen während der Infusion
- Therapiekontrolle: IgG-Spiegel-Kontrolle, Blutbild
- Wirklatenz: 4 Wochen, Wirkung abschließend beurteilbar nach 2 Therapiezyklen
- Indikation
- Rozanolixizumab [17][18]
- Indikation: Add-on-Therapie bei Erwachsenen mit therapierefraktärer generalisierter Anti-AChR-AK-positiver oder Anti-MuSK-AK-positiver Myasthenia gravis
- Durchführung: Erster Therapiezyklus wöchentlich für 6 Wochen, gewichtsadaptiert, weitere Zyklen nach Therapiepause individuell
- Therapiehinweise
- Applikationsform: Subkutan mit Infusionspumpe
- Wichtige Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Diarrhö, Fieber, Arthralgien, aseptische Meningitis, Infektanfälligkeit, Thrombozytopenie
- Efgartigimod alfa [2][15][16]
Anti-CD20-Antikörper
- Wirkmechanismus: Immunvermittelte Zerstörung von CD20-Antigen-präsentierenden B-Zellen → Verringerte Anzahl von B-Zellen → Reduzierte Produktion von Autoantikörpern
- Allgemeine Hinweise:
- I.d.R. in Kombination mit Glucocorticoiden [2][19]
- PCP-Prophylaxe bei Kombinationstherapie mit anderen Immuntherapeutika und/oder Glucocorticoiden >6 Monate
- Wirkstoff: Rituximab
- Indikationen
- 1. Wahl bei Erwachsenen mit Anti-AChR-AK-positiver, Anti-LRP4-AK-positiver, Anti-MuSK-AK-positiver oder seronegativer (hoch‑)aktiver oder therapierefraktärer Myasthenia gravis
- 2. Wahl bei therapierefraktärer generalisierter juveniler Myasthenia gravis (Off-Label Use) [2]
- Therapiekontrolle: CD19-B-Zell-Status, IgG- und IgM-Level unter Therapie, Hepatitis-Serologie (vor Therapiebeginn)
- Wichtige Nebenwirkungen: Opportunistische Infektionen, Myelosuppression, toxische epidermale Nekrolyse, Infusionsreaktionen, progressive multifokale Leukenzephalopathie
- Wirklatenz: 6 Wochen, Wirkung abschließend beurteilbar nach 6–12 Monaten
- Indikationen
Interventionstherapie
- Indikation: Schwere Exazerbationen oder myasthene Krise
Intravenöse Immunglobuline (IVIG)
- Prinzip: Unverstandene immunmodulatorische Effekte
- Durchführung
- Therapieschemata über 2 oder 5 Tage [20]
- Laufrate der Infusion zu Beginn 0,3 mL/kgKG/h für 30 min, dann langsame Steigerung auf 4,8 mL/kgKG/h, max. 200 mL/h
- Auf Infusionsreaktion, Diurese und Hinweise auf thromboembolische Ereignisse achten
- Therapiehinweise
- Off-Label-Therapie
- Ausschluss eines selektiven IgA-Mangels vor Therapie
- Langsame Infusionsgeschwindigkeit
- Dokumentation von Präparat und Chargennummer obligat
- Wirkeintritt nach 1–2 Wochen zu erwarten
- In Einzelfällen auch zur Erhaltungstherapie
- Wichtige unerwünschte Wirkungen: Kopfschmerzen, thorakales Engegefühl, Tachykardie, grippeähnliche Symptome, selten akute Nierenschädigung oder thromboembolische Ereignisse bei Hyperkoagulabilität
- Kontraindikationen: Überempfindlichkeit gegen Immunglobuline, selektiver IgA-Mangel , Hyperprolinämie
Plasmapherese (PE)
- Prinzip: Extrakorporale Entfernung von im Plasma enthaltenen Antikörpern durch Plasmaaustausch
- Durchführung
- 4–5 Behandlungen alle 2 Tage bis zum Eintritt einer klinischen Stabilisierung
- Austausch von jeweils 30–50 mL Plasma pro kgKG, dabei Substitution von Humanalbumin
- Zugänge in Rücksprache mit der durchführenden Abteilung
- Shaldon-Katheter bei Membranplasmaseparation
- Periphere Zugänge bei Plasmaseparation durch Zentrifugation
- Antikoagulation mit Heparin (siehe: Therapeutische Antikoagulation - Klinische Anwendung)
- Therapiehinweise
- Wirkungseintritt innerhalb von 36 h zu erwarten
- Therapeutischer Effekt zeitlich begrenzt (Wochen), daher parallel Einleitung einer Immunsuppression notwendig
Immunadsorption
- Prinzip: Selektive Entfernung von IgG(-Subtypen) durch unterschiedlich beschichtete Säulen
- Durchführung: Alle 2 Tage, insg. 4–6 Behandlungen
- Therapiehinweise
- Keine Substitution von Plasmaproteinen (wie bei der Plasmapherese) notwendig
- Sehr teuer
Thymektomie
- Indikation
- Erwachsene und Jugendliche ab einem Alter von 13 Jahren mit Thymomnachweis, unabhängig vom Ausprägungsgrad der Myasthenie
- Auch ohne Thymomnachweis bei Menschen mit generalisierter Myasthenie (gMG) [2]
- Bei Anti-AChR-AK-positiver gMG grundsätzlich empfohlen
- Bei seronegativer oder Anti-LRP4-AK-positiver gMG mit hoher Krankheitsaktivität erwägen
- Kinder und Jugendliche im Alter von 5–12 Jahren mit Anti-AChR-AK-positiver Myasthenia gravis nach Versagen der Therapie mit Cholinesterasehemmern und Glucocorticoiden
- Bei an okulärer Myasthenie erkrankten Personen und fehlendem Ansprechen auf medikamentöse Therapie (in Einzelfällen)
- Nicht-indiziert ist die Thymektomie bei Myastheniepatient:innen mit Nachweis von Anti-MuSK-Antikörpern
- Durchführung
- Elektiver Eingriff bei stabilisierter Grunderkrankung
- Operationsmethoden
- Transsternale Thymektomie (Goldstandard bei Thymomentfernung)
- Videoassistierte thorakoskopische Thymektomie
Therapiekontrolle/Verlaufsbeurteilung
Krankheitskontrolle
- Entscheidend zur Beurteilung des Therapieerfolgs
- Erlaubt Aussage über die Dynamik der Erkrankung
- Einteilung nach Schweregrad der residuellen Symptomatik in 4 Stufen [2]
Einteilung der Krankheitskontrolle nach Schweregrad der residuellen Symptomatik | ||
---|---|---|
Grad der Krankheitskontrolle | Symptomatik | |
1 | Remission | Volle Kontrolle ohne Krankheitsaktivität oder Residuen |
2 | Inkomplette Remission | Volle Kontrolle ohne nachweisbare Krankheitsaktivität mit geringen residuellen Symptomen |
3 | Wechselnde Krankheitsaktivität | Unvollständige Kontrolle mit Krankheitsaktivität in Form instabiler und neuer Symptome, ggf. Krisen |
4 | Hohe Krankheitsaktivität | Keine Kontrolle mit hoher Krankheitsaktivität; inkl. therapierefraktäre Myasthenia gravis |
Krankheitsaktivität
- Definition: Zusammenschau von
- Aktuellem Schweregrad der myasthenen Symptome
- Zeitlichem Verlauf der Symptome
- Ansprechen auf die Therapie
- Quantifizierung anhand verschiedener Scores zur Verlaufsbeurteilung der Myasthenia gravis [2]
Beurteilung der Krankheitsaktivität einer generalisierten Myasthenia gravis | |
---|---|
Krankheitsaktivität | Verlauf (trotz adäquater symptomatischer und verlaufsmodifizierender Therapie) |
Milde/moderate Myasthenia gravis |
|
(Hoch‑)Aktive Myasthenia gravis |
|
| |
| |
Therapierefraktäre Myasthenia gravis |
|
Gesamtbeurteilung des Erkrankungsverlaufs
- Zeitpunkt: Ambulant mind. alle 6 Monate mit ärztlicher und Selbsteinschätzung anhand von Scores zur Verlaufsbeurteilung der Myasthenia gravis
- Einschätzung von
- Aktueller Krankheitsschwere (Grad der Krankheitskontrolle)
- Aktueller Krankheitsaktivität (mild/moderat vs. (hoch‑)aktiv)
- Therapieansprechen (Zeitfenster je nach Wirkstoff)
- Evaluation einer Therapieanpassung
- Krankheitskontrolle erreicht? Wenn nicht oder Hinweis auf Exazerbation → Therapieeskalation erwägen
- Auswahl der Therapeutika anhand von Krankheitsaktivität, Antikörperstatus und Nebenwirkungsprofil
Kriterien einer Exazerbation der Myasthenia gravis
- Zeitliches Kriterium: Progrediente Verschlechterung des myasthenen Syndroms innerhalb von max. 30 Tagen
- Subjektives Kriterium: Alltagsrelevante Einschränkung bulbo-pharyngealer Funktionen, der Kopfhaltemuskulatur oder der Extremitätenkraft oder beginnende Atemschwäche mit reduziertem Hustenstoß
- Objektives Kriterium: QMG ≥8 Punkte (max. 5 Punkte davon okuläre Symptomatik), eingeschränkter Effekt von Cholinesterasehemmern
Eine Exazerbation geht einer myasthenen Krise häufig voraus!
Scores zur Verlaufsbeurteilung der Myasthenia gravis
Scores zur Verlaufsbeurteilung der Myasthenia gravis | |||
---|---|---|---|
Score | Parameter | Skala | Interpretation |
MGFA Clinical Classification |
|
|
|
QMG |
|
|
|
MG-ADL |
|
|
|
MG-QoL15r |
|
|
|
MMT |
|
|
|
MGC |
|
|
Komplikationen
Medikamentöse Einflüsse auf die Myasthenie
- Zahlreiche Medikamente können die myasthene Symptomatik bis hin zu einer myasthenen Krise verstärken
- Geringes Risiko: Bei leichtgradiger myasthener Symptomatik und gut eingestellter Therapie (mit Normalisierung der neuromuskulären Übertragung) besteht ein geringes Risiko wesentlicher medikamentöser Einflüsse
- Vorgehen bei medikamentös induzierter Verschlechterung
- Prüfung von Kontraindikationen, ggf. Ausweichen auf Alternativen
- Beobachtung der myasthenen Symptome nach Verordnung neuer Medikamente
- Konsequente Infektbehandlung: Bei fieberhaften Infektionen im Bedarfsfall Antibiotikatherapie nicht hinauszögern!
- Intensivmedizinische Therapien: Bei Myasthenie eigentlich kontraindizierte Medikamente können bei schweren Erkrankungen und intensivmedizinischer Therapie notwendig und sinnvoll sein
- Bei anderen schweren Erkrankungen: Therapie trotz möglicher Kontraindikationen (in Bezug auf die Myasthenie) beginnen
- Medikamente (Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
- Antiarrhythmika (Betablocker, Procainamid)
- Antibiotika
- Aminoglykoside (insb. Streptomycin, Neomycin, Gentamicin, weniger: Tobramycin)
- Fluorchinolone (etwa Levofloxacin, Ciprofloxacin)
- Glykopeptide (Vancomycin)
- Lincosamide (Clindamycin)
- Makrolide (Erythromycin)
- Ketolide (Telithromycin, absolute Kontraindikation!)
- Antidepressiva (Amitriptylin)
- Anfallssuppressiva (Benzodiazepine, Carbamazepin, Gabapentin)
- Antimalariamittel (Chinin, Chloroquin)
- Antirheumatika (D-Penicillamin, Chloroquin)
- Botulinumtoxin
- Diuretika (Schleifendiuretika, Thiaziddiuretika)
- Interferon-α
- Calciumantagonisten
- Lithium
- Muskelrelaxanzien (siehe auch: Muskelrelaxanzien bei Pathologien der neuromuskulären Übertragung)
- Magnesium i.v.
- Statine
- Immuncheckpoint-Inhibitoren
Myasthene Krise
- Definition: Krisenhafte Verschlechterung der Myasthenia gravis
- Ursachen und Auslöser
- Medikamente mit Einfluss auf die neuromuskuläre Übertragung, bspw. Muskelrelaxanzien
- Fehler bei Verordnung oder Einnahme der Myastheniemedikamente
- Infektionen und Fieber
- Narkosen
- Perioperativ: Daher Fortführung der oralen Pyridostigmin-Therapie bis kurz vor OP!
- Idiopathisch
- Klinisches Bild
- Schwere Muskelschwäche mit respiratorischer Insuffizienz und Aspirationsgefahr
- Häufig Aspirationspneumonien
- Therapie: Sicherung der Atemwege und Vitalfunktionen, Aufnahme auf Intensivstation, intravenöse Therapie mit Cholinesterasehemmern (Pyridostigmin oder Neostigmin [8]) und/oder Neutralisierung der pathogenen Antikörper durch Plasmapherese/Immunadsorption oder intravenöse Immunglobuline (IVIG)
- Atemwegsmanagement
- Ohne Indikation zur Intubation
- Oberkörperhochlagerung, ggf. Oropharyngealtubus (Guedel-Tubus ), Sauerstoffmaske
- Monitoring der Vitalparameter inkl. Vitalkapazität und Blutgasanalyse
- Bei Indikation zur Intubation
- Transnasale Intubation
- Invasive Beatmung
- Bei Lungengesunden i.d.R. niedriger PEEP (3–5 cmH2O) und Atemzugvolumen von 7–11 mL/kgKG
- Bei Lungenkranken höherer PEEP und niedrigeres Atemzugvolumen
- Frühzeitig assistierte Beatmungsformen nutzen
- Für detailliertere Empfehlungen zur Beatmung bei myasthener Krise verweisen wir auf die aktuelle Leitlinie [2]
- Ohne Indikation zur Intubation
- Therapie der myasthenen Symptomatik
- Cholinesterasehemmer Neostigmin [8]
- Atropin bei starken cholinergen Nebenwirkungen
- Interventionstherapie bei schwer betroffenen Patient:innen oder cholinerger Krise (siehe oben)
- Sonstige Maßnahmen
- Abklärung einer Infektion, bei Nachweis konsequente Behandlung (z.B. einer Aspirationspneumonie)
- Ausgleich von Elektrolytstörungen
- Behandlung von Schilddrüsenfunktionsstörungen
- Thromboseprophylaxe
- Atemwegsmanagement
- Prognose: Letalität 2–3% bei intensivmedizinischer Behandlung
- Red Flags für drohende myasthene Krise
- Fieberhafter Infekt mit notwendiger antibiotischer Therapie innerhalb der letzten 2 Wochen
- Zunehmende bulbäre Symptomatik, bspw.
- Zeichen der Dysphagie: „Inverse Aspiration“ , Husten oder Räuspern beim Schlucken
- Abgeschwächter Hustenstoß
- Bulbäre Dysarthrie mit offenem Näseln
- Dropped-Head-Syndrom
- Herabfallender Unterkiefer nach längerem Kauen (sog. „Dropped Chin“)
Bei der myasthenen Krise handelt es sich um einen intensivpflichtigen Notfall!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Schwangerschaft und Myasthenie
- Kinderwunsch
- Remission der Grunderkrankung anstreben
- Thymektomie vor Schwangerschaft, falls indiziert
- Umstellung bei ungeeigneter Therapie (Cyclophosphamid, Methotrexat, Mycophenolatmofetil, Rituximab, Tacrolimus) und danach hinreichend lange Kontrazeption
- Erkrankte Väter
- Abstand von 6 Monaten zwischen Absetzen potenziell mutagener Immunsuppressiva und Zeugung
- Bei Kinderwunsch ggf. Konservierung von Spermien vor Methotrexattherapie
- Schwangerschaft
- Individueller Krankheitsverlauf ist nicht vorhersehbar
- Anbindung an Myasthenie-erfahrene Geburtsklinik, dort regelmäßige Vorstellung mit Sonografie
- Regelmäßige neurologische Vorstellung
- Glucocorticoidtherapie: Engmaschige Überwachung hinsichtlich Gestationsdiabetes
- Medikation
- Basistherapie: Pyridostigmin , möglichst niedrig-dosierte Glucocorticoide, ggf. auch Azathioprin
- Therapieeskalation: Glucocorticoide
- Exazerbation und myasthene Krise: Intravenöse Immunglobuline (IVIG), ggf. Plasmapherese oder Immunadsorption
- Relative Kontraindikation: Azathioprin, Ciclosporin A
- Absolute Kontraindikation: Cyclophosphamid, Methotrexat, Mycophenolatmofetil, Rituximab, Tacrolimus
- Geburt
- Keine Indikation für primäre Sectio caesarea
- Muskuläre Erschöpfung unter Geburt: Indikation für sekundäre Sectio caesarea
- Erhöhtes Risiko von Infektionen der Mutter
- Peridurale Anästhesie
- Cholinesterasehemmer perinatal über Perfusor statt oral [8]
- Krankenhaus mit Monitoring- und Therapieoptionen bei etwaiger neonataler Myasthenia gravis
- Letalität peripartal entspricht jener der Normalpopulation
- Myasthenie-assoziierte Probleme können noch Stunden/Tage nach der Geburt auftreten
- Ggf. Familienhilfe zur Unterstützung der Mutter nach Entlassung
- Risiken für das Kind
- Häufig (10–20%): Transiente neonatale Myasthenia gravis (NMG)
- Extrem selten
-
Arthrogryposis multiplex congenita (AMC)
- Therapieoption: Plasmapherese der Mutter zur Eliminierung zirkulierender plazentagängiger Antikörper
-
Arthrogryposis multiplex congenita (AMC)
- Stillzeit
- Stillen wird empfohlen
- Therapiebeschränkungen beachten
- Sicher: Pyridostigmin und Glucocorticoide
- Relative Kontraindikation: Azathioprin
- Absolute Kontraindikation: Cyclophosphamid, Methotrexat
- Unzureichende Datenlage: Ciclosporin A, Mycophenolatmofetil, Rituximab, Tacrolimus, Komplementinhibitoren, FcRn-Modulatoren
Prognose
- Cholinesterasehemmer und niedrigdosierte Immunsuppression häufig lebenslang notwendig
- Remission unter Therapie sehr häufig
- Okuläre Myasthenie: Prognose bei ausbleibender Generalisierung günstig
- Therapierefraktäre Verlaufsform ca. 10%
- Myasthene Krise: Letalität 2–3%, unbehandelt sehr hoch
- Mortalität gegenüber Gesamtbevölkerung nur leicht erhöht
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Myasthenia gravis
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- G70.-: Myasthenia gravis und sonstige neuromuskuläre Krankheiten
- Exklusive: Botulismus (A05.1), Transitorische Myasthenia gravis beim Neugeborenen (P94.0)
- G70.0: Myasthenia gravis
- G70.1: Toxische neuromuskuläre Krankheiten
- G70.2: Angeborene oder entwicklungsbedingte Myasthenie
- G70.8: Sonstige näher bezeichnete neuromuskuläre Krankheiten
- G70.9: Neuromuskuläre Krankheit, nicht näher bezeichnet
- G73.-*: Krankheiten im Bereich der neuromuskulären Synapse und des Muskels bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- G73.0*: Myastheniesyndrome bei endokrinen Krankheiten
- Myastheniesyndrome bei:
- diabetischer Amyotrophie (E10–E14, vierte Stelle .4†)
- Hyperthyreose [Thyreotoxikose] (E05.-†)
- Myastheniesyndrome bei:
- G73.1*: Lambert-Eaton-Syndrom (C00–D48†)
- G73.2*: Sonstige Myastheniesyndrome bei Neubildungen (C00–D48†)
- G73.3*: Myastheniesyndrome bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
- G73.4*: Myopathie bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
- G73.5*: Myopathie bei endokrinen Krankheiten
- Myopathie bei: Hyperparathyreoidismus (E21.0-E21.3†), Hypoparathyreoidismus (E20.-†)
- Thyreotoxische Myopathie (E05.-†)
- G73.6*: Myopathie bei Stoffwechselkrankheiten
- Myopathie bei: Glykogenspeicherkrankheit (E74.0†), Lipidspeicherkrankheiten (E75.-†)
- G73.7*: Myopathie bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Myopathie bei: chronischer Polyarthritis (M05-M06†), Sicca-Syndrom [Sjögren-Syndrom] (M35.0†), Sklerodermie (M34.8†), systemischem Lupus erythematodes (M32.1†)
- G73.0*: Myastheniesyndrome bei endokrinen Krankheiten
- P94.-: Störungen des Muskeltonus beim Neugeborenen
- P94.0: Transitorische Myasthenia gravis beim Neugeborenen
- Exklusive: Myasthenia gravis (G70.0)
- P94.0: Transitorische Myasthenia gravis beim Neugeborenen
- G71.-: Primäre Myopathien
- Exklusive: Arthrogryposis multiplex congenita (Q74.3), Myositis (M60.‑), Stoffwechselstörungen (E70-E90)
- G71.0: Muskeldystrophie
- Muskeldystrophie: autosomal-rezessiv, Beginn in der frühen Kindheit, Duchenne- oder Becker-ähnlich
- Becken- oder Schultergürtelform
- benigne [Typ Becker]
- benigne skapuloperonäal, mit Frühkontrakturen [Typ Emery-Dreifuss]
- distal
- fazio-skapulo-humerale Form
- maligne [Typ Duchenne]
- okulär
- okulopharyngeal (Okulopharyngeale Muskeldystrophie, OPMD)
- skapuloperonäal
- Exklusive: Angeborene Muskeldystrophie: mit spezifischen morphologischen Anomalien der Muskelfasern (G71.2), o.n.A. (G71.2)
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.