Zusammenfassung
Paraneoplastisch ist ein Ausdruck für ein Phänomen, das neben („para“) einer malignen Tumorerkrankung („neoplastisch“) auftritt. Paraneoplastische Syndrome können theoretisch von jedem Malignom ausgehen und sich abhängig von den produzierten Substanzen ganz unterschiedlich präsentieren. Sehr häufig sind allgemeine Erscheinungen wie Tumorkachexien, erhöhte Thromboseneigung und Hyperthermie. Ein Karzinom, bei dem es sehr häufig und charakteristischerweise zu zahlreichen speziellen paraneoplastischen Symptomen kommt, ist das kleinzellige Lungenkarzinom. Die tumorinduzierte Hyperkalzämie ist wiederum sehr häufig für die meisten Malignome und beruht auf einer paraneoplastischen Produktion von PTHrP. Einige Paraneoplasien (z.B. Acanthosis nigricans paraneoplastica) entstehen praktisch nur bei Malignomen und sollten deshalb eine sofortige Tumorsuche nach sich ziehen.
Überblick
- Allgemeine paraneoplastische Begleiterscheinungen: B-Symptomatik, Tumorkachexie, Hyperthermie, Thrombosen
- Spezielle Paraneoplasien
Kutane Paraneoplasien
Acanthosis nigricans [1]
- Definition: Hyperpigmentierte Hautveränderung, die u.a. als kutane Paraneoplasie symmetrisch an Prädilektionsstellen auftritt
- Ursachen
- Angeborene Acanthosis nigricans (bspw. im Rahmen diverser Syndrome)
- Erworbene Acanthosis nigricans
- Acanthosis nigricans bei nicht-syndromaler Adipositas (häufigste Form; veraltet: Pseudoacanthosis nigricans)
- Acanthosis nigricans paraneoplastica (veraltet: Acanthosis nigricans maligna): Hauptsächlich im Rahmen gastrointestinaler Adenokarzinome (insb. des Magens)
- Endokrinologische Erkrankungen
- Medikamentenassoziiert
- Klinisches Bild: Flächige hyperkeratotische Papeln mit Hyperpigmentierung
- Häufige Lokalisationen: Achselhöhlen, Genitalbereich, Nacken
- Bei Acanthosis nigricans paraneoplastica zusätzlich Veränderungen an Mundschleimhaut, Handflächen und Fußsohlen
Bei Nachweis einer Acanthosis nigricans sollte (insb. bei Erwachsenen) eine paraneoplastische Genese ausgeschlossen werden!
Erythema necroticans migrans
- Vorkommen: Gehäuft bei glucagonsezernierenden Pankreastumoren, aber auch bei u.a. Hepatitis B bzw. Hepatitis C oder Bronchialkarzinom
- Klinisches Bild: Ausbildung multipler, sich zentrifugal ausbreitender, kreisförmiger Erytheme insb. im Bereich des Abdomens, Perineums und der unteren Extremitäten
Erythema gyratum repens
- Definition und Vorkommen: Sehr seltene, obligate kutane Paraneoplasie , die u.a. bei Mamma-, Bronchial-, Magen- und Harnblasenkarzinom vorkommen kann
- Klinisches Bild
Paraneoplastische Akrokeratose (Bazex-Syndrom) [1]
- Definition und Vorkommen: Obligate kutane Paraneoplasie, die hauptsächlich bei epithelialen Karzinomen des Nasopharynx, Larynx, Ösophagus und der Lunge auftritt
- Klinisches Bild
- Erythematöse, schuppige Plaques an Händen, Ohren und/oder Gesicht
- Nagelbeteiligung (Dystrophie, Onycholyse, Paronychie)
Paraneoplastische neurologische Syndrome
- Definition: Schädigungen spezifischer Strukturen des Nervensystems mit korrespondierenden klinisch-funktionellen Auswirkungen, ausgelöst durch onkoneuronale Antikörper
Onkoneuronale Antikörper
- Definition: Paraneoplastische, antineuronale Autoantikörper , deren Bildung durch die Einwirkung bestimmter neoplastischer Zellen und ihrer Mediatoren auf das Immunsystem induziert wird
- Klassische onkoneuronale Antikörper (Auswahl): Im Rahmen von Neoplasien gebildete Antikörper
- Anti-Hu-Antikörper, syn. antinukleärer neuronaler Antikörper 1 (ANNA1)
- Häufigster onkoneuronaler Autoantikörper
- Zielantigene: Gruppe von RNA-bindenden Proteinen in Nervenzellkernen des ZNS und der Spinalganglien
- Bildung ist bei ca. 80% der Betroffenen auf ein kleinzelliges Bronchialkarzinom (SCLC) zurückzuführen
- Anti-Hu-Syndrom : Klinische Manifestation
- Paraneoplastische Kleinhirndegeneration
- Subakute sensible Polyneuropathie (Denny-Brown-Syndrom)
- Paraneoplastische Enzephalitis (siehe auch: Klassische paraneoplastische Enzephalitis)
- Anti-Ri-Antikörper, syn. antinukleärer neuronaler Antikörper 2 (ANNA2)
- Seltenster klassischer onkoneuronaler Autoantikörper
- Zielantigene: Gruppe von RNA-bindenden Proteinen in Nervenzellkernen des ZNS
- Typische klinische Manifestation: Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom
- Anti-Yo-Antikörper, syn. Anti-PCA1-Antikörper
- Bildung überwiegend auf gynäkologische Neoplasien zurückzuführen (insb. Ovarial- und Mammakarzinom sowie Endometriumkarzinom)
- Anti-Yo-Syndrom : Klinische Manifestation typischerweise als paraneoplastische Kleinhirndegeneration
- Anti-Amphiphysin-Antikörper
- Zielantigen: Amphiphysin, ein Proteinbestandteil synaptischer Vesikel
- Bildung ist häufig, aber nicht ausschließlich auf Mammakarzinome zurückzuführen
- Typische klinische Manifestation: Stiff-Person-Syndrom; andere Manifestationen möglich, z.B. paraneoplastische Enzephalitis
- Anti-Hu-Antikörper, syn. antinukleärer neuronaler Antikörper 1 (ANNA1)
- Fakultativ onkoneuronale Antikörper: Antikörper, die auch ohne zugrunde liegende Neoplasien auftreten können
- Siehe auch: Fakultativ paraneoplastische Enzephalitiden
Auswahl paraneoplastischer neurologischer Syndrome
- Paraneoplastische Enzephalitis (insb. klassische paraneoplastische Enzephalitiden)
- Paraneoplastische Kleinhirndegeneration
- Denny-Brown-Syndrom
- Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom
- Stiff-Person-Syndrom
- Myasthenia gravis (als Paraneoplasie)
- Lambert-Eaton-Syndrom
Paraneoplastische Kleinhirndegeneration
- Ätiologie: Zerstörung zerebellärer Neurone (paraneoplastische Zerebellitis), vermittelt durch Autoantikörper
- Vorkommen
- Generell selten (1% aller Karzinompatient:innen)
- Überwiegend bei Frauen mittleren Alters
- Symptome
- Häufig initial Sensibilitätsstörungen und Schmerzen an Extremitäten
- Kleinhirnsymptomatik: Ataxie, Gangunsicherheit, Dysdiadochokinese, Intentionstremor
- Sonst vielgestaltige Symptomatik
- Diagnostik
- Laboruntersuchung
- Serum und/oder Liquor: Bestimmung antineuronaler Antikörper
- Liquor: Lymphomonozytäre Pleozytose, oligoklonale Banden
- Bildgebung
- Laboruntersuchung
- Verlauf: Rasch progredient, bei unzureichender onkologischer Therapie schnell tödlich
Die Symptomatik der paraneoplastischen Kleinhirndegeneration tritt meist schon Monate vor der Diagnose eines Primärtumors auf!
Denny-Brown-Syndrom
- Ätiologie
- Entzündlicher Neuronenverlust in Hinterwurzeln und Spinalganglien (paraneoplastische Ganglionitis)
- Durch Einwirkung paraneoplastischer Autoantikörper, insb. Anti-Hu-Antikörper, v.a. bei kleinzelligem Bronchialkarzinom
- Symptome: Subakute sensible Polyneuropathie
- Symmetrische Parästhesien und Hypästhesien
- Störung der Propriozeption, sensible Ataxie
- Störung vegetativer Funktionen, insb. der vegetativen Regulation
Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom
- Ätiologie: Entzündlicher Neuronenverlust in Hirnstamm (Hirnstamm-Enzephalitis) und Kleinhirn (Cerebellitis)
- Paraneoplastisch, insb. durch Anti-Ri-Antikörper, v.a. bei Mamma- und Bronchialkarzinomen (bei Kindern häufig primäre Hirntumoren)
- Idiopathisch
- Symptome
Das Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom ist keine Epilepsieform, sondern eine (oft paraneoplastische) Hirnstamm-Enzephalitis.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- G13.-:* Systematrophien, vorwiegend das Zentralnervensystem betreffend, bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- G13.0*: Paraneoplastische Neuromyopathie und Neuropathie
- Karzinomatöse Neuromyopathie (C00–C96†)
- Sensorische paraneoplastische Neuropathie, Typ Denny-Brown (C00–D48†)
- G13.1*: Sonstige Systematrophien, vorwiegend das Zentralnervensystem betreffend, bei Neubildungen
- Paraneoplastische limbische Enzephalopathie (C00–D48†)
- G13.0*: Paraneoplastische Neuromyopathie und Neuropathie
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.